Kurzgeschichte
Eine Brücke im Mondschein

Eine Brücke im Mondschein, das Holz alt, verwittert, mit einer silbergrauen Patina überzogen, die im bleichen Licht matt glänzt. Aus einzelnen, unbehauenen Holzbalken gefertigt, ist sie keine Schönheit, wird es nie sein, sie ist zweckmäßig, erbaut für die Touristen, die einen Weg suchen, das andere Ufer trockenen Fußes zu erreichen. Unter der Brücke plätschert ein kleiner Bach leise vor sich hin, gluckert in seinem Bett, dass er sich selbst gegraben hat, murmelt sein uraltes Lied, das nie verstummt, es sei denn, im Winter wird die Kälte so klirrend, so schneidend, dass er gefriert, dann ist ein Ende mit dem Murmeln und Gluckern, bis zum nächsten Frühjahr.

Der Himmel ist klar, wolkenlos, blauschwarz, helle Sterne leuchten herab, ihre alten Augen betrachten wissend das junge Paar, das jetzt unten die Brücke betritt, sie haben schon so viel gesehen, auch diese Szene ist ihnen nicht neu.

Ganz im Gegensatz zu den beiden Menschen dort unten, den beiden Menschen, die noch am Anfang ihres Lebens stehen, und die doch gerade einen ihrer wichtigsten Momente erleben, an den sie sich noch Jahre später erinnern werden. Sie werden ihn in ihren Gedanken verklären, beschönigen, und doch ist es wahr, dass es ein beinahe magischer Moment ist. Sie könnten die beiden letzten Menschen auf Erden sein, so ruhig ist es hier, so abgeschieden, so ineinander verloren sind sie.

Es ist der Moment, in dem ihr Leben eine völlige neue Richtung nimmt, doch sie wissen es nicht, noch nicht. Sie scherzen, lachen, berühren einander, zunächst zaghaft, vorsichtig, als sei der andere aus Glas, das bei der geringsten Berührung zerspringt.

Sie werden mutiger, entschlossener, verschmelzen miteinander, küssen sich, die erste zögernde, ungeschickte Berührung zweier Lippenpaare, der allererste Kuss, viele werden noch folgen, doch es ist der erste, und darum ist er besonders. Und nur der Mond und die Sterne sind ihre Zeugen, als sie in eine neue, gemeinsame Zukunft aufbrechen, und der Bach, der ungerührt weiter in seinem Bett plätschert.

(c) Schneeflocke