Romane & Erzählungen
Er war ihre große Liebe

Er war ihre große Liebe

 

 

Als ich letztens mal wieder in meiner Heimatstadt war, traf ich Sabine wieder, mit der ich vor über 20 Jahren das Abitur gemacht hatte. Wir hingen damals viel zusammen, weil wir außer den beiden Leistungskursen auch noch ein anderes Fach zusammen hatten. Wir haben uns gemeinsam in ein Café gesetzt und unzählige Cappuccinos getrunken. Dabei erzählte sie mir folgendes aus ihrem Leben erzählte:

 

„Ich hatte grade mit einem Studium begonnen. Meinen Freund, Mirko, mit dem ich fast zwei Jahre zusammen war, hatte ich damals auf einer Demo kennen gelernt. In letzter Zeit kam es immer mehr zu Streitereien. Das lag auch daran das mir mein Studium so ungeheuer wichtig war. Eigentlich hatte ich nur dafür Zeit. Es nervte, wenn er mich um 19.30 Uhr abholen wollte und ich die Bücher um 19.20 Uhr zur Seite geräumt hatte, er aber erst um 19.55 Uhr kam. Dabei wollten wir doch ins Kino! Naja, meist lief die Werbung sowieso viel zu lang. Das würde grade noch so passen. Aber er kam dann und sagte: „Liebes, ich hab´ noch großen Hunger, lass uns schnell noch an der Frittenbude vorbeifahren!“ So was nervte mich fürchterlich, und kam fast täglich vor. Irgendwann hab ich dann Schluß gemacht, fühlte mich damit auch total im Recht. Es muß aber schrecklich gewesen sein für ihn. Ich schrie, und heulte auch dabei. Für Jugendliche von heute warscheinlich schwer vorstellbar, wo doch, glaubt man dem was man so im Bus und so mitkriegt, die meisten Beziehungen per SMS beendet werden.

 

Aber ich war dann wohl doch nicht wirklich im Recht. Ich bekam Schlafprobleme. Manchmal konnte ich eine ganze Nacht nicht schlafen. Nach einiger Zeit griff ich dann zu einem Lehrbuch und zog mir den Stoff rein. Ich war sogar mächtig stolz darauf, das ich das konnte. Aber irgendwann war der „Akku“ leer. Ich schlief auch schon mal mehrere Nächte nicht. Ich war auch von meinen Gefühlen her ziemlich konfus: Mußte oft heulen, ohne das selbst so recht zu kapieren warum, oder irgendwelche kleinen Pannen, die schon mal so passieren, brachten mich dazu mich vor Lachen zu schütteln. Als ich dann schon zwei Wochen (meinte ich) nicht mehr geschlafen hatte, haben meine Eltern mich irgendwie überzeugen können zu unserem Hausarzt zu gehen. Der stellte mit eine Einweisung ins Krankenhaus aus, die meine Mutter sofort an sich nahm. Später erfuhr ich, das dort als Einweisungsgrund „Verdacht auf Schizophrenie“ stand.

 

Im Krankenhaus angekommen, führte man mich auf eine Station in ein Zimmer, und fragte mich, ob ich mir vorstellen könne, dort eine Weile zu bleiben. Das Zimmer sah so super ordentlich aus, ich wusste gar nicht welches Bett meins sein sollte. So schüttelte ich den Kopf. So ging es dann durch viele Zimmer. Ich glaub´ es waren fast alle Zimmer der Station. Irgendwann versprach ich dann wenigstens erst mal dort zu bleiben. Jedes mal nach den Mahlzeiten und abends vorm Schlafen kamen eine der Schwestern und redete mit Engelszungen auf mich ein, die Tabletten zu nehmen. Heute kann ich wirklich nur ihre Geduld loben, damals habe ich mich jedes Mal dagegen aufgelehnt. Am Beginn der Zeit im Krankenhaus habe ich häufig, wenn ich mal raus wollte meine Schuhe verzweifelt gesucht. Ich nehme an, man hatte sie mir versteckt, damit ich nicht abhaute. Später war das dann nicht mehr so und ich habe viele schöne Spaziergänge in den nahegelegenen Wald gemacht. Einmal traf ich dabei auch Mirko, der den Hund seiner Familie oft in jenem Wald ausführte. Wir kamen schnell ins Gespräch. Ich glaube, er hat gemerkt, dass die Trennung zwischen uns auch durch die aufkommende Schizophrenie bedingt war. Wir haben uns erst wöchentlich, später auch häufiger zum Waldspaziergang mit Hund getroffen. Bald war mir klar, das es ein doofer Fehler war, ihm den Laufpass zu geben. Bis ich die Kurve kriegte, es ihm zu sagen dauerte wesentlich länger. ...und ich bin froh, dass ich es sagte, denn wir sind heute wieder ein Paar. Ich habe später noch vier weitere psychotische Phasen gehabt. Mirko hat es meist gemerkt bevor mir es auffiel. Für mich könnte es keinen Besseren geben als ihn.“

 

Kaum hatte Sie geendet, da kam ein Mann mit Hund am Café vorbei, sie klopfte an die Scheibe. Es war ihr Mirko. Ich hatte ihn damals nur flüchtig gekannt und hätte ihn nie im Leben erkannt. Aber bei ihrer Begrüßung merkte man eine unheimliche Zärtlichkeit zwischen den beiden.