Kurzgeschichte
Sinneswandlung

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"Sinneswandlung"
Veröffentlicht am 17. Februar 2010, 8 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Frage nicht nach meinem Namen, denn er bestimmt nicht, wer ich bin. Frage nicht nach meinem Alter, denn es sagt nichts über meine Stärke aus. Weder die geistige, noch die körperliche. Frage nicht nach meinem Aussehen, denn das Aussehen kann sich verändern. Hast du jedoch Fragen außerhalb der Ausnahmen, so stelle sie weise. Denn das Recht der Beantwortung liegt am Ende bei mir.
Sinneswandlung

Sinneswandlung

Als er das Gebäude verließ, fiel ihm auf, dass dieses Mal irgendwas anders war. Schon oft ist er diesen Weg gegangen, aber heute war irgendetwas nicht wie gewohnt. Er sah sich um, konnte aber nur die trostlosen, bekannten Gebäude erkennen, die von ihrem Ameisenstaat geschäftig betrieben wurden.
Vielleicht waren es ja die Menschen um ihn, die anders waren. Aber auch das stimmte nicht, wie er nach einer kurzen Untersuchung befand. An ihm liefen, wie jeden Tag, die alten, grau bemäntelten Trauermasken vorbei.
Was konnte es nur sein, dass seine Stimmung so weit von der gewohnten Lethargie zerrte und ihn die spektralen Spiele der Farben betrachten ließ? Im Grunde war es egal und er hätte sich einfach über seinen Zustand freuen sollen, aber es wollte ihn einfach nicht loslassen. „Nichts geschieht ohne Grund“ war sein Kredo und deshalb musste er wissen, was die Ursache dieses Höhentrips war.

Erst als er die Umgebung fast ausgeschlossen hatte, traf es ihn mit der Wucht eines Meteoriteneinschlages. Er war es, der anders war.
Naja, nicht direkt anders. Er hatte keine Flügel auf dem Rücken bekommen oder leuchtete auf einmal in allen Regenbogenfarben. Jedenfalls noch nicht.
Vielmehr lag die Ursache seiner Veränderung bei ihm und den Einflüssen, denen er ausgesetzt war. Die Musik, die er sonst immer auf diesem Weg hörte, die er schon in und auswendig kannte und somit zu einem Teil seiner Umgebung geworden war, hatte sich verändert. Das, was da in seine Ohren klang, war nicht seine Musik. Dies waren nicht die Hoffnung zerstörenden Töne, die er sonst an die Ohrmuschel hielt. Diese Musik war das genaue Gegenteil. Wenn man den Versuch unternommen hätte, hätte diese Musik vertrocknete Blumen zu neuem Leben erweckt. Dieser Umstand irritierte ihn nur noch mehr. Besonders, als er am Wegesrand nun tatsächlich Blumen entdeckte, die zuvor dort nie gewesen waren. Sicher hätte sie an diesem Tag jemand zur Verschönerung der Umgebung dort einpflanzen können, aber wer glaubte denn bitte an solche Zufälle?!
Er untersuchte, ob jemand vielleicht die Geräte im Wege eines üblen Witzes vertauscht hat, aber dies war sein Modern Walkman (MP3-Player), der an den zwei Trommelschlangen hing.
Er konnte sich nicht erklären, wie diese Musik auf den Speicher seines Umgebungstöters gelangt war. Ob dies vielleicht eine Verschwörung von Außerirdischen war, damit er ihnen das Geheimnis seiner totalitären Durchschnittlichkeit verriet? (Bloß nichts außerhalb der vier Mauern unternehmen. Das könnte zu Spaß führen). Machte womöglich der CIA mit dem KGB gemeinsame Sache, damit er ihnen den Weg zum nächsten Supermarkt beschrieb? Er wusste es nicht. (Auch nicht die Wegbeschreibung zum nächsten Supermarkt). Eine Sache war aber gewiss. Das war NICHT seine Musik, die da spielte.

Er beschloss die Playlist seines musikalischen Freundes durchzustöbern, ob diese widersprüchliche Musik nicht vielleicht vor langer Zeit von ihm selbst dort aufgespielt wurde und er es einfach vergessen hatte. Fehlanzeige. Weder sein musikalischer Freund, noch er konnten was mit der Musik anfangen. Das Display zeigte ihm einen Regenbogen, die Titel kündeten vom Garten Eden und sein Verstand machte Sprünge zwischen Freude und Wahnsinn.
Mangelndem Einfallsreichtum, welchen dieser Zustand nun mal mit sich brachte, sei dank, wurde sein Freund auch nicht stumm gestellt. Kein Knebel wurde diesen freudestrahlenden Ausuferungen angelegt und nicht eine Handlung der Gegenwehr war noch zu erkennen. Er würde dem schwebenden Zustand der Lethargie bald auf ewig „Lebe wohl“ sagen, wenn es nicht die letzte Hoffnung geben würde: eine schwache Batterie.
Ganz hinten, im rational denkenden Teil seines noch übrig gebliebenen Verstandes, erinnerte er sich daran, dass er schon seit Tagen seinen musikalischen Freund befeuert und missbraucht hatte und dieser doch bald mal wieder einen Akt des Aufbegehrens versuchen müsste. Natürlich würde dieser Akt mit einer der ältesten Methoden gestoppt: der Bestechung.

Diese Hoffnung machte den lethargischen Teil für einen Augenblick stärker, um ihm dann sofort zum Verhängnis zu werden. Denn bei all der Hoffnung hatte der vom Sterben bedrohte Teil den falschen Anker ergriffen. Einen Anker genannt Erinnerung. Der Geblendete erinnerte sich an heute Morgen, wie sein Freund da schon einen Aufstand vom Zaune ließ und daher Brot und Spiele dem Volke, früher als gedacht, gereicht werden mussten. Das Volk hat gejubelt, Cäsar auch. Jedenfalls bis zu diesem Moment, wo das Volk nun ausgelassen feiern konnte, während Cäsar einen Krieg bestritt, denn er im Begriff war zu verlieren.

Der lethargische Teil gab auf. Es war nunmehr sinnlos nach einem Ausweg aus diesem Freudenhaus zu suchen. Von allen Seiten drangen farbenprächtige Einflüsse auf ihn ein, während Vogelgesänge Töne trafen, die wie Torpedos auf den düsteren Teil des Denkapparates abgefeuert wurden. Seine Haut hatte nicht mehr den blassen Teint, auf den er Jahre hingearbeitet hatte und die Ringe, die er mit ewigen Stunden des Grübelns gewonnen hatte, wurden ihm wieder aus den Augen gelötet.

Damit verstarb der verbliebene Teil seiner natürlichen Selbst ohne auch nur ein letztes Mal seinen getrübten Gedanken und lethargischen Geistesahnen die Chance für ein paar letzte Worte einzuräumen.
Diese Mutation, die durch diese hypodelische Musik ausgelöst wurde, wanderte nun durch die Straßen und strahlte ihre widerlich freundlichen Gesichtszüge auf die Trauermasken der Graupelzameisen.

Vielleicht wird eines Tages die Batterie im Modern Walkman den Geist aufgeben und diese Mutation findet wieder zurück. Vielleicht ist er aber auch nur der Erste einer weltweiten Infektion gewesen und damit für den Untergang des Trauerzuges verantwortlich.
Am Wahrscheinlichsten ist aber, dass der Modern Walkman sich mit dem Wirt weiter entwickelt und durch Bewegungen Aufladung erfährt, wodurch er diese bemitleidenswerte Seele in einem Gefängnis voller Schönheit und Freude auf Ewig einschließen würde.
Was für eine erheiternde Vorstellung…

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Luzifer
Frage nicht nach meinem Namen,
denn er bestimmt nicht, wer ich bin.
Frage nicht nach meinem Alter,
denn es sagt nichts über meine Stärke aus.
Weder die geistige, noch die körperliche.
Frage nicht nach meinem Aussehen,
denn das Aussehen kann sich verändern.

Hast du jedoch Fragen außerhalb der Ausnahmen,
so stelle sie weise.
Denn das Recht der Beantwortung
liegt am Ende bei mir.

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Luzifer Re: -
Zitat: (Original von hanni86 am 26.04.2012 - 11:30 Uhr) Der hört doch sicherich Nina Simone! :-D
Oder Mark Knopfler. Vermutlich Mark Knopfler. Und weil der das macht, hab ich den guten Herrn jetzt auch aufgedreht und außerdem haben die Nachbarn gestern (?), vorgestern (?) Barbara Streisand aufgedreht. Das ist zwar eigentartig aber Leute, die um zehn am Abend Barbara Streisand hören sind doch irgendwie unheimlich sympathisch! :-)
Vielleicht hört der doch nicht Knopfler, ein bisschen lahm ist der nämlich schon, wenn man nicht gerade draußen ist. Andererseits ist der Herr Protagonist ja draußen, also kann ers doch hören.

Viele liebe Grüße,
Hanni

Und japp, es kann durchaus sein, dass mir allerlei bedeutsames aus dem Text entgangen ist, so es denn drinnen steht aber, hach :-)

Ich kann dir nicht sagen, was er da hört. Das muss wohl jeder für sich selbst entscheiden.
Gern würde ich mehr dazu sagen, aber keiner der Namen sagt mir etwas und ich kann daher auch nicht auf den Einwand eingehen, ob es passend ist, dass der Protagonist die inneren Behausungen noch nicht betreten hat. ^^

Liebe Grüße
Luzifer

PS. Täglich entgeht dem Menschen allerhand Bedeutsames und trotztdem kann er glücklich leben. =)
Vor langer Zeit - Antworten
hanni86 Der hört doch sicherich Nina Simone! :-D
Oder Mark Knopfler. Vermutlich Mark Knopfler. Und weil der das macht, hab ich den guten Herrn jetzt auch aufgedreht und außerdem haben die Nachbarn gestern (?), vorgestern (?) Barbara Streisand aufgedreht. Das ist zwar eigentartig aber Leute, die um zehn am Abend Barbara Streisand hören sind doch irgendwie unheimlich sympathisch! :-)
Vielleicht hört der doch nicht Knopfler, ein bisschen lahm ist der nämlich schon, wenn man nicht gerade draußen ist. Andererseits ist der Herr Protagonist ja draußen, also kann ers doch hören.

Viele liebe Grüße,
Hanni

Und japp, es kann durchaus sein, dass mir allerlei bedeutsames aus dem Text entgangen ist, so es denn drinnen steht aber, hach :-)
Vor langer Zeit - Antworten
Luzifer Re: ein Kleinod, aus nichts etwas Wunderbares hervorgezaubert zu haben -
Zitat: (Original von Samsarat am 01.09.2010 - 00:06 Uhr) Begeisterung entspricht einer Form der Untertreibung, mit welcher ich in deine Situationsbeschreibung hineingesogen wurde.....
Du ehem. Engel des Lichts, hier leuchtest du in sämtlichen Sphären des Regenbogens( in Form deiner Story)^^

LG Beppa

Freut mich. ^^
Den Text hatte ich schon fast vergessen, da er eigentlich per Zufall entstanden ist. Aber wo ich ihn mir noch einmal durchlese, so weiß ich, dass die Lichtung zu diesem Zeitpunkt mehr als deutlich war.
Lieben Gruß
Luzifer
Vor langer Zeit - Antworten
Luzifer Re: Ich -
Zitat: (Original von Robin am 21.02.2010 - 12:21 Uhr) bin mehr als beeindruckt, ich bin sprachlos und das kommt bei mir nicht allzu oft vor. Der Text und diese sprachliche Eleganz (ich finde gerade kein besseres Wort) hat mich echt begeistert und tief getroffen.

Liebe Grüße
Lisa


Ehm...wow. Nun bin ich aber sprachlos. ^^ Wenn man hier auch noch Kommentare favorisieren könnte, würde ich deinen sofort hinzufügen =)
Es freut mich, dass der Text so gut angekommen ist, wo er doch eigentlich aus Langeweile entstanden ist *g*

LG
Luzifer
Vor langer Zeit - Antworten
Luzifer Re: Wow... -
Zitat: (Original von schneeflocke am 21.02.2010 - 12:18 Uhr) ...da bin ich jetzt ein bisschen baff. Ganz nachvollziehen konnte ich den Text nicht, aber die Wortwahl war klasse, das Ende war einfach stimmig, und auch sonst verdient dein Werk die fünf Sterne.

Liebe Grüße,
Tina


Danke schön ^^
Naja, den Text kann man auch wirklich nur schwer nachvollziehen, aber darum geht es auch. Es soll ein wenig bekannt sein, aber dann auch wieder merkwürdig =)
Es freut mich ja, wenn es gefallen hat :)
LG
Luzifer
Vor langer Zeit - Antworten
Robin Ich - bin mehr als beeindruckt, ich bin sprachlos und das kommt bei mir nicht allzu oft vor. Der Text und diese sprachliche Eleganz (ich finde gerade kein besseres Wort) hat mich echt begeistert und tief getroffen.

Liebe Grüße
Lisa
Vor langer Zeit - Antworten
schneeflocke Wow... - ...da bin ich jetzt ein bisschen baff. Ganz nachvollziehen konnte ich den Text nicht, aber die Wortwahl war klasse, das Ende war einfach stimmig, und auch sonst verdient dein Werk die fünf Sterne.

Liebe Grüße,
Tina
Vor langer Zeit - Antworten
Luzifer Re: Horch, was kommt von... -
Zitat: (Original von Doctor am 18.02.2010 - 18:24 Uhr) drinnen rein.... Hallo Luzifer,
das erinnert mich an den ersten "Nano" von der "Obstfirma" den
ich hatte, ein Kumpel probierte ein bißchen rum mit der Aufnahme,
da er damit erst mal nicht klar kam. ( alles die blutigen Anfänger hier
inklusive meiner einer ) Ich saß mit dem Teil das erste Mal im Park,
schaltete das Ding ein, und was höre ich...? Irgendein klassisches
Klavierstück ! Die Gefühle und die Emotionen die ich daraufhin
spürte waren irgendwie so anders, wie deine Geschichte.
Was war ich froh, als gleich danach Rammstein ihr "Stein um Stein...
mauer´ich dich ein... schmetterten. Da war die Welt wieder in
Ordnung. Trotzdem hab ich das Klavierstück nie vergessen können.
Stimmt...Musik beeinflußt ungeahnt. Manchmal still und doch
so intensiv....manchmal wie eine Party im Kopf, und alle sind eingeladen.
Spiel´s noch einmal, Sam...
Gefällt mir gut, auch deine Wortwahl.
DOC


Musik hat wirklich einen starken Einfluss auf uns.
Danke für den Kommentar, aber ich glaube nicht, dass ich es noch einmal spielen würde. Denn diese Musik geht nur schwer über die Finger ;)
LG
Samuel
Vor langer Zeit - Antworten
Luzifer Re: -
Zitat: (Original von Damian am 18.02.2010 - 18:10 Uhr) Wow... also da war ich jetzt baff... *lach* sitze grad mit großen Augen vorm PC und gucke dämlich, voller Erstaunen - das ist wohl der erste Text hier, den ich absolut nicht (nicht mal im Ansatz) nachvollziehen kann....

Was nichts daran ändert, dass er sehr gut ist und auch eine entsprechende Bewertung verdient hat *g*

LG


Juhu. *jubbel, jubbel, freu, freu* Ein kleiner Sieg. Die Unmöglichkeit der Nachvollziehung. Ist ja klasse. Danke schön ^^
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