Kurzgeschichte
Licht Triologie

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"Licht Triologie"
Veröffentlicht am 17. Februar 2010, 24 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Licht Triologie

Licht Triologie

Beschreibung

Drei Texte in einem Komplettwerk. Gewidmet meiner liebsten Caro 1. Sonnenaufgang (Ihre Geschichte) 2. Mondlicht (Ihre Geschichte) 3. Polarlicht (Seine Geschichte)

Sonnenaufgang

Stille. Vollkommene Stille. Kein Zwitschern von Vögeln, die im Licht der Sonne einen fröhlichen Tanz aufführen. Kein Rauschen der Bäume, wenn Wind durch ihre Blätter streicht und sie zum Singen bringt. Kein heiteres Lachen von Kindern, die am Strand spielen und Freude am Leben haben. Und kein Säuseln des Meeres, dessen Wellen sich am Sand und an Felsen brechen und Holz und Steine an Land spülen. Nichts. Einfach nur Stille. Stille, weil ich es so will.

An keinem anderen Ort auf der Welt kann ich über Laute und Schweigen entscheiden. An keinem anderen Ort kann ich entscheiden, wie ich bin, wie ich sein möchte. An keinem anderen Ort kann ich mein Herz ausschütten, kann ich weinen und lachen ohne jemandem Rechenschaft zu schulden. Dies ist mein Platz.

Du bist in letzter Zeit oft hier“, ertönt eine Stimme hinter mir, hinter meinem Rücken. Sie ist mir sehr vertraut, löst ein bestimmtes Gefühl in mir aus, dass ich nicht beschreiben, nicht erfassen kann. Es ist ein gutes Gefühl. „Zu oft, wie ich finde. Warum bist du nicht zu Hause?“

Ich drehe mich nicht um. Nicht, weil ich meinen Gesprächspartner nicht sehen will, sondern weil ich genau weiß, wie er mich gerade ansieht. Wie er eine dunkle Braue in die Höhe zieht, wie seine braunen Augen mich kritisch mustern, damit ihnen keine Regung entgeht, wie seine Mundwinkel zucken, weil er ganz genau weiß, warum ich hier bin. Warum ich nicht zu Hause bin. Weil er mich kennt. Das will ich nicht zugeben, immer bilde ich mir ein, ich könnte ihn täuschen, aber das kann ich nicht. Er weiß, dass ich es versuche, deswegen schmunzelt er.

Ich verstecke mich“, gebe ich zu und schäme mich nicht einmal. Er weiß es sowieso schon längst. „Alle fordern, alle wollen mehr. Ich muss besser sein, aber ich kann nicht.“

Kannst du nicht oder willst du nicht?“ Ich höre das Lachen in seinen Worten, obwohl er versucht es zu unterdrücken. Er tritt neben mich, sieht mich nicht an, schaut in die Ferne. Genau wie ich.

Beides.“

Was hättest du besser machen können?“, erkundigt er sich. Dass er nicht locker lassen wird, bis ich ihm alles erzählt habe, weiß ich. Er lässt nie locker. Es nervt, aber ich weiß es. Er lässt mich nie gehen, bis ich mich mit meinen Problemen auseinander gesetzt habe.

Alles.“ Eine kindische Antwort.

Alles?“ Nun unterdrückt er sein Lachen nicht mehr. Es ist kein bösartiges, abfälliges Lachen. Ein verständnisvolles Lachen. Ein warmes Gefühl breitet sich von meiner Brust in meinen gesamten Körper aus. Er versteht mich, ohne dass ich mich erklären muss. Ich werde ihn nie verstehen. „Was meinst du mit alles?“

Eben alles.“ Wieder so eine kindische Antwort. Mir fällt nichts besseres ein. „Ich hätte mehr leisten müssen, ich hätte mich mehr um meine Freunde kümmern müssen. Ich hätte weniger an mich selbst denken sollen. Ich hätte eben besser sein müssen. Besser als ich es bin. Ich kann nur nicht.“

Schöner Sonnenuntergang“, wechselt es abrupt das Thema. Das bringt mich aus dem Konzept. Ich wende meinen Blick von dem großen orangenen Ball am Horizont ab, der die schönsten Farben in den Himmel malt. Oft habe ich mir gewünscht dieses Bild festhalten zu können. Doch egal wie sehr man sich bemüht, die wahre Schönheit wird man nie richtig erfassen und wiedergeben können. Neugierig mustere ich sein feines Profil. Die aristokratische Nase, das schmale Kinn, die hohe Stirn, die von fransigen braunen Haaren verdeckt wird. Die schmalen Lippen, immer zu einem leichten Lächeln verzogen. Er ist einfach schön. Zum wiederholten Male frage ich mich, warum er hier ist. Das ist kein Ort für ihn. Er gehört eigentlich nicht hierher.

Ich mag Sonnenuntergänge“, antworte ich etwas holprig.

Dir ist klar, dass du niemals die beste sein wirst.“ Schon wieder dieser plötzliche Themenwechsel. Möchte er mich damit verwirren? „Egal wie sehr du dich anstrengst.“

Diese Worte treffen mich. Hält er mich etwa für schwach, für nicht fähig die beste zu sein? „Warum?“ Mehr bringe ich nicht heraus.

Hast du etwas für die Opfer in Haiti gespendet?“ Will er wieder ablenken? Dieses Mal verwirrt mich ein Gespräch mit ihm eher, anstatt mir zu helfen.

Ja. Hundert Euro.“

Warum nicht zweihundert? Du hättest besser sein können. Du kannst immer besser sein, verstehst du?“

Sein Blick ist noch immer auf den Sonnenuntergang gerichtet. Der Schein lässt sein schönes Gesicht in einem goldenen Ton strahlen. Er sieht aus wie ein Engel. Mein Engel?

Wenn du immer versucht besser zu sein, als das was du bist, machst du dich kaputt. Du bist am besten, so wie du bist. Nicht wie jemand anderes.“

Er schweigt. Soll ich etwas darauf erwidern? Ich bin unschlüssig, möchte nicht, dass er es sieht und richte meine Auge wieder auf die Sonne, die schon halb unter dem dunklen Rand in der Weite verschwunden ist. Es ist ein wunderschöner Ausblick, aber er macht mich traurig.

Plötzlich spüre ich, wie er mir eine Hand auf die Schulter legt und sanft zudrückt. Bisher hat er mich noch nie berührt. Mein Magen zieht sich vor Freude und Aufregung zusammen. Als er spricht, erklingt seine Stimme direkt neben meinem Ohr. Er haucht die Worte beinahe.

Mach es nicht wie ich. Lande nicht hier, du hast ein Leben, Wünsche und Träume. Lass die Sonne nicht untergehen, sondern aufgehen.“

Dann verschwindet der schwere Druck auf meiner Schulter und auch er ist nicht mehr hier. Nicht mehr hier bei mir, aber doch hier. Gefangen an diesem Ort.

Ich richte meinen Blick immer noch auf die Sonne. Ich höre das Zwitschern der Vögel, ein heiteres Lachen aus vielen Kindermündern, den Wind und das Rauschen des Meeres. Und die Sonne, die eben noch hinter dem Horizont verschwinden sollte, steigt langsam wieder auf und taucht alles in ein warmes Licht.

Mondlicht

Dunkelheit. Vollkommene Finsternis. Es ist die Art von Finsternis, die keinen Lichtstrahl durch die düstere Nacht brechen lässt. Es ist die Art, die jedes Licht, jedes Gefühl, jedes Geräusch verschluckt. Es ist ein schwarzes Loch, das alles absorbiert. Es ist die Art von Dunkelheit, die nicht zulässt, dass man die Hand vor Augen erkennen kann. Es ist die Art, vor der sich Kinder fürchten, sich in eine dunkle Ecke drängen und Angst vor Monstern haben. Es ist die Art von Finsternis, die ich geschaffen habe. Meine Finsternis.

Ob ich die Dunkelheit mag? Gewiss nicht. Ich ängstige mich vor ihr, wie vor keiner anderen Sache auf der Welt. Denn sie ergreift Besitz von mir, legt sich wie der dunkle Schatten, der sie ist, über mein Herz, über meine Seele. Sie schnürt mir die Luft ab, schürt meine Panik, lässt mich nicht mehr los. Sie ist mein größter Feind, doch heute ist sie mein bester Freund.

Heute schützt sie mich vor dem, was mich verfolgt. Schützt mich vor dem, was mir noch größere Angst einjagt, als die Dunkelheit. Die Finsternis gaukelt mir vor, sie wären nicht hier. Hätten mich nicht an diesen Ort verfolgt, der meine Zuflucht ist. Sogar an diesem Ort, an meinem Ort, lassen sie mich nicht in Ruhe. Ich weiß, dass sie hier sind. Sie kriechen wie Schlangen über den Boden, fliegen wie Fledermäuse über meinen Kopf hinweg und krabbeln wie Spinnen an den Wänden entlang. Und sie flüstern. Doch die Dunkelheit verschluckt sie. Ich sehe sie nicht, also sind sie nicht hier. Sie sind nicht hier. Sind nicht...

Du bist schon wieder hier.“

Ich schreie. Der Laut durchbricht die Stille, wird von der Finsternis wieder verschluckt. Mein Herz rast, droht aus der Brust zu springen, doch beruhigt sich wieder. Er ist es. Er ist hier und wird mich beschützen, mich beschützen vor denen, die in der Dunkelheit auf mich lauern. Doch sie sind nicht hier.

Was machst du hier?“

Immer stellt er mir diese Frage. Manchmal so, manchmal in einer anderen Form. Dabei weiß er es. Er weiß es immer. Dies ist seine Heimat und doch sein Gefängnis. Er wird immer wissen, warum ich hier bin. Warum ich mich verstecke. Warum ich weglaufe.

Ich verstecke mich.“ Und jedes Mal gebe ich ihm die selbe Antwort. „Aber dieses Mal sind sie auch hier. Sie sind mir gefolgt.“

Sind sie dir gefolgt oder hast du sie mit hierher gebracht?“

Ich spüre, wie er sich neben mich auf den kalten Boden setzt. Ich spüre auch seinen Blick, der auf mir ruht, obwohl er mich nicht sehen kann. Oder kann er mich sehen?

Ich... Ich weiß es nicht“, erwidere ich ungeschickt, knete nervös meine Hände, versuche nicht auf das Flüstern zu achten. Sie kommen näher, kriechen, krabbeln näher. Nicht einmal hier bin ich mehr sicher. Auch hier an meinem Zufluchtsort haben sie mich eingeholt. Die Dämonen. Meine Dämonen. „Ich habe Angst.“ Meine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern, doch er hört es. Weiß es schon längst.

Als er mir antwortet, schwingt kein Lachen in seiner Stimme mit. Kein Mitleid. Nur Verständnis. „Ich weiß. Sie beherrscht dich schon lange. Sie quält dich. Du quälst dich. Warum lässt du hier die Dunkelheit herrschen?“

Das Flüstern kommt näher, sie reden über mich. Blätter rascheln, Äste knacken. Doch es ist dunkel. Ich sehe sie nicht, also sind sie nicht hier. Sie sind nicht hier.

Weil ich sie nicht sehen will“, erkläre ich. „Sie sind nicht hier, wenn ich sie nicht sehe.“

Ich höre ihn lachen. Sein freundliches, warmes, leises Lachen. Er lacht mich nicht aus, lacht nicht über meine kindische Aussage. Er lacht, weil es mir gut tut. Der feste Knoten in meiner Brust, über meinem Herzen, lockert sich, löst sich und lässt mich tief durchatmen.

Nur weil du sie nicht siehst, heißt das nicht, dass sie nicht hier sind. Sie sind immer hier. Immer bei dir, weil du sie nicht los lässt.“

Verwirrt sehe ich in seine Richtung, sehe nichts. Nichts als Dunkelheit. Ich lege die Stirn in Falten, verstehe nicht, was er mir damit sagen will. Will er mir damit etwas sagen?

Ich halte sie nicht fest“, widerspreche ich. Widerspreche nur um des Widersprechens willen. Weil mit nichts anderes einfällt. Weil ich einfach reden will, damit ich das Flüstern nicht mehr höre. Nicht mehr das Kriechen, das Krabbeln, das Schlagen von Flügeln.

Du legst sie in Ketten und fesselst dich an sie. Du denkst an sie, Tag und Nacht. Sogar hier. Nie lässt du sie ruhen.“

Er tadelt mich nicht. Er verurteilt mich nicht. Er sieht einfach wie ich bin. Ohne Maske. Ohne Kostüm. Er versteht mich. Versteht mich besser, als ich mich selbst verstehe.

Es ist so schwer, sie zurück zu lassen“, hauche ich. „Ich schaffe es nicht. Nicht allein.“

Er sagt nichts. Es ist still, nur das Flüstern, das Kriechen, das Krabbeln, das Flügelschlagen. Es wird immer lauter, immer unerträglicher. Unerträglicher, weil ich weiß, ich könnte es beenden. Schaffe es nicht. Bin zu schwach.

Dann spüre ich seine Hand, die nach meiner greift. Meiner schweißnassen Hand und sie fest in seiner hält. In seiner großen, starken Hand. Er lässt mich nicht los. Hält sie einfach eine Weile, sagt nichts. Die Geräusche werden leiser, werden schwächer. Verschwinden? Oder sind sie noch hier? Halte ich sie immer noch fest?

Dann richtet er sich auf, zieht mich mit auf die Beine. „Wir gehen. Wir lassen sie hier“, teilt er mir mit. Seine Stimme klingt ruhig, sie beruhigt mich. Gibt mir wieder das gute Gefühl. Das Gefühl nicht alleine zu sein, verstanden zu werden. „Du lässt sie hier und wir gehen an einen anderen Ort. Wir sprengen die Ketten.“

Er läuft los, hält meine Hand noch immer in seiner. Mein Engel, mein Engel, der mich beschützt. Mein Magen zieht sich vor Freude zusammen. Zweige Knacken unter unseren Füßen, Blätter rascheln. Unsere Schritte klingen dumpf auf dem Waldboden. Er geht voran, ich folge ihm. Folge ihm, egal wo er mich hinbringt. Je weiter wir laufen, desto schneller schlägt mein Herz. Sind sie immer noch hier? Immer noch hinter mir?

Du musst sie loslassen. Lass sie los.“

Das Flüstern, das Kriechen, das Krabbeln und die Flügelschläge verstummen. Stille. Nur unsere Schritte sind zu hören. Wir sind allein. Ich habe sie losgelassen. Sie werden wiederkommen, doch ich halte sie nicht mehr fest. Kann ich endlich wieder tief durchatmen?

Plötzlich bleibt er stehen, fast renne ich gegen ihn. Immer noch hält er meine Hand, obwohl ich keine Angst mehr habe.

Sieh nach oben.“

Neugierig lege ich meinen Kopf in den Nacken, blicke nach. Und dort, dort wo das Blätterdach am dichtesten ist bahnt sich das Licht des Mondes seinen Weg, seinen Weg auf die Erde. Er ist nicht stark, doch stark genug um die Finsternis zu vertreiben. Immer noch sehe ich nach oben. Der Mond scheint auf mein Gesicht und ich fühle mich frei.

Polarlicht

Allein. Vollkommen und ganz und gar allein. Wie immer bin ich alleine. Keine Vögel kreisen um meinen Kopf, im Spiel und im Rausch der Höhe versunken. Keine Schlangen, keine Eidechsen wärmen sich auf den flachen Steinen in der Sonne, die am Horizont zu versinken droht. Keine kleinen Tiere tollen über die weiten Wiesen, raufen miteinander. Nein, ich bin wahrhaftig alleine. Ich habe die Einsamkeit gewählt und ich sehne mich nicht nach Gesellschaft. Zumindest habe ich mich nicht nach ihr gesehnt. Dieser Ort war gleichsam mein Zuhause und mein Gefängnis. Durch mein eigenes Verschulden war ich verdammt diesen Platz, diesen Zufluchtsort niemals zu verlassen. Zu oft war ich der realen Welt entflohen, um mir in meiner Fantasie diesen Ort zu erschaffen. Die Welt, mein Leben hatte ich hinter mir gelassen. Sie war mir zuwider mit ihrer Hektik, mit ihrer Egozentrik und ihrem Narzissmus. Ich verabscheute diese Dinge, tat es immer noch, doch vermisse ich sie. Doch ich trauere ihnen nicht hinterher. Es ist nutzlos. Was soll Reue an meiner Situation ändern?

Plötzlich spüre ich ein Ungleichgewicht, der Boden bebt unter meinen Füßen, die Sonne scheint am Horizont zu verschwimmen. Ein Lächeln stiehlt sich auf mein Gesicht. Sie ist wieder hier. Wie jeden Tag. Wie jeden Tag versteckt sie sich, versteckt sich vor der Welt, vor ihren Pflichten, vor ihren Ängsten. Sie versteckt sich, weil sie es nicht besser kennt. Weil sie es nicht anders gelernt hat. Weil sie hier Zuflucht sucht und sie findet. Fantasie ist die einzige Zuflucht, die wir noch haben.

Ich schließe die Augen, öffne sie wieder, sehe sie vor mir. Mit dem Rücken zu mir, auf die tosende See hinaus starrend, auf der Klippe. Auf ihrer Klippe. Es ist nicht meine Art, mich in die Fantasie anderer einzuschleichen. Es ist nicht meine Art andere zu stören, nicht meine Art in die Privatsphäre anderer einzudringen. Doch bei ihr ist es anders. Sie ist anders. Jedes Mal, wenn sie hier ist, spüre ich, dass auch sie in Gefahr ist. In Gefahr für immer hier zu bleiben. Sich in ihrer Fantasie zu verlieren, sich von der realen Welt abzulösen, hier zu ertrinken.

Ich trete neben sie, starre die zerklüfteten Felsen hinab; hinab in das stürmende Meer. Sehe die Wellen, die sich an dem rauen Stein, brechen, aufreiben, sehe die Gischt, weiß und schäumend, sehe in den Spiegel ihrer Seele.

Was machst du hier?“ Jedes Mal stelle ich ihr die gleiche Frage.

Immer noch hängt ihr Blick an den meterhohen Wellen, wie gebannt, immer noch blickt sie geradeaus. „Ich verstecke mich.“ Jedes Mal gibt sie mir die gleiche Antwort. Ein sich immer und immer wiederholendes Szenario. Ein und dasselbe Theaterstück, mit ein und denselben Schauspielern. Ein Teufelskreis? „Ich will nicht mehr zurück.“ Sie flüstert, kaum hörbar. Will sie, dass ich es höre? Weiß sie, dass ich es längst weiß?

Du musst zurück.“ Mehr sage ich nicht, will ich nicht sagen. Sie soll selbst denken. Selbst entscheiden.

Ich will aber nicht!“ Sie stampft mit dem Fuß auf, ein kleines Kind, das seinen Willen nicht bekommt. Ein kindischer Akt, doch so erwachsen. Ich sehe hinter diese Fassade. Einsam, verletzt, verzweifelt. All das sehe ich, sehe es, weil ich es sehen will, weil sie es mir zeigt. Sie hält mich für ihren Engel, ihren Beschützer. Ich bin alles andere als das. Bin das Verderben, das Irrlicht. Ich sollte nicht hier sein. „Die Welt ist hässlich! Eine hässliche Fratze! Sie tut mir weh, tut allen weh! Ich hasse sie!“

Ich kenne ihre Wut, habe sie selbst empfunden. Empfinde sie immer noch, oder auch nicht. Empfinde ich überhaupt etwas? Bilde ich mir das ein? Spielt mir die Fantasie einen Streich? Ich weiß es nicht, weiß ich eigentlich überhaupt etwas?

Du gehörst nicht hierher.“ Ich sehe sie noch immer nicht an, sie mich schon. Sieht mich an mit Augen, die mir alles verraten. Augen, das Tor zur Seele. Ich will sie nicht ansehen, will nicht mein Spiegelbild in den klaren Augen sehen. Ich sehe sie nicht an und doch sehe ich sie. Erkenne die Trauer, die sich bei meinen Worten auf ihr hübsches Gesicht geschlichen hat. Erkenne die Frustration, die Wut, die Verzweiflung. Ich sehe es und will es nicht sehen. Ich will sie lachen sehen. „Dein Platz ist nicht hier. Er ist in der Welt. Du hast ein Leben, du hast Träume. Hier hast du nur dich.“

Versteht sie mich? Verstehe ich mich?

Hier ist alles perfekt.“ Ihr Blick ist noch immer klar auf mich gerichtet, durchbohrt mich, will Antworten. „Du bist perfekt. Ich will hier bleiben. Hier bei dir.“

Ich habe es gewusst, befürchtet. Engel, Beschützer? „Du kannst nicht weglaufen. Du darfst nicht weglaufen. Die Welt ist, was sie ist. Sie ist nicht schön, nicht einfach, nicht perfekt. Und doch ist sie all das.“

Sie runzelt die Stirn, ist verwirrt und zeigt es deutlich. Sie wird es nicht verstehen, kann es nicht verstehen, bis sie hier gefangen ist. „Der Mond wird nicht mehr scheinen, wenn du hier bleibst. Die Sonne wird nicht mehr aufgehen. Sie wird nur noch untergehen. Immer. Das was dieser Ort jetzt für dich ist, wird er nie wieder sein.“

Sie zögert. Ich habe sie verunsichert, sie zum Nachdenken gebracht. „Du musst zurück. Das hier wird niemals ein zu Hause werden. Nie. Mach nicht den gleichen Fehler wie ich.“

Sie sieht mich immer noch an. Ich überwinde mich, wende mich ab von der tosenden See, blicke in ihre Augen und erkenne mich selbst. Ich will sie berühren und doch will ich es nicht. Trotzdem beuge ich mich herab, höre ihr Herz klopfen. Dann küsse ich sie, sanft, zart. Ein Abschiedskuss. Für immer. Habe ich doch Gefühle?

Ich schließe meine Augen, bin wieder zurück. Zurück in meiner eigenen Fantasie, in meinem Gefängnis, in meinem Zuhause. Es schneit. Der Ort, ein Spiegel meiner Seele. Über meinem Kopf tanzen Polarlichter. Ich lege den Kopf in den Nacken, Schneeflocken fallen auf mein Gesicht, schmelzen. Ich bin wie das Polarlicht. Ich existiere und doch existiere ich nicht. Ein Irrlicht, verdammt und verloren.

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Robin

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Robin Re: Du beschreibst das alles einfach perfekt! -
Zitat: (Original von Ardonier am 27.02.2010 - 19:10 Uhr) Die Lichter-Trilogie einfach unglaublich gut! Ich kann kaum fassen wie gut du diese Gefühle beschrieben hast. Ich kenne so was. Als sich meine Eltern geschieden haben habe ich hinter büchern versteckt. Bin einfach eingeteucht und hab alles vergessen.

lg
Ardonier


Hallo lieber Ardonier,
wow, dankeschön! Es freut mich, dass du so etwas sagst, weil du es bestimmt sehr gut weißt, wie man sich fühlt. Das war bestimmt keine schöne Zeit und es fiel immer leichter sich in eine "andere" Welt zu flüchten. Ich denke, es geht jedem einmal so. Auf die eine oder andere Weise! Also ich danke dir wirklich herzlich, ich hab mich riesig gefreut!

Liebe Grüße
Lisa
Vor langer Zeit - Antworten
Robin Re: ich habe.. -
Zitat: (Original von CrazyRitterin am 17.02.2010 - 16:42 Uhr) nun erst leider das erste Kapitel gelesen, so wunderschön gefühlvoll und leidenschaftlich geschrieben... es gefällt mir einfach wie du schreibst.
leider habe ich in mom so wenig zeit zum lesen und zum schreiben deswegen hab ich auch nur das erste kapitel geschaft, vllt schaff ich bald wieder mehr..
leider kann man sich nicht immer aussuchen für was meine seine zeit nutzt, scheiß pflichten ;)
ich wünsch dir was hoffentlich les ich dich mal wieder öfters ;)
liebe grüße


Hallihallo,
ich freu mich, dass du dir trotzdem etwas Zeit genommen hast :-)
Hab mir schon gedacht, dass du viel zu tun hast. Ich hoffe, dir gehts gut und auch, dass es bald nicht mehr so stressig wird ;-)

Ganz liebe Grüße
Vor langer Zeit - Antworten
CrazyRitterin ich habe.. - nun erst leider das erste Kapitel gelesen, so wunderschön gefühlvoll und leidenschaftlich geschrieben... es gefällt mir einfach wie du schreibst.
leider habe ich in mom so wenig zeit zum lesen und zum schreiben deswegen hab ich auch nur das erste kapitel geschaft, vllt schaff ich bald wieder mehr..
leider kann man sich nicht immer aussuchen für was meine seine zeit nutzt, scheiß pflichten ;)
ich wünsch dir was hoffentlich les ich dich mal wieder öfters ;)
liebe grüße
Vor langer Zeit - Antworten
Robin Re: Wollte ich dir... -
Zitat: (Original von PhanThomas am 17.02.2010 - 09:47 Uhr) ... gestern schon vorschlagen, doch einfach alle drei Texte in ein Buch zu packen. Die gehören ja schließlich auch zusammen und sind alle gleichermaßen gelungen (wobei der erste von den dreien meiner Meinung nach der beste ist). Ein schönes kleines Gesamtwerk! :-)

Liebe Grüße
Thomas


Kam mir auch logisch vor das alles als Gesamtwerk zu veröffentlichen. Sie sind zwar einigermaßen eigenständig, gehören aber trotzdem zusammen und vielleicht ist es ganz gut, sie alle in einem zu lesen :-)
Als Autor sollte ich das viellleicht nicht sagen, aber der erste gefällt mir auch am besten ;-)

Liebe Grüße
Lisa
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Wollte ich dir... - ... gestern schon vorschlagen, doch einfach alle drei Texte in ein Buch zu packen. Die gehören ja schließlich auch zusammen und sind alle gleichermaßen gelungen (wobei der erste von den dreien meiner Meinung nach der beste ist). Ein schönes kleines Gesamtwerk! :-)

Liebe Grüße
Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
Robin Re: Du weißt -
Zitat: (Original von Schlauchen am 17.02.2010 - 09:11 Uhr) ja schon wie wundervoll sie sind und ich les sie mir bestimmt nochmal auf einen Haps durch.
Wunderschöne Geschichten.

Deine Caro


Dankeschön mein Herzchen :-)
Freu mich wirklich riesig drüber.
Vor langer Zeit - Antworten
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