Biografien & Erinnerungen
From Sin to Grace - Von der Sünde zur Gnade - Kapitel 7 - Grundschuljahre

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"From Sin to Grace - Von der Sünde zur Gnade - Kapitel 7 - Grundschuljahre"
Veröffentlicht am 28. Januar 2010, 70 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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From Sin to Grace - Von der Sünde zur Gnade - Kapitel 7 - Grundschuljahre

From Sin to Grace - Von der Sünde zur Gnade - Kapitel 7 - Grundschuljahre

Beschreibung

... ein Auszug aus meiner Lebensbiographie Kapitel 7 - Grundschuljahre Eine Wanderung durch die Wüste zur Quelle des Lebens! - Geburt und Tod - - Liebe und Schmerz - - Abtreibung, Selbstmord - - Klostererfahrung - - Gesundheit und Krankheit - - Familientragödien und -familientrennungen - Vera Guran

Grundschuljahre

Wie durch ein Wunder entgehe ich der Grundner und ihren ollen Äpfeln; denn nach der ersten Klasse kommen wir alle zu Herrn Wanner, der die 2. bis 4. Klasse unterrichtet. Herr Wanner scheint in der Gemeinde sehr wichtig zu sein; wahrscheinlich schon deshalb, weil er in der Kirche der Organist ist. Den darf ich wohl nicht so viel ärgern, sonst platzt meinem Opa noch der Kragen; und meinen Eltern gleich mit. Herr Wanner weiß immer, wer von uns Kindern sonntags in der Heiligen Messe war, und wer nicht. Und sollte er zufällig mal jemanden übersehen haben, so weiß es ganz bestimmt unser Pfarrer Schmidt, der ja vom Altar aus eine super Aussicht genießt und wahrscheinlich nichts anderes zu tun hat, als seine schwarzen Schäfchen zu zählen. Immerhin ist das alles sehr leicht für ihn; denn alle Kinder sitzen damals noch in den vorderen Reihen der Kirche. Vom Altar aus gesehen sitzen die Mädchen zu seiner rechten, die Jungs alle zu seiner linken Seite.

Am Montagmorgen ist dann die ganze Klasse gleich informiert, wer vor allem nicht in der Kirche war. (Von Datenschutz haben die noch keine Ahnung.)

Die Anwesenheit in der Kirche unterliegt noch einer strengen Pflicht und man wird wie ein schwarzes Schaf behandelt, wenn man wieder mal zu faul war und sich lieber ins Bett gekuschelt hat als an der Heiligen Messe teilzunehmen.

Der Unterricht mit Herrn Wanner gestaltet sich jetzt ganz anders und ist auch viel interessanter. Von nun an gehe ich viel lieber zur Schule, wenn ich auch keine so gute Schülerin bin. Auch gibt es hin und wieder mal lustige und unvergessliche Momente, an die ich mich gerne erinnere:


Der Lehrer mit der Schnapsflasche

In der großen Pause jagt uns Herr Wanner bei Wind und Wetter aus unserem mollig-warmen Klassenzimmer. Er meint, wir sollen auf dem Schulhof frische Luft schnappen. Am heutigen Tag gießt es draußen wie aus allen Kübeln, und meine Freundin und ich entscheiden uns kurzfristig bei diesem Hundewetter im Klassenzimmer zu bleiben; komme was wolle. Wir verstecken uns gekonnt zwischen den Schulbänken und sind mucksmäuschenstill. Gott sei dank, Herr Wanner bemerkt uns nicht. Vielleicht hört er ja auch schon ein wenig schlecht, denn wir finden das alles lustig und versuchen mit allen Mitteln unser Kichern zu unterdrücken. Wir sind sichtlich froh im Trockenen zu sein und deshalb wahrscheinlich auch recht übermütig. Außerdem finden wir es toll, dass unser Lehrer uns nicht entdeckt. Ein tolles Spiel!

Wir beobachten Herrn Wanner wie er schnell einige Arbeiten korrigiert, und dann, mit seinem Schlüssel in der Hand, zu seinem Spind schlendert. Schnell ziehen wir die Köpfe ein, denn er kommt ganz nah an unserem Versteck vorbei. Wir schauen ihm aufmerksam zu, damit, falls Not am Mann wäre, wir schnell verduften können. Irgendwie ist da was im Busch, das sagt mir ganz deutlich meine Spürnase. Der Spind wird schnell aufgeschlossen.

Ich glaub ich sieh wohl nicht recht! Plötzlich hat unser Lehrer eine riesige Flasche in der Hand. Nach einer Limonade sieht das wohl nicht aus. Ich glaub's ja nicht: das ist ja eine Schnapsflasche! Ich stupse Sybille schnell, damit ihr das Spektakel ja nicht entgeht. Er wirft noch einen schnellen Blick auf die Tür um ganz sicher zu gehen, daß ihn niemand überrascht. Dann leckt er sich gierig die Lippen, riecht kurz an der Flasche und nimmt daraus einen langen und genüßlichen Schluck.

Nachdem er kurz zögert gönnt er sich gleich noch einen zweiten, etwas größeren Schluck. Mit dem zweiten Zug ist die Flasche fast halb leer. Schnell noch die Lippen abgeleckt, damit auch ja nichts verloren geht. Das Holz der Bänke, zwischen denen wir uns verstecken, knarrt geisterhaft. Wahrscheinlich ist es schon sehr alt und ein paar Holzwürmer sind wohl auch am Werk. Doch ich vermute eher, dass wir uns ungeschickt bewegt haben. Mensch, nur nicht entdeckt werden; denn die Strafe wäre wohl unausdenkbar. Sybille und ich schauen uns ängstlich an und im selben Moment schaut sich auch Herr Wanner vorsichtig um. Oh mein Gott, er hat uns entdeckt! Doch dann konzentriert er sich wieder auf seinen liebgewonnenen Freund, die Flasche, an dem er sich festzuhalten scheint, schraubt sie schnell wieder zu und stellt sie in seinen Spind zurück. Er prüft einige Male, ob dieser auch wirklich verschlossen ist. Auf keinen Fall will er daß jemand von seinem dunklen Geheimns erfährt. In diesem Moment läutet auch schon die Schulglocke und die große Pause ist vorbei. Wir atmen tief durch als alle Kinder wieder ins Klassenzimmer zurück strömen. Wir mischen uns elegant unter sie. Keiner hat etwas bemerkt!

In der nächsten Stunde haben wir Geographie. Normalerweise melde ich mich nie wenn Herrn Wanner irgendwelche Fragen stellt. Schon mal gar nicht in Geographie. Meistens träume ich mit offenen Augen so vor mich hin und vergesse ganz, dass ich im Klassenzimmer bin. Deshalb bin ich auch nie auf dem Laufenden, was in der Schule grad angesagt ist. Doch heute ist alles anders und ich strecke meine Hand hoch über derer meiner Mitschüler. Wie wild versuche ich die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Herr Wanner lächelt und freut sich, dass ich mich endlich mal melde. Dass er mehr als überrascht ist, kann man leicht von seinem Gesicht ablesen. Er ruft mich auf! Er ruft mich auf! Wie von Weitem höre ich die Frage: 'Vera, wie heißt die Antwort?' Dem wird das Grinsen schon noch vergehen, denke ich so nebenbei. Ich stehe auf und höre mich heuchlerisch sagen: 'Herr Wanner hat Ihnen der Schnaps in der Pause geschmeckt?' Herr Wanner erbleicht in Sekundenschnelle.


Kampf der Religionen


Eines Tages entbrennt während der großen Pause auf unserem Schulhof ein heftiger Streit zwischen den Religionen. Von unseren Eltern bereits stark beeinflußt meint jeder von uns zu wissen, welches die wahre Religion ist. In unserer Schule sind die Protestanten in der Mehrzahl und beschimpfen uns Katholiken aufs Schlimmste. Sehr oft habe ich mich während meiner Schulzeit nicht geklopft. Meistens bin ich allen Handgreiflichkeiten elegant aus dem Weg gegangen. Aber nun lässt sich das wohl nicht mehr länger vermeiden; immerhin fühle ich mich in diesem Moment berufen, meinen Glauben und meine Ehre zu verteidigen und das heißt: Blut lecken. Wir Katholiken wollen diese Beleidigungen nicht länger auf uns sitzen lassen und so melde ich mich an diesem Tag freiwillig zum Kampf gegen die Anführerin der Protestanten. Der werd ich's schon noch zeigen! Immerhin bin ich ja diejenige mit dem richtigen Glauben und somit ist mir der Siegeskranz schon jetzt sicher. Ich werde ihr das schnell einbläuen, und dann hoffentlich wird sie in Zukunft ihre große Klappe halten und der ganze Klan gleich mit ihr.

Zwischen uns entfacht sich eine wilde Zicken-Schlägerei außerhalb desSchulhofes. Alles ist erlaubt! Immerhin ist das ein Glaubenskrieg. Es wird gekratzt, gebissen und gezwickt. Wir treten wild um uns und ziehen uns brutal an den Haaren. Alles wird benutzt, was uns gerade so zwischen die Finger gerät: Gras, Äste und Schlamm; sogar Steine. Wir spucken uns verachtungsvoll an, denn der Gegner hat es ja nicht besser verdient. Auch die Kleider bleiben da keinesfalls verschont. Stoffstücke werden raus gerissen, der Strickjacke löst sich langsam auf. Vor lauter Schlamm kann man die Schuhe gar nicht mehr erkennen und die Strümpfe bleiben da auch nicht verschont. Wir lassen unserer Fantasie freien Lauf und steigern unsere verbalen Beleidigungen ins Maßlose. Die Sympathisanten um uns herum feuern uns kräftig an; jeder natürlich seine eigene religiöse Gruppe. Sogar die Jungs bleiben diesem Spektakel nicht fern und scheinen daran Freude zu haben.

Der Kampf kommt abrupt zu einem Ende als die Schulglocke uns ermahnt, dass die große Pause vorbei ist und wir uns wieder im Klassenzimmer einfinden müssen. Schade, gerade wo ich so in Fahrt bin. Wir lassen nur unwillig von einander ab. Entsetzt schaue ich an mir hinunter. Total zerschunden sehe ich aus und das Blut rinnt nur so zwischen dem Dreck hinunter. Keine Ahnung wie mein Gesicht aussieht, aber wahrscheinlich nicht viel besser. Es ist ganz unmöglich, diesen erbarmenswerten Zustand zu verbergen. Ich kann den Ärger schon riechen, der mich erwartet sobald ich nur durch die Klassenzimmertür gehe. Jeder kann ja mit Leichtigkeit erkennen, was sich da gerade abspielt hat, auch wenn er nicht dabei war. Wahrscheinlich muss ich 100 mal schreiben: 'Ich soll mich im Schulhof nicht prügeln!' Wie ein echter Raufbold sehe ich aus; ehrlich gesagt wie gerade aus der Gosse gezogen. Ohne meine langen Haare würde wohl keiner merken, dass ich ein Mädchen bin. Die Wunden wären ja nicht das Schlimmste, die heilen ja irgendwann mal wieder ab. Aber die Klamotten sind nun total hinüber. Na bravo! Meine Mutter wird sich freuen! Jetzt haben meine Eltern wieder mal einen guten Grund auszurasten. Die Strafe von unserem Lehrer ist nichts im Vergleich mit dem was mich nun daheim erwartet. An diesem Tag ist für mich die Schule viel zu früh zu Ende und ich verlangsame meine Schritte auf dem Nachhauseweg. Falls meine Mutter heute was gekocht hat, kann ich es gleich wieder vergessen. Selber darf ich mir auch nichts machen und wehe mir, wenn Vater dann heute Abend nach Hause kommt. Meistens wird es sehr spät bis er zu hause ist. Dann reißt er mich mitten in der Nacht aus dem Schlaf und es setzt Prügel. Danach muss ich dann für eine Stunde oder länger in der berühmten Ecke auf Reis, Bohnen oder Linsen zu knien. Ich kenne das Strafritual schon sehr gut. Aber wie immer werde ich keinen Mucks von mir geben und das alles mutig durchstehen. Ich habe schon gelernt meine Schmerzen unter Kontrolle zu halten. Und doch denke ich auf dem Nachhauseweg: Das hat sich nun alles wirklich gelohnt!


Der Turnschuh-Hüftschwung


Im Turnen haben wir eine Lehrerin namens Bauer. Sie ist auch für das Fach Handarbeiten zuständig. Eigentlich mag ich beide Fächer sehr gern. Eines Tages jedoch hat die Bauer mich bös verärgert. Das ist unverzeihlich, wie ich finde, und darum hat sie definitiv eine saftige Strafe verdient Von nun an laure ich auf eine passende Gelegenheit um ihr eine auszuwischen.

Während des Turnunterrichts zerreiße ich mein kleines Hirn darüber, wie ich ihr einen deftigen Denkzettel verpassen könnte. Als kleines Mädchen sind einem ja diesbezüglich die Hände gebunden. Da sich gerade so die Gelegenheit bietet, entscheide ich mich spontan für den Turnschuh-Hüftschwung.

Heimlich löse ich den Bändel an meinem rechten Turnschuh. Ich schaue auf: Nein, die Bauer hat von alledem bis jetzt noch keine Lunte gerochen. Wir alle stehen im Kreis und sie zeigt mir momentan ihren schönen Rücken, da sie gerade dabei ist, die andere Seite des Kreises zu beschwafeln und dieser detailliert erklärt, was wir nun im Unterricht so machen werden. Klasse! Wir sollen so eine doofe Übung machen - linken Fuß nach vorne schwingen, rechten Fuß nach vorne schwingen. Toll - genau auf diesen Moment habe ich gewartet. Der Bauer wird schon noch die Spucke wegbleiben. Damit rechnet sie auf gar keinen Fall, da bin ich mir ganz sicher. Verdient hat sie es ja, rechtfertige ich mich noch schnell in Gedanken. Eigentlich hat sie viel mehr verdient, aber dieses eine Mal will ich noch Barmherzigkeit walten lassen. Ich vergewissere mich, dass der Turnschuh auch lose genug sitzt, damit mein Attentat auch erfolgreich ausgeht.

Sobald sie sich nun umdreht und der rechte Fuß bei der Übung dran ist, bin ich bereit und werde voll ausholen. Ich bin so aufgeregt. Es geht gleich los; nur jetzt nicht die Nerven verlieren.

Man kann die Bauer absolut nicht überhören. Sie schreit es nur so aus ihrer Kehle heraus: 'linken Fuß nach vorne, rechten Fuß nach vorne – etwas mehr Schwung wenn ich bitten darf! Nicht so lasch Kinder. Man muß schon etwas Kraft in den Schwung legen'. Sie macht es sogar vor, damit wir es auch alle kapieren.

Na ja, sie will den Schwung, dann kriegt sie ihn auch. Da lasse ich mich nicht zweimal bitten. Mit all meiner Kraft schmeiße ich meinen kleinen Fuß von hinten nach vorne. Wie geplant löst sich der Schuh – jagt durch die Luft und landet unserem Fräulein Bauer mit voller Wucht direkt im Gesicht. Total geschockt und disorientiert versucht sie verzweifelt in der Senkrechten zu bleiben. Sie wankt vor und zurück und ihr häßliches Gesicht, das sowieso schon immer etwas gerötet ist, verfärbt sich nun knallrot und man kann ihr die Wut so richtig ansehen. Wußte ich es doch. Sie ist mehr als überrascht. Wir kichern alle. Volltreffer! Oh, bin ich stolz! Sogar den Kindern bleibt die Spucke weg. Es hätte nicht besser klappen können. Dabei habe ich das alles nicht einmal eingeübt. Ich bin halt ein Naturtalent, finde ich und die Bauer hat es eben wirklich verdient. Das sieht man schon daran, daß es so gut geklappt hat.

Ich glaube die Bauer war von meinem Talent dann doch nicht so angetan; denn Nachsitzen ist mal wieder angesagt. Damit habe ich schon gerechnet. Dabei muß ich mal wieder schreiben, und schreiben: 'Ich soll mich während des Unterrichts benehmen!' Und das gleich 100 mal. Die ersten Male schreibe ich es genauso wie es die Bauer von mir verlangt. Dann füge ich ein kleines 'nicht' ein. Die Bauer hat es nicht bemerkt!

Bevor ich entlassen werde, drückt mir die Bauer noch schnell den rosaroten Brief in die Hand. Damit alles schneller geht, soll ich diesen Schrieb gleich persönlich meinen Eltern aushändigen und dann am nächsten Tag wieder unterschrieben zur Schule bringen. Das glaubt auch nur sie, daß ich nochmals so blöd bin und diesen Fetzen Papier brav meinen Eltern aushändige, um mir dann Prügel einzuhandeln.

Es reicht schon, daß meine Eltern mitkriegen, daß ich mal wieder nachsitzen mußte. Da muss ich mir noch etwas einfallen lassen, damit die Strafe nicht zu hart ausfällt.

Das Glück kommt mir auf dem Nachhauseweg zu Hilfe. Um die verlorene Zeit irgendwie einzuholen sprinte ich den ganzen Weg nach hause. Keuchend erreiche ich die Kanalstraße. Ich bin am Zusammenbrechen und ringe nach Luft, denn der Weg von der Schule nach Hause ist ziemlich weit. Aber ich gönne mir keine Pause, nehme meine Füße in die Hände und renne weiter. Ich bemerke den Köter nicht, der mich von der anderen Straßenseite beäugt. Der bissige Boxerhund von der Villa Boss hat mich natürlich schon lange im Visier. Er mag es überhaupt nicht, wenn jemand so respektlos an ihm vorbeizischt. Wahrscheinlich denkt er da gleich an Verbrecher, Übeltäter, Einbrecher oder sogar an Mörder. Wer weiß denn so wirklich, was in einem Hund so vorgeht? Auf jeden Fall ist das für ihn immer ein sicheres Zeichen sein Revier, das er schon seit einigen Jahren um die Kanalstraße herum markiert, zu verteidigen. Erfahrungsgemäß ist es besser ganz ruhig an ihm vorbeizulaufen, mit ihm zu reden und wenn Not am Mann ist ihn mit einem Butterbrot abzulenken. Er knurrt sehr schnell, auch wenn er nur jemanden vorbeigehen sieht und fletscht frech die Zähne ohne jegliche Scham und Schande. Das kenne ich bereits. Aber Rennen? Das ist definitiv zu viel für ihn. Heute jedoch ignoriere ich das Biest und bin absolut nicht gewillt meinen letzten Happen mit ihm zu teilen. Bevor ich mich jedoch so richtig besinne, hat mich der olle Köter bereits eingeholt und beißt mich mit sichtlicher Wonne in den Podex. Schnell drehe ich mich um und schlage ihm auf seine Schnauze. Ich weiß, dass diese sehr empfindlich reagiert. Das macht ihn erst recht wild und er wird unberechenbar. Er knurrt nun viel heftiger und versucht mich zu schnappen. Schnell erinnere ich mich daran, was mein Nachbar mir mal erklärt hat: die Hand voll ins Maul des Hundes schieben und fest zudrücken. Gerade als er nochmals zum Schnappen ansetzt, stecke ich gewandt meine Hand in sein Maul und drücke so fest ich nur kann zu. Natürlich gefällt ihm das nicht sonderlich und er versucht sich losreißen. Er dreht und wendet sich. Der gibt nicht so leicht auf und schnappt gleich nochmals zu. Deshalb muss er seine Lektion lernen. Mit meiner anderen Hand zwicke ich den Köter ganz fest in seine Schnauze. Er quietscht: ein gutes Zeichen. Jetzt denke ich hat er wohl genug. Um ganz sicher zu sein, zwicke ich ihn nochmals in seine Schnauze bis er quietscht und lasse den heulenden Kerl mit seinem nun eingezogenen Schwanz weiter ziehen. Er dreht sich nicht einmal mehr nach mir um und zieht beleidigt von dannen. Für heute hat der wohl genug!

Immer noch kann man die Spuren seiner kriminellen Tat auf meinem Allerwertesten bewundern. Aber alles nicht so schlimm! Zwar blute ich stark und es tut sehr weh; aber nun habe ich ein gutes Alibi für meine Verspätung.

Genug der Strafe!, entscheide ich spontan. Ich werde diesen unliebsamen Brief selbst unterschreiben. Irgendwie kriege ich das schon gebacken.

Nachdem ich nun wieder vom Arzt zurück bin, der mir gleich eine Spritze gegen Tollwut und Blutvergiftung verpasst hat, und bei dieser Gelegenheit auch gleich meine Wunde versorgte, versuche ich irgendwie an eine Unterschrift meiner Mutter ranzukommen. Das ist gar nicht so einfach, denn meine Mutter ist ja ständig um mich herum. Dann fällt mir ein, dass sie ein kleines Büchlein besitzt, wo Opa und sie immer die Miete eintragen. Dabei unterschreiben immer beide. Das liegt ziemlich mundgerecht in der Schublade. Ich stecke dieses schnell in meine Tasche; ebenso den Füller, den ich eigentlich nicht nehmen darf und gebe vor meine Hausaufgaben zu machen. Ich übe, und übe – und es will einfach mit der Unterschrift nicht so klappen. Immerhin soll sie ja authentisch ausfallen.

Jetzt höre ich Schritte hinter mir. Schnell das Schulheft darüber geworfen. Ich rechne anstrengend und tue so, als ob ich Mutter nicht gehört hätte. Nachdem sie sich vergewissert hat, dass ich meine Schularbeiten mache und nach einigen sinnlosen Worten, verzieht sie sich wieder.

Jetzt fällt mir ein Trick ein. In der besagten Schublade habe ich ein schwarzes Kopierpapier entdeckt. Mutter ist gerade in der Waschküche und so wage ich es mich nochmals an die Schublade zu schleichen.

Zaghaft kopiere ich mit einem spitzen Bleistift die Unterschrift auf den rosaroten Brief. Hoffentlich merkt Mutter von alledem nichts, denke ich noch, bevor ich den Füller in die Hand nehme und die Unterschrift nachziehe, immer mit der Angst im Nacken, dass meine Mutter gleich hinter mir steht. Endlich geschafft und der Brief verschwindet ziemlich schnell zwischen den Seiten meines Rechenbuches.

Heute gibt es mal kein Bohnenknien, keine Klopfe und wenigstens ist das Essen und Trinken nicht gestrichen, wenn es auch mal wieder Kartoffelsuppe gibt, die ich überhaupt nicht mag. Aber alles ist besser als die Strafe!

Die Bauer hat von alledem nichts bemerkt; so geistesgegenwärtig habe ich sie auch nicht eingeschätzt.

Fazit des Tages: man muss nur ein wenig schlau sein!


Die Steinsuppe


Der rosarote Brief wird für die Bauer Folgen haben. Das hab ich mir schon mal heimlich geschworen. Nur weiß ich bis jetzt noch nicht so richtig, was ich ihr 'Nettes' antun kann.

Auf jeden Fall: Strafe muss sein – auch für Erwachsene! Die kommt mir nicht so ungeschoren davon. Ist der Tussnelda überhaupt klar, wie viel Ärger sie mir hätte einbrocken können? Ich geb ja zu, dass der Turnschuh-Hüftschwung nicht gerade sehr nett war, aber der rosarote Brief ist da total übertrieben. Die Bauer kam ja nur mit einem kleinen Schrecken davon und ihr burschikoses Gesicht ist ja auch noch da, wo es sein soll. Also war das alles wohl gar nicht so schlimm, wie sie das nun markiert. Die ist mal echt wehleidig! Wahrscheinlich schreibt sie gerne rosarote Briefe. Als älteres Fräulein hat man wohl keine anderen Hobbies mehr.

Wir spielen und jagen uns um das Schulgebäude herum. Plötzlich hab ich da so eine Superidee, wie ich der Bauer einen Denkzettel verpassen könnte. An der Hinterseite des Schulgebäudes sind die Räume der Haushaltsschule und die Bauer unterrichtet auch dieses Fach an unserer Schule. Definitiv scheint heute mein Glückstag zu sein, denn die Fenster sind alle weit geöffnet und laden mich zu einem erneuten Streich ein. Wahrscheinlich ist es in der Küche sehr heiß geworden, bedingt durch die Kochkünste der Schüler. Die Kochherde stehen alle direkt am Fenster, und ich kann beobachten wie die Suppen alle so vor sich hin köcheln. Keine große Kunst da heimlich ein wenig Gift rein zu schmuggeln. Na ja, Gift hab ich momentan nicht gerade zur Hand. Aber da fällt mir auch schon etwas ein!

Niemand von der Klasse scheint zu bemerken, dass ich sie mit Adlersaugen beobachte. Die Bauer hält einen Vortrag über kulinarische Kochkünste und alle hören ihr wie in Trance zu. Wahrscheinlich träumen sie nur so vor sich hin und tun nur so, als ob sie interessiert sind. Mit ihrem Geschwafel kann die Bauer sowieso keinen faszinieren.

Das ist meine große Chance. Schnell ergreife ich mit meinen bloßen Händen ein paar kleine Steinchen. Dass an diesen noch etwas Dreck, ein paar trockene Blätter und ein alter Kaugummi kleben, stört mich eigentlich recht wenig. Im Gegenteil! Ups, da ist ja auch noch eine Zigarettenkippe, um den Geschmack etwas herb zu verfeinern. Die Zugabe einiger Grashalme wären da sicher auch nicht schlecht, es gäbe der Suppe wohl so einen Kräuterkick. Und hier kommt auch noch eine Wahlnussschale zum Vorschein; und ein nussiger Geschmack ist ja immer willkommen in der feinen Cousine. Alles exzellente Zutaten, wie ich so finde. Jetzt werd ich der Bauer mal zeigen, wie man eine ausgezeichnete Steinsuppe fachgerecht zubereitet. Das Rezept kennt sie ganz bestimmt noch nicht. Wenn sie scharf darauf ist, kann ich es ihr ja vielleicht eines Tages verraten.

Hat alles total gut geklappt! Alle Suppen wurden im Schnellverfahren verfeinert. Jetzt nur noch schnell die Hände an meinem Pettycoat abgerubbelt, um alle Spuren der Untat zu vereiteln! Diese Suppe enthält nun wirklich die allerfeinsten Zutaten und somit verbleibt mir nur noch eines: Ich wünsche allen einen guten Appetit!

Irgendwer muss mich verpfiffen haben! Gemeinheit! Es ist doch wohl klar, dass diese Person sich bei der Bauer einschleimen will. Wahrscheinlich um der guten Noten willen. Ich finde das hinterlistig und gemein, kann aber nicht herausfinden, wer mich hintergangen hat. Diesmal muss ich wieder mal nachsitzen! Auweia! Meinen Eltern bleibt dies natürlich nicht verborgen. Immer hab ich doch ein solches Pech. Strafe steht mal wieder zu hause an! Sicherlich fällt meinen Eltern wieder eine neue Folter für mich ein. Diesbezüglich sind die beiden sehr erfinderisch.


Häusliche Situation

Mammi hat sich noch immer nicht von Peterle's Tod erholt und vegetiert nur so vor sich hin. Es wird von Tag zu Tag schlimmer. Als kleines Kind ahne ich bereits, dass sich an dieser Situation wahrscheinlich nie etwas ändern wird, denn sie gibt sich überhaupt keine Mühe und lässt sich in jeder Hinsicht gehen. Vater und ich existieren überhaupt nicht mehr für sie. Sie gibt sich nicht damit zufrieden was sie hat; sondern weint dem nach, was sie verloren hat. Ein echt teuflischer Sog, der jeden normalen Menschen depressiv werden lässt.

Mammi jammert den ganzen Tag nur so rum wie schlecht es ihr gehe, dass nur sie alleine Schicksalsschläge ertragen müsse und alle Menschen es viel besser hätten als sie selbst. Sie schimpft über die Nachbarn, über ihre Schwester, über alle die sie kennt. Für niemanden hat sie ein gutes Wort übrig. Alle sind sie böse, hinterlistig und gemein. Sie kann sich einfach nicht aus ihrer Ohnmacht befreien.

Den lieben langen Tag läuft sie im Nachthemd umher, zieht sich so gut wie niemals an und für gewöhnlich schläft sie noch, wenn ich aus der Schule komme. Meistens ist sie schlecht gelaunt. Sehr selten bereitet sie für mich ein Mittagessen vor. Manches mal darf ich unten bei Oma essen. Da freu ich mich immer sehr drauf, denn Oma kocht sehr lecker. Aber dies ist eher selten. Manches mal versuche ich schon selbst etwas für Mutti und mich aus den armseligen Lebensmitteln, die bei uns zu Hause zu finden sind, zu kochen. (Vater kommt immer erst spät abends nach Hause.) Dann steht Mutter neben mir und anstatt mir ein wenig zur Hand zu gehen, schimpft und tobt sie über dies und jenes und zugleich auch über mich. Alles ist ihr zu viel. Des öfteren versuche ich die Wohnung aufzuräumen und zu putzen, denn ich ertrage die Unordnung beim besten Willen nicht und ersticke fast im Dreck. Aber Mutter ist so künstlerisch begabt und kriegt es glatt fertig, dass es innerhalb einer Woche bei uns wieder genauso aussieht wie zuvor. Mit nichts ist sie zufrieden und obwohl sie selber keinen einzigen Finger rührt, kommen von ihr lediglich Vorwürfe.

In unserem Haus eine Schranktür zu öffnen könnte lebensgefährlich ausgehen. Ohne weiteres könnte es geschehen, dass man bei solch einem Vorhaben erschlagen wird. Allein aus diesem Grund darf man bei uns die Schränke schon gar nicht öffnen und man ist gezwungen mit den Dingen zurecht zu kommen, die so in der Wohnung herumliegen. Aufräumen darf ich die Schränke nicht; denn da bewahrt Mutter ihre 'Wertsachen' auf; armselige Dinge die sie aus dem Krieg irgendwie gerettet hat und die für sie inzwischen zum Kult geworden sind.

Na ja, die Töpfe, Teller und Tassen haben ja eh noch nie einen Schrank von innen gesehen und werden auch erst abgewaschen wenn man sie dringend braucht. Der restliche Berg von Geschirr bleibt ganz einfach da liegen, wo er sich gerade befindet und man kann nur hoffen, dass er nicht von selbst wegläuft. Wenn man nicht wüsste wo der Gasherd steht, müsste man ihn notgedrungen suchen. Er ist voller Fett und Angebranntem und deshalb ist auch nur noch ein Brenner von den vieren in Gebrauch. Die anderen drei kann man gar nicht mehr anzünden, da sie verklebt und verstopft sind. Es ist einfach alles ein Graus und heimlich schwöre ich mir schon damals, als kleines Kind, dass es bei mir auf keinen Fall mal so aussehen wird. Aber das sind noch die guten Tage! Die schlechten sind erst im Anmarsch!

Inzwischen beginnt Mutter alles zu sammeln, was sie nur in ihre Hände bekommt, seien es Zeitungen, Magazine, Briefe, Rechnungen, alte Flaschen, Dosen, Verpackungen und sogar Müll. Richtigen Müll! In unserer Wohnung sieht es aus wie auf einer Müllhalde und ich verstehe überhaupt nicht, warum man das alles brauchen soll und nicht einfach entsorgt. Man darf nicht mal eine Bananenschale wegwerfen, denn sofort bekommt sie einen hysterischen Wutanfall und verkündet lautstark, dass sie dafür bezahlt habe und somit ein Recht darauf hätte, diese Bananenschale aufzubewahren. Auch Verpackungen von Schokolade, Pralinen etc. halten ungehemmt irgendwo in unser Wohnung Einzug. Alles, alles was bei uns irgendwie in die Wohnung gelangt, wird von Mutter ganz einfach versklavt. Es gibt nun keine Möglichkeit mehr, die Wohnung vom Müll zu befreien, denn der Müll wird Tag und Nacht von Mutter strengstens bewacht. Was mich immer wieder erstaunt ist, dass Mutter in dem Chaos genau weiß wo was ist und was sie überhaupt hat, denn nichts ist ja organisiert und liegt irgendwo in einer Ecke; und wehe dem Unglücklichen, der es gewagt hat ein Stück zu beseitigen. Jedes Stück ist für sie äußerst wertvoll und verbleibt daher irgendwo in den heiligen Hallen. Mutter argumentiert, dass man das alles eines Tages wohl einmal brauchen könne, wir müssten nur abwarten, dann würden wir schon sehen.

Wenn Vater mal zu hause ist, dann kocht er so ab und zu. Aber sein Repertoire in der Küche ist äußerst begrenzt. Meistens gibt es etwas aus der jugoslawischen Küche, das ist seine besondere Spezialität. Diese Gerichte mag ich schon als Kind sehr gerne. Oft weckt er mich auch sehr früh für die Schule und bereitet mir etwas zum Frühstück. Meistens gebratene Brote. Oder Toastbrote, die wir noch auf den Holzofen legen, damit sie braun werden. Das sind dann die wenigen schönen Momente in meinem Leben. Meistens jedoch gehe ich ohne Frühstück aus dem Haus und bin echt froh, dass mich in der Schule die häuslichen Sorgen nicht erreichen können. Schon früh im Leben habe ich gelernt Dinge aus meinem Leben einfach auszuschalten. Die einzige Möglichkeit irgendwie zu überleben.

Mutter geht für Jahre nicht mehr aus der Wohnung. Die Fenster sind immer verdunkelt und die Sonne findet ihren Weg nicht in unsere Wohnung. So ist es immer düster, vom räumlichen als auch vom psychischen her. Wenn es bei uns klingelt, geht sie nicht an die Türe. Das Schlimmste für mich ist, wenn ich mal krank bin, da man unter diesen Umständen ja keinen Arzt rufen kann; denn der würde bestimmt einen Herzinfarkt erleiden. Und dann diese Schande! Ich kann noch heute die Vorwürfe hören, warum ich überhaupt krank werden muss. Einmal war ich wirklich sehr, sehr krank und hatte eine schlimme Grippe, die über drei Wochen andauerte. Ich hatte sehr hohes Fieber und es ging mir überhaupt nicht gut. Mutter meinte, dass ich nur simuliere. Manches mal hatte ich das Gefühl, dass es ihr eigentlich egal war, wie es mir wirklich ging. Endlich dann erbarmten sich meine Großeltern und nahmen mich runter ins Wohnzimmer auf die Couch, da blieb ich dann über den Tag hindurch. Endlich wurde auch der Arzt gerufen und dieser kam zweimal am Tag für über eine Woche, da es mir so schlecht ging. Das Fieber wollte auch gar nicht runter. Oma versorgte mich mit Essen, Tee und auch mit der Medizin, die damals ja noch so schrecklich schmeckte. Aber ich riss mich am Riemen. Ich wollte ja wieder gesund werden.

In all den Jahren hat man mir sehr viel Verantwortung übertragen. Ich muss einkaufen gehen; nicht nur Lebensmittel sondern auch Dinge, von denen ich absolut nichts verstehe, wie z. B. Unterwäsche für die Eltern, Hemden für den Vater, Stoff, Nähseide, Wolle, Knöpfe etc. Wenn ich nicht das Richtige bringe werde ich hin- und hergeschickt bis ich das heimbringe was meine Eltern so im Sinn haben. Ich bin total überfordert, lerne aber zwangsweise einiges worauf man beim Einkauf achten muss.


Grabschändung


Wenn ich aus dem Freibad komme, muss ich immer auf meinem Heimweg einen Umweg über den Friedhof machen, um Peterle's Grab zu gießen. In den kommenden Jahren gehört dies zu meinen Aufgaben.

Jeden Tag, wenn das Wetter warm genug ist, muss ich dort die Blumen zu gießen. Und das ist die Bedingung, dass ich überhaupt ins Freibad darf. Eine Tortur für ein kleines Kinderherz und ich frage mich ob ich mich überhaupt noch freue, wenn ich ins Freibad darf? Aber wie Kinder schon sind. Solange ich im Freibad bin, vergesse ich was mich danach erwartet, weil ich beim Rumtoben so viel Spaß habe.

Ich habe fürchterliche Angst über den Friedhof zu gehen; aber meine Eltern stellen sich diesbezüglich taub. Sie meinen, dass ich nur nach einer faulen Ausrede suche, um mich vor der Arbeit zu drücken. Dabei ist Mutter doch selber faul, wie ich so finde. Im Frühjahr und Herbst muss ich sogar die Pflanzen am Grab einpflanzen. Ich hasse diese Arbeit, denn das bedeutet viel mehr Zeit auf dem Friedhof zu verbringen. Und ich will doch dort so schnell wie möglich wieder weg.

Auf dem Friedhof gibt es nur Gräber und Tote und alles ist so düster und gruselig. Sogar die Menschen, die dort umherlaufen, kommen mir gespenstisch vor. Meistens sind sie in schwarz gekleidet und haben einen starren und eisigen Blick. In meiner Kinderphantasie male ich mir fürchterliche Dinge aus. Vor allem, dass sich die Gräber öffnen und die Toten herauskommen und mich verfolgen. Hat der Pfarrer nicht erst kürzlich in der Kirche gesagt, dass Gott die Gräber öffnen wird und die Toten herauskommen würden? Das war doch erst vor zwei Wochen. Oder hab ich da mal wieder was falsch verstanden? Egal, irgendwas hat er in diesem Sinne gesagt.

So spricht Gott der Herr: Ich öffne eure Gräber und hole euch, mein Volk, aus euren Gräbern herauf. Ich bringe euch zurück in das Land Israel. Wenn ich eure Gräber öffne und euch, mein Volk, aus euren Gräbern heraufhole, dann werdet ihr erkennen, dass ich der Herr bin.

(Ez. 37, 12b-13)


Zögernd schaue ich mich ängstlich um. Hinter mir waren deutlich schlürfende Schritte zu hören. Nichts! Aber war da nicht auch ein dunkler Schatten, direkt neben dieser großen Trauerweide? Dort drüben hat es klar und deutlich geraschelt. Ich drehe mich pfeilschnell um; denn ich vernehme ein hechelndes Keuchen. Hinter diesem Dornengestrüpp hat es doch gerade ganz verdächtig gekracht, da bin ich mir ganz sicher. Und ich habe genau gesehen, dass hinter dem Grabstein daneben etwas Verdächtiges sitzt und mich mit seinem starren Blick genau beobachtet. Es verfolgt jeden Schritt den ich mache. Auch wenn ich ganz leise auf Zehenspitzen gehe, kann ich seinem Blick nicht entkommen. Er ist immer und überall wo ich gerade vorbei gehe. Wahrscheinlich bin ich schon sein nächstes Opfer. Jetzt fliegt ein Vogel hektisch auf. Ganz sicher fühlt sich dieser bedroht, weil dort etwas Schreckliches sein Unwesen treibt.

Heute bin ich auch noch so spät dran und es wird schon langsam dunkel. Die Grabsteine, Sträucher und Bäume hüllen sich in ein düsteres Geheimnis. Der Pfarrer hat wirklich recht, das mit dem Gräberöffnen hat bereits begonnen und mein kleines Herz hüpft bis zum Hals. Ich wage kaum noch zu atmen. Mir wird ganz schlecht vor Angst und ich zittere wie Espenlaub am ganzen Körper. Ich renne zu den Gießkannen, schnappe mir eine vom Haken, fülle diese hastig mit Wasser und spritze in größter Eile Wasser über die Blumen am Grab.

Nichts wie weg von hier. Ich spüre deutlich, dass ich verfolgt werde und renne deshalb so schnell mich meine kleinen Füße tragen auf den Wegen am Friedhof bis zum Ausgang hinunter. Ich muß noch an der Leichenhalle vorbei. Da liegen die Toten. Angeblich sollen sie alle friedlich schlafen. Aber weiß man das so genau? Wenn ich nur noch lebend diesen Friedhof verlasse, bin ich echt dankbar. Es ist der allerschlimmste Platz auf der ganzen Welt.

Endlich erreiche ich die Straße und schnappe gierig nach Luft. Ich atme ganz tief durch. Nein, ich drehe mich nicht mehr um; denn ich will dem Ungeheuer, dem ich gerade mit Ach und Krach entkommen bin, nicht in die Augen schauen. Sicherlich ist es nun sehr böse auf mich und wird mich ganz bestimmt das nächste Mal abpassen. Es weiß ja schon, dass ich immer komme wenn es warm und trocken ist. Hoffentlich regnet es morgen in Strömen, denke ich noch, dann muss ich nicht auf diesen schrecklich grausligen Friedhof. Auf's Schwimmbad kann ich unter diesen Umständen wohl verzichten.

Heute bekomme ich bestimmt keine Schimpfe, denn ich bin mal rechtzeitig zuhause. Freudig renne ich vom Friedhof heim. Ich bin so froh, dass ich dort heil entkommen bin. Sicherlich werde ich heute mal gelobt, weil ich so brav bin. Und vielleicht darf ich ja auch noch ein wenig mit den Nachbarskindern spielen.

Zuhause bin ich noch nicht mal richtig zur Tür rein, da fang ich auch schon eine. Wieder mal muß ich für eine längere Zeit in der Ecke auf Bohnen knien. Danach kommt eine ganz neue Folter auf mich zu. Kniend muß ich beide Hände ausstrecken, und dann schlägt Vater mir abwechselnd einmal auf die rechte, dann die linke Handfläche. Diese Prozedur wiederholt er so lange, bis der Kochlöffel abkracht und wehe mir ich ziehe meine Hand zurück. Daß durch diese Behandlung dann Striemen zurückbleiben, ist wohl nicht verwunderlich. Das schmerzt für Tage und Wochen! Ich verstehe die Welt nicht mehr und weine bitterlich. Normalerweise unterdrücke ich meine Tränen, aber heute schaff ich das nicht: ich bin doch unschuldig! 'Ich hab doch wirklich nichts angestellt', versichere ich meinen Eltern immer wieder. Da fang ich gleich noch eine, bevor ich den Satz auch nur zu Ende bringe. 'Du weißt ganz genau warum du die Schläge kriegst!' schreit mich mein Vater wutentbrannt an und seine Augen stehen beängstigend hervor und schauen mich haßerfüllt an. Man kann nun seine Halsschlagader sehen und er ist kurz vorm explodieren. Am besten ist es jetzt mucksmäuschen still zu sein und ihn nicht noch zu reizen. Aber warum nur ist er so wütend? 'Daß du dich garnicht schämst?, Daß du dich überhaupt noch nach hause traust?, Hast du denn gar kein Gewissen? sprudelt es nur so in seinem gebrochenen deutsch aus ihm raus. Meine Mutter unterstüzt ihn voll und ganz. Ich versuche mich zu rechtfertigen: 'Ich hab doch Peterle's Grab gegossen', stottere ich indem ich mich vor Weinen schüttele. 'Ganz bestimmt. Ich hab es gegossen. Und ich bin doch auch heute rechtzeitig zuhause.' Meine Mutter bekommt einen hysterischen Tobsuchtsanfall; mein Vater brüllt wie ein wildgewordener Stier. Ich habe Schwierigkeiten mich zu konzentrieren und überhaupt zu verstehen was die beiden so von sich geben. Aber niemand sagt mir, was ich getan haben soll. Ich habe überhaupt keinen Clue, nur fürchterliche Angst und bin froh als ich endlich ohne Essen und Trinken ins Bett geschickt werde.

Niemals nimmt Mutter mich vor Vater in Schutz. Wahrscheinlich hat sie selber Angst vor ihm, aber sie bestreitet das vehement. Ich habe nie erlebt, dass er sie je geschlagen hat. Wenn Schläge an der Tagesordnung sind, dann kriege ich sie ab. Wahrscheinlich ist Mutter darüber froh, dass er mich schlägt. So läßt er seine Wut und Unbeherrschtheit an mir aus und sie entgeht eventuellen Mißhandlungen.

Die Tortur dauert für Tage an. Immer wieder fordern die beiden ein Geständnis von mir. Aber ich habe nichts zu gestehen und das macht sie noch wütender.

Dann eines Tages belausche ich ein Gespräch zwischen meinen Eltern, das wie gewöhnlich in serbo-kroatisch stattfindet. Wie immer, sind sie der Meinung, dass ich ja sowieso kein einziges Wort verstehe.

Meine Eltern waren an diesem fragwürdigen Tag ebenfalls auf Peterle's Grab; aber etwas früher als ich. Dabei haben sie angeblich entdeckt, dass irgendein Knochen auf dem Grab nur so herumlag. Auch war die Erde sichtlich aufgelockert und einige Pflanzen lagen entwurzelt umher. Für sie ein echter Verdachtsmoment! Und natürlich, wie könnte es auch anders sein, kam ich sofort als einziger Verdächtiger in Frage.

Schnell haben sie ihre Meinung gebildet. Sie sind der überzeugten Ansicht, daß ich gezielt mit meinen bloßen Händen das Grab aufgeschürft hätte und somit einen Knochen von Peterle freigelegt hätte. Die spinnen doch wohl echt. Zwei Meter tief mit bloßen Händen und das mit nur 7 oder 8 Jahren. Man glaubt es ja kaum, aber indirekt haben sie mir Grabschändung unterstellt. Ich habe so getan als hätte ich wirklich nichts verstanden.

Dieser berüchtigte Knochen findet nun in unserer Wohnung Einzug und wird als ein besonderes Heiligtum aufbewahrt. Schizophrenie ist in diesem Fall wohl echt untertrieben.

Später dann hat irgend jemand auf dem Friedhof einen Hund rumstreunen sehen. Ich glaube eswaren meine Großeltern. Wahrscheinlich war es ein wilder Hund, der den Rest seiner Beute am Friedhof verscharrt hat und gerade unser Grab als seine Speisekammer auserkoren hat. Der Hundeknochen verbleibt bei uns in sicherer Verwahrung. Man kann ja nie wissen!

Über all dies bin ich heute noch mehr als sprachlos!


Bezüglich Freunden


Ich darf keine Kinder einladen. Niemals darf ich Kinder einladen! Nicht einmal zu meinem Geburtstag. Ich kann mich an keinen einzigen Geburtstag erinnern, den ich mal gefeiert habe. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, möchte ich auch niemanden einladen, denn ich schäme mich zu Tode.; erstens Mal wegen dieser schrecklichen Unordnung, die bei uns ja ein Dauerzustand ist und zweitens kann es durchaus möglich sein, dass meine Mutter mich aus irgendeinem Grund vor den Kindern beschimpft. Das wäre mir natürlich mehr als peinlich. Deshalb ist es viel besser die Freundinnen auf Abstand zu halten. Habe schon jetzt große Schwierigkeiten, Freundschaften zu schließen, da wir keine Einheimischen sind. Das wir nicht schwäbisch schwätzen, bleibt ja sowieso keinem verborgen. Und alle 'Reingeschmeckten' sind sowieso mal äußerst verdächtig. Wenn man dann auch keine Freundschaften pflegt, wird man nie von den Nachbarn anerkannt und bleibt für immer ein Außenseiter.

Mit meinen Freundinnen treffe ich mich deshalb außerhalb unserer Wohnung. Wir treiben uns im Garten rum, in der Nachbarschaft, im Freibad, fahren Schlitten oder treffen uns bei den anderen Kindern, je nach Jahreszeit.

Oft bekomme ich zu hören: 'Die Guten sterben, die Schlechten bleiben übrig!' Das tut unendlich weh und ich wünsche mir tausendmal ich wäre tot anstatt meinem Bruder. Vielleicht muss ich endlich mal wirklich schlecht und böse werden. Die paar ausgelassenen Kinderstreiche, die ich so anstelle, sind ja nicht so dramatisch. Opa sagt, Mutter lebt mit den Toten! Das verstehe ich nicht so richtig, denn sie lebt doch mit uns und die Toten sind auf dem Friedhof.


Zickenkrieg im Klassenzimmer


Der Unterricht hat bereits begonnen. Es ist schwierig uns Mädchen gerade ruhig zu stellen, denn zwischen uns ist ein heißes Thema entfacht: nämlich Jungs!

Mein erwählter Gegensand der Begierde ist Jürgen, ein schmächtiger kleiner Kerl, der nicht gerade mein Typ ist, aber noch besser als die anderen dreieinhalb Jungs die unsere Klasse so schmücken. Natürlich weiß der Arme nichts von seinem großen Glück. Indem wir Mädchen uns gegenseitg Zettelchen zustecken, gestehen wir einander wer auf wen steht. Ein kleines Spiel zwischen uns und eigentlich wäre das alles recht lustig wenn...

Eine Unverschämtheit! Diese blöde Kuh! Sie steht auf meinen Jürgen! Gerade hat Hannelore mir einen Zettel zugesteckt, daß Jürgen ihr heimlicher Schwarm ist. Hier steht es schwarz auf weiß. Ich lese es mit eigenen Augen immer und immer wieder: 'Ich bin in Jürgen verknallt!' Das geht doch nicht, er ist doch mein Schwarm, und teilen will ich ihn auf gar keinen Fall, auch wenn er von seinem großen Glück noch keinen Schimmer hat. Schon garnicht mit dieser Hannelore. Außerdem paßt der Trampel doch garnicht zu dem schmächtigen Kerlchen. Das sieht ja aus wie die Riesin mit dem Zwerg Nase.  Wahrscheinlich hat sie das übersehen, daß sie nicht gerade das Traumpaar sind. Übrigens ist der auch viel zu schmächtig um zwei Mädchen gleichzeitig zu haben. Ich spüre wie mein Gesicht sich rot verfärbt und ich vor Wut koche. Damit Lehrer Wanner es nicht sieht, schreibe ich schnell auf meinem Schoß einen Zettel und stecke diesen Hannelore zu. Ich muß sie schnellstens darüber informieren, daß Jürgen mein Erwählter ist. Sie nimmt den Zettel heimlich entgegen, liest ihn hastig und dreht sich abrupt um. Auch ihre Gesicht färbt sich knallrot. Ach, wie konnte ich es auch nur wagen, diesen Trampel zu reizen? Ich spüre wie Ärger sich langsam in mir breit macht.

Ohne Rücksicht auf den Unterricht entsteht zwischen uns ein wildes Wortgefecht. Jede will der anderen nun klarmachen, daß Jürgen, der tolle Junge, ihr gehört. Es fallen zwischen uns böse Beleidigungen, wie 'blöde Kuh', 'dumme Sau', 'eingebildete Pute', um nur ein paar harmlosere zu nennen. Auch die Jungs nehmen spannend an dieser Auseinandersetzung teil, obwohl sie garnicht wissen, um was es eigentlich geht. Und unser Lehrer Wanner steht händeringend mitten im Raum und kann das alles garnicht fassen. Wahrscheinlich hat er mal wieder einen über den Drust getrunken und checked die ganze Situation nicht. Auf jeden Fall ist der gute Mann sprachlos.

Hannelore erhebt sich nun wütend von ihrem Schreibpult. Oh weia! Sie ist ein echter Goliath – nämlich riesengroß und gefährlich wie ein Boxer. Gegen sie bin ich nur ein kleines Würstchen und habe keinerlei Chance zu gewinnen. Auch ich bleibe nun nicht mehr sitzen und indem ich vergesse, wie groß sie eigentlich ist, stürzen wir uns gegenseitig wie zwei Wilde aufeinander, zeigen einander die Zähne und krallen uns verbissen ineinander fest. Ein wilder Kampf entfacht nun zwischen uns. Rund um uns herum nehmen wir nun nichts mehr wahr. Der Kerl gehört mir, mir allein – geht es mir durch den Kopf. Hannelore muß schachmatt

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