Romane & Erzählungen
carpe noctem - gefangen zwischen Tag und Nacht

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"carpe noctem - gefangen zwischen Tag und Nacht"
Veröffentlicht am 17. Dezember 2009, 46 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Über den Autor:

verrückt und freiheitsliebend.
carpe noctem - gefangen zwischen Tag und Nacht

carpe noctem - gefangen zwischen Tag und Nacht

Einleitung

Es gibt Vampire, die geküsst werden, um zu Blutsaugern zu werden. Es gibt Menschen, die ahnungslos ihr befristetes Dasein führen. Und es gibt mich. Weder Vampir, noch Mensch. Ich bin ein Halbwesen und zähle damit zur untersten Rasse. Wer sich zu keiner Gruppe hin zugehörig empfindet, kann nur ein Einzelgänger werden oder? Mal verletzend, mal verletzbar. Sterblichkeit. Unendlichkeit. Ständig auf der Suche nach etwas Menschlichem, an das ich mich heften könnte oder etwas Vampirisches, was mir zum Durchhalten verhilft, bahne ich mir meinen Weg durch die Gossen und die Kanalisation Santa Monicas. Und das als Halb-Vampirin.

 

 

 

 


                                                     Die Lieb' ist wie ein Wiegenlied:Es lullt dich lieblich ein. Doch schläfst du kaum, so schweigt das Lied, und du erwachst allein. (Theodor Storm)

Hintergrundszenario

Nachdem Kain seinen Bruder Abel erschlagen hatte, wanderte er aus in das Land Nod. Er war von Gott verstoßen, welcher ihm untersagte, je wieder von den von ihm erschaffenen Früchten zu essen. Statt dessen solle er sich nur noch von Blut ernähren können. Aber weil dies noch nicht reichte wurde ihm jegliche Möglichkeit genommen in das himmlische Paradies eintreten zu können, indem Gott ihm die Unsterblichkeit schenkte.

Kain blieb eine Äone lang im Land Nod, doch war er der ewigen Einsamkeit überdrüssig und er kehrte zurück in das Land, das sein Bruder Set aufgebaut hatte. Hier gründete und herrschte er über eine große Stadt. Doch immer noch fühlte er sich einsam, denn er war der Einzige seiner Art. Und so beschloss er Nachkommen zu zeugen. Damit beging er eine weitere Todsünde, denn seine Kinder wurden nicht auf herkömmlichem Wege erschaffen. Drei Menschen hat Kain seinen Fluch aufgezwungen, die weiterhin 13 Kinder zeugten. Doch er fürchtete die Rache Gottes und untersagte es seinen Kindern und Enkeln eine weitere Generation zu zeugen. Seine Brut gehorchte.

Dann kam die Sintflut und vernichtete alles Leben auf Erden. Kain hielt dieses für eine Strafe Gottes und zog es vor ins Exil zu gehen. Seine Kinder baten ihn zurückzukommen, doch er wollte sich nicht weiter in das Geschehen auf Erden verwickeln lassen.

Seine Kinder begannen nun sich untereinander zu bekämpfen. In diesem Krieg erschlugen Kains Enkel ihre Eltern und bauten eine neue Stadt auf. Jeder einzelne von ihnen gründete seinen eigenen Clan, indem er weitere Nachkommen zeugte. Doch fürchtete man, dass weitere Generationen benutzt werden könnten, um die Streitereien zwischen den 13 Vorsintflutlichen auszutragen. Daher ward es der vierten Generation verboten selbst Kinder zu schaffen.

Mit der Zeit starb die Stadt und die Macht der Vorsintflutlichen über ihre Kinder, woraufhin diese eigene Nachkommen zeugten und erneut begannen, einander zu bekämpfen. Nur die Bindung an das Gebot der Maskerade hat bis zum heutigen Tag verhindert, dass die Menschen von der tatsächlichen Existenz von Vampiren erfahren konnten.

Vorgeschichte

Als ich geküsst wurde und sich der Wille des Blutsaugens meiner bemächtigte, wurde ich als neues Wesen ohne Seele geboren. Sieben Jahre lang schlich ich in geduckter Haltung durch Santa Monica, um mir meine Opfer zu suchen. Sieben Jahre bereits untot. Doch als eines Nachts eine Seraphim, ein himmlischer Kampfengel, meinen Weg kreuzte und ich von ihrem Blut kostete, das so silbern und süß, hätte ich mir nicht träumen lassen, was mit mir geschehen war. Es war wie eine Droge. Das beste Blut aller Zeiten. Das Beste, das meinen

Zähnchen je untergekommen war. Das Beste, das mein Gaumen je zu schmecken gewagt hatte. Und kaum hatte ich sie beinahe leer getrunken, tat die Droge ihre Wirkung. Wie ein heftiger Heroin-Kick, schoss das Blut durch meine Adern, löste ein Kribbeln aus und ließ mich zu Boden sinken. Es haute mich einfach weg! Und als ich wieder zu mir kam, schien die Wirkung des himmlischen Blutes noch nicht verflogen. Ich fühlte mich eigenartig. Mir war so schwindelig. Ich fand das Gefühl atemberaubend! Ich war so high, dass ich jede Sekunde davon auskostete. Auch nach Stunden war das Gefühl noch

nicht vergangen. Ich taumelte durch die Gassen und versuchte meinen Körper daran zu hindern, das schöne Blut hochzuwürgen und wieder auszuspeien. Etwas in meinem Körper, das Widerspruch anklagte, sagte mir, das Blut sei Gift und müsse wieder aus mir heraus gelangen, und etwas anderes in mir, möglicherweise meine betäubten Sinne selbst, sagten mir, es wäre das Einzige, das dazu in der Lage wäre mir ein Gefühl zurück zu bringen. Ein Gefühl, das man hat, wenn man lebt. Wenn man lebendig ist. Und noch bevor ich verstand, was wirklich mit mir passierte, trat mir ein Nosferatu entgegen, die

verabscheuenswerteste Rasse der Blutsauger, die es für mich gab. Keine Regeln, keine Achtung der Maskerade vor den Menschen. Kein Erbarmen. Noch immer etwas taumelnd, ging ich also die Gasse entlang, ich hatte den Eindruck das Kribbeln unter der Haut hörte niemals auf, stand einige Meter entfernt vom Gullideckel, der runter in die Kanalisation führte und damit zu einem meiner bisherigen Aufenthaltsorte bei Tag (und auch mal bei Nacht) und sah, wie dieser hässliche, mit Blut befleckte, verstellte Körper des Nosferatu auf mich zutrat. In jenem Moment fragte ich mich nur, was diese Vampirgruppe dazu bewegte, solch eine

Einstellung zu haben, dass jegliche Körperhygiene abgeschafft und jede Menschlichkeit verloren war. Der Nosferatu kam auf mich zu und sah mich erschrocken an. Seine wirren Augen, oder zumindest kamen sie mir in meinem Zustand wirr vor, starrten mich ungläubig an. „Ich glaub's nicht! Da läuft so ein Leckerbissen des Nachts einfach auf mich zu und hat mich nicht einmal bemerkt!“ Natürlich fragte er sich, warum ich bei seinem erschaudernswerten Anblick nicht zumindest ein flaues Gefühl im Magen bekam, doch statt zu antworten, was ich war, stand ich einfach reglos da, ich konnte mich nicht sonderlich

bewegen. „Schnuckelchen, bist du so auf'm Trip, dass du nicht einmal merkst, wen du hier vor dir hast?“ Solch große Reden waren mir von den Nosferatu neu. Er nahm wohl an, ich war irgend so ein Drogen-Junkie und würde mir einbilden bei dem Monster vor mir zu halluzinieren. „Ich bin ein Vampir, Schätzchen...!“, sprach er und wartete meine Reaktion ab, doch ich konnte mich gerade nur auf mich selbst konzentrieren und suchte Halt an einem der Müllcontainer. Dann wollte ich etwas sagen, aber mein Mund schien mir nicht zu gehorchen. Der süßliche Geschmack des Blutes schien

das Innere meines Mundes noch immer zu betäuben. Ich sah den Nosferatu näher kommen und mein Verstand wurde langsam wieder klarer. Irgendwie kämpfte mein Kopf noch mit der Wirkung der Droge, doch meine Glieder schienen sich bereits wieder zu befreien, um sich in dieser Notlage helfen zu können – Ein instinktiver Verteidigungsmechanismus. Er packte mich und setzte zum Biss an, doch noch ehe er meinen Hals erreicht hatte, biss ich ihm abrupt in die Hand. Kurz und geräuschlos waren meine Beißerchen in sein Fleisch gedrungen. Daraufhin riss er seinen Arm nach hinten und sah an meinem geöffneten Munde,

dass ich, wie er, lange, spitze Zähne besaß. Dann hatte ich die Kontrolle über meinen Mund wieder: „Scher dich zum Teufel!“, fauchte ich ihm entgegen mit einem Mut, den ich lange Zeit nicht mehr verspürt hatte. Als Vampir tut man alles Nötige, um überleben zu können. Das hat nichts mit Mut zu tun. Man macht es einfach. Aber in diesem Moment kam dieses unglaubliche Gefühl eines Adrenalinkicks zurück. Der Nosferatu hatte gesehen, dass ich ebenfalls ein Blutsauger war, aber mir schien, dass er es noch immer nicht richtig begriffen hatte, er es möglicherweise nicht einsehen wollte

oder irgendwie anderweitig von Sinnen war, da er erneut auf mich zusprang, um mich zu beißen. Vielleicht hatte er sich auch einfach bedroht gefühlt, weil ich ihm gesagt hatte, er solle sich zum Teufel scheren. Vielleicht ging er auch jenem tierischen Trieb nach, den man von Nosferatu gewöhnt war. In jenem Moment wusste ich keine Antwort auf sein Benehmen und konzentrierte mich beharrlich darauf, mich weiter zu verteidigen. Wieder kam dieser Adrenalinkick! Ich spürte mich urplötzlich stärker als sonst und schlug kräftig mit meiner linken Kralle nach ihm, die ihn tatsächlich zu Boden

warf! Etwas benommen, aber natürlich keine Schmerzen spürend, stand er wieder auf und sah mich an. Ich ahnte, er würde sich nicht trauen zu ergründen, was mit mir geschehen war und so beobachtete ich, wie er mich, verachtend anblickend, verließ. Ich wusste ja selbst nicht, was mit mir los war. Noch immer fühlte es sich an, als könnte ich jede Vene und jede noch so kleinste Ader unter meiner Haut brodeln spüren. Dieses Zeug war der reinste Wahnsinn! Und so langsam hörte mein Körper auf sich dagegen zu wehren und nahm die immense Kraft und das Kribbeln

an. So stieg ich hinab in die Kanalisation, ich konnte mittlerweile auch endlich wieder normal gehen, und stellte, unten angekommen, etwas sehr Merkwürdiges fest. Meine Sinne hatten sich verändert. Sobald ich die Stufen hinabgestiegen war, trat mir ein mächtiger, vergammelter Geruch entgegen. Zuvor hatte ich es nie so stark wahrgenommen. Die grotesken Gerüche der Unterwelt waren für uns nie ein Problem gewesen, da man seinen Geruch daran anpassen konnte, doch jetzt schien mein Geruchssinn zu riechen, was ihm unterkam, statt mir zu gehorchen.

Aber noch etwas Schlimmeres trat ein: Ich konnte nicht mehr sehen! Als Vampir passt man sich sehr schnell der Umgebung an und da man praktisch nur in der Nacht wirksam sein kann, ist die Dunkelheit unser größter Freund, weshalb wir in der Nacht wesentlich besser sehen können als die Menschen am Tage. Aber was hier unten geschah, verstand ich einfach nicht. Meine Augen benötigten fast Stunden, um sich in den düsteren Gängen so zurechtzufinden, wie früher, daher tastete ich mit den Händen die Wände ab, um voranzukommen, sehr mühsam. Auch wenn das Gefühl, das das Blut mir

gab, noch nicht verflogen war und es einfach so berauschend war, merkte ich, dass es etwas mit mir gemacht hatte. Es hatte mich irgendwie, ja das mag blöd klingen, menschlicher gemacht...

Kapitel 1, Todes-Ende.

Am Morgen erwachte ich und stellte mit Erschrecken fest, dass ich nicht mehr da war, wo ich mich in meinem Zustand gestern gedacht.

Ich lag auf einer Parkbank, umringt von Tauben, die den ersten Sonnenstrahlen entgegen turtelten. Sonne!? SONNE?? Unmöglich!

Als Vampir kann dir nicht so schnell jemand etwas Böses. Du spürst keinen Schmerz und selbst wenn du Knoblauch riechen kannst, wird es dich niemals umbringen! Auch ein Pflock, in der Geschichte so oft erwähnt, vermag es nicht, deinen Körper ins absolute Jenseits zu befördern. Wenn es richtig eingesetzt würde, könnte es dich abermals lähmen.

Aber die Sonne (!), die Sonne war der größte Feind der Vampire!

Und da lag ich, unfähig, mich zu regen, starrte gen Horizont und sah, wie die ersten Sonnenstrahlen die Welt um mich herum berührten.

Es war zu spät! Ich konnte nicht mehr entkommen. Es war kein Gullideckel, der in die Kanalisation führte, in der Nähe und keine Dunkelheit, in der man sich hätte verstecken können.

Und gerade als ich dachte, es wäre um mich geschehen, fühlte ich eine ungewohnte Wärme auf meiner Haut.

Ich sah auf und versuchte die Herkunft dieses seltsamen Gefühls zu orten und betrachtete ungläubig meine Hände, die vom Sonnenlicht berührt wurden.

Ich lebte! Ich lebte noch! Oder wieder! Oder wie auch immer... Jedenfalls hatten mich die Sonnenstrahlen nicht ins absolute Jenseits befördert.

Ich wartete noch einen Moment... Nein, es geschah nichts. Ich war noch immer da! Und ich verstand es nicht.

Die schmerzlichen Erinnerungen an eine gar nicht so in der Ferne liegenden Vampir-Freundschaft, die vom Tageslicht beraubt worden war, trat mir zurück ins Gedächtnis. Es war einfach unmöglich. Claire hatte es damals einfach verglühen lassen. Kaum hatten die ersten Strahlen sie berührt, war sie unter Schmerzen in Flammen aufgegangen... Aber ich saß hier und trotzte diesem Erlebnis, einfach so.

Doch noch etwas Anderes hatte sich verändert und jagte mir mehr Angst ein als alles andere: Ich hörte ein Herz schlagen! Und ich war mir sicher, dass es wie meines klang, was absolut unmöglich war, da ich bereits vor sieben Jahren gestorben war. Doch das Auflegen meiner Hand auf meine Brust bestätigte erschreckenderweise meine Annahme. Ich hörte es. Pochpoch, Pochpoch, Pochpoch, ...

Noch etwas wirr ließ ich die dreckige Parkbank zurück und ging einige Schritte in Richtung Stadt.

Wie lange hatte ich mich dort nicht mehr aufgehalten bei Tag? Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Eine Unendlichkeit seit des Vampirkusses, der mich einst in dieses Wesen verwandelt hatte. Eine Unendlichkeit seit ich gelebt hatte. Aber nun war ich zurück! Ich fühlte mich gar lebendig. War ich erneut unter die Lebenden zurückgekehrt?

Erinnerungen an das himmlische Blut, das ich getrunken hatte, kamen mir ins Gedächtnis zurück. Ich strich mit einer Hand über meine Zähne, doch statt kleiner spitzen Beißerchen waren dort wieder kurze, normale Menschenzähne!

Selbst meine Haut schien die Blässe und Festigkeit verloren zu haben und die Krallen, die einst aus den Händen geworden waren, um als mörderische Waffe zu fungieren, waren nun wieder wie zuvor.

Ich ging auf die Straße, die gerade erst vom Sonnenlicht erweckt wurde.

Menschen stiegen in ihre Autos, um zur Arbeit zu fahren. Einige nahmen die „Geschlossen!“-Schilder aus ihren Läden und beleuchteten ihren Eingang. Viele tranken in ihrer Eile einen Kaffee in einem kleinen Pappbecher, etliche von ihnen eilten die Straßen entlang und es schienen immer mehr zu werden...

Einst war ich eine von ihnen und nun schien ich zurückgekommen zu sein, aber diese Welt war mir nun fremd. Und so machte ich es ihnen nach, ging auch durch die Stadt, die so sehr lebte, menschenfremd.

Ich sah diese Welt wie mit Kinderaugen, alles war so groß und neu. Ich wirkte fast schreckhaft und das, obwohl mir so einiges Grauen bekannt war. Aber das hier haute mich um. Ich wusste nicht, ob ich glücklich oder traurig sein sollte. Was wohl alles passiert war, seit ich gestorben war!? Waren meine alten Freunde noch am Leben, an die ich so lange nicht mehr gedacht hatte, weil ich es vor Schmerzen irgendwann einfach aufgegeben hatte?

Ich zog meine Jacke zu, da mir erschreckenderweise auch noch kalt wurde und ging von der Straße, die nun wieder befahren wurde.

Zur Kälte kam noch ein anderes Gefühl zurück und stellte sich mehr und mehr in den Vordergrund.

Ich betrachtete skeptisch meinen Bauch, der ein Hungergefühl voraussagte. Wie lange hatte ich so etwas nicht mehr verspürt?

Auf der anderen Straßenseite war eine Art Café oder Ähnliches und so ging ich unbeholfen dorthin, um meinen Hunger zu stillen.

Als Vampir war es leicht, zu wissen, wann man zu trinken hatte. Es war reine Instinktsache. Verließ man sich auf das Gefühl, war es einfach, sich zur richtigen Zeit ein Opfer zu suchen oder wiedermal die Blutbank aufzusuchen, um sich mit dem ein oder anderen Blutbeutel zu versorgen.

Mit dem Hungergefühl kam auch die Fröhlichkeit. Vielleicht konnte ich ja wieder all die süßen Leckereien schmecken? O ja, das tat ich auch!

Im Cafè angekommen, schlang ich eine Portion nach der anderen von meinem restlichen Geld herunter, das ich eigentlich für Notfälle bei mir trug, wenn ich Jason in der Blutbank besuchen musste. Aber ich schmiss das alte, graue Leben einfach weg und feierte meinen Neuanfang - ohne auch nur einen weiteren Gedanken an die Vergangenheit zu verschwenden - mit dem nächsten Pfannkuchen!

Erst nach einiger Zeit fielen mir die Blicke der anderen Kunden auf, zwischen denen ich saß auf einer kleinen roten Eckbank. Ich musste auf sie gewirkt haben, wie eine Obdachlose – dreckig und hungrig.

Eine ältere Dame, die zuvor immer an der Kasse gestanden hatte, kam mit einer Kanne Kaffee vorbei, stellte mir eine Tasse hin und schenkte mir ein. Sie sah etwas einschüchternd aus und wirkte genervt, jedoch verzog sich ihr Gesicht zu einem Lächeln und fiel in Falten, als ich sie intensiver betrachtete.

„Geht aufs Haus.“, sagte sie ruhig und freundlich mit erkälteter Stimme, sog Luft durch ihre Nase hoch und ging zum nächsten Tisch.

So eine Freundlichkeit hatte ich lange nicht erlebt. Als Vampir war man grundsätzlich ein Einzelkämpfer. Und wenn man nicht allein umherzog, dann gab es Vampire höchstens in Paaren, die sich einander nie sicher sein konnten, dass sie dem anderen vertrauen können.

Ich schlang noch einen Bissen des süßlichen Pfannkuchen hinunter und verbrannte mir danach die Zunge am heißen Kaffee.

Nie war ich glücklicher gewesen!

Kapitel 2 Ende.

Nachdem ich meinen Magen gefüllt hatte, zog es mich zu meiner Wohnung. Sie zum ersten Mal nach so langer Zeit betreten als Mensch. Wer hätte gedacht, dass so etwas passieren würde, als ich meinen immensen Durst stillen wollte und auf die Seraphim gestoßen war. Nie käme ein Vampir auch nur auf die Idee von ihrem Blut zu trinken, zu absurd war dieser Gedanke, aber zu jener Zeit war ich so blutleer, ich hätte alles getrunken. Jasons Blutbank hatte zu und ich musste trinken, um nicht durchzudrehen. Die Angst vorm Durchdrehen hatte ich jetzt nicht mehr. Brauchte ich nicht mehr. Ich war wieder ein Mensch. Normal. So wie alle anderen. So wie die Unwissenden.

Richtig, kaum jemand wusste überhaupt von der Existenz der Blutsauger. Ich war möglicherweise mit Jason der einzige Mensch in ganz Santa Monica, der wusste, was für Gestalten sich des Nachts ihre Snacks holten!

Und dadurch war ich ihnen überlegen. Als Mensch war man in jeglichen Fähigkeiten dem Vampir mächtig unterlegen, weswegen ich theoretisch automatisch nun in die Opferrolle zugeteilt werden müsste. Aber ich kannte ihr Vorgehen. Und ich würde mich nicht aussaugen lassen.

Außerdem kannte ich ihren Ort, an dem sie feierten. Sie hatten quasi einen ganzen Club für sich. Er steht sogar unter vampirischer Leitung. Wenn ein dummer Mensch sich dorthin verirrte, hatte er nicht mehr lange zu leben.

Mit einem Lächeln öffnete ich meine Wohnungstür und trat hinein. Ich packte mit Kraft an (die ich jetzt wirklich mit Mühe aufbringen musste) und riss das Holz, das ich als Schutz vor den Fenstern hatte, ab und ließ die Sonne Eintritt gewähren.

Ich ließ mich nieder und switchte den Fernseher an. Es dauerte nicht lange und die wiedergekehrte Müdigkeit, welche ich als sehr eigenartig empfand, zwang mich in den Schlaf. Aber schon nach wenigen Stunden wachte ich wieder auf und der Fernseher war noch an. Nachrichten. Vielleicht war es nun mal an der Zeit, sich denen wieder zuzuwenden und nicht nur darauf zu achten, ob die Polizei sich nachts im Club „Elysium“ herumtreiben wollte oder sonst wo, wo Vampire nach Opfern suchten.

Ein Bericht über die leeren Vorräte der Blutbank und die Aufforderung der Mithilfe zur Suche des Inhabers mit mittelkurzen, dunklen Haaren, einer Brille und grünen Augen trat in den Vordergrund. Ich erschrak. „Sie haben Jason drangekriegt?“, murmelte ich mir selbst und dem Fernseher zu.

Da ich mir bewusst wurde, dass er der einzige war, der über die Existenz meines früheren Wesens Bescheid wusste und trotzdem der Umgang mit Menschen geläufig war, sah ich es als Aufgabe an, ihn zu finden.

Schließlich war ich jahrelang sein Kunde gewesen. Er würde mich erkennen.

Natürlich hatte ich auch mit dem Gedanken gespielt, zunächst einmal zu gucken, wer von meinen damaligen Freunden oder gar meiner Familie noch in der Stadt war, aber mir war etwas mulmig bei dem Gedanken nach fast sieben Jahren wieder aufzutauchen. Wie sollte ich es ihnen erklären?

Sollte ich ihnen versuchen weiß zu machen, dass ich meinen Tod bloß vorgetäuscht hatte? Dass ich sie keinesfalls verletzen wollte, aber mir jetzt nach sieben Jahren danach war, sie auf zu klären? Unsinnig...

Außerdem kannte ich diese Welt nicht mehr. Sie war so hell. So unglaublich hell. So unglaublich schrecklich hell.

Unwissend darüber, warum in mir auf einmal Pessimismus aufkam, zog ich wütend die Gardinen zu, um dem Licht den Weg in die Wohnung erneut zu versperren.

Jason ist meine einzige Chance in dieser Welt zu überleben. Ich habe niemanden. Ich bin kein Vampir mehr... und trotzdem bin ich allein, wenn nicht sogar einsamer als je zuvor, sprachen meine Gedanken.

Verärgert schmiss ich ein Kissen meiner Couchgarnitur an die Wand und verließ die Wohnung aufgekratzt.

Es war mittlerweile Mittag. Die Sonne brannte auf meiner Haut. Vorhin noch war es ein warmes, angenehmes Gefühl gewesen, die leichten Sonnenstrahlen auf der Haut zu fühlen, doch nun wirkte die Sonne brennend und todbringend. Ich zog mir meine Jacke über den Kopf, um mein Gesicht zu schützen und lief die Straße hinunter zum Diner, in dem ich gefrühstückt hatte.

Die Türen waren verschlossen. „Wir sind ab morgen wieder für sie da!“ stand dort auf dem Schild.

„Fuck!“, pressten meine Lippen hervor und ich rannte die Straße hinunter. Ich hatte keine Ahnung, wo ich überhaupt hin rannte, aber diese furchtbare Hitze trieb mich voran. Ich bog in eine mir bekannte Gasse und machte abrupt Halt vor der Blutbank. Geschlossen. Natürlich, Jason war ja auch untergetaucht, nahm ich an.

Dort vor ihr stehend, schlug ich mit der Faust gegen die Tür, welche früher bei jenem Kraftaufwand sicher mindestens eine Delle hinterlassen hätte, und sackte zusammen. Wenigstens war es in dieser Straße etwas dunkler.

Ein Mensch? Ich? Wie könnte ich nach so langer Zeit wieder ein Mensch sein? Mit zwanzig Jahren erhielt ich den Blutkuss und bin nun dementsprechend siebenundzwanzig Jahre alt und kein bisschen gealtert.

Doch nun fühlte ich die Sterblichkeit zurückkehren, mit jeder Sekunde alterte ich. Sogar meine Faust schmerzte, nur weil ich sie gegen die Tür geschlagen hatte.

Vielleicht hatte ich mich selbst hierher gelockt, weil mir das Ganze mit dem „Wieder-Mensch-sein“ einfach zuwider war. Ich meine, ich war mir sicher, dass es niemals so einen Fall zuvor gegeben hatte, dass ein Vampir wieder zu einem Menschen wurde. Mir war jedenfalls keiner bekannt.

Blutsauger können nicht wieder Tagwandler werden, das ist Gesetz. Die Nacht ist das einzige, das sie fortan begleitet, genau wie das Risiko bei zu wenig Blut in tierische Raserei zu verfallen. Nicht sich um seinen Job und die Kinder zu kümmern und jeden Tag demselben Tun zu folgen, sondern sich nur um den Moment zu kümmern, das war es, was ich kannte.

In sieben Jahren Vampirdasein lernt man einiges über Leben und Tod.

Als Mensch ist die Zukunft wichtig, Hektik regiert und Glücklichsein wird angestrebt. Glücklichsein..., ich war gerade alles andere als das. Als Vampir war es nur wichtig den Instinkten zu vertrauen und sich ums Hier und Jetzt zu scheren.

Möglicherweise war das Nachtleben einfacher als das Leben selbst. Vielleicht war es auch nur die Gewohnheit, die mich zwang, so zu denken. Ich wollte versuchen, die Gedanken beiseite zu legen. Und heute Nacht würde ich mich in die Höhle des Löwen wagen und ins „Elysium“, der Vampirclub, als Mensch gehen. Bis dahin würde ich Jason suchen und wenn es mir nicht vorherbestimmt war, ihn zu finden, dann würde ich mich wieder zu einem Vampir machen lassen...!

Kapitel 3 Ende.

Von dem Geld, das ich einem Penner geklaut hatte, kaufte ich mir einen Hotdog und lief durch die Straßen auf der Suche nach einem Anhaltspunkt für Jasons Aufenthalt.

Ich wurde bald fündig, als ich einen Mann im Tattoo-Studio fragte. Er wies mich daraufhin, dass ich doch seinen Freund fragen sollte, der der illegal Waffen verkauft am Ende der Main Street. Er sollte angeblich wissen, wo Jason sich herumtrieb. Mir war der Kerl durchaus bekannt, also machte ich mich auf den Weg dorthin.

Als ich vor dem alten, heruntergekommenen Gebäude ankam und hineinging, schien es so, als wollte der illegale Waffenverkäufer mir nicht so recht trauen, da er aussagte, er würde wirklich keine Waffen besitzen. Aber wenn ich etwas als Vampir gelernt hatte, war es überzeugend zu sein. Ich trat näher an das Gitter, das zur Sicherheit zwischen ihm und den Kunden war, und forderte ihn auf, näher zu kommen.

Sein Ohr kam näher und näher und als es fast ganz am Gitter angekommen war, hauchte ich ihm meine Worte entgegen: „Die Nacht ist erfreut dich zu sehen...!“, wisperte ich und ich bemerkte, dass er nervös wurde.

Er trat wieder etwas vom Gitter zurück. Ihn schien meine Botschaft erreicht zu haben: „Das ist unmöglich... es ist Tag! Wie bist du hierher gelangt?“, fragte er, da mein Satz ihm unverkennbar mitteilte, dass ich der Blutsauger-Bande angehörte.

„Du bist doch keiner von denen oder? Ich meine, ich dachte, ihr könntet nur nachts...“, doch ich unterbrach seine unsicheren Worte: „Nein, nein, ich gehöre nicht zu ihnen, aber ich sag dir mal etwas: Ich kenne da einige interessante Nachtmenschen, die sich freuen würden, hier vorbei zu schauen, um deinen Laden auseinander zu nehmen, solltest du mir nicht die Informationen geben, die für mich wichtig sind. Womöglich würdest du als Mensch ihnen auch reichen, aber naja, sie machen, was sie wollen...“

Er schien zu verstehen: „Was kann ich tun?“, nun war seine Stimme ernst und trotzdem angsterfüllt.

Ich erklärte ihm mein Anliegen und er gab mir amüsanterweise den Tipp, dass ich doch einmal ins Tattoo-Studio gehen und dort nach Jason fragen sollte, woher ich ja gerade erst gekommen war. Was für ein Spielchen trieben sie bloß mit mir?

Aber ich wusste der Waffenhändler würde mich nicht anlügen, nicht jetzt, da er wusste, dass er es nun mit Vampiren zu tun hatte. Mir fiel auf, dass auch er einer der wenigen war, die von den Blutsaugern wussten, aber er hatte so großen Respekt vor ihnen, dass er niemals auch nur mit einem von ihnen näher zu tun haben wollte.

Skeptisch, aber relativ zufrieden und doch mich fragend, ob ich nur Vermutungen nachging, trat ich zurück vom Gitter, lächelte, nickte ihm zu und verschwand.

Zurück auf der Main Street waren einige Wolken schützend über mich getreten, um die Sonne von mir fernzuhalten. Ich war froh darüber, doch als ich beim Tattoo-Studio nach einigen Minuten eingetroffen war, stellte ich fest, dass die Tür verschlossen war.

Der Besitzer, den ich zuvor angetroffen hatte, verheimlichte mir etwas. Warum hatte er mich sonst davon geschickt? Wenn er ahnungslos gewesen wäre, hätte er nicht lügen müssen. Sicher hatte er mich nur zum Waffenhändler geschickt, um Zeit zu schinden, um Jasons Aufenthalt vor mir zu verbergen oder um ihn gar wegbringen zu können. Möglicherweise fand ich ja im Studio selbst heraus, wohin sie gegangen waren. Ich wollte mich nicht mit einer Enttäuschung, wie dieser, zufriedengeben, also ging ich in eine der schmalen Gassen zum Hintereingang.

Auch diese Tür war versperrt, doch ich hörte Stimmen und lauschte diesen angestrengt und es war für mich eine große Anstrengung, so menschlich wie ich war. Ich spitzte meine Ohren und nach einigen endlos wirkenden Sekunden konnte ich ihnen endlich zuhören.

„... und was sollen wir jetzt machen? Jetzt ist nicht nur die Polizei hinter mir her, sondern auch noch eine ganze Bande von Vampiren!“

„Beruhige dich, Jason, du weißt nicht einmal, ob sie dich dran kriegen könnten wegen dem Blut, das du verkauft hast. Wir müssen einfach nur einen versteckten Platz in Downtown finden, dann bist du erst einmal sicher.“

„Sicher? Ich bin nirgens sicher! Die wollen ihr Blut! Denkst du, wenn sie keine Blutbeutel mehr von mir bekommen können, werden sie sich mit Luft zufriedengeben? Die werden mich aussaugen, Dean!“

Nachdem ich eine Weile gelauscht hatte, wurde mir klar, dass ich Jason gefunden hatte und der Tattoo-Studio Besitzer ihn wirklich versteckt hielt und es meine vermutlich einzige Chance war, ihn jetzt anzutreffen.

Sicherlich hatte er Recht und die Blutsauger waren auch auf der Suche nach ihm, wenn sie durstig waren. Besonders die Frischlinge. Umso wichtiger war es mir, nun mit Jason sprechen zu können.

Ich holte einen Dietrich heraus und sah um mich herum. Trotz der herrschenden Dunkelheit in der Gasse, vermochte die gegenüberliegende Straße mich genau einzusehen. Aber ich musste es jetzt tun. Also brach ich die Tür mit all meinem Geschick auf, das ich als Vampir gelernt hatte. Man lebte ja praktisch von Kriminalität.

Geschafft! Die Tür entriegelte sich und ich öffnete einen Spalt.

Jason und Dean stritten immer noch, während Jason dabei war, einen großen Koffer zu packen. Sie hatten mich nicht bemerkt. Eine kleine Weile beobachtete ich sie dabei, wie sie mit den Armen fuchtelten und sich gegenseitig Schimpfwörter zuriefen.

Plötzlich knartschte meine Tür und ich hatte keine andere Wahl, als schnell hinein zu treten oder zu verschwinden. Ich entschied mich für Ersteres.

Dean, der eben noch mit dem Rücken zu mir gestanden hatte, drehte sich ruckartig um, zückte und zielte mit einer Waffe auf mich. Er hatte sie so schnell in die Hand genommen und so schnell entsichert, dass ich mich nur noch mit einem Sprung auf den Boden retten konnte.

„Wer bist du?“, rief er bedrohlich, er trat näher, die Pistole noch immer auf mich richtend. Er feuerte einen Warnschuss ein paar Zentimeter neben meinen Kopf ab. Nie war mir das Geräusch so laut vorgekommen. Es zuckte mich einmal durch den ganzen Körper.

Ich drehte mich zaghaft auf den Rücken und hielt meine Hände ergebend nach oben.

„Du schon wieder!? Was willst du??“, fragte er patzig und Jason trat zaghaft näher, um mein Gesicht zu erspähen.

„Jason...“, ich lächelte gequält, als er so nah gekommen war, dass er mich erkannte.

Aber anstatt dass er mir freundlich zugewandt war, stolperte er zurück, zeigte entsetzt mit dem Finger auf mich und rief immer wieder: „Vampir! Vampir! Vampir!“

Ich sah Dean den Abzug drücken und versuchte mich aus dem Weg zu rollen und flüchtete gerade noch rechtzeitig hinter ein Sofa. Gott, war ich schon immer so langsam gewesen? Das war ja brutal, wie langsam ich nun reagierte.

„Jason, ich bin nicht wegen dem Blut hier... ich bin ja nicht mal mehr ein Vampir... es ist Tag, ist dir das schon aufgefallen? Wie hätte ich herkommen können, ohne, dass mich die Sonne zerstört hätte? Bitte, du musst mir glauben!“, rief ich und die Angst kroch höher, dass mein menschlicher Tag gezählt war und ich nun hier durch eine Kugel sterben musste.

„Warte!“, rief Jason Dean zu und schien ihn davon abzubringen weiterhin in meine Richtung zu schießen.

Das Feuer wurde eingestellt und ich seufzte erleichtert auf.

Sie flüsterten etwas, das ich nicht verstehen konnte. Ich ärgerte mich erneut über die Beschränktheit meiner menschlichen Sinne und wartete ab, was als Nächstes passierte.

„Ich verstehe das nicht! Ich meine, du bist meine Kundin gewesen..., hast dir immer Blut geholt... und bist dennoch keiner von ihnen? Und was willst du eigentlich von mir? Warum bist du hier?“, die Stimme klang so als wäre sie näher gekommen.

Mir war es zuwider alles hinter dem Sofa erklären zu müssen und um mein Leben zu bangen, also stand ich auf und drehte mich in Richtung der beiden, den Kopf beharrlich schüttelnd. Sofort zielte Dean wieder mit seiner Pistole auf mich.

Immer den Blick auf den Lauf gerichtet, antwortete ich: „Ich bin kein Vampir mehr... Ich meine, ich war ein Vampir, aber ich bin es nicht mehr!“

Ich sah ihnen mutig entgegen, mutig aussehend, aber dennoch ängstlich, der nächste Schuss, den Dean abfeuern würde, könnte mein Lebenslicht auslöschen.

Jason führte seine Hand auf den ausgestreckten Arm von Dean, um ihm somit mitzuteilen, er solle die Waffe herunternehmen.

„Wie ist das möglich?“, fragte Jason und trat mutig näher.

Ich trat vom Sofa hervor und und begann zu lächeln. „Jason, du bist der einzige, der von uns weiß oder nun ja, zumindest dachte ich, du wärst der einzige, der von der Existenz der Nachtwesen weiß...“, ich sah verstohlen zu diesem Kahlkopf namens Dean.

„Ich bin wirklich kein Vampir mehr, hier, sieh dir das an!“, ich öffnete weit meinen Mund und ließ ihn einen Blick gewähren, der ihm zeigte, dass meine vampirischen Reißzähne verschwunden waren.

Er glaubte mir und bat mich, mich zu setzen, hielt mich aber dennoch auf Abstand.

„Nelly, hab ich Recht? Oder ist das nicht mehr dein Name, wo du nun wieder menschlich bist?“, Jason wirkte unsicher.

Ich wollte etwas sagen, aber Dean unterbrach mich. „Sie war vorhin schon einmal hier und war auf der Suche nach dir, ich dachte ich hätte sie abgehängt, als ich sie zu Tyler schickte.“

Jasons Blick wanderte von ihm zu mir zurück: „Nun, du hast mich gefunden. Was willst du von mir?“

Ich überlegte. So recht wusste ich selbst nicht, was ich wollte. Ich wollte wissen, wie ich überleben sollte – als Mensch – und was mit mir passiert war und warum Jason sich nun verstecken musste, warum er drangekriegt worden war, warum er untergetaucht war bei diesem Mann, der anscheinend auch von den Blutsaugern wusste. Ich wollte alles wissen.

„Nun, ich warte!“, entgegnete er, als ich nicht antwortete, „Ich habe nicht all zu viel Zeit!“

„Jason, du bist der einzige, den ich außerhalb des Kreises der Nachtgestalten kenne. Du bist der einzige, der mir sagen kann, was ich nun tun soll.“, mir war bewusst, dass meine Worte wirr waren, weil ich wirr war.

„Woher soll ich das wissen? Geh feiern! Erfreue dich des Lebens und sei froh, dass du kein Blut mehr von mir kaufen musst, denn diese Tätigkeit werde ich jetzt auch nicht mehr machen können!“, er stand auf und packte wieder hektisch seinen Koffer, dem Dean ein paar Dinge beigefügt hatte.

„Moment mal...“, sagte Dean und verharrte.

„Wenn du ein Vampir warst, dann hast du doch bestimmt gute Verbindungen zu den meisten von ihnen, nicht wahr?“, mir war nicht klar, worauf Dean hinaus wollte, also antwortete ich: „Vampire sind zwar grundsätzlich Einzelgänger, aber ich kenne schon einige, warum?“

Dean wandte sich dem hektisch packenden Jason zu: „Dann lassen wir sie das regeln! Du musst hier nicht abhauen und ich kriege keinen Ärger, weil ich dir geholfen hab, zu fliehen, denn das musst du dann gar nicht mehr! Wir behalten dich etwas hier, bis Ruhe eingekehrt ist, sie übernimmt das mit den Vampiren und schon ist alles, wie gehabt!“

Ich sah sie skeptisch an und funkte dazwischen: „Oh nein! So war das nun nicht gedacht! Dass ich einige kenne, heißt nicht, dass ich ihnen weismachen kann, was passiert ist. Ich meine, seht mich an, ich bin ein Mensch. Oder wenigstens etwas Menschenähnliches. Nichts weiter. Sie würden mir nicht einmal zuhören!“

Jasons Stimme klang düster: „Dann lass dich aussaugen und werde wieder ein Vampir...“ Ich traute meinen Ohren nicht.

Sicher, ich hatte darüber auch schon nachgedacht, aber es war nach sieben Jahren Vampirdasein einfach ein irres Gefühl, wieder ein normales Wesen zu sein. Dass es viele Nachteile hatte, wollte ich gar nicht leugnen, aber vielleicht war es mir vorherbestimmt diese zweite Chance entgegen zu nehmen und wieder ein Mensch zu sein.

„Unmöglich...“, sagte ich und mein Blick verfinsterte sich, „Es muss einen anderen Weg geben.“

„Ich weiß ja nicht, was du willst, Nelly, aber ich kann dir nicht helfen, wenn du mir nicht hilfst. Ich verlange nicht, dass du wieder ein Vampir wirst, ich gebe zu, das ist nicht richtig. Aber vielleicht gibt es eine andere Möglichkeit, mit ihnen Kontakt aufzunehmen!? Eine sichere Möglichkeit? Ich meine, wenn das einer weiß, dann du.“, sagte Jason und mir leuchtete ein, dass er Recht behielt.

So willigte ich ein. „Gut, ich finde einen Weg, die Vampire von dir fernzuhalten bis sich die Situation beruhigt hat. Und du musst mir im Gegenzug zeigen, wie es ist, ein Mensch zu sein.“

Jasons gewohntes Lächeln kehrte zurück und er gab mir schüchtern die Hand.

„Abgemacht!“

Kapitel 4 Ende.

Als sich der Tag dem Ende neigte, beschloss ich mit dem Geld, das ich von Jason bekommen hatte, meinen kleinen Hunger zu stillen und ging in ein nahegelegenes Restaurant.

Obwohl die Nacht jahrelang mein einziger Freund war, fürchtete ich mich nun vor ihr. Die grausamen Wesen, die sie inne hielt, warteten nur darauf, sich an mir zu verzehren.

Ich schlang das Essen hinunter, genoss es aber trotzdem wie beim 'ersten Mal' und machte mich auf den Heimweg. Nur noch wenige Minuten lagen zwischen mir und dem Sonnenuntergang.

Als ich die Treppe zu meinem Appartement hinauf ging, bemerkte ich schon auf der Hälfte der Treppenstufen, dass meine Tür weit geöffnet war.

Einbruch! Jemand hatte bei mir eingebrochen!

Ich stieg langsam und leise die letzten Stufen hinauf und sah in die Dämmerung meines Wohnzimmers.

Adrenalin durchdrang meinen Körper. Ich trat ein und machte mir ein Licht an, um besser sehen zu können. Mein Sofa lag auf der Seite, sämtliche Regale waren entweder heruntergerissen oder dessen Inhalt lag zerstreut in der Mitte des Raumes. Mein Kühlschrank war weit geöffnet und die Tür zu meinem Bad war oben ausgehakt und lag nun in Schräglage geöffnet.

Was mir sofort auffiel war, dass der Fernseher noch da war. Unversehrt.

Da hatte jemand etwas gesucht, aber er hatte es nicht auf Wertsachen angelegt.

Auch mein Radio lag auf dem Boden. Der Einbrecher hatte es verschont. Er hatte etwas anderes gesucht. Aber was nur?

Ich beschloss meine Wohnung auf der Stelle aufzugeben und zog wieder nach draußen, um dorthin zu gehen, wo ich zunächst einmal sicher wäre: zu Jason und Dean. Als ich die Treppe wieder hinunter ging und die Tür für draußen öffnete, kam mir eine kalte Brise entgegen.

Es war soweit! Es wurde Nacht! Zum ersten Mal seit sieben Jahren würde ich durch die gefährlichen Straßen Santa Monicas gehen und durch die Menschlichkeit gezwungen werden, die Opferrolle einzunehmen.

Je länger der Weg dauerte, desto dunkler wurde es vor meinen Augen. An den Straßenecken tauchten die Nutten auf, um Geld zu machen.

Eine davon hatte ich sogar mal selbst geküsst, nun machte sie Geld damit, Vampire zu erschaffen oder einfach nur das Blut ihrer Kunden zu trinken.

Ich ging schneller und versuchte meine Augen zu schärfen, aber meine Sehfähigkeit war zu nichts zu gebrauchen, seit ich wieder Mensch war.

Während ich durch die mir bekannten Abkürzungen den Weg zum Tattoo-Studio zurück schaffte, machte sich ein seltsames Gefühl breit.

Ängstlich tippelnd ging ich immer hektischer durch die näher kommende Dunkelheit. Sie war nun nicht mehr länger mein Freund, sondern zwang mich dazu, mich irgendwo anders sicher wissen zu müssen.

Obwohl wir Sommer hatten, kam mir diese nähernde Nacht unheimlich kühl vor. Das lag bestimmt daran, dass sich jegliche meiner Gefühle bei ihrer Wiederkehr in äußerster Intensität äußerten. Und so überraschte mich auch ein Freudengefühl als ich mich plötzlich vor dem „Elysium“ vor fand. Von draußen hörte ich die stimmungsvolle Musik, die bereit war, mich mitzureißen.

Blind trat ich und wie gewohnt die Stufen zum Eingang des Vampirclubs hinauf. Die Dunkelheit war eingekehrt.

In seltsamen Abständen sah ich mich erst kurz vor der Türklinke stehen, mich fragend, ob ich sie öffnen sollte und dann war ich plötzlich drinnen im Flur des Clubs und beim nächsten blitzartigen Kontrollverlust, der sich nicht ankündigte, sondern einfach wie ein Schlag kam und ging und trotzdem Schmerzen hinterließ, sah ich mich direkt vor der Bar stehen.

Ich setzte mich auf einen der Barhocker und schloss die Augen. Unmöglich, ich war wirklich im Elysium! Und das als Nichtvampir. Es würde nicht lange dauern bis die Meute sich auf mich stürzen würde. Was hatte ich mir dabei gedacht? War ich wirklich durch eigenen Willen hereingekommen? Und warum hatte ich jetzt solche Kopfschmerzen? Waren sie so intensiv, weil sie mich seit sieben Jahren das erste Mal wieder heimsuchten?

Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter.

„Na, wen haben wir denn da? Weilst du wieder unter uns?“, als ich meine Augen öffnete, sah ich zunächst noch etwas verschwommen, dann immer deutlicher das mir bekannte freche Grinsen der Clubbesitzerin Annette.

Wieder unter ihnen weilen? Wurde ich etwa wieder geküsst? Ging es so schnell, dass ich mich nicht einmal daran zu erinnern vermochte?

Zu viele Fragen, die sich mir stellten und die Angst, die in mir hoch kroch, meine Vertraute würde merken, dass etwas nicht stimmte, ließen mich die Kontrolle zurück erlangen.

„Mensch, Kindchen! Du warst ja ganz ausgelaugt! Was hast du die Nächte getrieben? Naja unser lieber Phil hat sich darum gekümmert und dir einen kräftigen 'Bloody Mary' zubereitet. Du schuldest mir was!“, sie sah erst zum Barkeeper, zwinkerte ihm zu und wandte sich dann wieder mir zu.

Meine Gedanken überschlugen sich. Sie hatten mir Blut gegeben! Ihnen war nicht aufgefallen, dass ich ein Mensch war und nun hatten sie mich zum Ghul gemacht! Doch bevor ich mein Gedankenchaos einigermaßen wieder gesammelt hatte, um Annette etwas Schnippisches zu sagen, gehorchte mir mein Mund nicht mehr. Ich hatte erst jetzt den betäubenden Geschmack bemerkt. Er war anders als der vom Seraphimblut. Ekeliger. Unglaublich bitter. Es war ungewohnt diesen Geschmack von Blut so wahrzunehmen, so als Mensch.

Annette lachte: „Na, ich sehe schon, das braucht noch eine Weile mit dir. Wenn du dich wieder gefangen hast, schau doch mal oben bei mir vorbei. Zweiter Stock, weißt du ja, aber naja, wer vergisst zu trinken, dem sollte man auch das lieber noch einmal sagen.“, sie ging elegant, beinahe arrogant, wie immer, einige Schritte in Richtung Aufzug und machte dann noch einmal kurz kehrt und drehte sich zu Phil: „Und gib der Kleinen noch Einen. Geht aufs Haus!“, dann verschwand sie im Lift.

Meine Zunge wirbelte in meinem Mund umher, immer wieder schluckte ich, um den Geschmack loszuwerden, doch dann stand schon der nächste Drink vor mir.

„Du hast die Frau gehört! Trink, der geht aufs Haus!“, sagte Phil.

Ich nickte benommen und seltsamerweise kehrte beim Anblick des Martini-Glases mit rötlichem Inhalt die Lust zurück Blut zu schmecken.

Meine Hand näherte sich dem Drink zitternd. Ich sah im Augenwinkel, dass Phil mir belustigt bei meinem Versuch zusah, doch es war für mich als gäbe es in diesem Raum nichts weiter außer mir und dem Glas, das bis fast oben hin gefüllt war mit Blut.

Ich nahm das Glas in die Hand und schlang den Inhalt herunter. Ein Schauer durchfuhr mich und eine warme Atmosphäre machte sich in mir breit. Der Geschmack des Blutes hatte sich verändert. Es schmeckte wie damals und stellte mich ruhig.

Wenn es so einfach war, sich hier zu bewegen, im „Elysium“, ohne als Mensch enttarnt zu werden, konnte ich meine Chance nutzen, um die Nachricht zu verbreiten, warum die Blutbank geschlossen war. Mein Kopf erholte sich schnell und das warme Gefühl breitete sich weiter in meinem Körper aus. So fühlte es sich also an ein Ghul zu sein. Das war nicht schlecht, es kam dem Gefühl des Vampirseins sehr nahe.

Ich schnippste Phil zu mir. „Na, soll's noch einer sein?“, fragte er.

„Nein, nein, aber danke... sag mal, hast du schon davon gehört, dass die Blutbank geschlossen wurde!?“, ich versuchte seine Aufmerksamkeit durch eine geheimnisvolle Stimme zu erregen, doch die Musik war so laut, dass ich sie kaum richtig einsetzen konnte. Als Vampir hatte man die Fähigkeit besonders überzeugend zu wirken – entweder durch Einschüchterung oder die Kraft der Verführung. Allerdings war nicht jeder Blutsauger mit diesen vampirischen Fähigkeiten bestückt, die man auch nicht immer und nicht immer mit derselben Kraft einsetzen kann.

Phil nahm mein Glas weg und stellte es zu den anderen Schmutzigen, dann nahm er ein frisch abgewaschenes Glas und reinigte es mit einem Handtuch und kehrte währenddessen, daran reibend, zu mir zurück.

„Ja, ist ziemlich ärgerlich, was? Aber das bedeutet nicht, dass du jetzt gar nichts mehr trinken kannst. Hör mal, um dich stand es echt schlimm. Deine Augen ächzten vor Blut, so rot waren sie! Du musst besser aufpassen!“, tadelte er mich. Er stellte das Glas zurück und holte das Nächste, um es abzutrocknen. Wenn sogar die Augen eines Vampirs rötlich leuchteten, dann war eine Raserei nicht mehr fern und selten würde man an diesen Punkt gelangen, ohne es zu wissen und gewiss nicht wissentlich die Grenze zur Raserei überschreiten.

„Ja, ich weiß... kommt sicher nicht wieder vor.“, ich musste wieder zum Thema Blutbank zurückkehren.

„Sagt dir der Kerl Jason was? Er hat in der Blutbank gearbeitet. Hab gehört einige Vampire haben es nun auf ihn abgesehen, weil sie glauben, er würde ihnen das Blut vorenthalten.“

„Der Kerl mit der Brille, nicht wahr? Ja, ich hab auch schon einigen dummen Besuchern erklären müssen, dass der vermutlich schon längst in Downtown ist, um da das Blut zu verhökern. Da macht er sicher ein besseres Geschäft... Aber wieso fragst du? Was interessiert dich der Kerl? Wenn's dir um das Blut geht – wir haben hier noch einiges an Vorräten, also brauchst du deswegen unbesorgt sein!“, er nahm das saubere Glas und füllte noch einmal das rote, liebliche Getränk hinein und gab es an eine Kundin, die ein paar Meter entfernt von mir stand. Mein Blick blieb an der lieblichen Farbe des Glases haften und folgte ihm bis zu den zarten Lippen der Kundin, die genüsslich daran nippte.

„Ansonsten weißt du ja, wo man noch Blut her bekommt! Wir tun, was wir tun müssen, Schätzchen!“, Phil lachte laut los und winkte eine weitere Kundin zu sich. Eine besondere Kundin.

„Sicher...“, sagte ich und sah das bezaubernde Fräulein näher kommen. In meinen alten Vampirtagen hätte ich sie gerne zum Vampir gemacht. Sie hatte weißblonde Haare und auffallend helle, blaue Augen. Ihre Haut war elfenbeinfarben und sie schien trotz ihrer Anmut zierlich und zerbrechlich. Das arme menschliche Wesen hatte ja keine Ahnung, wo es sich hier befand. In welcher Gefahr sie sich hier befand.

„Shelly ist heute zum Beispiel zum ersten Mal hier, du kannst ihr bestimmt den Club und seine Besonderheiten einmal zeigen!“, er lachte leise und drehte sich um zu seinen Gläsern.

Irgendwie hatte das alles bisher nicht so geklappt, wie es hätte klappen sollen.

Shelly setzte sich zu mir und fragte nach einem gewöhnlichen Drink, den Phil auch vorrätig hatte. Mir war klar, dass er auf neue Stammgäste lauerte.

Doch, dass es nun an mir war, ihm diese zu beschaffen, lag mir schwer im Magen. Ich war nun mal kein Vampir mehr. Ich war allenfalls ein Ghul, obwohl man dazu das Blut eines Vampirs getrunken haben müsste. Aber bei mir war nun eh alles so wirr, dass ich keine Bezeichnung für mich hatte. Ich wusste aber, dass ich kein Vampir mehr war und Phils Wunsch, sie zu einer von den Blutsaugern zu machen, nicht erfüllen konnte. Aber um nicht aufzufallen, war ich nett zu Shelly und wollte sie in eine dunkle Ecke des Raumes entführen, sodass Phil zumindest den Eindruck erhalten würde, ich würde mich um sie 'kümmern'.

Dies sollte sich jedoch schnell als schwierig erweisen...

Ich lächelte, die Musik dröhnte lauter und lauter und meine Kopfschmerzen kehrten mit einem Schlag zurück.

Ende Kapitel 5.

Wo war ich? In einer Gasse? Wie zum Teufel war ich denn hierher gekommen??? Ich war doch noch wenige Sekunden zuvor im Elysium gewesen. Ich saß benebelt an einer Hausmauer neben einem Müllcontainer in der völligen Dunkelheit. War ich verschleppt worden?

Ich krempelte meinen Ärmel hektisch hoch, um auf die Uhr zu sehen. Halb drei? Wie konnte es so spät sein? Langsam krempelte ich meinen Ärmel wieder herunter und erst da fiel mir auf, dass ich etwas Nasses an den Händen hatte. Mich weiter an die Hausmauer lehnend, raffte ich mich auf und sah dann zum ersten Mal, was vor mir lag.

Ich wollte einen Schritt vor tun, doch nahm ich meinen Fuß schnell zurück und lehnte mich schmerzverzerrt an die Mauer.

Es war gut zu erkennen, was passiert war. So hätte ein Vampir in Raserei gehandelt. Shelly, das schöne Fräulein aus dem Elysium lag dort vor mir , in ihrem eigenen Blut getränkt, ihr Körper überseht mit Kratz und – Bissspuren. Sie lag mit dem Gesicht zum Boden und ihre hellen Haare waren fast komplett durchnässt durch die Blutlache, die von einer Platzwunde aus ihrem Hinterkopf ausging.

Zitternd vor Angst wagte ich mich um sie herum zu schleichen. Meine Augen füllten sich mit Tränen. Ich sah benommen meine Hände an. Es waren Todesklauen. Todesklauen, die ihr das Leben gekostet hatten. Als ich verstand, dass, wie auch immer es geschehen war, ich Schuld an diesem Gemetzel war, brach ich heulend zusammen und streichelte schluchzend Shellys feuchten Haare.

Auch wenn ich kein Vampir mehr war, in mir schien ein vampirähnlicher, unkontrollierbarer Trieb zu sein, der ihr das angetan hatte und mich gleichzeitig in größte Angst und Verzweiflung fallen ließ.

Mir kam es vor, dass ich Stunden um die junge Frau trauerte, doch als ich mich langsam und leise, wie ich es gelernt hatte mich zu bewegen als Vampir, aus der Gasse schlich und erneut auf die Uhr sah, war es gerade mal zehn Minuten nach drei.

Mein menschlicher Stolz war dahin. Ich konnte nicht fassen, was geschehen war. Hatte das einen psychischen Aspekt als Hintergrund? Durch die Gewohnheit und die Angst dem Neuen, Antiparanormalem entgegenwirkend kam der Wunsch zurück ins Elysium zu gehen, Bloody Marys zu trinken und Menschen als unterste Rasse anzusehen, die höchstens zum Selbstzweck dienten (also als Getränk oder Tötungsspaß oder, wenn sie es verdienten, als Neulinge geküsst zu werden)?

Es machte keinen Sinn und ich erinnerte mich einfach nicht mehr. Ich hatte keinen blassen Schimmer, was passiert war. Aber ich wusste, dass ich ihr das angetan hatte, meine blutverschmierten Krallen waren der Beweis dafür!

Ich trat in eine dunklere Ecke einer Straße, um Halt zu machen. Krallen? Wieso hatte ich Krallen? War ich doch wieder ein Vampir? Ich tastete meine Zähne ab und tatsächlich waren die kleinen, spitzen Blutsaugerzähnchen zurückgekehrt!

Nicht wissend, ob ich mich darüber freuen oder davor fürchten sollte, lief ich in Richtung Strand, um mir bei nächster Gelegenheit im Meerwasser das Blut von den Händen und besonders den Krallen waschen zu können. So konnte ich kaum bei Jason und Dean auftauchen oder überhaupt durch die Stadt gehen, ohne recht deutlich aufzufallen.

Auf dem Weg zum Strand, den ich ziemlich zügig antrat, kamen mir einige Vampire entgegen, die ich schon einmal im „Elysium“ gesehen hatte und einige, die ich zum ersten Mal sah, aber dessen vampirische Aura sich mir so eindeutig wie früher zeigte.

Endlich am Strand angekommen stapfte ich durch den Sand und ging einige Schritte ins dunkle und kühle Nass und fing an, die Hinterlassenschaften des Kampfes oder der Raserei oder was auch immer es gewesen war, abzuwaschen.

Im hellen Licht des Mondes sah ich nun auch, dass mein Gesicht in der Mundgegend blutverschmiert war und ich wusch alles kräftig ab, um mich von dieser Last zu befreien.

Als ich mich wieder gefangen hatte, sauber war und mich die Nacht wieder in Richtung Stadt lockte, erinnerte ich mich wieder, dass ich Annette einen Besuch schuldete. Die Clubbesitzerin, für die ich damals den einen oder anderen Job erledigt hatte, hatte mir erlaubt, mich meinen vampirischen Trieben wieder hinzugeben. Eigentlich gab ich in diesem Moment ihr die Schuld, dennoch wusste ich natürlich, dass irgendetwas mit mir selbst nicht stimmte und ich der Grund dafür war, dass das schöne, hellblonde Fräulein nun zu den ungeklärten Todesakten hinzugefügt würde.

Aber ich musste nun noch einmal zurück ins „Elysium“. Jetzt war gerade Blütezeit, es würden sich unzählige Vampire der Stadt dort treffen und ich hatte noch etwas für Jason zu erledigen, obwohl ich mich fragte, ob ich es nun noch benötigte, die Vampire über ihn aufzuklären, um von ihm zu lernen als Mensch zu leben, wo ich doch nun wieder selbst ein Vampir zu sein schien.

Gedankenversunken ging ich eine Abkürzung durch die Kanalisation, die nun für mich so gut einsehbar war, wie früher. Nur riechen konnte ich sie trotzdem so stark wie am Tage.

Als ich um die nächste stinkende Ecke bog, sah ich, wie sich eine grässliche Kreatur über einen fetten, hässlichen Kuriermann beugte und an seinem Hals leckte. Ich ging langsamer und vorsichtiger und jedoch erkennbar, dass ich da war, um nicht den Eindruck zu erwecken, ich könne ihm seine „Beute“ streitig machen, als ich das Gesicht des Vampirs plötzlich wiedererkannte.

Es war jener Nosferatu, der mir nach meinem Seraphimblutrausch entgegengekommen war und mich beißen wollte.

Er machte einige schmatzende Geräusche und tat so, als gäbe es mich nicht, aber ich blieb stehen, um mich zu vergewissern, dass er es wirklich war. Er reagierte, sah von seinem Opfer hoch und starrte mich mit seinem durchdringenden Blick an.

„Du schon wieder!“, krächzte er, „Willst du ihm Gesellschaft leisten?!“, er fauchte mich mürrisch an.

Bedrohlich zuckte ich mit meinen Krallen und lächelte. Schon wieder gab es etwas in mir, das einen Kampf nicht scheute, sondern es herausfordern wollte. Ich erschrak und mein Lächeln verblasste. Stumm ging ich voran und versuchte das Gefühl zu unterdrücken. Nicht noch einmal sollte so etwas Schreckliches passieren. In Raserei zu geraten ist das Unmenschlichste, Abnormalste, das es gab und obwohl es mir schon gefiel anders zu sein, wollte ich mich nicht zu jenen Wesen herablassen, wie die Nosferatu.

Ich öffnete den nächstgelegenen Gullideckel und stieg hinauf. Oben angekommen sah ich zu meiner Überraschung auf der anderen Straßenseite Dean, der sich mit irgendwelchen Männern angeregt unterhielt.

Meine menschliche Neugier zwang mich dazu mich an parkenden Lastwagen und Müllcontainern vorbei zu schleichen, um mitanhören zu können, was Dean mit den Leuten sprach. Zugegeben, ich hätte auch einfach auf ihn zugehen können und so auch erfahren, was er so spät noch vor hatte, doch der Reiz, sich den Instinkten des Tieres in mir hinzugeben, schien erneut größer als meine Menschlichkeit zu sein.

In der Nähe einer brennenden Mülltonne, an der am Abend oft die Penner standen, um sich zu wärmen, machte ich Halt und lauschte.

„... Aufenthalt ist Ihnen also bekannt? Nunja, dann veranlasse ich eine Ãœberführung am Morgen. Denken Sie, er wird am Morgen noch dort sein?“

„Ja, sicher Officer. Ich denke, er schläft jetzt tief und fest und morgen früh wird er eine Ãœberraschung zum Frühstück erleben!“

„Ja, das werde ich meinen. Ich danke für ihre Mitarbeit. Sollte es Probleme geben, sie wissen ja die Nummer.“

„Ja, Sir, die habe ich... und das mit der Belohnung geht dann in Ordnung, richtig?“

„Aber natürlich. Bis morgen dann und achten sie darauf, dass er sich auch wirklich zu dem Zeitpunkt dort aufhält!“

„Das werde ich!“

Ich traute meinen Ohren nicht. Dean hatte vor Jason an die Polizei zu verkaufen! Jason, derjenige, der meine einzige Chance momentan war. Den, den ich in meiner größten Not aufgesucht hatte. Dem, dem ich Schutz versprochen hatte, zumindest vor den Vampiren, dem wollte ich auch jetzt Schutz geben.

Ich zögerte nicht länger und rannte los, ich sah den Cop und Dean sich verabschieden und schlupfte schnell in einen der Gullis. Die Kanalisation war immer die perfekte Abkürzung! Jedoch hoffte ich nicht wieder der grässlichen Nosferatu-Gestalt begegnen zu müssen und sah mich gründlichst um. Doch als ich in jene Ecke einbog, war da nur noch der tote Kuriermann im Abwasser liegend. Ich rannte schneller und bemerkte wie gut mir diese Anspannung lag, wie sie mich veränderte und doch froh stimmte.

Ich schob den Gulli hektisch zur Seite und verschloss ihn lautstark, aber schnell und rannte zum gegenüberliegenden Tattoo-Studio.

Hoffentlich hatte ich genug Zeit Jason zu überzeugen. Hoffentlich vertraute er mir genug, dass ich ihn da herausholen konnte.

Ich bog in die schmale Gasse, die ans Parkhaus grenzte und hämmerte gegen die Tür. Natürlich öffnete niemand. Auch als ich rief, schien niemand da zu sein. Nach einer Weile jedoch, er hatte mich wohl an meiner Stimme erkannt, öffnete Jason schlaftrunken die Tür, vor die er eine Kette gezogen hatte. Als er mein Gesicht sah, schloss er die Tür wieder, entriegelte die Sicherheitskette und öffnete die Tür einen großen Spalt.

„Jason! Wir müssen hier weg! Die Polizei wird in ein paar Stunden hier sein und Dean, dieser Verräter, er wird gleich hier sein!“, ich redete vermutlich viel zu schnell und unverständlich.

„Wovon zur Hölle redest du?“, fragte Jason ungläubig, seine Augen waren klein und zwinkerten kräftig.

„Dean ist ein Verräter! Er hat vor dich an die Polizei zu verraten! Ich habe ihn vorhin gesehen mit einem Cop! Sie redeten darüber dich morgen mitzunehmen! Schnell, du musst verschwinden!“, noch immer war ich hektisch, aber langsam ging meine Geduld zu Ende, ich wollte ihn am liebsten packen und einfach entführen.

„Moment, mal ganz langsam. Du hast was? Gehört, wie sich Dean mit einem Polizisten unterhalten hat? Ãœber mich?“, er ließ mich eintreten.

„Ja, genau, das sagte ich doch. Beeilung, wir müssen weg, Dean ist bereits auf dem Weg hierher!“

„Und warum sollte Dean das tun? Er ist ein langjähriger Freund von mir... er hatte vor mich nach Downtown zu bringen, wieso sollte ich dir glauben, dass er mich an die Polizei ausliefert?“

„Jason! Ich bin doch zu dir gekommen, weil ich deine Hilfe brauche, warum sollte ich dich belügen? Ich bin auf dich angewiesen... Du musst verschwinden, los!“

Jason sah mich noch immer skeptisch an, während ich seine Jacke holte und einige Sachen vom Tisch kramte, wie Zigaretten, ein rotes Feuerzeug, Deans Pistole und Jasons Brieftasche.

Meine Vampirsinne erlaubten es mir exakt zu hören, was draußen vor sich ging. Ein Auto parkte. Die Tür fiel zu. Es war mit Sicherheit Dean, das erkannte ich an der Art seines Ganges und bald bestätigte mir auch sein Geruch, dass er es war.

„Sind das...? Hast du etwa wieder Vampirzähne??“, fragte mich Jason ruhig, aber eindringlich.

Ich verstummte für einen Moment.

„Das erzähle ich dir gleich, aber du musst jetzt mit mir verschwinden! Schnell, Dean kommt bestimmt durch den Hintereingang, das heißt wir gehen vorne raus!“

„Oh nein, das werden wir nicht. Ich weiß, was hier gespielt wird! Du bist wieder ein Vampir und hast es auf mich abgesehen! So sieht es also aus! Was kriegst du von deinen Blutsaugerfreunden dafür, hm, sag schon!?“, er wirkte wütend und tat einige Schritte weg von mir.

Ich konnte es nicht fassen. In wenigen Sekunden konnte es schon zu spät sein! Also tat ich blitzschnell, was mir durch den Vampirkuss angeboren war: Ich kramte aus einer Schublade Panzertape hervor, brachte Jason gewaltsam zu Boden, klebte ihm seinen Mund zu, schwang ihn auf meinen Rücken und rannte zur Vordertür, dort öffnete ich einen Spalt, um zu sehen, ob die Luft rein war und in dem Moment, als die Vordertür hinter uns ins Schloss fiel, tat Dean die Hintertür auf.

Ich rannte zum nächsten Gullideckel und verschwand mit Jason in der Kanalisation, der sich vehement wehrte und es mir damit nicht gerade einfacher machte.

„Irgendwann wirst du es mir danken, du Idiot!“, rief ich und schleppte ihn mit mir.

Kapitel 6 Ende.

Nach einer Weile kamen wir an der Stelle vorbei, an dem der Nosferatu seinen Snack zu sich genommen hatte und Jasons abgeschnürte Schreie wurden intensiver, also ließ ich ihn hinab.

„Da, du hast viel größere Probleme als du denkst. Es gibt Vampire, die ihre Opfer nicht einfach nur austrinken, sondern auch gerne an ihnen knabbern. Hätte ich das vorgehabt, hätte ich das schon längst tun können. Ich meinte das ernst, was ich sagte: Ich brauche deine Hilfe! Und ohne, dass du das weißt, hast du auch meine Hilfe nötig! Denn jetzt hast du niemanden mehr außer mir!“, ich hatte Schwierigkeiten ihn am Weglaufen zu hindern, aber ich bekam seine Arme immer wieder unter meine Kontrolle und nach meinen Worten verhielt er sich wieder einigermaßen ruhig.

„Gibt es einen Ort, den du kennst, an dem wir für einige Zeit sicher sind? Denn ansonsten sind wir gezwungen in die Höhle des Löwen zu gehen.“, natürlich sprach ich vom „Elysium“, in dem wir zumindest vor Dean und der Polizei erst einmal sicher waren.

Jason sah verachtend zur Seite.

„Gut, dann also die Höhle des Löwen.“, ich würde schon einen Weg finden, die Vampire von ihm fernzuhalten. Vielleicht würde mir Annette ja helfen können, der ich zu meinem Nachteil immer noch etwas schuldete. Doch nun hatten wir keine andere Wahl mehr. Es würde nicht lange dauern, bis sich ein Vampir der beliebten Abkürzung hier unten bemächtigen würde.

Ich trug Jason noch einige Minuten, dann erreichten wir den Eingang zum „Elysium“.

Es war dunkel, verrucht und verraucht, sie spielten einen meiner liebsten Songs. Als wir drinnen waren, stellte ich mich schützend vor ihn, sodass niemand sah, dass ich seinen Mund zugeklebt hatte.

„Jason...“, flüsterte ich, „Bitte mach jetzt nichts Falsches. Nur ein Wort und die Vampire stürzen sich auf dich, also mach keinen Mucks, ja?“

Jason sah ängstlich um sich und nickte zaghaft und als ich ihm das Tape vom Mund riss, verzog er schmerzverzerrt das Gesicht.

„Wenn du Monster vorhast, mich an sie auszuliefern, knallt Dean dich ab!“, flüsterte er diabolisch, ich ignorierte diesen Kommentar und wir gingen in Richtung Bar.

Phil war wieder damit beschäftigt, Gläser abzuwaschen, also setzten wir uns. „Du hast keine Ahnung, was ich für dich tue. Und Dean ist der Letzte, der dir helfen wird.“, er schien meine Worte jedoch zu ignorieren, wie ich seine zuvor.

„Was ist das für ein Laden hier?“, fragte er etwas ängstlich und schien einige Kundengesichter wieder zu erkennen.

„Im Moment der sicherste Ort für uns beide...“, gab ich zurück und lauschte dem nächsten Lied.

Jason rief Phil zu sich und ich erschrak innerlich. Er sollte doch den Mund nicht aufmachen!

„Ein Bier, bitte!“, Phil sah ihn an, erkannte ihn, lachte und machte sich daran, ihm seinen Wunsch zu erfüllen.

Ich stieß ihn von der Seite an und sah wütend in sein Gesicht. „Was ist denn? Darf ich mir jetzt nicht einmal einen Drink genehmen?“, fragte er mich fassungslos und nahm sein Getränk entgegen.

Phil kam zu mir, lachte noch einmal und nahm wohl an, dass er mein nächstes Opfer sein würde. Ich kam näher zu Jason. „Ich sagte doch, du sollst dich unauffällig verhalten...!“, doch er hörte mir wieder nicht zu, nippte an seiner Flasche und seufzte nur.

Um die Täuschung aufrecht zu erhalten, bat ich ihn lächelnd, mit mir tanzen zu gehen. Jason sah mich verwundert an und fürchtete sich wohl vor mir und der potentiellen Gefahr auf der Tanzfläche, doch ich schliff ihn einfach mit.

Ein guter Song und ich tanzte drauf los und auch Jason begann sich unsicher zu bewegen. „Was soll das hier?“, flüsterte er, als er dicht an meinem Ohr tanzte. Ich beobachtete währenddessen die Blicke der Anderen. Sie hatten erkannt, dass er ein Mensch war und vermutlich erkannten sie auch, dass er derjenige war, der ihnen immer Blut verkauft hatte, doch ich tanzte so nah bei ihm, dass ich jede mögliche bedrohliche Bewegung sofort erkannt und aufgehalten hätte.

Jason sah mich eindringlich an, immer noch auf eine Antwort wartend.

„Du musst mir vertrauen!“, flüsterte ich beim nächsten näheren Kontakt.

Er hatte keine Wahl und tat, wie ich ihm gesagt. Ein Fluchtversuch und jeder Vampir würde sich auf ihn stürzen und aussaugen wollen, nicht nur um einen leckeren Snack einnehmen zu können, sondern vor allem, um das „Elysium“ zu beschützen, die Maskerade zu bewahren.

Er schien das zu ahnen.

Als wir etwas getanzt hatten und ich auf die Uhr sah, wurde es langsam Zeit für die Vampire zu verschwinden. Keiner von ihnen hatte Lust bei Sonnenaufgang den Club verlassen zu müssen, in dem tödlichen Licht, vor dem sie sich alle fürchteten.

Ich schickte Jason zur zweiten Ebene, wo eine weitere menschliche Person auf jemanden wartete. Ich musste ihn kurz allein lassen.

Unten wieder angekommen machte ich mich zu Phil, dieser lächelte mir erneut entgegen. „Hast dir wohl jemand Neuen ausgeguckt. Hat die kleine Blonde dir nicht mehr gereicht?“, fragte Phil mich und die schrecklichen Bilder der Erinnerung taten ihre Wirkung. Ein eiskalter Schauer rannte meinen Rücken herunter. Ich schluckte und verdrängte den Gedanken so gut es eben ging.

Ein gestelltes Lächeln zurückgebend erkundigte ich mich nach der Clubbesitzerin: „Ist Annette da?“

„Sicher, sie ist oben. Hast du ihn etwa als Geschenk mitgebracht? Wenn ich mich nicht irre ist das doch der Typ aus der Blutbank, der gesucht wird, nicht wahr?“, Phil sah mich fragend an und ich nahm seine Geschichte einfach an: „Ja, sicher, er ist ein Geschenk für Annette. Hat wohl noch ein paar Vorräte, die er loswerden will.“

Der dicke Barkeeper freute sich sichtlich und wendete sich dann wieder seinen Kunden zu.

Ich ging nach oben, um nach Jason zu sehen, der sich angeregt mit dem Menschenmädchen unterhielt. Angst, er könnte etwas verraten haben, riss ich ihn weg von ihr. „Was machst du da?“

„Ach, das ist also die Freundin, von der du gesprochen hast!“, sie lächelte mir entgegen, doch ich achtete nicht auf sie, tadelte zunächst weiter Jason, erst nachdem sie den nächsten Satz aussprach, sah ich zu ihr: „Hm, dann hast du ja gefunden, nach wem du gesucht hast... und ich warte schon seit Stunden hier auf meine Schwester! Ob die auch nochmal irgendwann hier eintrifft?“

Mein Blick wanderte an Jason vorbei und ich betrachtete das Mädchen näher. Mich durchzuckte es erneut. Dieselben hellblauen Augen. Zwar hatte sie ihre Haare dunkel gefärbt, so schien es, aber es waren dieselben, hübschen blauen Augen der jungen Frau, die ich ermordet hatte.

Ich starrte sie eine Zeit lang an, unfähig mich zu bewegen, dann bemerkte ich Jasons skeptischen Blick. Ich riss mich zusammen, verabschiedete mich von ihr und sagte ihr, ich hoffte, sie würde nicht mehr allzu lange warten müssen, dann ließ ich Jason sich verabschieden und zerrte ihn mit mir.

„Ich glaub... Ich will es gar nicht wissen, richtig?“, fragte Jason im Gehen. Ich war überrascht über seine gute Auffassungsgabe und ließ meine Schweigen für mich antworten.

Nachdem ich den Knopf gedrückt hatte, fuhr der Lift herunter und wir stiegen ein. „Und wohin wollen wir nun? Jetzt weiß hier schonmal jeder, dass ich doch noch in der Stadt bin, also wozu das Ganze? Ich fühle mich nicht gerade sicher...“

Es überkam mich das Gefühl, dass meine Traurigkeit dem armen Wesen gegenüber, das ich gerissen hatte, wiederkehrte und meine Augen sich mit Tränen füllten, aber ich schluckte diese herunter, biss mir auf die Unterlippe bis ich bemerkte, wie sehr meine Vampirzähnchen schmerzten und ließ wieder von ihr ab.

„Nelly!?“, Jasons Stimme war eindringlich und riss mich aus meiner verlorenen Welt.

Heuchlerisch lächelnd sah ich ihn an: „Wenn sie uns nicht helfen kann, kann es keiner und ich hoffe, dass du eben nichts diesem Mädchen verraten hast, denn dann wäre das dein Untergang.“, die Tür vom Lift öffnete sich erneut und ich trat hinaus. Ich hatte Angst, Jason würde im Lift bleiben, schnell herunterfahren und einfach wegrennen, aber zu meiner Verwunderung und Erleichterung stieg er mit aus und ging behutsam hinter mir her. Seine Entscheidung.

Mein erstes Klopfen schien ungehört, doch nach meinem zweiten, lauterem Klopfen, hörte ich Schritte und die Tür zu Annettes Appartement öffnete sich. Die Clubbesitzerin selbst trat vor mich und schmunzelte.

„Na, Kleine. Hast du dich wieder gefangen? Sahst ja so elend aus, dass ich nicht anders konnte, als dir auf Kosten des Hauses einen Drink zu spendieren!“, Ich trat ein und Jason folgte mir.

„Was will der Kerl hier?“, sagte sie sofort als Jason mir folgen wollte. Sie stellte sich vor ihn und erkannte sofort seine menschliche Aura. Ihr Blick wurde erst finster und dann freudig strahlend. „Oh, du hast mir was mitgebracht!?“, doch ich schüttelte den Kopf. Ich wollte sie auf keinen Fall auch nur einige Sekunden davon ausgehen lassen, Jason sei ein Geschenk für sie, das sie aussaugen durfte.

„Gemein, na und warum hast du ihn dann hierher gebracht? Willst ihn wohl für dich...Na, was solls...“

Jason hatte die Nase voll und rief dazwischen: „Hey, ich bin hier niemandens Eigentum!“, sein Gesicht sah entschlossen aus, doch wir spürten seine Angst.

Annette lachte: „Den kannst du haben! Den will ich gar nicht!“, sie ging herüber zu ihrer Sitzecke und bot uns einen Platz an.

Jason gesellte sich sehr zögerlich zu uns. „Annette, das ist Jason. Er hat eigentlich seinen Mund zu halten!“, mein Blick verfinsterte sich, als ich ihn kurz ansah. „Wir sind hier mit einem Anliegen.“

Annette zündete sich eine Zigarette an und bat mir auch eine an, die ich zu meiner eigenen Verwunderung ablehnte. Jason bot sie keine an, sondern wendete sich nun nur noch mir zu.

„Das da wäre?“, fragte sie und inhalierte kräftig den Rauch.

„Wir bieten unsere Dienste an und im Gegenzug benötigen wir deinen Schutz.“, ich versuchte es mit einem Satz zu sagen.

Annette lachte gehässig und sah mir tief in die Augen. „Was sollte der mir schon für Dienste leisten können? Du, du kannst einiges für mich erledigen. Aber der kleine Mensch da drüben hat doch keine Ahnung. Aber er scheint dir irgendwie wichtig zu sein, also warum setzt du dich neuerdings für so welche ein?“

Mein Wesen blieb ruhig, doch Jason sprang erschrocken vom Stuhl auf.

„Heißt das...!? Ist sie etwa auch einer von denen??“, seine Augen hatte er weit aufgerissen und er sah mich panisch an.

Annette lächelte zufrieden. „Keine Sorge, ich habe natürlich die Tür verschlossen.“ Jason atmete schneller und schneller und sah sich in größter Not. Ich sah Annette etwas ärgerlich an: „Mach ihm keine Angst!“, dann ging ich herüber zu Jason, um ihn zu beruhigen.

„Falls es dir noch nicht aufgefallen ist, aber ausgenommen die kleine Blonde, deren Schwester ich in meiner Vampirraserei gestern kaltblütig ermordet habe, sind unten alle Clubgänger vampirischen Ursprungs!“

Jason sah mich verschreckt an, wusste aber, dass es kein Entrinnen gab, nicht jetzt und nicht hier, und sackte auf dem Boden zusammen. Er hatte wohl geahnt, dass es viele Vampire in diesen Club zog, hatte aber nie damit gerechnet, dass es so viele waren und nun schien er die Situation auch auf mich zu beziehen.

„Dann bist du doch wieder...“, ich unterbrach ihn: „Ja und nein, ich erkläre dir das noch. Du bist jetzt hier und ich bin hier und es ist der einzige Weg, dass wir es schaffen, wenn wir es gemeinsam schaffen, verstanden?“, doch Jason sah mich weiterhin so verschreckt an, bis Annettes Klatschen uns unterbrach. „Das ist so rührend!“, sie lachte und machte sich auf zu Jason.

„Dass ich das nicht gleich erkannt habe! Du bist der Blutverkäufer!“, sie schien nun voll euphorischer Freude.

„Ich bin quasi deine erste Kundin gewesen... du erinnerst dich vielleicht nicht mehr, aber es war vor ca. acht Jahren und damit zu meiner Anfangszeit hier in Santa Monica und ich wusste nicht, wie ich in dieser Stadt ungehindert Blut saugen sollte, weil es so viele Menschen und so wenige Vampire gab. Außerdem schien die Stadt voller Wissenden zu sein, was sich nun allmählich verändert hat, da wir die meisten von ihnen entweder umgebracht oder zu unseren gemacht haben. Aber wie dem auch sei, war ich damals die erste Vampirin, die deine Dienste in Anspruch genommen hat!“

Jason schien sich zu erinnern: „Du siehst noch genauso aus wie damals...“, gab er erstaunt zurück. „Ich habe dich gar nicht erkannt, dabei hast du dich nicht verändert. Du kamst zu mir und hast mir einen Haufen Geld angeboten und dann kamen Freunde von dir und dann deren Freunde und es wurden immer mehr...“, Jason hatte sich wieder beruhigt.

„Und nun ist die Polizei hinter ihm her!“, warf ich in das Gespräch.

„Verstehe...“, sagte Annette, nahm einen letzten Zug von ihrer Zigarette und drückte sie dann im Aschenbecher, auf dem „Elysium“ stand, aus.

„Dann soll auch er meinen Schutz in Anspruch nehmen. Aber denk dran, Mensch, wenn ich deine Hilfe benötige, musst du bereit sein. Du bist eine Verpflichtung eingegangen und auch wenn du mir in Vampirfragen keine Antwort geben kannst, so kannst du dich zum Beispiel gut in Menschenangelegenheiten einlenken oder dich als Köder anbieten. Sind wir im Geschäft?“, sie reichte mir die Hand und streckte sie dann Jason entgegen. Der wiederum sah mich ängstlich an und schüttelte daraufhin Annettes Hand. „Wenn es keine andere Möglichkeit gibt..., muss es wohl so sein.“

Kapitel 7 Ende.

Wir verließen den Club und machten uns auf ins Diner. Jason hatte seine Kapuze aufgesetzt und wir nahmen an einem der freien Tische Platz. Es war nicht viel los dort und Annette sagte uns beim Verlassen des „Elysiums“ es wäre der sicherste Ort zu dieser Uhrzeit, da kurz vor dem Morgengrauen immer ein Vampir dort nach dem Rechten sah, der für sie arbeitete.

Auch jetzt war es still und Jason konnte sich einen kleinen Imbiss genehmigen. „Wo bin ich da nur hineingeraten...“, sagte er wieder und nahm einen großen Bissen seines Burgers.

„Sag mal, wieso hast du den Deal angenommen? Wieso bist du mit mir zu Annette gekommen?“, fragte ich und Jason schlang seinen Bissen herunter. „Wie bitte? Du hast mich da doch mit hingeschliffen! Ich hatte doch überhaupt keine Wahl!“, er nahm noch einen großen Bissen und spülte das Ganze mit einer Coke herunter.

„Du hattest eine Wahl. Was ich meine ist, warum du nicht weggelaufen bist. Wir waren im 'Elysium' und ich hatte dich losgemacht. Du hättest fliehen können, aber du hast es nicht getan.“, ich sah nachdenklich auf meinen mit Kaffe gefüllten Becher, den ich mir nur geholt hatte, um meine Hände zu wärmen, die plötzlich immer kälter wurden.

„Warum bist du wieder ein Vampir? Warum hast du dich wieder beißen lassen?“

Ich schaute wieder auf. „Du kannst meine Frage nicht mit einer Gegenfrage abblocken!“, doch er widersprach: „Wie du siehst, kann ich das sehr wohl. Also, was ist passiert, Nelly?“

Meinen Namen zu hören war für mich irgendwie seltsam, weil ich selbst nicht mehr wusste, ob ich diese Person noch war. Meinen menschlichen Namen hatte ich vor Ewigkeiten abgelegt und mir den Namen Nelly gegeben, um meiner Vampiridentität wahren Ausdruck zu verleihen und um als Kopfgeldjäger nicht aufgefunden werden zu können, denn meine Adresse lief noch auf meinen menschlichen Namen. Und mal davon abgesehen, dass meine alte Wohnung nun nicht mehr mein zu Hause war, fragte ich mich, welch Frechheit Jason besaß, mich zu fragen, was ich mir selbst nicht erklären konnte.

„Ich glaube... du stehst auf den ganzen Vampirkram, nicht wahr?“, fragte ich ihn, ohne ihn eines Blickes zu würdigen und damit schien ich mitten ins Schwarze getroffen zu haben.

Er lachte und trank noch einen Schluck von seiner Coke. „Sicher, wenn man weiß, dass solche Dinge existieren, fragt man sich, wie weit man selbst in dieser Welt mitspielen kann, ohne gefährdet zu werden. Aber mir hatte es eigentlich gereicht ihnen nachts Blut zu verkaufen, um zu hören, was es Neues in ihrer Welt gab. Dass ich mich so weit in die Finsternis herabwagen würde, war ja eigentlich nicht geplant..., aber dann kamst du. Und irgendwie schien ich keine Wahl mehr zu haben. Du hast mir Angst gemacht, deshalb bin ich nicht weggelaufen und das machst du übrigens noch immer und so habe ich auch der anderen Vampirtussi aus dem Club eingewilligt.“

„Also aus purer Angst vor den Vampiren?“, ich wusste, dass es nicht stimmte, was er sagte, deshalb hakte ich nach.

„Was willst du hören? Dass ich Angst vor allen anderen Vampiren habe, außer dir? Ja, das ist wohl so und weil ich anscheinend nun auch alle anderen Menschen fürchten muss.“, dies machte mehr Sinn für mich, also ließ ich es dabei beruhen.

„Und was ist nun mit dir? Wieso hast du dich wieder beißen lassen? War dir die Menschlichkeit so zuwider?“, als er mich fragte, biss er noch einmal vom Burger ab und schob den Rest danach beiseite.

„Im Ãœbrigen bin ich kein Vampir mehr. Ich habe mich nicht wieder beißen lassen, aber was auch immer mit mir passiert ist, hat mich irgendwie wieder vampirisch gemacht. Nachdem ich von einem himmlischen Wesen getrunken hatte, veränderte sich irgendetwas in mir. Ich weiß aber nur, dass ich kein Vampir mehr bin..., aber auch kein Mensch.“, und in jenem Moment, in dem ich es sagte, bemerkte ich, dass es zwischen den Wolken langsam heller wurde.

„Gruselig!“, kam es gespielt erschreckt von Jason. „Es gibt nur eine Möglichkeit herauszukriegen, ob du ein Vampir bist oder nicht.“, sagte er und ich sah ihn nervös an, da ich gerade an dasselbe gedacht hatte, wie er und mich doch fragte, ob er mich wirklich der Gefahr des Sonnenlichts aussetzen wollte.

„Also, was sagst du?“, wollte er wissen und hörte auf zu kauen, doch ich wusste keine Antwort und stand einfach auf.

Ich bezahlte meinen nicht getrunkenen Kaffee und machte mich auf den Weg zur Tür, Jason eilte mir nach.

„Wenn mich das Sonnenlicht zerstört, bist du auf dich allein gestellt und ich bezweifle, dass du es allein schaffst, was Annette von dir verlangen wird.“ Ich stand in der Tür und sprach weiter. „Ihr sind Menschen egal. Nur weil du der Erste warst, von dem sie Blut gekauft hat, wird sie nicht einen Freund in dir sehen. Täusche dich nicht, wir sind noch immer aufeinander angewiesen.“, meine Worte klangen so, als wollte ich, dass es so war. Ich wollte nicht verglühen, aber vor allem wollte ich nicht Jason in dieser Situation alleine lassen. Ich hatte ihn da hineingebracht, ich würde ihm da auch wieder heraus helfen, sobald die Sache mit Dean und der Polizei erledigt war.

Jason ging an mir vorbei und trat zur Tür hinaus. „Dann müssen wir zur leeren Hütte am Strand.“ Ich willigte ein und so machten wir uns auf den Weg zum zweiten Ort, den uns Annette empfohlen hatte und blieben in der vampiroptimierten, sonnenversperrenden Wohnung, um auf einen Anruf von unserer Auftraggeberin zu warten.

 

Als wir dort so saßen und warteten, beobachtete ich, ob ich mich möglicherweise aufgrund der Zeit wieder zum Menschen verändern würde oder ob es ein Indiz dafür gab, dass ich nun endgültig wieder ein Vampir war.

Dort in der kleinen Hütte stolperte Jason aufgrund der Dunkelheit immer und immer wieder an Möbelstücken vorbei und stieß wieder und wieder einen Klageschrei aus.

Jason tastete sich den Weg zur Küche vor und sah nach, ob etwas Essbares oder Ähnliches sich darin befand. An der Wand lehnend, bemerkte ich, wie etwas von hinten auf mich zuflog, drehte mich blitzschnell zur Küche um und fing den Blutbeutel auf, den mir Jason ohne ein Wort zugeworfen hatte. „Gutes Reaktionsvermögen habt ihr Blutsauger ja...“, er hatte wohl am Geräusch erkannt, dass ich den Gegenstand rein intuitiv gefangen hatte.

Ja, er hatte Recht, Reaktionszeit der Vampire war etwas, in dem sie jedem Menschen und jedem Tier etwas voraus hatten. Dank der besonders ausgeprägten Sinneswahrnehmung; von der ich das Gefühl hatte, dass sie kam und mich wieder verließ, wie sie es wollte; war die Reaktion eines Vampirs extrem schnell und daher extrem gefährlich. Nur in einem anderen Vampir sahen wir einen wirklichen Gegner. Menschen hatten Feuerwaffen, die uns umbringen konnten, aber sie waren zu langsam, sie zu ihrem Vorteil zu nutzen. Das war vielleicht auch der Grund, warum viele Rassen und Clans der Vampire sich als eine Art „höhere Macht“ ansahen und Menschen zum Vergnügen ermordeten und die Maskerade brachen, weil sie jegliche Konsequenzen nicht interessierte.

So zB. Waren die Nosferatu, aber ich hingegen war anders. Von vornherein war mir wichtig, mich gut an das zweite Leben, das mir gegeben wurde, anzupassen. Regeln zählten für mich dazu. Die Maskerade einzuhalten und damit unsere Existenz zu bewahren, war für mich eins der wichtigsten Dinge, die ich von meinem Clan lernte, aber auch erst lernen musste.

Wer als Vampir einmal sich in Raserei befunden hat, weiß, wie es ist, Kontrolle zu verlieren, Fehler zu machen, die man nicht einmal verantworten kann, da man keinen Einfluss hat. Als ich nach meiner ersten Raserei zur Anfangszeit meines Vampirdaseins darüber aufgeklärt wurde, was ich war und welche Regeln bestanden, hatte ich vor, niemals wieder so die Kontrolle über mich zu verlieren.

Aber gestern war es wieder passiert. Ich hatte das hübsche, blonde Mädchen brutal ermordet und das lag mir noch immer schwer auf der Seele.

Obwohl ich mir nun nicht einmal mehr sicher sein konnte, dass ich noch so etwas wie eine Seele besaß; denn als Wesen der Nacht war man seelenlos und es war mir ein Rätsel, wie man nach seinem Tod und der Geburt als Vampir noch einmal menschlich sein konnte; war es mir wichtig an die Grundprinzipien festzuhalten. Aber mir war es vergönnt gewesen noch einmal das Gefühl zu besitzen, eine Seele zu haben. Und wenn es auch nur für einen Tag war. Die Schönheit des Sonnenlichtes würde ich so schnell nicht wieder vergessen.

Mittlerweile auf einem der Sessel sitzend öffnete ich meinen Blutbeutel und trank einige Schlücke daraus.

Alles hatte begonnen als mir das wundersame Himmelswesen über den Weg gelaufen war und ich, wie in Raserei, mich auf es gestürzt und bis fast aufs Letzte ausgetrunken hatte.

Wäre das nicht passiert, würde ich ein ganz normaler Vampir mit ganz normalen Vampirproblemen sein. Vielleicht lag die Schuld aber doch an meinem früheren Leben, so naiv und gutgläubig wie ich war, hatte ich mich letztendlich den Vampiren quasi freiwillig hingegeben. Aber das war nun egal, ich musste irgendwie mit dieser neuen Situation fertig werden und ich würde mich schon wieder daran gewöhnen können, wie zu meiner Anfangszeit, nur aus Blutbeuteln zu trinken. Schließlich könnte ich bei zu wenig Blut in mir leicht wieder dem vampirischen Urinstinkt verfallen und jemanden anfallen ohne Kontrolle über mich selbst und dieser Jemand konnte Jason sein.

Und das wollte ich natürlich nicht. Genauso wenig aber wollte ich, dass er mitansehen musste, wie ich mich über einen anderen Menschen beugen und ihn aussaugen würde. Also musste ich mich auf den Blutvorrat im Kühlschrank zunächst einmal verlassen.

Jason switchte den Fernseher an. In den Nachrichten kam ein Bericht über seltsame Todesfälle im Hotel von Santa Monica. Überall Blutlachen und nirgens einen Hinweis auf Fremdeinfluss oder Selbstmordversuche, die Opfer bluteten einfach aus. Wer diese Schweinerei wegmachen musste, tat mir jetzt schon Leid und ich wüsste genau, welche Wesen sich dieser gerne annehmen würden, wenn keiner hinsah. Aber über die dreckigen Unterwesen der Vampirrassen, wie die Nosferatu, wollte ich mir jetzt keine Gedanken machen. Auch die rätselhaften Tode gingen über meine Synapsen ins Hirn, aber vermochten sich nicht lange dort aufzuhalten und wurden somit mit einem Seufzer von mir wieder in den Raum hinausgestreut.

„Wenn es Vampire gibt, gibt es doch auch sicherlich viele andere Wesen, von denen man auch immer gedacht hatte, sie seien Fiktion oder?“, fragte mich Jason plötzlich. Ich dachte eine Weile darüber nach, da ich über nicht viel andere Wesen Bescheid wusste und mich das auch nie so richtig gefragt hatte.

„Ja, es gibt schon ein paar andere Wesen...“, meine Antwort klang genauso lustlos, wie es mir auch erging bei dem Thema. Doch Jason schien ganz wissbegierig zu sein: „Welche Wesen denn? Gibt es auch Meerjungfrauen? Und Zwerge? Was ist mit Engeln?“

Ich stand auf, switchte den Fernseher wieder aus und sah Jason wütend an, der durch die Dunkelheit vermutlich nicht erahnen konnte, wie sehr es mir widerstrebte darüber zu sprechen, besonders über Engelswesen, die mich sofort an Seraphim erinnerten.

„Vampire sind Realität! Und das sollte für dich zunächst einmal an höchster Stelle stehen! Sie sind nun unsere Feinde, also frag nicht weiter, welche anderen, schnuckeligen Wesen deinen Arsch retten könnten, denn das kannst nur du selbst!“, ich verließ, von mir selbst überrascht, wie wütend ich war, den Raum und trat in die Küche. Dort ließ ich mich nieder und sah zum Fenster, vor das, wie in meiner Wohnung zuvor, Bretter genagelt waren.

Zwei der Holzbretter ließen einen kleinen Lichtschein hindurch und ich beobachtete, wohin dieser Lichtschein führte bis zu einem kleinen Fleck vor mir auf dem Boden.

Jason folgte mir nach einigen Minuten, er war vermutlich irritiert, weshalb ich so zornig gewesen war und stand dann in der Tür zur Küche, mich beobachtend. Er glaubte wohl, ich hätte ihn nicht bemerkt.

Ich kniete mich hin und robbte auf dem Boden auf den winzigen Lichtschein des Sonnenaufgangs zu. Jason wollte mich aufhalten, machte erst einen Schritt vor, doch dann ging er wieder zurück , verschränkte seine Arme und sah mir wieder gespannt zu.

Ich ließ meine Finger sanft über den Boden gleiten, immer weiter auf den Lichtschein zu, jedoch sehr behutsam und vorsichtig. Das Gerede über die Engelswesen und anderen Märchen wich aus meinen Gedanken.

Mein Atem wurde schneller. Ich bemerkte meine Angst. Meine Augen begannen schmaler zu werden und ich konzentrierte mich auf die vielleicht 2 cm große Lichtfläche und führte meinen Zeigefinger weiter darauf zu. Wenn mich der Lichtschein traf, wer wüsste ob ich nicht mindestens meine Hand verlieren würde? Mein Mut kehrte wieder und ich spreizte meine gesamte Hand aus, um nach dem Licht zu greifen, doch plötzlich klingelte das Telefon und Jason und ich schraken zusammen.

Ich zog meine Finger zurück, atmete erleichtert aus, stand auf und wartete darauf, dass Jason ans Telefon ging.

Ich hörte seine Stimme, die das Gespräch annahm und ließ mich wieder auf meinen Stuhl nieder.

Nach nur wenigen Sekunden kam Jason zurück in die Küche und nahm sich Deans Pistole, die wir mitgenommen hatten, vom Tisch.

„Annette hat einen Auftrag.“, sagte er trocken und zog seine Jacke über. Ich sah währenddessen auf die Uhr und beäugte ihn skeptisch. „Ja, sicher hat sie das, aber das kann warten. Wir haben noch nicht einmal Mittag und zu dieser Zeit...“, doch Jason unterbrach mich: „Der Auftrag ist für mich.“, er hielt inne und wartete meine Reaktion ab.

Ich sah ihn eine Zeit lang an, seufzte genervt, ging dann zum Telefon und wählte die Nummer von Annette. Ich nahm an, Jason wartete in der Küche, doch ich hörte, dass seine Schritte sich aus dem Haus bewegten und die Vordertür zugefallen war und ließ den Hörer einfach fallen, weil er einfach weggerannt war.

„Hey! Jason! Wo willst du hin?“, ich schrie fast und blieb vor der Tür stehen aus Angst vor dem Sonnenlicht, das sich dahinter verbarg.

„Was fällt dir ein einfach abzuhauen!?“, ich wurde hysterisch und schlug gegen die Wand, danach eilte ich zurück zum Telefon.

Annette war schon am Apparat: „Liebes, warum lässt du mich denn warten? Du hast doch angerufen.“, sie kicherte.

„Wo ist Jason hingegangen? Was für einen Auftrag hast du für ihn? Wo will er hin?“, fragte ich energisch, doch auf der anderen Seite der Leitung hörte ich wieder nur ein Kichern. „Annette, wo ist er???“, rief ich ins Telefon, sehr eindringlich.

„Ganz ruhig Schätzchen. Jason ist ein Mensch, wie du weißt... und Menschen müssen sich erst einmal beweisen...!“, ich traute meinen Ohren nicht und ahnte schon das Schlimmste. „Du hast ihm deinen Schutz versprochen, Annette! Wenn ihm etwas geschieht, dann...“, wieder konnte ich meinen Satz nicht zu Ende bringen: „Dann was, Nelly? Du stehst bis zu den Knien in Scheiße! Und ich bin die Einzige, die dir da heraus helfen kann. Außerdem schuldest du mir was... Und jetzt mach dir keine Sorgen um das Menschchen, ihm wird schon nichts passieren. Mach dir lieber mal Sorgen um dich, denn du wirkst irgendwie nicht mehr wie du selbst. Frag dich nicht, was mit ihm geschehen wird, ihm wird es nach seinem Auftrag wesentlich besser gehen... Frag dich lieber, was du bist und was dir wichtig sein sollte und das sind wir Vampire!“, Ihre Stimme drang in meinen Kopf und ihre Worte wurden lauter: „...ihm wird es nach seinem Auftrag wesentlich besser gehen...“, hatte sie etwa vor...? Wollte sie ihn etwa...?

„Annette! Was hast du vor? Willst du aus Jason einen Vampir machen??“, nach einer kurzen Pause schrie ich ins Telefon: „Antworte mir!“, doch die Clubbesitzerin und damit eine der mächtigsten Vampire Santa Monicas lachte nur und legte dann den Hörer auf.

Ich kochte vor Wut! Ich wollte Jason da heraus helfen, er wusste ja nicht, in welcher Gefahr er war, doch ich konnte nichts tun, als zu warten.

Jasons Leben war in Gefahr und es war allein meine Schuld, wie das Mädchen, das ich eigenhändig ermordet hatte ohne Grund, so hatte ich ein weiteres Leben in Gefahr gebracht und es war aussichtslos, denn niemand konnte ihm nun helfen. Ich war hier eingesperrt und Jason sah vermutlich in wenigen Minuten seinem Ende entgegen. Was sollte ich tun?

Kapitel 8 Ende.

Ich ging in der Hütte auf und ab und stieß immer wieder aus Wut irgendetwas um. Sicherlich war das Vampirdasein nicht das Ende, aber es war ein völlig anderer Anfang eines Lebens. Es war grausam und hart und Jason war trotz seines Vorwissens dieser Welt einfach nicht gewachsen. Ich konnte nicht fassen, was Annette ihm antun wollte!

Immer schneller werdend, wirbelte ich von einem Raum zum Nächsten.

Es gab kein Entrinnen. Selbst wenn sich das Wetter so stark verdunkeln würde, dass die Sonne für andere fast nicht mehr zu sehen war, so war es für einen Vampir unmöglich einen Sonnenstrahl ohne Schmerzen zu erdulden, welcher bis zum endgültigen Tode führen könnte.

Ich schrie herum und zerschmetterte vor Wut einen Stuhl. Wie konnte Jason nur so dumm sein und diesen Auftrag ohne mich annehmen?

In Gedanken versunken, die mir zeigten, welch grausames Schicksal es mit ihm nehmen könnte, sah ich mich plötzlich wieder vor der Tür stehen.

Ich umfasste den Türknauf und hörte mein Herz so laut pochen, dass ich dachte, es würde jeden Moment aus meiner Brust springen.

Was, wenn ich nun durch diese Tür trat? Wollte ich mein unendliches Leben für einen Menschen wirklich aufs Spiel setzen?

Auf der anderen Seite: Ich hörte mein Herz, ich hörte es schlagen, obwohl es schon seit vielen Jahren nicht mehr schlagen durfte.

Ich wusste nicht, warum, aber dieser Mensch war mir nicht unwichtig und ich konnte ihn jetzt nicht einfach sterben lassen. Ich wusste genau, wie sich das anfühlte. Es war ein grausamer Schmerz, wenn das Gift sich verteilte und man diese grausames Stechen im Inneren des Körpers sich wie eine Welle ausbreiten spürte. Ich wollte nicht, dass das mit Jason passierte. Nicht Jason!

Zitternd drehte ich den Türknauf herum. Ich atmete so schnell, dass ich fürchtete wie damals als kleines Mädchen einfach umzukippen. Mir war einfach schwarz vor den Augen geworden.

Aber wenn ich nichts unternahm, war Jason derjenige, der bald schwarz vor Augen sah...

Ich atmete tief ein und wieder aus. Ich nahm all meinen Mut zusammen. Vielleicht war diese Menschlichkeit in mir noch vorhanden. Ich betete, zum ersten Mal seit mindestens 10 Jahren. Ich betete die höhere Macht an, nicht mich zu verschonen, aber ihn. Mein Leben hatte sich erledigt. Ich hatte keine Freunde mehr, musste das Tier in mir unter Kontrolle bringen und war unfähig Gefühle zu entwickeln.

Aber für diesen Menschen fing das Leben gerade erst an. Nur weil er sich irgendwie in diese Szene eingefunden hatte, sollte das nicht sein Untergang werden. Das hatte er nicht verdient. Er war viel zu gütig. Zu verletzlich für diese grausame Welt...

Ein weiteres Mal atmete ich tief ein. Und hielt die Luft an.

Gerade als ich den Mut gefasst hatte, die Tür wirklich aufzuziehen, stach etwas in meinem Mund. Ich ließ den Türknauf los und fasste mir mit den Fingern über meine Vorderzähne. Ich verzog mein Gesicht. Was passierte da? Meine Zähne schrumpften erneut! Zumindest fühlte es sich so an.

Und so fasste ich meinen Entschluss... für Jason... und trat die Tür mit einem Male ein!

Das Sonnenlicht traf mich mitten ins Gesicht. Es brannte, aber das Gefühl verging sofort wieder und ich sah mich ein zweites Mal im Sonnenlicht stehen, ohne zu verglühen.

„Jason!“, flüsterte ich rasch und eilte los, dabei wusste ich nicht einmal, wohin ich überhaupt laufen sollte. Das einzige, was er gesagt hatte, war, dass es sein Auftrag war. Und Annette hatte mich ermahnt, ich solle mich mehr um unsere Rasse kümmern.

Gott, habe ich dir schon dafür gedankt, dass ich noch lebe und ihn möglicherweise noch retten kann?

Und Gott, fühlt sich dieses Sonnenlicht nicht wahnsinnig gut an?

 

Ich raste orientierungslos davon. Hätte ich bloß meine vampirischen Sinne, die sich abermals verabschiedeten, dann könnte ich ihn vermutlich durch seinen Geruch aufspüren. Aber je mehr ich mich anstrengte, mich auf ihn zu konzentrieren, desto weniger vermochte es zu funktionieren.

Ich blieb irgendwann an einer Kreuzung verzweifelt stehen und schrie einfach los: „Jason, du rennst in dein Unglück!... Wo steckst du bloß???“

Mir fielen die Blicke der Menschen auf, aber es war mir egal, was sie von mir dachten. Sie kannten die Umstände nicht. Sie kannten mich nicht. Uns Vampire nicht und was sie den Menschen antun konnten, wenn sie wollten. Und meistens wollten sie das. Aber heimlich taten sie es. Das war unsere Spezialität. Schnell und heimlich töten, aber mit Stil.

Aber sicher! Heimlich! Auch Jason musste sich still verhalten, um nicht aufzufallen, denn die Polizei suchte noch immer nach ihm und es war mitten am Tag.

Ich lachte. Es wäre so viel einfacher gewesen, wenn Jason damals einfach die Stadt verlassen hätte. Ich fasste einen neuen Entschluss. Wenn ich Jason gefunden hatte und er noch am Leben war, dann würde ich ihn fort bringen. Weit, weit weg von hier. Außer Gefahr bringen. Er sagt mir einfach, was wichtig für ein Menschenleben heutzutage wäre und dann wärs das. Oder ich würde es auch selbst herausfinden. Ich würde ihn nicht herausfordern sein Leben nochmals in Gefahr zu bringen, sollte er noch am Leben sein.

Aber so viel Zeit hatte ich noch nicht verloren. Ich musste nur herausfinden, wo er hingegangen war. Wo dieser verdammte Treffpunkt war.

Er konnte überall sein, aber ich hatte die große Befürchtung, sie würden sich im „Elysium“ selbst treffen. Damit wäre sein Schicksal besiegelt.

In dem Club befand sich mit Sicherheit kein einziger Mensch und wenn es einen gab, dann hatte er nicht mehr lange zu leben.

Zum ersten Mal, als ich an dieser Kreuzung angekommen war, machte sich ein Gefühl in mir lautstark bemerkbar. Ich schluckte. Atmete hektisch und ängstlich. Traurigkeit...

Meine Finger strichen unter den Augen entlang, um die Tränen aufzufangen. Auf der einen Seite fühlte ich diese Trauer und Angst um Jason so echt an und auf der anderen Seite sah ein Teil in mir zu, wie dieser technische Vorgang von Statten ging. Es war faszinierend. Wie lange hatte ich nicht mehr geweint? Und wie oft hatte ich es damals getan, vor dem Blutkuss?

Ich war bestimmt kein Vampir mehr. Dessen war ich mir nun endgültig bewusst. Ich war auch kein Mensch, aber vielleicht etwas dazwischen. Und dieses Wesen dazwischen würde nun den Vampiren im „Elysium“ in den Arsch treten!

 

Ich öffnete die Tür zum Elysium und konnte erkennen, dass die Vampire über meinen Besuch sehr erfreut waren, da sie mich als Menschen sahen.

Vorsichtig trat ich näher und hielt Ausschau nach Jason. Einige Männer tanzten auf der Tanzfläche, also ging ich eine Treppe nach oben, um von dort aus einen guten Blick über den Club und die Tanzfläche zu haben.

Gierig folgten mir zwei Frischvampire, die sich wohl in ihrem Kopf schon ausmalten, wie mein Blut schmecken würde. Aber diese Gelegenheit würden sie niemals bekommen.

Mein Blut war etwas Besonderes, das ich mit niemandem teilen wollte. Nicht, weil ich so stolz darauf war, sondern weil es ein schlimmerer Fluch war, als der Vampirfluch selbst es schon war.

Nicht tot zu sein, aber auch nicht zu leben, das war mit Abstand das Schlimmste. Und keiner hier ahnte etwas davon.

Obwohl es bereits tagsüber war, schienen die Vampire sich hier in Scharen zu versammeln. Ich kannte diese Tage. Es war eine Art „Sonderangebot“ der Clubbesitzerin Annette. Sie ließ den Schuppen bis zur nächsten Nacht offen und lud einige Menschlein ein, um ihren Kunden einen gewissen Service zu bieten...

Verdammt, ich fand ihn einfach nicht! Was, wenn er doch nicht hier war? Sah er nun wohl schon seinem Tode entgegen?

Dann plötzlich packte mich eine Hand an meiner und zog mich in die Dunkelheit. Ich fauchte, wie es nur ein Vampir konnte. Die vampirischen Instinkte ließen sich anscheinend nicht abschütteln.

Der Mann an meiner Hand fauchte schwach zurück und gab mir einen Kuss auf den Mund. Relativ schnell löste er seinen Mund wieder und blickte mich an. „Jason...“, flüsterte ich regungslos und fuhr mir mit zwei Fingern über die Lippen.

Jason schmunzelte, nahm einmal kurz seine Sonnenbrille ab und kramte dann aus seiner Tasche seine Zigaretten, zündete sich eine an und bließ mir den Rauch entgegen und sah sich anschließend im Raum um.

„Es ist nett hier... Beinahe wie beim letzten Mal.“, sagte er dann und ich stand noch immer da und wusste nicht, was ich sagen sollte. Dann endlich konnte ich mich wieder regen, aber das Gefühl des Kusses verweilte noch eine ganze Weile in mir.

„Was ist passiert!?“, fragte ich eindringlich, obwohl ich wusste, dass aus ihm wenigstens kein Vampir geworden war.

Er zog eine Karte aus seiner Jacke, auf der eine Adresse stand. Er ließ mich einen Blick auf sie werfen und schnappte sie sich dann wieder, um sie erneut in seiner Jacke zu verstauen.

„Kennst du Bajon? Das ist Annettes Schwester! Wer hätte gedacht, dass die beide den Club leiten!?“, er schien amüsiert, doch ich war einfach nur froh, dass er mit Bajon und nicht mit Annette gesprochen hatte.

Sie war wesentlich vernünftiger. Vielleicht konnte man ihr besser trauen als Annette. Aber auch bei ihr wäre ich vorsichtig. Besonders als Mensch.

„Um was hat sie dich gebeten?“, ich wollte sagen, wie froh ich darüber war, dass ihm nichts zugestoßen war, aber ich brachte es irgendwie nicht übers Herz.

„Hey, ich sagte doch: das ist mein Job! Was machst du überhaupt hier? Bist du durch die Kanalisation gekrochen oder wie hast du es hierher geschafft?“, er zog erneut an seiner Zigarette, aber nur ich bemerkte den Vampir, der uns von der anderen Seite belauschte.

„Kleiner Ghul, du hast ja keine Ahnung!“, lachte ich und Jason sah mich verwirrt an, machte aber keine Anstalten. Ich schlug ihm kräftig auf die Schulter und drängte ihn in Richtung Ausgang. „Du musst noch viel lernen, Frischlingsghul! Ich als Profighul werde dir das wohl nochmal erklären müssen. Naja, lass uns mal losziehen und nach ihm suchen, damit wir unser Blut bekommen, das uns aufpeppt!“

Jasons Blick wanderte zu einem der Spiegel und er bemerkte nun auch den Kerl, der an der Wand gelehnt stand und uns beobachtete.

„Dann lass uns!“, sagte er ein wenig ängstlich, aber zustimmend.

Ich drehte mich zur Treppe und umfasste das Treppengeländer, ich wollte so schnell wie möglich hier verschwinden. Jason folgte mir, doch gerade als ich einen Schritt heruntermachen wollte, stand dieser Mann vor uns, der uns eben noch beobachtet hatte, griff nach meiner Hand und benutzte die andere, um meine Wange zu streichen. Mir schoss das Blut in die Wangen. Ich ahnte, was er vorhatte. Je näher er mir kam und je mehr mein Blut sich bewegen würde, desto mehr könnte er allein durch seinen Geruchssinn über mein Blut herausfinden.

Nicht jeder Vampir hat diese Fähigkeiten, aber er war eindeutig vom Clan der Toreador und diese beherrschten diese Fähigkeit zu gut und konnten sich zusätzlich ziemlich schnell bewegen, was mir erneut Angst einjagte.

Jason blieb hinter mir. Gut so, dachte ich mir.

„Lass uns passieren!“, sagte ich ruhig, aber energisch.

Der Vampir hatte hellblonde Haare und ein für Menschen verführerischen Anblick: ein so makelloses Gesicht und seine graublauen Augen stachen einem besonders entgegen. Ein bisschen hatte er mich an Shelly erinnert, die genauso bezaubernd ausgesehen hatte.

Er lächelte mich verführerisch an. Ich musste zugeben: etwas an ihm machte Eindruck auf mich. Aber das Wissen darüber, das es nur seine vampirische Natur war, die es ihm erleichterte sich unauffällig unter den Menschen zu verstecken und um damit leichter Opfer anlocken zu können, gab mir das Gefühl von Kontrolle über diese Situation zurück.

„Ich hoffe wir seh'n uns bald mal wieder...!“, er zwinkerte mir zu und ließ uns dann weitergehen, worüber ich sehr dankbar war, dass er uns anscheinend doch nicht für einen von Annette besorgten Snacks hielt.

Als ich auf der Hälfte der Treppe angekommen war, da hörte ich seine Stimme erneut, doch sie flüsterte und sie schien nur in meinem Kopf zu sein, denn Jason hielt seinen Blick auf die Tanzfläche gerichtet, die Tänzerinnen beobachtend. „...Glaub mir, wir werden uns ganz bestimmt wiedersehen!“

Ich drehte mich noch einmal um, um nach dem Vampir zu sehen, doch er war nicht mehr in Sichtweite. Vermutlich war er in blitzschneller Geschwindigkeit davongedüst.

Wir beeilten uns zum Ausgang zu kommen, standen letztendlich draußen vor der Eingangstür und ich seufzte tief und erleichtert, weil wir es lebend (ich mehr oder weniger lebend wenigstens) geschafft hatten.

Zwar spukte mir der Toreador noch in meinem Kopf herum und erst Recht seine Worte, aber ich verschwieg sie vor Jason und wir machten uns gemeinsam auf.

„Ich finde es gut, dass du bei mir bist...“, sagte Jason plötzlich leise, aber doch so, dass ich ihn hören konnte. Und ich teilte seine Meinung. Irgendwie hatte ich meinen Entschluss, ihn zu retten, überdacht. Ich wusste, er würde diesen Auftrag erfüllen wollen und ich könnte nichts tun, was ihn umstimmte. Und da ich nicht wollte, dass ihm etwas zustieß, beschloss ich, bei ihm zu bleiben.

Kapitel 9 Ende.

Die Sonne schien wieder hinter einigen Wolken verschwunden zu sein, aber es war dennoch hell genug für mich, um das Leben zu genießen.

Ocean House. Das war unsere nächste Adresse. Bajon hatte von Jason verlangt, er solle in das leerstehende Hotel einbrechen und einen persönlichen Gegenstand einer der früheren Besitzer stehlen. Jason hatte natürlich nicht nachgefragt, warum er dies tun sollte, aber er schien auch noch nie etwas über das Ocean House gehört zu haben, denn es stand nicht umsonst einfach leer.

Jeder Vampir der Gegend war sich im Klaren darüber, dass die Gerüchte der heimlichen und unsichtbaren Bewohner des Hauses nicht einfach bloß Gerüchte waren.

Wir stiegen in die U-Bahn und zum ersten Mal setzte Jason seine blöde Mütze ab, die er schon im Elysium getragen hatte und auf der Straße hierher, nur, um nicht als Jason erkannt zu werden.

„...Ich bin schonmal wo eingebrochen...!“, sagte er plötzlich und ich musste mir das Lachen sehr verkneifen.

Vermutlich bemerkte er mein Grinsen und fügte hinzu: „Damals auf der High School haben ein paar Freunde und ich den Lieblingssessel unserer Lehrerin entwendet. Du hättest ihr Gesicht sehen sollen, als sie nach Hause kam, um nach einem langem, anstrengenden Tag sich genüsslich in ihren Sessel zu pflanzen! Sie war ganz außer sich als sie nichts als ein hellerer Teppichfleck anstarrte, der von ihrem Prachtsessel über war!“

Ich sah ihn an und lachte einfach drauf los. Es war etwas an ihm, das ich einfach zu witzig fand. Es war nicht einmal die Tatsache, dass er so unerfahren und tollpatschig war oder weil er so seltsame Dinge erzählte, nur um überhaupt etwas zu sagen. Mir gefiel seine naive Art. Er hatte Interesse gegenüber den Blutsaugern bewiesen. Aber er stürzte sich auf ein Abenteuer, das ihm eindeutig über den Kopf wuchs. Und trotzdem. Ich war froh mit ihm hier zu sein. Einerseits, weil ich mittlerweile glaubte mit niemand anderem dieses Abenteuer bestehen zu können und weil er in mir eine Art Beschützerinstinkt geweckt hatte und ich nun die Chance hatte, ihn zu retten.

Die Bahn wurde schneller und schneller und ich sah hinaus in die Dunkelheit. Durch die Kanalisation wäre es zwar schneller gegangen, aber wir wollten uns keiner unnötigen Gefahr aussetzen.

„Steht das Hotel auch wirklich leer oder sollen wir uns lieber Waffen oder so besorgen? Also nur für den Fall?“, fragte Jason. Er machte den Anschein, als wäre er etwas nervös, was mich erneut schmunzeln ließ.

Womöglich hatte er doch davon gehört, was es mit dem Haus auf sich hatte.

Es war unsere Station, die durch die Lautsprecher summte und ich stand auf. Jason folgte mir, ohne eine Antwort bekommen zu haben.

Reflexartig nahm ich seine Hand in der Menschenmenge und zum ersten Mal kamen mir die Bewegungen der Menschen erneut wie in Zeitlupe vor.

Ja, die Vampirwahrnehmung kehrte zurück!

Jason machte keine Anstalten und versuchte sich meiner Geschwindigkeit, die schneller und schneller wurde, anzupassen. Bald jedoch ließ er sich einfach an meiner Hand hinterherziehen, was für mich angenehm war, da ich mir einen Weg durch die Menschen bahnen konnte, ohne sie zu berühren. Wir waren nicht schnell, aber wir waren exakt, da ich alles im Blick hatte und mein Blick schien sich noch mehr zu verändern, denn je dünkler es in der U-Bahn-Station wurde, desto besser konnte ich mir den Weg durch die Lebenden bahnen.

In wenigen Minuten hatten wir es hinausgeschafft und schon im Untergrund hatten meine Ohren das Geräusch des Regens angekündigt.

„Oh nein, wieso regnet es jetzt? Das musste ja kommen!“, sagte Jason beim Hinausgehen und stülpte seine Jacke über seinen Kopf. Seine dämliche Mütze hatte er wohl (zu meiner Freude) in der U-Bahn vergessen.

Wir gingen die Straße entlang und ich machte Halt an einer Straßenecke. Jason folgte mir, den Regen verfluchend.

„Also wo geht’s jetzt hin? Waffen besorgen? Oder gleich in das Hotel spazieren und es hinter uns bringen?“

Ich bog um die Ecke und Jason versuchte mir eilig zu folgen. Dort blieb ich stehen und packte ihn ruckartig am Arm.

„Du hast noch nie etwas vom Ocean House gehört oder?“, wollte ich nun endlich wissen und sein beschämter Blick verriet mir, dass ich Recht hatte. „Was muss man da wissen? Es ist ein leerstehendes Haus und ich soll einen Gegenstand mitbringen. Ganz egal welchen, hat sie sie gesagt. Hauptsache persönlich!“, entgegnete er und wich mir aus, indem er weiterging.

Ich seufzte und lächelte in mich hinein.

„Ja, du hast Recht. Es ist dein Auftrag. Ich lasse dich das machen...“, murmelte ich und wir gingen die Fair Street hinunter und machten nach einigen Minuten Dauerregens Halt vor einem großen Gebäude, das sehr heruntergekommen aussah.

Zufrieden betrachtete Jason die offenstehende Pforte zum Gelände und sah sich rasch um, dass uns keiner beobachtete, winkte mir dann zu und glitt durch das Tor. Ich folgte ihm schweigend und wusste uns würde niemand sehen.

Jason war so frohen Mutes, dass es mir das Herz brechen würde, ihn scheitern zu sehen. Dennoch ließ mein Stolz es nicht zu, ihm irgendetwas zu verraten und so ging ich behutsam hinter ihm her und überließ ihm die Führung. Bald schon erreichten wir den Vordereingang, dessen Treppe vom Regen so rutschig war, dass ich dachte das arme Menschlein würde sich bei dem Versuch heraufzugehen, die Beine brechen. Trotzdem blieb ich hinter ihm und ließ ihn machen.

Er versuchte es sich nicht anmerken zu lassen, aber wer versucht einen Vampir in die Irre zu führen, kommt nicht weit – Ich spürte seine Nervosität ganz deutlich, als er den Schlüssel, den Bajon ihm gegeben hatte, aus seiner Jackentasche herausfummelte.

Gerade als er sich bückte, um den Schlüssel in das Schlüsselloch hineinzutun, tat sich die Tür von allein auf mit einem knartschenden Geräusch, das so typisch für Gruselfilme war.

Ich spürte, dass meine Vampirwahrnehmung vollkommen wieder in mir war und konnte nun sogar seinen Angstschweiß riechen, was ihn nicht davon abhielt, so zu tun, als wäre alles in bester Ordnung.

„Sieh mal, wie praktisch. Hier könnte jeder einbrechen.“, sagte Jason ohne sein Gesicht zu verziehen, als er langsam eintrat.

„Ja, ging wie von Geisterhand...“, ich schmunzelte und folgte ihm in das Haus, dessen Eingangshalle riesig war, größer als man es von draußen vermutet hätte und die zwei Treppen, die zur selben obigen Etage führten, waren alt und vermodert und ich erkannte, dass einige Stufen bereits eingebrochen waren.

Ich selbst war noch nie hier gewesen, aber man erzählte sich in der Menschenwelt und bei den Blutsaugern dasselbe: Dass man diesem Haus besser fernblieb.

Aus seiner Tasche zog Jason eine kleine Taschenlampe, um sich besser umsehen zu können. Für mich war alles deutlich zu erkennen durch meine vampirischen Sinne, aber für ihn war es kaum möglich die Hand vor Augen zu sehen, was seine Unruhe noch verstärkte.

Nach einigen Minuten des Umsehens ließ das prasselnde Geräusch des Regens nach. Es herrschte plötzlich eine Totenstille und wir sahen uns gemeinsam in der Eingangshalle um.

Als wir dort so gingen und ich mir den großen Kronleuchter über dem Raum ansah, fiel plötzlich eine Vase, gar nicht weit von uns, von seinem Regal und landete mit einem Klirren auf dem Boden.

„Was war das?“, Jason drehte sich ängstlich in die Richtung, von der man das Scheppern gehört hatte.

„Eine Vase.“, antwortete ich sachlich und kühl und ging am verschreckten Jason vorbei, der nun sichtliche Schwierigkeiten hatte, sich in seiner Selbstbeherrschung zu üben.

Ich selbst probierte an mir eine ganz andere Fähigkeit aus und versuchte die Aura der Wesen auszumachen, die hier wohnten. Schnell wurde ich fündig und betrachtete die grellen Umrisse der Toten, die dieses Haus bewachten.

Jason räusperte sich und folgte mir, während ich eine der Treppen anvisierte. Ich wollte gerade meinen Fuß heben, um auf die Treppe zu steigen, da sah ich die Umrisse einer Gestalt über uns hinwegfliegen. Mein fixer Blick folgte dem Wesen, doch ich konnte nicht so schnell ausmachen, was die Gestalt vorhatte und erkannte es erst sehr spät.

Der Kronleuchter, der sich nun genau über uns befand, fing an zu wackeln, die Lichter gingen an und wieder aus, mehrere Male hintereinander, dann krachte der Leuchter zu Boden und ich konnte Jason in der allerletzten Sekunde in Sicherheit bringen, indem ich mich auf ihn stürzte und wegzog.

Dann krachte der Leuchter inmitten des Raumes mit voller Wucht zu Boden. Einige Lämpchen darin zersprangen, einige Funken taten sich auf und verloschen wieder und plötzlich war es wieder still.

Doch das Licht schien sich wieder von allein anzuschalten, d.h. Sämtliche andere Lampen im Haus strahlten uns hell entgegen.

Ich bemerkte, dass ich Jason immer noch schützend in meinen Armen hielt, ließ ihn hektisch los und klopfte mir den Schrecken von der Kleidung.

Jasons Atem war unregelmäßig und seine Augen weit aufgerissen.

„Kranke Scheiße – was geht hier vor?“, fragte er und betrachtete noch immer den heruntergekrachten Kronleuchter.

Eigentlich war mir zum Lachen zumute, doch nicht ein Lächeln umspielte meine Lippen, da ich mit meiner Fähigkeit erneut sah, wie die Aura der Gestalt um uns herumflog.

„Du kannst es nicht sehen, richtig?“, fragte ich Jason, um mich zu vergewissern, dass man das Wesen nur anhand seiner Aura erkennen konnte.

Jason sah verschreckt um sich und sein Herz fing an noch schneller zu schlagen.

„Was, was meinst du?“, seine Stimme zitterte ein wenig, seine Angst war unverkennbar und nahm mir etwas meiner eigenen Ruhe.

„Dachte ich es mir doch...“, murmelte ich vor mich hin und versuchte die fliegende Gestalt erneut zu orten. Leider konnte ich nicht permanent die Fähigkeit einsetzen, um sie immer vor Augen zu haben.

„Okay, das damals war schon eine heikle Angelegenheit für mich, aber das hier übertrifft alles...“, Jason schien mit sich selbst zu reden und blieb ganz nah bei mir, da er wusste, dass ich ihn rechtzeitig in Sicherheit wissen konnte, wenn wieder etwas passierte.

„Das Haus ist wohl älter als ich dachte.“, sagte er und ich wusste, dass er immer noch nicht ahnte, womit wir es hier zu tun hatten.

Und als ich dort so stand und endlich die Fähigkeit wiedergekehrt war, musste ich mit Erschrecken feststellen, dass die Aura sich verdoppelt, nein verdreifacht hatte. Und immer wenn ich dachte die Gestalt war vor mir und ich mich umdrehte, sah ich dort eine weitere. Es schienen auf einmal sich mehr und mehr in der Eingangshalle zu versammeln, nur zu dem Anlass, dass wir zu Besuch waren... und die Geister endlich jemanden zum Spielen hatten.

Kapitel 10 Ende.

„Wir sind nicht allein!“, mein leises Säuseln ging in ein Flüstern über. Ich war überrascht, wie viele Geister sich in diesem Haus tummelten. Sie flogen immer wieder im Sturzflug über uns hinweg und ließen erneut Gegenstände des Hauses zu Boden krachen, um uns zu verschrecken.

Jason schien nun endlich den Ernst der Lage begriffen zu haben, er hielt sich geduckt und hielt Ausschau nach etwas Sichtbarem. Aber für ihn würden sie immer unsichtbar bleiben und für mich auch, wenn ich wieder meine Auspex-Fähigkeit verlieren würde, die leider nicht permanent anhielt.

„Was meinst du damit?“, Jason schluckte und seine Nasenflügel bebten unter seiner Angst vor dem Unbekannten.

„Geister!“, rief ich, als ich wieder einem von ihnen ausweichen musste, der eine Schublade nach mir warf.

Mir wurde dieses Spiel langsam zuwider und ich zog Jason näher zu mir, da ich meine Augen für ihn mitbenutzen musste.

Immer wieder hechteten wir aus dem Weg, die Geister schienen noch überhaupt nicht besänftigt zu sein, sondern schienen immer mehr Gefallen an diesem dummen Spiel mit uns zu entwickeln.

Irgendwann wurde es mir zu viel. Meine Hand krallte sich in Jasons Jacke, was mir erst dadurch bewusst wurde, dass sein Blick plötzlich kurz auf mir und dann auf meiner zuckenden Hand verwahrte.

Meine Geduld hatte ein Ende als auch ein Bild in unsere Gegend, wie ein überdimensionaler Wurfstern, gefächert wurde.

Ein durch die Größe der Halle beeinflusstes lautes, furchteinflößendes Fauchen entfläuchte meiner Kehle und brachte die Geister aus ihrem Tumult. Die Attacken stoppten für einen Moment, die bleichen, fast nicht sichtbaren Gesichter der Toten sahen verschreckt in meine Richtung. Selbst Jason schien mein Fauchen erschreckt zu haben.

Langsam schienen auch die Geister realisiert zu haben, wem sie gegenüberstanden und, dass sie nicht so leichtes Spiel mit uns hatten, wie mit gewöhnlichen Menschen.

Doch ihre Furcht wich binnen Sekunden und schien ihre Wut gestärkt zu haben. Nun war es unmöglich all den Gegenständen und auf uns zufliegenden Geistern, dessen Berührung nicht sehr angenehm war, auszuweichen.

Immer wieder sprang ich vor Jason, wetzte meine Krallen an den Gegenständen, um sie zu zerstören bevor sie uns erreichten oder fauchte die Geister an, sodass sie zumindest zurückschreckten.

Plötzlich, der Zeitpunkt hätte nicht ungünstiger sein können, verließ mich die Fähigkeit zu sehen erneut...

Jason schien die Gefahr erkannt zu haben, dass die Sicherheit um ihn nicht ewig wahren würde und so hechtete er nach vorn auf die Treppe zu.

„Was hast du vor?“, rief ich ihm hinterher, nachdem er sich aus meinem Griff gewunden hatte und stolperte ihm hinterher, nicht mehr in der Lage den frostigen und doch auf der Haut brennenden Attacken der Geister auszuweichen.

„Ich schnappe mir einfach ein Bild und dann hauen wir hier ab!“, er atmete stoßweise, machte einen kleinen Sprung auf die Treppe und hastete sie hinauf, um von der Erhöhung den nötigen persönlichen Gegenstand zu entwenden. Er machte einen weiteren Schritt und auf einmal krachte etwas zu seinen Füßen und innerhalb eines Augenblicks war er verschwunden.

„Jason, nein!!“, schrie ich hinterher, doch da war er schon in ein Loch der Treppe gekracht. Der innere Impuls Jason beschützen zu wollen, war stärker als die Vernunft und so rannte ich auf das Loch in der einstürzenden Treppe zu und ließ mich ebenso hinab, unwissend, wo das Loch sein Ende haben würde.

Unten angekommen, raffte ich mich nach dem harten Sturz schnell wieder auf. Ich wusste, mir würde es gut gehen. Als Vampir konnte so ein Fall einem nichts anhaben. Ich blickte auf und erkannte wenige Meter neben mir Jason, der seitlich auf dem Boden lag, regungslos.

Ein kleines Husten aus seiner Richtung verriet mir, dass er jedenfalls bei Bewusstsein war. Wie es um seinen gesundheitlichen Zustand stand, konnte ich jedoch nicht erahnen.

Ich zog Jason an den Armen, um ihn hochzuheben. Es würde nicht viel Zeit vergehen, ehe die Geister uns hierher folgen und weiter massakrieren würden. „Kannst du aufstehen?“, fragte ich in einer merkwürdig besorgten Stimmlage. Jason nickte, sackte mir jedoch immer wieder zusammen. Er stöhnte auf und griff mit einem Arm an sein Bein. Er musste es sich beim Sturz aus den 5 Metern Höhe gebrochen haben. Seinen freien Arm schwang ich über meinen und schliff ihn mit mir. Sein Gewicht war keine große Last für mich, aber ich bemerkte in diesem Augenblick, dass ich sehr viel Kraft damit zugebracht hatte, die Auspex-Fähigkeit einzusetzen, um die Geister zu lokalisieren.

Das brachte eine sehr schlechte Nebensache mit sich: Ich war beinahe blutleer! Ich wusste noch genau, wie sich das anfühlte. Dieses schreckliche Gefühl würde man nie vergessen. Und je blutleerer man war, desto reizvoller würde jedes potentielle, wandelnde Blutgefäß sein, wie Jason.

Ich schüttelte meinen Kopf hin und her, um den Durst damit abzuschütteln, zumindest für den Augenblick.

Ein weiteres Mal hustete Jason kräftig, er schien mit dem Gesicht irgendwo aufgekommen zu sein, denn seine Nase war blutig, was meine Situation nicht gerade besserte, da mich sein Blut noch gieriger machte.

„Sind die Scheiß-Geister immer noch hinter uns her?“, fragte er und hustete erneut.

Ich nickte und sah mich in dem dunklen Raum um. Wir waren wohl bis in den Keller hinabgefallen. Massive Wände trennten einen von dem anderen Raum. Mit Jason im Schlepptau schlenderte ich durch einen langen Gang, der, so hoffte ich, vielleicht zu einer Treppe oder etwas Ähnlichem führen konnte. Plötzlich ruckelte etwas hinter uns und ich versuchte mich sofort dem Geräusch zuzuwenden, doch Jason konnte sich nicht so schnell wenden und stieß ein weiteres, schmerzverzerrtes Stöhnen aus.

Zwei Schiebetüren machten sich auf, ein kleines, warmes Licht lag vor uns und gab den Blick auf einen Lift frei.

„Oh nein!“, gab Jason klagend von sich, als er bemerkte, dass ich vor hatte, einzusteigen. „Bist du bescheuert, da oben warten sie doch auf uns! Oder sie lassen gleich den ganzen Aufzug herunterkrachen, wenn wir erst mal drin sind!“

Ich konnte nicht leugnen, dass seine Theorie etwas hatte. Als Einzelgänger, wie ich es jahrelang war, hätte ich ihn zurückgelassen und hätte gesehen, wohin mich das Glück trieb, aber in diesem Fall musste und wollte ich Rücksicht auf das menschliche Wesen machen, das so zerbrechlich war – ganz anders als ich.

Die Türen schoben sich wieder ineinander und das Licht wurde schmaler und blieb schließlich im Lift und ließ uns zurück.

„Ja, du hast Recht“, und das war nicht sehr leicht für mich zuzugeben, „die wollen ihren Schabernack mit uns treiben.“, ich klang leicht enttäuscht, aber es war mehr die Unsicherheit, die in mir wohnte, da sich das Gefühl des Durstes immer mehr ausbreitete, das ich nicht aufzuhalten vermochte. Nicht mehr lange und ich würde der Raserei verfallen und Jason ohne Willen angreifen und zu Tode aussaugen. In dieser instinktführenden Phase wäre ich sofort im Stande, das Haus kurz und klein zu metzeln.

„Schabernack!“, wiederholte Jason betont ironisch.

Wieder rumpelte etwas über uns und wir hielten uns automatisch geduckt, obwohl es nicht in unserer unmittelbaren Nähe war. Es klang als wären die Geister nun vollkommen übergeschnappt und würden das ganze Haus auseinandernehmen, so wie ich es ihnen bald nachtun würde, wenn ich kein Blut trank.

Jason bat um eine Pause, die ich ihm nur zu gern genehmigen konnte, da ich sie selbst benötigte und die Geister oben anscheinend vorerst beschäftigt waren, also ließ ich ihn hinab. Zwischen all dem Gepolter und der Angst, betrachtete ich meinen menschlichen Partner etwas genauer. Vielleicht kam es durch meinen zu großen Blutdurst, aber er sah selbst in dieser Situation ansehnlich aus, trotz gebrochenem Bein und blutverschmierter Nase und Angstschweiß auf der Stirn. Was er nicht alles aushielt - für ein menschliches Wesen jedenfalls. Ich hatte ihn eindeutig unterschätzt.

„He, sieh mal!“, Jason machte mich auf eine Brosche aufmerksam, die anscheinend achtlos auf dem Boden hinterlassen wurde.

Ich hob sie vorsichtig auf, Jason weiterhin festhaltend. „Guter Fund, Jason. Damit hätten wir endlich einen persönlichen Gegenstand...“

„Und wir können endlich hier raus!“, beendete er den Satz, den meine Gedanken getragen hatten.

Ich versuchte zu lächeln, aber meine spitzen Zähnchen bohrten sich dabei in meine Unterlippe und verrieten meine größte Sorge.

„Geht's dir nicht gut?“, Jason schien bemerkt zu haben, dass mein Zustand nicht willkürlich besser war als seiner. Vielleicht hatten meine Augen sogar schon in leuchtendes Rot gewechselt, um mitzuteilen, wie schwer es um mich stand.

„Ich muss dich... einen Moment allein lassen.“, sagte ich nervös. Meine Krallen zuckten unaufhaltsam. Um Jason nicht länger Angst einzujagen, bog ich kurz um die Ecke, um mich wieder zu fangen. Aber der Geruch seines Blutes hing mir noch immer in der Nase, zumindest bildete ich mir das ein.

Doch etwas zog meine Aufmerksamkeit wieder zu Jason: Er war hingefallen und stöhnte laut auf. Er hielt sich sein Bein und versuchte sich an der Wand wieder hochzuziehen, vergeblich.

Ich hörte, wie meine Zähne aufeinander schlugen und ich so fest zubiss, um mich unter Kontrolle zu halten. Dennoch war es unmöglich die alten, gewohnten Gedanken des Vampirdaseins zu verdrängen.

Er war ein gefundenes Fressen. Kränklich, schwach und das Blut war frisch und pulsierend. Es würde nur wenige Minuten dauern ihn bis aufs Letzte auszusaugen. Den guten Geschmack seines Blutes konnte ich bis hierhin riechen. Unweigerlich lief mir das Wasser im Munde zusammen. Ich erschrak vor meinen eigenen Gedanken und schnellte auf Jason zu, der dabei war nun komplett zu stürzen, um ihn aufzufangen. Gerade noch rechtzeitig hielt ich ihn in meinen Armen und stellte ihn vorsichtig wieder auf. Nein, ich konnte mich kontrollieren, wenn ich wollte. Noch war nicht alles Blut aus mir gewichen. Ich hatte mich jawohl besser im Griff als die dreckigen Nosferatu, denen jedes menschliche Leben egal war! Und wie ich mich besser im Griff hatte!

Ich riss mich zusammen und konzentrierte mich wieder auf unseren Auftrag.

Nach einigen Sekunden des Schweigens gingen wir weiter und bemerkten die ungewöhnliche Stille erst jetzt. Die Blicke wanderten zwischen uns hin und her. Ich hatte mich nicht einmal gefragt, warum die Geister nicht sofort durch die Wände auf uns zu geflogen waren, um uns endgültig den Gar auszumachen, daher kam ich mir nun unheimlich naiv vor, nicht einmal die beinahe bedrückende Stille nicht vernommen zu haben. Was war bloß mit meiner Wahrnehmung los? Hatte ich mich so mit Jason beschäftigt, dass ich nicht bemerkt hatte, was eine Etage über uns passierte?

Wieder wanderten unsere Blicke hin und her, diesmal, weil ein lautes, starkes Poltern über uns zu hören war. Ich wäre beinahe erleichtert gewesen die Geister wieder über uns gehört zu haben, aber es war ein zu starkes, gefährliches Poltern, das mich irgendwie beunruhigte.

„Was geht da oben vor sich?“, fragte ich mich selbst, doch Jason schien zu antworten: „Jetzt drehen die Geister völlig durch!“

Wir humpelten weiter und kamen endlich an einer Treppe an. Mir war erst jetzt wieder eingefallen, dass Jason ja vermutlich beinahe blind war durch die hier herrschende Dunkelheit. Doch am Ende der Treppe schien ein Lichtschein auf uns zu warten, der immer wieder heller wurde und wieder erlosch, wie ein Blitz.

Jason ließ sich ohne wenn und aber huckepack nehmen und so trug ich ihn vorsichtig die Treppe hinauf. Ich versuchte mich wie ein Vampir dem Geschehen zu nähern, also leise und bedacht, doch als wir um die Ecke der Treppe bogen und ich meine Fähigkeit einsetzte, zu sehen, bekämpften die Geister nicht länger uns, sondern schienen sich mit zwei anderen Gestalten abzumühen.

Sachte ließ ich Jason von mir ab und beobachtete, wer dort seine Krallen an den Geistern wetzte.

Kapitel 11 Ende.

Neben dem heruntergekrachten Kronleuchter, dessen Lichter nun ganz verloschen waren, standen zwei Männer. An ihrer Aura erkannte ich sofort, dass es Vampire waren. Der Eine war groß und stämmig, seine Muskeln unter seinem Shirt waren kaum zu übersehen. Er schleuderte Energieblitze aus seinen Handinnenflächen, die die gesamte Eingangshalle für einige Milisekunden in helles blau verwandelte.

Ich hatte keine Ahnung, ob das den Geistern etwas ausmachte, aber sie waren jedenfalls nicht mehr damit beschäftigt Jason und mich zu attackieren.

Dann sah ich zu dem anderen Mann herüber, dessen hellblondes Haar und schlanke und doch muskulöse Statur mir sehr vertraut vorkam. Doch ehe ich mich versah, schien er nicht mehr da zu sein und tauchte auf der anderen Seite des Raumes wieder auf. Der eine warf mit Blitzen und er schien sich wie einer zu bewegen.

„Der Typ aus dem Elysium!“, brach es aus mir heraus, als ich ihn erkannte und obwohl es nur ein Flüsterruf war, schienen die Geister ihre Aufmerksamkeit wieder uns zuzuwenden und damit sahen auch die beiden Männer in unsere Richtung.

Auch wenn er weiter weg stand, der Blonde konnte sich ein verführerisches Lächeln zu meiner Begrüßung anscheinend nicht verkneifen.

Jason schien falsch aufgekommen zu sein und brachte einen Schmerzschrei heraus, der mich zu ihm blicken ließ.

Er machte mir bewusst, dass wir schnellstens verschwinden mussten. Ich nickte, als hätte ich seine stillschweigende Bitte verstanden und nahm ihn erneut Huckepack. Als wir dabei waren das Haus zu verlassen, flogen die Geister bereits neben uns her und versuchten uns irgendwie aufzuhalten. Erneut bewarfen sie uns mit Gegenständen des Hauses und hofften uns zu treffen, doch im Moment eines Augenzwinkerns brauste der Blonde vorbei und gab uns Schutz.

Verwirrung stand mir und Jason ins Gesicht geschrieben, aber ich musste jetzt an die verletzte Person auf meinem Rücken denken und ging zügig zur Eingangstür. Als ich sie öffnen wollte, tat sie sich wie von allein auf und wir traten hinaus in den strömenden Regen. Ich nahm an der Blonde hatte uns innerhalb von Milisekunden die Tür geöffnet und war dann wieder an unsere Seite gehuscht, um uns Deckung zu geben.

Ich bemerkte erstmals, dass ich schwerer atmete, dass ich völlig aus der Puste war, obwohl dies alles für einen Vampir keine Anstrengung sein konnte.

Apropos Vampire. Dort waren gerade Zwei gewesen und hatten uns den Arsch gerettet! Sehr seltsam für Blutsauger, zumindest ein Menschenleben zu retten. Aber, als wenn das nicht schon seltsam genug wäre, war es mitten am Tag! Also ein absolut unmögliches Ereignis! Wie also konnten sie sich an diesem Nachmittag einfach so draußen herumtreiben? Auf der anderen Seite – wie war das bei mir möglich? Ich hatte nicht einmal das Geheimnis um mich selbst gelüftet, da taten sich noch weitere fragwürdige Abgründe auf.

Der Regen tropfte von meiner Nasenspitze, als ich den Gullideckel öffnete und Jason und mich hinabließ. Diesmal mussten wir den kürzeren Weg nehmen. Ich hätte zu gern gewusst, was aus dem Blonden und seinem Freund geworden war und hätte ihnen gern gedankt, aber erstmal musste ich sichergehen, dass Jason außer Gefahr war.

Nach einigen Minuten des Laufens, und ich schien beinahe zu keuchen vor Anstrengung, fiel mir auf, dass der Ballast auf meinem Rücken sich weniger festhalten konnte als zuvor. Auch seine Kräfte schienen ihn zu verlassen. Er hatte wohl einiges an Blut verloren, dass ich vorhin zu gern aufgesogen hätte. Doch in diesem Moment war mir nichts wichtiger als ihn in Sicherheit zu bringen. Ich rannte noch schneller, das Wasser zu meinen Füßen erschwerte mir das Eilen durch die Kanalisation erheblich. So sehr hoffte ich jetzt keinem anderen Vampir zu begegnen und es schien als wäre, für Jason, meine Bitte erhört worden.

Immer wieder bog ich in Abzweigungen ein und nahm mir vor den schnellsten Weg ins Krankenhaus zu nehmen und hörte dabei Jason auf meinem Rücken meinen Namen säuseln.

Als ich endlich Jason aus der Kanalisation den Gullideckel hinaufgezogen hatte, bemerkte ich, dass sein Körper glühte. Er hatte vermutlich Fieber und krümmte sich wieder vor Schmerzen.

Auch in mir spürte ich, dass sich ein Gefühl wie Schmerz ausbreitete. Mein Rücken fühlte sich unglaublich erleichtert an, als Jason vor mir auf dem Boden lag und meinen Rücken entlastete. Meine Beine waren krampfhaft angespannt und ließen sich nur schwer entspannen. Außerdem hörte ich wieder jenes Herz schlagen, das eigentlich nicht mehr schlagen durfte.

Es war verrückt, aber der Blutdurst war verschwunden!

War ich jetzt wieder menschlich?

Unsicher sah ich mich um. Konnte ich Jason jetzt einfach so ins Krankenhaus bringen? Schließlich war man auf der Suche nach ihm.

Mich durchzuckte ein kleiner Schmerz in den Zähnen und ich stellte erstaunt fest, dass meine Zähnchen sich wieder verkleinert hatten. Statt in Raserei zu verfallen, weil mir jegliches Blut aus dem Organismus ausgegangen war, hatte ich mich einfach wieder in etwas Menschliches verwandelt. Vielleicht ganz automatisch, vielleicht auch bewusst. Dennoch war ich mir nun beinahe sicher, dass die Sonne, welche sich hinter dunklen Wolken versteckt hielt, mir jetzt definitiv nichts anhaben konnte.

So wie jenen Vampiren nicht, die uns vor den Geistern beschützt hatten.

Jason keuchte lautlos meinen Namen. Immer wieder hörte ich ihn sagen: „Nelly... Nelly... Ne...lly...Nelly!“ und mir schauderte es dabei, diesen Namen zu hören, da ich ihn mir vor sieben Jahren selbst gegeben hatte, weil dort für mich ein neues Leben begonnen hatte – im Tod. Das Vampirdasein. Die Einsamkeit.

Ich zerrte Jason wieder auf meinen Rücken, der durch Schmerzen zu rebellieren versuchte, und beschloss ihn in ein Taxi zu verfrachten, das ihn bis in die nächste Stadt bringen sollte. Dafür bediente ich mich an Jasons Portemonnaie, zog ein paar Scheinchen heraus und gab noch ein paar Scheinchen von mir dazu. Seine Geldbüchse mit seinem Ausweis etc. behielt ich. „Sein Name ist Jake!“, belog ich den Taxifahrer und bat ihn, ihn ins Krankenhaus nach Downtown zu bringen.

Doch ehe ich es vergaß, schnappte ich mir die Brosche, die er in dem Geisterhaus gefunden hatte, schrieb ihm einen kleinen Zettel und stopfte ihn lieblos in seine Hemdtasche. „Triff mich in 3 Tagen bei unserem liebsten Hotel! Deine dunkle Freundin“ hatte ich mit krickeliger Schrift hinterlassen, in der Hoffnung, er würde in wenigen Tagen dort auf mich warten.

Dann machte ich dem Taxi Platz, klopfte an dessen Fahrerseite, um zu signalisieren, dass er fahren konnte und sah Jason davonfahren.

Es hatte keine andere Möglichkeit gegeben. Ich kannte niemanden, der ihn hätte verarzten können. Niemanden, der beim Anblick und Geruch seines heraustretenden Blutes und der Schwachheit seines Körpers die Kontrolle über sich bewahrt hätte, um ihm zu helfen.

Da er ein Mensch war und ich keine Menschen kannte, jedenfalls keine, die uns helfen würden, musste er ins Krankenhaus gebracht werden, um sich dort sicher erholen zu können.

Trotzdem hatte ich ein schlechtes Gewissen ihn allein zu lassen. Nicht selbst bei ihm zu sein, um sicher zu gehen, dass es ihm schnellstens besser ging. Noch einige Minuten verbrachte ich an der Kreuzung, an der ich Jason in das Taxi verfrachtet hatte und hielt meinen Blick auf die Straße gerichtet, als würde das Taxi plötzlich kehrt machen und er würde zu mir zurückkehren.

Doch dann seufzte ich schwer und trug mich wieder in Richtung Stadt.

War es immer schon so still hier? Mir kam es so eigenartig leise vor, obwohl Autotüren knallten, Glocken beim Betreten der Läden klingelten und sich viele Menschen angeregt unterhielten.

Das war so seltsam, dass es mich wirklich wunderte, aber ich hatte mich so an Jasons Gegenwart gewöhnt, dass sie mir nun fehlte.

Aber es war besser so. Es würde ihm schnell besser gehen und wenn er es wollte, und dessen war ich mir leider nicht sicher, würden wir uns bald wiedersehen.

Ich betrachtete die Kirchenuhr. Halb Zwei Uhr nachmittags. Menschenzeit. Menschenleben. D.h. Ich musste nur darauf achten, dass mein Organismus nicht wieder vor hatte mich auf einmal wieder in einen Vampir zu verwandeln. Vor jenen wäre ich vorerst sicher und musste und konnte mich nun auch nicht mit Annette auseinandersetzen.

Doch als ich es mir genau im Kopf ausmalte, stimmte eine Sache nicht. Es gab zwei Vampire, die die Sonne nicht scheuten und wenn ich sie finden würde, könnte ich herausfinden, warum sie dies nicht taten, könnte ihnen danken – besonders wegen Jason – und könnte womöglich sogar noch etwas über meinen eigenen Zustand erfahren. Warum es bei mir funktionierte, dass ich zum Tagwandler wurde. Und warum sie ebenso im Sonnenlicht spazierten.

Also beschloss ich meine gerade erst wieder gewonnene Einsamkeit wieder von Bord zu werfen, um mir die Gesellschaft zweier besonderer Exemplare der Blutsauger zu angeln.

Orientierungslos inmitten der friedlosen Menschen schien es mir sinnlos sie zu suchen, also nahm ich mir vor, einen Waldspaziergang zu machen oder in verlassenen Häusern Ausschau nach ihnen zu halten. Sie würden sich sicher nicht mehr im Hotel aufhalten.

Ich bog in eine schmale Gasse und sah in einem Schaufenster zu verkaufende Fernseher, auf deren flimmernden Bildschirmen Nachrichten liefen, ein Sonderbericht, welcher meine sofortige Aufmerksamkeit auf sich zog.

„ … Wieder ein Anschlag verübt. Die sechs verstümmelten Leichen wurden in der Gallerie Noir aufgefunden. Auf der Wache herrscht eine stätige Unruhe. Die Gallerie wurde vorerst geschlossen. Niemand hat eine Ahnung, warum die Menschen so grausam sterben mussten. Die Ermittlungen laufen.“

Schon wieder wurden Menschen getötet von irgendeinem Irren. Mir war nur nicht klar, warum der Mörder so unbedingt Aufmerksamkeit verlangte. Wären es Vampire gewesen, hätten sie ihre Morde in Perfektion ausgeführt und keine Spuren hinterlassen.

Nicht einmal für Nosferatu wäre es typisch gewesen, Menschen so offensichtlich hinzurichten. Sie hätten eher noch an ihnen geknabbert und sich etwas für später mitgenommen. Das Ganze sah keinesfalls nach einem Vampir aus, dennoch bereitete es mir ein unwohles Gefühl und das verhieß nichts Gutes.

Plötzlich klopfte es an der Fensterscheibe, ich erschrak, wurde aus meinen Gedanken gerissen und blickte vom Fernseher hinauf in ein bleiches, helles und makelloses Gesicht, dessen Augen ein wenig versperrt wurden durch die verwuschelten blonden Haare, die ihm sein Lächeln in nichts nachkommen ließen.

Ich erstarrte. Er war es. Der Vampir aus dem Elysium und aus dem Hotel, der uns mit seinem Freund gerettet hatte.

Witzig, wie er sein wollte, hauchte er sanft seinen Atem gegen die Scheibe, woraufhin nichts geschah. Uns Vampiren war es nicht möglich zu atmen, da unser Mechanismus von einem einzigen Motor angetrieben wird - Blut. Ich erkannte seine Vorstellung als eine Art Beweis an, dass er es war und beschloss in das Geschäft zu gehen. Doch als er sah, dass ich mich in Bewegung setzte, veränderte sich sein Gesicht und er verließ fluchtartig den Laden, um mich beinahe über den Haufen zu rennen.

„Hey, nicht!“, rief er und seine Augen funkelten seltsam in der seichten Sonne, „Lauf nicht weg!“

Ich machte einen Schritt zur Seite und sah ihn skeptisch an. Ich hätte ihn überall vermutet, nur nicht hier.

„Mache ich nicht. Ich wollte hereinkommen.“

„Na dann ist ja gut. Und wie geht’s dir, Schätzchen?“, fragte er in einem Ton, der mich rasend machte.

„Mir... geht es... gut.“, sagte ich langsam und meine Lippen hatten sich spitz nach vorn geschoben und meine Zähne waren aufeinandergepresst, weil ich es hasste, wenn man mich so nannte.

Eine Weile standen wir schweigend da, vermutlich, weil er gehofft hatte, ich würde ihn ebenso nach seinem Befinden fragen, doch das tat ich nicht.

Er blickte gen Himmel und sah mir dann wieder mit seinen funkelnden Augen ins Gesicht. Erst da begann ich zu verstehen, dass er gerade meinen Geruch aufgefasst hatte.

„Interessant.“, sagte er anscheinend zu sich selbst, als hätte er sich von einer Sache überzeugt.

Neugierig und missmutig wich ich einen Schritt zurück.

„Wer bist du?“, fragte ich und mein Blick war nun unglaublich zornig.

Der Blonde lachte herzhaft und strich sich mit einer Hand beiläufig durch die struppeligen Haare.

Er tat einfach so, als hätte er meine Frage nicht gehört und tippte lässig mit einem Finger an die ihm mit dem Rücken zugewandte Fensterscheibe des Geschäfts.

„Fiese Geschichte, oder?“, fragte er, als würde er sinnlosen Smalltalk der Wahrheit vorziehen.

„Wer oder was bist du?“, sagte ich zwingender, doch wieder lachte der Blonde nur und sah kurz zum Himmel.

„Weißt du, ich würde gerne noch weiter plaudern. Aber ich muss leider etwas erledigen. Aber vielleicht setzen wir unser Gespräch heute Nacht fort, wenn du nicht ganz so zerbrechlich bist.“, sagte er und schaute immernoch gen Himmel.

Diese Arroganz ließ meine Adern brodeln und er schien das zu spüren und daher zu provozieren.

„Wieso beantwortest du nicht einfach meine Frage?“, entgegnete ich daraufhin drängend, doch darauf tat sich nur ein starker Wind auf und er war im nächsten Augenblick verschwunden.

Er besaß doch tatsächlich die Frechheit mich hier einfach stehen zu lassen! Zudem in aller Öffentlichkeit! Hatte er nicht Angst irgendjemandem hätte etwas auffallen können?

Wütend und doch reserviert stand ich da und hoffte nur, dass niemand sein rasches Verschwinden bemerkt hatte, aber die schmale Gasse war zum Glück leer. So leer wie mein Magen, der kräftig protestierte, weil er nach Nahrung bettelte.

So beschloss ich meinen Hunger und meine Wut mit etwas Deftigem herunter zu spülen.

Kapitel 12 Ende.

Es war seltsam kalt als ich das Diner verließ, in dem ich mir jede Menge Pommes gegönnt hatte.

Eine düstere Brise trug eine braune Papiertüte voran und ließ sie auf der beleuchteten Straße tanzen. Es war trotz der Laternen so dunkel als würde mit jeder Sekunde die Nacht näher rücken. Es war als würde sich der Himmel auftun, um all die unschuldigen Seelen zu verschlingen und inmitten eines gewaltigen Unwetters in die Höhe zu zwingen.

Es wurde windig und mein mulmiges Gefühl nahm zu.

In meiner Hosentasche stach die Brosche in mein Bein und erinnerte mich an den Besuch im Elysium, den ich Anette schuldete.

Meine Füße bewegten sich schneller und tanzten beinahe zum düsteren Vampirclub und als ich direkt davorstand, war es geschehen – die Dunkelheit war eingekehrt und meine Hände hatten sich wiedermal innerhalb weniger Sekunden in gefährliche Krallen verwandelt.

Mir war es immer noch unbegreiflich, wie einfach diese Verwandlung von statten ging, wenn ich daran dachte, wie schmerzlich und grausam die allererste Verwandlung zum Vampir gewesen war.

Aber dennoch war es wieder mal geschehen. Einfach so. Sobald die Dunkelheit eingetreten war, schien sich mein Mechanismus sofortig an die Nacht anpassen zu wollen und verwandelte mich in das mächtige Wesen, das geschaffen war, um zu töten. Ich war nur froh, dass ich nicht wieder einen Kontrollverlust erlitten hatte und mich Kopfschmerzen plagten, nachdem ich letzendlich wieder ein vampirähnliches Wesen war.

Meine Krallenhand drückte den Türknauf herunter und ich betrat den Club. Schon beim Eintreten fiel mir ein intensiver, süßlicher Duft auf. So scharf waren meine Sinne noch nie zuvor gewesen, da war ich mir sicher. Entweder hatten sie zwei Menschen aufgeschnitten und ihr Blut auf dem gesamten Boden verteilt, an dem sich nun wahrscheinlich zig durstige Vampire labten oder, und das war auch sehr unwahrscheinlich, ich kannte die beiden Wesen bereits, denn dann wäre es mir einfacher, Gerüche sofort zu erkennen.

Seltsam war, dass ich nicht einschätzen konnte, ob es sich um menschliches oder vampirisches Blut handelte, dessen Duft sich in meiner Nase festgesetzt hatte. Ich konnte es bisher auch keinem Gesicht zuordnen.

Als ich um die Ecke bog, schien sich der Geruch noch zu verstärken, aber der Boden war nicht mit Blut getränkt, wie ich es erwartet hatte.

Alles schien wie immer. Vielleicht etwas leerer noch als sonst, aber eigentlich sah alles aus wie immer. Doch ich wusste, etwas war anders. Anders für mich. Ich spürte es genau.

Erstarrt blieb ich stehen, um meinen Geruchssinn zu schärfen und um dem Unbekannten auf die Schliche zu kommen.

„Du riechst es auch oder?“, flüsterte plötzlich ein Vampir von der Seite, der mich aus meinen Gedanken riss.

„Die Küken können's nicht riechen, nur ältere Vampire.“, sagte er und ich blickte mich nach ihm um.

Er war klein, hatte verfilste schwarze Haare und eine spitze Nase, die ihn beinahe arrogant aussehen ließ. Nur sein Blick überzeugte von wirklicher Freundlichkeit. Er war vermutlich einer der wenigen Vampire, die sich auch in Vampirkleingruppen wohl fühlte.

„Aber was ist es?“, fragte ich in normalem Ton.

Er trat näher an mein Ohr und begann erneut zu flüstern: „Ein Vampirpaar. Zwei Sintflutliche. Sie waren hier und haben ein paar von uns gerissen, um ihre Macht zu demonstrieren. Seitdem herrscht hier ziemlich viel Trubel... oder ängstliches Schweigen, könnte man auch sagen.“

Ich war ratlos. Ich sah mich im Raum um. Nichts deutete auf einen Kampf hin. Hatte er mir die Wahrheit erzählt? Nie zuvor hatte ich etwas von so todesmüden Vampiren gehört und sie waren ein Liebespaar? Das gab es auch nur äußerst selten in unserer Geschichte, aber anscheinend waren alle Reden davon mit einem Funken Wahrheit versehen, wenn es wirklich so geschehen war, wie er mir erzählte.

Eigentlich unverständlich sich mit einem anderen Vampir zusammen zu tun. Aber noch unverständlicher war für mich etwas anderes.

„Sintflutliche?“, fragte ich und achtete dabei genau auf seine Reaktion.

Ein heftiges Leuchten funkelte für einen Moment in seinen Augen und er lachte tief in sich hinein, als wüsste er von einem Geheimnis und kein anderer.

Er ging ohne ein weiteres Wort zur Bar und wendete mir seinen Rücken zu. Er hatte nichts mehr zu sagen.

Verwirrt und frustriert fiel mein Blick auf den Lift. Ich würde Anette fragen, was hier vorgefallen war und woher dieser Geruch kam. Sie musste eine Antwort haben.

Eine seltsame Erleichterung überkam mich, als sich die Türen des Lifts vor meinen Augen schlossen und ich ein wenig Einsamkeit hatte, um nachzudenken.

Wenn es so furchtbare Vampire in der Gegend momentan gab, die ihre Macht durch die Vernichtung der eigenen Rasse demonstrierten und dabei anscheinend nicht gehindert werden konnten, war es ganz und gar keine sichere Umgebung für Jason.

Erneut öffnete sich der Lift und ich trat hinaus, ging einige Schritte den Gang entlang und kam schließlich an meinem Ziel an.

Anettes Tür stand weit offen, also trat ich ohne Bedenken ein.

Ein ächzendes Fauchen kam mir entgegen, als ich um die Ecke trat und Anette dort auf dem Boden lungern sah.

Etwas erschrocken wich ich zurück. „Anette?“, fragte ich etwas verwirrt.

Anette robbte auf dem Boden herum und schnappte sich eine Pistole, die einige Meter entfernt lag.

Als sie ihren Blick wieder auf mich richtete, war Schrecken in ihr Gesicht gemeißelt, das sich auch nicht großartig veränderte, als sie mich erkannte.

„Anette, was ist denn los?“, ich sah hektisch auf die Pistole, die sie nun in beiden Händen hielt, zitternd.

Wieder fauchte sie, um mich auf Abstand zu halten.

„Sie... sie waren hier... sie waren hier im Club...“, brabbelte sie und ihre Augen waren aufgerissen, ihr Blick zeigte einen gewissen Wahnsinn, den ich noch nie bei ihr gesehen hatte.

Anette, die mächtigste Vampirin der Stadt, furchtlos, eher selbst furchteinflößend, saß dort und sah mich an wie eine Fremde.

„Die... die Sintflutlichen?“, wiederholte ich die Worte des Vampirs von unten aus dem Club.

Erst nickte sie zaghaft, dann immer schneller.

„Wer sind sie?“, fragte ich ruhig, um endlich eine klare Antwort zu bekommen.

Anette schloss ihre Augen. Ein tiefes Knurren aus ihrer Kehle war zu hören, das jedem Angst eingejagt hätte. Reflexartig ging ich wieder einen Schritt zurück, aber die Neugier hielt mich bei ihr.

Als sie die Augen wieder öffnete, war etwas Ruhe in ihren Blick gekehrt. Sie hatte immer noch panische Angst und sah mich mit einem nicht trauenden Ausdruck an.

Endlich legte sie die Pistole beiseite und begann zu erzählen: „Die Sintflutlichen... sind Monster... sie halten sich für die mächtigsten Vampire der Welt... sie halten sich für mächtiger als ich es bin... und als sie kamen, sagten sie nur sie wollten die Stadt 'aufräumen', was auch immer sie damit meinten... Die Sintflutlichen sind ohne Zweifel stärker als ich es bin..., aber das gibt ihnen noch lange nicht das Recht in meiner Stadt so für Verwüstung zu sorgen!“

Es kam mir eher vor, dass sie mit sich selbst als mit mir redete, da sie meinem Blick weiterhin auswich.

Ich setzte mich behutsam zu ihr, um sie nicht weiter zu verschrecken, aber mittlerweile hatte Zorn ihre Panik eingeholt.

„Sind sie wirklich so stark?“, fragte ich und versuchte es so zu sagen, dass sie annahm, ich würde sie für die Stärkste halten.

„Ja, leider... und deshalb denken sie, sie können tun und lassen, was sie wollen!“, sagte sie und trat mit ihrem Fuß gegen die Pistole und schleuderte sie damit quer durch den Raum.

„Du hast noch nie etwas von den Sintflutlichen gehört, nicht wahr?“, endlich konnte sie mich wieder ansehen und ich begriff, dass ich nun meine Antwort bekommen sollte.

Nachdem ich meinen Kopf schüttelte, sprach sie: „Von ihnen gibt es nur sehr wenige auf der Welt. Es heißt, sie haben ihren Kuss durch die Vorsintflutlichen erhalten, welches die direkten Nachkommen der Kinder Kains waren. Und es heißt, wer einen Sintflutlichen tötet, wird automatisch selbst zu einem. Teufel, was würde ich dafür geben, auch nur einen von ihnen in Stücke zu reißen! Aber das ist leider so gut wie unmöglich. Amanda und William sind schon seit etlichen Jahrhunderten Sintflutliche. Sie haben Kräfte entwickelt, von denen selbst wir älteren Vampire nur träumen können. Sie haben so viel Stärke und Beherrschung, dass sie ihre Fähigkeiten perfektioniert haben. Als sie herkamen, hatten wir keine Chance sie aufzuhalten. Sie haben etliche meiner Kunden getötet... einfach so... 'aufräumen' nennen sie es, als wären sie Götter!... Und sie lagen schon einige Wochen auf der Lauer, haben Menschen getötet, sodass sie Teil der Nachrichten wurden. Sie haben ihren Besuch angekündigt! Und trotzdem hat keiner es geahnt!“

Endlich ging mir ein Licht auf: „Die seltsamen Morde! Der gestrige Mord in der Gallerie!?“

Anette nickte zustimmend, dann veränderte sich ihr Blick.

„Haben sie dein Anhängsel auch gerissen?“, fragte sie und sah links von mir und beäugte den leeren Platz.

Sofort überkam mich eine Welle der Traurigkeit.

„Nein..., ich denke nicht. Jason ist vorerst in Downtown. Ihn hat es schwer erwischt beim Ausführen deines Auftrags.“, erklärte ich.

„Kindchen, du hättest dich nicht mit deiner Mahlzeit verbünden sollen...! Hätten die Sintflutlichen das gehört! Sie hätten sich irgendeine Laterne gesucht, euch zusammen aufgespießt, gebraten und anschließend gefressen!“, ich bemerkte ihr gehässiges Lachen, das darauf anspielte, das ihr die Vorstellung gefiel.

„Hey, du warst sein erster Kunde in der Blutbank. Wünscht man so etwas seinem Verkäufer? Außerdem hat er sich gut geschlagen im Geisterhaus.“, wieder kicherte sie, doch ich versuchte sie zu ignorieren und holte die mitgenommene Brosche aus meiner Tasche.

„Verteidigst einen Menschen...“, sagte sie, schnappte sich die Brosche und sah sie eingehend an, „das werd ich nie verstehn! Trotzdem... gute Arbeit! Wenn er wieder zusammengeflickt ist, richte ihm aus, er bekommt meinen Schutz!“

Ich ließ keine Sekunde vergehen, ehe ich die Brosche wieder gezückt hatte.

„Wie sollte das möglich sein, jetzt, wo diese Sintflutlichen hier sind? Wie solltest du ihm Schutz bieten können?“, mein mulmiges Gefühl im Magen kam zurück.

„Wie sollte ihm irgendwer Schutz vor diesen Bastarden bieten können?“, ihre Gesichtszüge wurden wieder zorniger. „Ich tue, was ich kann. Ich bin schließlich auch noch relativ am Leben.“, sie griff nach der Brosche, doch ich zuckte zurück.

„Nein. Jason muss da bleiben, wo er ist. Dort ist er jetzt am sichersten. Ich werde ihn umgehend dorthin zurückschicken, sollte er am Treffpunkt auftauchen. Aber für all die Zeit, die er in deiner Stadt verbringt, steht er unter deinem Schutz, egal, wann das sein wird.“, ich empfand dies als die vorerst sicherste Variante.

Anette beäugte mich nochmals skeptisch, dann stimmte sie zu: „Gut. Wann immer dein Haustier in der Stadt ist, wird er unter vampirischen Schutz gestellt. Zufrieden?“

Ich nickte und übergab ihr die Brosche.

„Und, bitte tue uns allen den Gefallen – dusch dich, du stinkst so sehr nach Mensch als wärest du selbst einer!“, sagte sie gehässig, während ich aufstand, um den Raum zu verlassen.

Ich lächelte, kehrte ihr den Rücken zu und verließ ihr Zimmer.

Kapitel 13 Ende.

Jetzt machte alles plötzlich viel mehr Sinn als zuvor. Die seltsamen Morde, bei denen ich immer ein eigenartiges Gefühl hatte, gingen also wirklich auf das Konto von Vampiren.

Ein Rätsel war bereits gelöst, aber das weitaus wichtigste und fragwürdigste Rätsel meiner selbst lag weiterhin im Dunkeln. Aber vielleicht konnte ich etwas über mich selbst herausfinden, indem ich den beiden Tagwandlern, dem Blonden und seinem muskolösen Freund, mal einen Besuch gestattete. Es war bereits tiefste Nacht, die mir eindeutig düsterer als sonst vorkam, und es war damit die Hochsaison der Vampire. Irgendwo würden auch die beiden herumlungern, da war ich mir sicher. Außerdem ging der Blonde anscheinend sowieso davon aus, dass wir uns sehen würden. So etwas Ähnliches hatte er nämlich gesagt, bevor er davongerauscht war.

Als erstes versuchte ich es im Elektronikladen, in dem ich den Blonden noch wenige Stunden zuvor getroffen hatte, doch natürlich war der Laden bereits geschlossen und er nirgens zu sehen.

Dann schleppte ich mich, unter schmerzlichen Erinnerungen an Jason, zurück zum Ocean House, in welchem ich ihn in Gefahr gebracht und ihn mit dem Taxi nach Downtown geschickt hatte und in welchem ich ihn bereits sehr bald erwartete oder zumindest in dessen Nähe.

Ich sah mich vor dem Haus um und traute mich nicht hinein zu gehen. Zu ängstlich war ich, mich den vielen Geistern allein zu stellen.

Gelangweilt und etwas frustriert lehnte ich am Eingangstor und blickte in die Nacht. Ein frostiger Wind kam auf, dessen Kälte ich nur erahnte und nicht spüren konnte. So seltsam war der Unterschied der Wahrnehmung als Mensch und als Vampir. Jetzt spürte ich wieder keinerler Schmerz oder Hunger oder Müdigkeit.

Aus weiter Ferne hörte ich plötzlich ein klingendes Geräusch. Es klang so als hätte jemand eine Eisenstange auf die Straße geworfen. Ich stellte mir vor, wie ein Einbrecher eine Tür aufbrach, jegliches Hab und Gut des Bewohners in einen großen Sack verstaute und beim Hinausgehen durch einen Nachbar bemerkt würde, sich mit seiner Eisenstange und dem Sack aus dem Staub machte und schließlich in seiner Hektik und Not die Eisenstange fallenließ.

So wäre es damals wohl bei mir abgelaufen, als man in meine Wohnung eingebrochen war. Hätte ich denjenigen oder diejenigen dabei erwischt, hätten sie schnellstens das Weite gesucht. Aber was hätte es ihnen genützt? Wäre ich in jenem Moment ein Vampir gewesen, hätte ich keine Gnade walten lassen und sie ausgesaugt.

In dem Moment als ich wieder an das Aussaugen eines Menschen dachte, überrannte mich mein Durst. Es war schwierig immer darauf zu achten als Mensch genug zu essen und als Vampir genug zu trinken. Wiedermal hatte mich erst das enorme Bedürfnis daran erinnert.

Meine Zunge wirbelte in meinem Mund umher und umstrich die spitzen Beißerchen. Zu lange hatten sie auf die Jagd verzichtet, nur wegen Jason. Ich hatte keinerlei Blutbeutel bei mir und mir war klar, dass ich es heute Nacht tun musste. Dass ich es heute Nacht tun konnte.

„Hallo Kleines!“, kam es urplötzlich von hinten und ich wirbelte herum, so in meinen Durst vertieft, dass ich fauchte, als ich erkannte, dass es zwei Vampire waren, die mir dort gegenüberstanden und kein durstlöschender Mensch.

Der Muskolöse lachte und hielt sich dabei die Hand vor den Mund. Der Blonde sah erst ein wenig erschrocken aus, dann lachte auch er.

Doch mir war nicht zum Lachen zu Mute.

„Ich muss trinken...“, flüsterte ich beinahe stimmlos und die beiden anderen lächelten mich an.

Der Blonde trat näher und legte seinen Arm um mich und ging mit mir voran. „Jetzt musst du trinken und morgen wirst du wieder essen!“, sagte er und mich traf es wie ein Schlag!

Ich wollte stehen bleiben, ihm in die Augen schauen und nach Antworten suchen, aber der Durst trieb mich weiter. Vielleicht blieb nachher noch Zeit dafür, zu fragen, woher er das wusste. Bis dahin versuchte ich sein Grinsen zu ignorieren und mich auf das Trinken zu konzentrieren.

Bald schon hatten wir eine bewohntere Gegend erreicht. Die Nacht zwang die Menschen dazu zu schlafen. Ihre Sinne waren im Schlaf so schlecht, dass selbst ein Küken, also ein Frischvampir, eine ganze Familie umbringen könnte. Es war eigentlich nicht meine Art, in Häuser einzubrechen, um dort zu jagen, aber mein Durst bat mich dringend und so mussten wir in ein Familienhaus einbrechen.

Der Blonde flitzte voraus, brauste durch die Garage und holte einen Ersatzschlüssel. „Wir machen das heute mal ganz stilvoll. Wir wollen ja nicht, dass irgendjemand gleich Verdacht schöpft.“

Der Muskulöse lachte und schlug mir freundschaftlich auf die Schulter: „Das haben wir damals natürlich nicht gemacht!“

Ich beäugte ihn skeptisch, doch die Tür stand bereits offen und ich trat ein, ohne sie zu fragen, was sie damit meinten.

Wie dumm ich mir plötzlich vorkam. Ich ging auf die Jagd mit zwei Vampiren, die Jason und mich gerettet hatten, die im Tage gehen konnten wie ich, denen ich irgendwie vertraute und irgendwie auch nicht.

Mir war es schleierhaft, warum sie sich gemeinsam mit mir auf die Jagd begaben und weshalb sie so furchtbar nett zu mir waren, aber ich wollte alle Antworten erfahren. Später. Aber jetzt, jetzt war das Trinken das wichtigste für mich.

Wir schlichen durch die Küche und der Blonde war bereits verschwunden.

„Mach dir nichts draus, er will immer der Erste sein!“, flüsterte der Muskulöse.

Ich nickte und ging voran. Als ich auf das Wohnzimmer stieß und ich mit meiner Auspex-Fähigkeit, die sich anscheinend automatisch eingestellt hatte, die Aura eines Menschen erkannte, welcher dort auf dem Sofa schlief, überrannte mich mein Jagdinstinkt beinahe. Es machte mir Angst, wie einfach und unüberlegt ich in wenigen Sekunden direkt neben ihm stand.

Meine Augen vergrößerten sich beim Anblick seines freiliegenden Halses, worunter die Halsschlagader nur so pulsierte. Mir kam es so vor, als würde sie sich immer schneller bewegen, als würde die Ader selbst zu mir gelangen wollen, um mir das süßliche, herrliche Blut zu trinken zu gewähren.

Langsam öffnete sich mein Mund und meine Zunge spielte mit meinen Zähnchen. Ich war mir sicher, nie hatte ich so lange gebracht, um mich einem Opfer zu nähern und um ihn auszusaugen, ich zögerte beinahe, nein, ich genoss jeden Augenblick!

Aber ich hatte es auch lange nicht mehr getan. Jason zuliebe hatte ich darauf verzichtet Menschen zu jagen. Und einem Teil in mir kam es noch immer nicht richtig vor, auch wenn Jason kilometer weit weg war.

Aber ich überließ mich nun ganz meinem Instinkt, näherte mich von hinten ans Sofa, packte mit der linken Klaue seinen Kopf und zeitgleich mit der Rechten seinen rechten Oberarm, öffnete weit meinen Mund und biss zu.

Mein Mund zog sich zusammen und ich saugte kräftig und gierig das Blut in mich hinein. Herrlich! Wieso hatte ich darauf bloß verzichtet? Ich vergass zu denken und saugte immer heftiger, der Mensch, der nichtmal wusste, wie ihm geschah, hatte keine Möglichkeit sich zu wehren. Er war wie gelähmt und zuckte nur einige Male – sinnlose Fluchtversuche, die ich mit Leichtigkeit unterbinden konnte.

Ich saugte noch kräftiger und verfiel meinem Rausch, bis sich plötzlich abrupt und ungewollt mein Mund von seinem Hals löste und ich mich auf dem Boden wiederfand.

Der Blonde war über mich gebeugt und starrte mich zornig an. Erst da verkleinerten sich meine Augen wieder und ich erkannte, dass ich beinahe einen großen Fehler begangen hatte.

„Du hättest ihn beinahe getötet!!“, flüsterte er wütend und umklammerte meine angespannten Krallen.

Meine Zunge fing die letzten Ãœberreste des Blutes von meinen Lippen auf und verhielt sich danach wieder still.

Hastig versuchte ich meine Arme wieder zu bekommen, doch der Blonde war stärker als ich annahm.

Als Vampir hatte man die Wahl, wie man überleben wollte. Die Jünglinge entscheiden sich meistens dazu, ihrem Instinkt zu folgen, weil das am einfachsten ist. Auch ich tat das in meiner Anfangszeit. Man saugt den Menschen das Blut komplett aus und tötet sie damit.

Manche Vampire entscheiden sich sogar aufgrund dieser Grausamkeit komplett gegen die Aufnahme von menschlichem Blut, ernähren sich nur noch von Tieren oder Blutbeuteln.

Aber es gibt auch die Möglichkeit von Menschen zu trinken, ohne sie umzubringen. Diese Technik ist schwer zu erlernen, aber für ältere Vampire meist der intelligenteste Weg zu verhindern, dass die Existenz der Blutsauger bekannt wird. Und es war auch mein Weg gewesen. Aber es war häufig so schwer mit dem Trinken aufzuhören, dass man wiedermal einen Menschen tötete, ohne es zu wollen.

Und es schien, dass gerade jetzt, wo ich zwischen Menschsein und Vampirdasein switchte, der Schwierigkeitsgrad aufzuhören, noch gewaltiger war.

Der Muskulöse packte mich und zerrte mich zurück nach draußen, wo der Blonde bereits wartete, weil er vorausgeflitzt war.

Als ich meine Arme wieder zurück hatte, hielt ich mir meinen Mund sofort zu. Die Schuldgefühle begannen zu wirken und würgten das Blut wieder hoch.

Mit einer Mischung aus Verwirrung und Besorgtheit sahen mich die beiden Vampire an und wussten nicht, wie mir geschah.

Mein Befinden wechselte urplötzlich so stark, dass ich nicht mehr sagen konnte, ob ich stand, lag oder gar schwebte.

Das Blut in mir löste einen eigenartigen Zustand aus. Es war nicht mit dem Blut der Seraphim zu vergleichen, aber kam dem Gefühl ein wenig nahe. Der einzige Nachteil war, dass ich das Gefühl hatte, ich würde schreien oder eine Stimme in mir würde das tun.

Mal hatte ich auch das Gefühl ich würde mich übergeben, dann sah ich wieder für einige Sekunden die beiden Vampire vor mir stehen und mich ängstlich anblicken. Das war anders als die bisherigen Blackouts, die ich gehabt hatte, wenn ich kurz vor der Verwandlung stand.

Dann sah ich verschiedene Auren, sah wieder normal und auf einmal gar nichts mehr. Es war wie eine unendliche Fahrt mit einer düsteren Achterbahn. Mein flaues Gefühl im Magen brachte mich beinahe um.

Mittlerweile war ich mir ganz sicher, dass das Gefühl nicht zu vergleichen war mit dem Zustand, in den mich das Seraphimblut versetzt hatte. Es war wie ein Horrortrip, der nicht enden wollte.

Das Letzte, was ich hörte und worüber ich nicht im Stande war, nachzudenken, waren die Worte des Muskulösen: „Jetzt kann ich mir denken, warum Amanda so interessiert an ihr ist...“

Dann wurde alles schwarz vor meinen Augen, die Übelkeit siegte über meinen Verstand und mein Bewusstsein verschwand.

Kapitel 14 Ende.

Als ich erwachte, spürte ich eine gewisse Taubheit in meinen Armen und Beinen. Als ich endlich wieder in der Lage war, meine Augen zu öffnen, fand ich mich liegend in einem Zimmer wieder, dessen Decke ich anstarrte und mir sehr bekannt vor kam.

Es war bereits Tag und ein kleines Licht flitzte an der Wand hin und her. Ein kleiner Kreis, der sich nicht entscheiden konnte, zu welcher Seite er wollte und mein Blick folgte ihm, wie der einer Katze.

Das ging eine ganze Weile so, bis das Licht plötzlich verschwand und ich mich gezwungen sah, aufzusehen.

Als ich meinen Kopf anheben wollte, bemerkte ich zum ersten Mal, dass eine Art Gurt meine Stirn an das Bett fesselte, in dem ich lag. Auch als ich meine Arme und Beine bewegen wollte, war dies nur in geringem Maße möglich, da etliche Gurte meinen Körper festhielten.

Mit einem leichten Stöhnen demonstrierte ich mein Unbehagen und endlich machten sich Schritte auf zu mir.

Ein mir bekanntes Gesicht beugte sich über meins. Der Blonde, der seinen Kopf mit einer tiefen Kapuze versteckt hielt, versuchte mich mit einem ruhigen Blick zu besänftigen.

„Alles okay... du bist hier in Sicherheit.“, sagte er und in meinem Kopf wirbelte ein kleiner Gedanke umher, der sich nicht fangen ließ.

Ich versuchte zu sprechen, doch war es mir aus irgendeinem Grund nicht möglich, daher stöhnte ich wieder, um mein Unbehagen auszudrücken.

Der Blonde berührte mich mit seiner versteckten Krallenhand und blitzte mir etwas vergnügt mit seinen Augen in meine.

Endlich ließ sich der Gedanke in meinem Kopf einfangen!

Ich wusste nun endlich genau, wo wir waren: Wir waren in meiner alten Wohnung, die ich verlassen hatte, nachdem dort irgendjemand eingebrochen war, so demonstrativ, als hätte derjenige gewollt, dass ich es erfahren sollte. Und ich wusste nun genau, wer dahinter steckte. Es waren dieselben Vampire, die Jason und mich vor den Geistern beschützen ließen. Es waren dieselben, die „interessiert“ an mir waren, aus welchem Grund auch immer. Es waren dieselben, vor denen sich Anette so fürchtete.

Ich versuchte mich kräftigt zu räuspern, was mir erst nach einigen Sekunden richig gelang.

„Die... Sint...flut...lichen...“, brachte ich heraus und der Blonde lächelte zufrieden.

Er brauchte mir keine Antwort zu geben, ich wusste ganz sicher, dass ich Recht hatte. Er legte seine Krallenhand auf meinen Mund nieder und brachte mich mit einem „Scht.“ zum Schweigen.

Danach stand er auf und gesellte sich zum Muskulösen in die Ecke, der dort an meinem Computer saß und anfing, etwas zu tippen, woraufhin wieder ein kleiner Lichtschein an der Wand auftauchte, um hin und her zu flitzen.

Es war anstrengend für mich, aber ich versuchte meinen Kopf so weit anzuheben, dass ich erkennen konnte, woher der Lichtschein kam, bis ich in meinem Augenwinkel erkannte, dass eine goldene, alte Uhr, sein Handgelenk zierte, die die Ursache dafür war.

Als ich meinen Kopf wieder tief ins Kissen drückte, dachte ich über diese Uhr nach, die so gar nicht zu ihm passte. Sie war alt und schnürte sich eng um sein breites Handgelenk, welches die Klauen des Todes hielten.

Ich hörte ihn tippen und achtete auf die Unterhaltung der beiden.

„Willst du ihnen wirklich per Mail Bescheid geben? Du weißt, wie sehr Amanda diese neue Technologie verachtet...“, sagte der Blonde zum Muskulösen, der kurz eine Pause beim Tippen einlegte.

„Leo, manchmal habe ich das Gefühl, du möchtest sie nicht zu ihnen bringen...“

Der Blonde namens Leo schwieg eine Weile, ehe er sagte: „Darum geht es nicht, obwohl es in mir schon etwas Unbehagen auslöst. Ich meine hättest du die Wahl, noch einmal zu entscheiden, ob du dich ihnen anschließen möchtest, würdest du es tun?“

Der Muskulöse lachte kurz und hielt inne.

„Sag schon, was würdest du tun?“, fragte Leo erneut und diesmal kam eine einleuchtende Antwort zurück: „Ist es nicht dümmer sich gegen sie zu stellen als sich ihnen anzuschließen?“

Daraufhin herrschte Schweigen und das Tippen fing an Stelle der Unterhaltung wieder an.

„Leo...“, brachte ich beinahe tonlos heraus, doch er verstand und gesellte sich zu mir. Ich hatte erwartet, er würde in Windeseile bei mir sein, stattdessen brauchte er eine halbe Ewigkeit bis er bei mir war, obwohl ich wusste, er konnte sich bewegen wie ein Blitz.

Erneut strich er mit seiner Hand über mein Gesicht und versuchte mich zu beruhigen.

„Wir müssen dir wohl nichts mehr erklären, du bist von selbst darauf gekommen. Trotzdem möchte ich dir alles sagen, was noch unklar ist und bis dahin müssen wir dich leider an dein Bett gefesselt lassen, obwohl das vermutlich überflüssig ist bei einem Menschlein wie dir.“

Nachdem er die Worte ausgesprochen hatte, erkannte ich das ungewohnte Geräusch in meiner Brust. Mein Herz schlug wie wild, es erkannte früher als ich in welcher aussichtslosen Lage ich mich befand.

Ich konnte mich auf keinen Fall befreien, so viel war sicher, dafür war ich jetzt viel zu schwach. Sie hatten Recht, ich war nun ein Mensch und war ihnen damit völlig ausgeliefert.

Dennoch gab es einige Fragen, die mich interessierten: „Warum...?“ war jedoch das einzige, das ich vorerst durch meinen tauben Mund sagen konnte und ich wartete gespannt auf eine Antwort.

Ich hörte genau, wie der Muskulöse, dessen Namen ich noch immer nicht kannte, aufhörte zu tippen, vermutlich, um Leos Antwort zu lauschen.

„Nunja, Nelly...“, beim Aussprechen meines Namens lief mir unweigerlich ein Schauer über den Rücken, „wie du dir bereits gedacht hast, arbeiten wir für die Sintflutlichen Amanda und William. Sie sind die stärksten Vampire der Welt, die es in Jahrtausenden geschafft haben, sich Kräfte anzueignen, von denen wir nur träumen können. Und wir sind nach Santa Monica gekommen, weil William einen äußerst ausgeprägten Geruchssinn hat. Er hat deine Fährte im Umkreis von hunderten von Kilometern erschnüffelt! Und etwas an deinem Duft schien ihn nicht mehr loszulassen. Er berichtete vorerst nur Amanda davon und zusammen beschlossen sie, sich auf die Suche nach dem geheimnisvollen Duft zu begeben. Sie waren bereits vor Wochen nur noch an dir interessiert, ja, ich glaube sogar sie fürchteten sich vor dir! Warum auch immer. Sie setzten uns auf dich an, mehr über dich und deine Gewohnheiten zu erfahren und wir erkannten, dass du dich tagsüber nicht versteckt hielst, wie alle anderen. Sondern, dass du im Sonnenlicht spaziertest, als wäre es das Normalste der Welt für einen Vampir! Du trotzt der Gefahr einfach so und vermutlich ist es das, was den Sintflutlichen Angst bereitete. Sie befahlen uns, dich zu fangen und dich davon zu überzeugen, nunja, dass es für dich das Sicherste wäre, ...“, doch Leo sprach nicht weiter, weshalb sein Freund das für ihn erledigte: „... dich ihnen anzuschließen.“

Beim Gedanken daran, dass diese Sintflutlichen, diese legendären Vampire, nur an mir interessiert waren und deshalb solch einen Tumult veranstaltet hatten, verstand ich einfach nicht.

„Wenn du mich fragst, wollen sie nur herausfinden, wie du es schaffst, wieder zu einem Menschen zu werden. Und wenn sie diese Information haben, … na, wer weiß, ob sie dich dann noch brauchen!“, Leo seufzte.

Noch einmal kurz wirbelte der Lichtschein der goldenen Uhr an der Wand umher und erinnerte mich damit daran, dass es bereits Tag war.

Ich ignorierte Leos Worte und versuchte hochzuschnellen, wurde jedoch schnell von den Gurten gebremst.

„Jason!“, gab mein Hals flüsternd, aber eindeutig hervor.

Der Muskulöse stand von meinem Computer auf und stand nun direkt neben mir, auch sein Kopf war eingehüllt in eine Kapuze.

„Der Mensch, der sonst immer mit dir zusammen ist?“, fragte er und ich wagte nicht zu antworten. Ich befürchtete, ihn damit in Gefahr zu bringen. Vielleicht aber wussten sie bereits, dass wir uns heute beim Ocean House treffen wollten und hatten ihn vor mir abgefangen.

Ich biss mir auf die Unterlippe und entschied zu schweigen.

„Wir wissen nicht, wo er sich befindet. Wir nahmen an, du hättest ihn weggeschickt, ihn in Sicherheit gebracht!?“, kam es von Leo, der mich mit seinem Blick durchbohrte.

Meine Augenbrauen zogen sich tief nach unten und mein Mund schob sich spitz zusammen. Wut tauchte in mir auf. Ich hatte keine Ahnung, wie spät es war und ich hatte keine Ahnung, ob Jason überhaupt nochmal zurückkehren wollte, aber sollte dies der Fall sein – sollte er wirklich meinetwegen zurückkekommen sein! - wo würde er sich nun befinden, da ich nicht am Treffpunkt war? Er würde sich in ständiger Gefahr befinden, ohne es zu wissen! Ich war mir sicher, selbst wenn Leo und sein Freund seinen Namen nicht kannten, so würden sie ihn an seinem Geruch mit Sicherheit erkennen können. Und wenn dieser Sintflutliche namens William wirklich einen so starken Geruchssinn hatte, so wäre es für ihn ein Leichtes, ihn zu fangen und ihn dann dazu zu benutzen, mich zu erpressen, mein Geheimnis des Menschseins preiszugeben!

Dabei wusste ich ja nicht einmal selbst, wie dies zustande gekommen war. Aber ob sie mir das glauben würden?

Das einzige, worauf ich hoffen konnte, war, dass Jason nicht so leichtsinnig sein wunderbares Leben aufgab, um zu mir und dieser Gefahr, die von mir ausging, zurückzukehren...

Und sollte es ihn doch hierher verschlagen haben, so konnte ich nur beten, dass Anette sich an die Abmachung hielt und ihn zumindest versuchte, zu beschützen...

Kapitel 15 Ende.

Mir kam die Welt furchtbar langsam vor, so an dieses Bett gefesselt. Ich hoffte nur, dass ich vielleicht die Chance bekommen könnte, zu fliehen, um Jason wieder nach Downtown bringen zu können. Um mich selbst davon zu überzeugen, dass es ihm gut ging.

Und irgendwann erkannte ich meine Chance. Ich tüftelte jedoch viele weitere Minuten an meinem Plan, um auch ja keinen Fehler zu machen. Das schwierigste würde es sein, vor Leo davonzulaufen, welcher mich innerhalb weniger Sekunden einholen und festhalten würde. Und als Mensch war es mir unmöglich ihn daran zu hindern.

Zunächst jedoch musste ich versuchen mich aus den Gurten zu befreien. Ich hatte eigentlich keine Abneigung gegen die zwei Vampire, die hier auf mich aufpassten. Sie hatten mir nie ein Leid getan und sie hatten auch dafür gesorgt, dass Jason am Leben blieb, was die Sintflutlichen sicher nicht von ihnen verlangt hätten.

Dennoch. Sie würden mich nicht freiwillig gehen lassen und so musste ich meinen Plan in die Tat umsetzen.

Vorerst musste ich aber noch etwas anderes wissen. Mittlerweile hatte ich meine Stimme wiedergefunden: „Wie könnt ihr eigentlich jetzt hier sein? Ich meine so am Tag...“

Der Muskulöse lachte wieder statt mir eine Antwort zu geben, aber Leo versuchte zu erklären: „Eigentlich können wir das nicht. Die Sintflutlichen, also Amanda und William, haben uns trainiert. Es hat Jahre gedauert diesen Zustand zu erlangen. Deshalb waren wir auch so erstaunt, dass du mit Leichtigkeit durch die Sonne gingst. Jedenfalls lernten wir von ihnen. Es hat viel mit Körperkontrolle und Willensstärke zu tun. Wir verkleiden uns zudem, damit das Brennen auf der Haut nicht zu stark ist, aber es ist trotzdem schwierig. Die Kleidung bringt so gut wie gar nichts... Wenn die Wolken uns nicht schützen, müssen wir in kurzer Zeit zurück in ein Gebäude oder in die Kanalisation verschwinden. Aber für einige Minuten trotzen wir der Gefahr und lassen das Brennen über uns ergehen. Ich habe es leichter als Kev – ich bin unfassbar schnell!“, er unterbrach seine Erklärung durch ein kleines Schmunzeln, „Aber es ist dennoch beinahe unmöglich. Selbst Amanda und William können der Sonne nicht so trotzen wie du. Bei dem Versuch hat William vor einigen Jahren sogar einen Finger verloren. Wenn du ihm bald begegnest, dann achte da mal drauf. An seiner linken Hand der kleine Finger. Davon ist nur noch ein Stummel übrig!“, er lachte belustigt und wurde schnell von Kev, dem Muskulösen, unterbrochen: „Leo, ich glaube es reicht jetzt mit Erklärungen...!“

Leo nickte zustimmend und wich von meinem Bett.

Also gab es eine Chance. Wer hätte gedacht, dass ich als Mensch ihnen etwas voraus hatte?

Nur musste ich schnell sein und ich musste so bald wie möglich handeln.

„Oh Gott... auch das noch...!“, kam es genervt von Kev, der mit den Augen rollte.

Leo lauschte einen Moment, dann seufzte auch er genervt. „Was Menschen daran so toll finden... ich kann es wirklich nicht verstehen.“, sagte er und hielt sich demonstrierend die Ohren zu, doch ich hörte nichts. Für mich war es völlig still. Wenn nicht einer von ihnen wieder aufstöhnte oder etwas sagte, hörte ich nichts.

Das einzige, das ich hörte, und ich strengte mich so sehr an, war ein dumpfes Pochen, das aus meiner Brust kam.

Doch das Pochen wurde lauter und schlug plötzlich schneller. Schlug mein Herz jetzt anders? Oder war das ein anderes Geräusch?

Ich erkannte einen wiederkehrenden Rhythmus und dann verstand auch ich: Eine Parade.

Es konnte nicht perfekter sein! Eine Parade und sie schien diese Straße entlangzumarschieren.

„Das klingt furchtbar...“, kam es wieder von Kev, „Ich hasse das.“, doch er wirkte trotzdem gelassen.

Der Rhythmus wurde lauter.

Ich strampelte im Bett hin und her und erregte somit seine Aufmerksamkeit. Kev stand auf und trat zu mir.

„Gibt es irgendein Problem?“, fragte er und ich versuchte so gut zu schauspielern wie es nur ging.

Ich räusperte und sah verlegen zur Seite.

„Nunja...“, wieder ruckelte ich ein wenig. „Was ist denn los?“, fragte Leo nun, der in der Ecke saß und zu uns herüber sah.

„Ich hab da so ein... menschliches Bedürfnis.“, sagte ich resignierend und die beiden wechselten ängstliche Blicke untereinander.

Leo lächelte verführerisch zu mir herüber, woraufhin ich so bittend wie möglich Kev ansah.

„Bitte, hilf du mir. Leo hat... keinen Anstand.“, gab ich von mir und Leo stand auf und wirkte etwas erschüttert.

„Ach, bitte!“, sagte er abweisend, „als würde ich...“, doch Kev unterbrach ihn und lächelte mir zu.

„Ist schon gut. Ich übernehme das.“, sagte er und ich versuchte zufrieden zu gucken, aber dennoch nicht preiszugeben, wie zufrieden ich wirklich war, dass er und nicht Leo mich zur Toilette begleitete, um nicht auffällig zu wirken.

Kev schnallte zuerst den Gurt von meinem Kopf, der mir schon ein wenig Kopfschmerzen bereitet hatte. Danach löste er die Gurte von meiner Brust, meinem Bauch und meinen Beinen. Zum Schluss die zu meinen Füßen. Endlich konnte ich mich wieder bewegen.

Erleichtert streckte ich meine Glieder und setzte mich langsam auf.

„Ich werde mit ins Bad kommen müssen.“, warnte Kev mich und half mir hoch. Meine Beine waren eingeschlafen und kribbelten furchtbar, als ich aufstand.

Ich ging einige Schritte durch den Raum, ehe ich meine Füße wieder richtig spürte. Dann ging ich voran und versuchte mich an meinen Plan zu halten.

Als Kev mir in mein kleines Bad folgte, schloss ich hinter uns die Tür.

„Er guckt schon nicht!“, lachte der Muskulöse, der beinahe den gesamten Raum einnahm.

„Na, wer weiß...“, sagte ich und ging die letzten Meter zur Toilette. Ich öffnete meine Hose, doch drehte mich erneut zu Kev um.

Ich starrte ihn eine Weile an, ehe er verstand und mir den Rücken zuwendete. „Jaja, ist ja schon gut.“, meinte er und kicherte.

Jetzt musste alles sehr schnell gehen.

Langsam ging ich an der Toilette vorbei zum kleinen Fenster und versuchte es tonlos zu öffnen. Dabei konzentrierte ich mich darauf, mein Herz zu beruhigen, sodass es mich und mein Vorhaben nicht verriet.

Draußen kam die Parade immer näher und daher wusste ich, dass ich schnell sein musste, denn die Parade würde deutlich lauter in seine Ohren dringen, sobald ich das Fenster geöffnet hatte.

Mit einem Ruck riss ich das Fenster auf, drehte mich so schnell ich konnte herum, schnappte die Innenseite des Badezimmerschrankes, welches ein Spiegel war und blendete damit Kev, der sich gerade nach dem Geräusch umgedreht hatte.

Er stöhnte auf, als das Sonnenlicht ihn direkt blendete und ich versuchte keine Zeit zu verlieren, ehe Leo darauf aufmerksam wurde, sprang so schnell ich konnte auf den heruntergeklappten Toilettendeckel und hechtete aus dem Fenster.

Als ich unten landete, ich war mir sicher, ich hatte mir irgendetwas gebrochen, weil ich gerade aus dem 2. Stock gesprungen war, wurden schnell Leute der Parade auf mich aufmerksam und eilten herbei, um mir zu helfen. Ich hörte ein lautes „Scheiße!“ aus dem kleinen Fenster und sah Leo, der im Bad zu mir herunterschaute.

Unter Schmerzen gab ich ein kleines Lächeln preis, ihnen entkommen zu sein. Dann verschwand sein Gesicht.

Eine ältere Dame und ein junger Mann kümmerten sich um mich und versuchten mir aufzuhelfen, aber ich konnte nicht aufstehen.

Mir war, als hörte ich beim Versuch mein Gewicht zu halten, mein Bein entzweibrechen. Da schrie ich einmal kurz auf und brach wieder zusammen. Der junge Mann rief einen Sanitäter herbei, der zur Sicherheit in der Parade mitgelaufen war.

Es tummelten sich bald so viele Menschen um mich herum, die aus der Nachbarschaft sich der Parade angeschlossen hatten oder ihr angehörten, dass es für Leo und Kev unmöglich war, mich aus dieser Menschenmenge zu entführen.

Ich hatte es tatsächlich geschafft! Und das als Mensch!

Selbst wenn sie mir nun folgen sollten, wusste ich, dass es bei der Hitze, die aufgekommen war, ihnen sehr schwer fallen würde. Die Sonne stand hoch über uns und war mit den vielen Menschen um mich das einzige, das mir Schutz gab.

Es dauerte nicht lang, da kam ein Krankenwagen herbei, um mich ins Krankenhaus zu bringen.

So weit jedoch hatte ich meinen Plan ausgefeilt. Ich würde angeben, ich sei eine Austauschschülerin und hätte meinen Ausweis nicht dabei. Ich würde irgendeine Adresse angeben oder so tun, als würde ich nicht genau ihre Sprache verstehen, weil ich natürlich nicht meinen richtigen Namen angeben konnte, weil ich für sie vor mehr als sieben Jahren gestorben war.

Danach würde ich mich so schnell wie möglich aus dem Staub machen, um Jason zu finden.

Ich konnte es schaffen! Wartet's nur ab, Amanda und William, ihr Sintflutlichen, ihr habt keine Ahnung, wozu ich fähig bin!

Kapitel 16 Ende.

Jason Nicholas Barefield

 

Als ich erwachte, fand ich mich in einem weißen, sterilen Raum vor. Ich hasste Krankenhäuser! Schon immer. Mir kam die Welt furchtbar langsam vor, so an dieses Bett gefesselt. Aber was noch viel schlimmer war als in diesem weißen, hässlichen, stinkenden Raum und an einem Tropf gebunden zu sein, war die Tatsache, dass ich allein war.

Ich wusste, wäre sie bei mir geblieben, würde sie jetzt neben meinem Bett wachen. Hätte sie bei mir bleiben wollen, hätte sie es getan.

Aber sie war fort. Nicht bei mir. Das war das erste, was mir auffiel.

Ich sah aus dem Fenster und der Sonnenschein trieb Verachtung in mich hinein. Ich hoffte auf die Dunkelheit. Ich hoffte auf Nelly.

Wie viel Zeit wohl vergangen war? Meine Uhr hatte man mir abgenommen und ich trug eine Art leichtes, grünes Tuch, das Patienten wohl gezwungen waren zu tragen.

Zu meiner Rechten erkannte ich einen Nachttischschrank, auf der meine Brille lag, die ich mir wieder auf die Nase setzte, doch als ich mich erheben und die kleine Schublade öffnen wollte, die mich so verlockend ansah, tat die Tür sich auf und eine Krankenschwester strahlte mir entgegen. Sie hatte blonde, lange Locken und einen kleinen, spitzen Mund. Ihre blauen Augen erinnerten mich an das Fräulein, das ich im Vampirclub kennengelernt hatte und dessen Schwester Nelly wohl zum Opfer vorgefallen war.

Der Gedanke an Nelly ließ sich so leicht nicht abschütteln. Die Schwester nahm meine Akte und schlug ein Blatt um.

„Hallo, Jake. Ich bin Natalie. Dr. Runks wird sicher bald hier sein, um Ihnen mehr zu ihrem Befinden sagen zu können. Haben Sie gut geschlafen? Sie hatten hohes Fieber... so viel darf ich zumindest schonmal sagen.“, sie lächelte und legte die Akte beiseite.

Ich verstand nicht, warum sie mich Jake nannte. Ich war mir sicher, dass mein Name Jason lautete, aber ich versuchte nicht, sie zu verbessern und beantwortete aus Höflichkeit ihre Frage: „Ich hab ganz gut geschlafen... etwas gewöhnungsbedürftig diese grünen Hemdchen, aber es ging wohl...“

Die Schwester kicherte und trat näher.

„Aber Ihnen steht sie doch“, sagte sie und ich bemerkte, dass sie wohl versuchte mit mir zu flirten, doch ich ging nicht darauf ein.

Als sie dies bemerkte, lag ein Hauch der Enttäuschung in ihrem Gesicht und sie nahm beiläufig meine Akte wieder in die Hand.

„Tja, die grüne Patientenkleidung ist nicht Jedermanns Sache...“, sie zog die Schultern kurzzeitig nach oben, „Im kleinen Schränkchen neben sich finden Sie ihre Privatsachen.“, erneut lächelte sie kurz, gab es jedoch auf sich mit mir gut zu stellen und verschwand schließlich aus dem Zimmer.

Als sie endlich gegangen war, richtete ich mich endlich auf und bemerkte, dass meine Beine eingeschlafen waren. Ich wollte sofort meine privaten Sachen überprüfen, doch in der Angst, dass alles, was ich bisher erlebt hatte, möglicherweise nur ein Traum gewesen war und meine kribbelnden Beine überzeugten mich vorerst davon, dass ich mich etwas bewegen sollte.

Ich stand auf und ging eine Weile hin und her, konnte mich jedoch nicht zu weit entfernen, da ich noch am Tropf hing.

Endlich spürte ich meine Beine wieder und ließ mich erneut auf mein Bett nieder.

Ich dachte darüber nach, was alles passiert war. Es war so absurd. Zu absurd, um wahr zu sein.

Vampire? Was hatte ich mir dabei gedacht? Es gab keine Vampire. Und es gab auch nicht jene Halbvampirin, die mich zu beschützen versucht hatte. Es gab sie nicht. Sie existierte nur in meinen Träumen.

Ihre schulterlangen, dunkel violetten Haare und ihren vollen, herzlichen Mund hatte ich mir eingebildet.

Ich hatte wohl einige Zeit im Koma gelegen und mir in meinen Träumen die wildesten Abenteuer überlegt. Ich lachte darüber, wie absurd es war, davon auszugehen, dass es vielleicht doch keine Träume waren, dass ich wirklich in einem Haus voller Geister gewesen war oder, dass ich einen Pakt mit einer Vampirin eingegangen war, die einen Club voller Vampire leitete.

Das kleine Nachttischschränkchen zog erneut meinen Blick auf sich.

Aber was, wenn es doch wahr war?

Meine Hand bewegte sich wie automatisch auf die Schublade zu und öffnete sie.

Ich erinnerte mich plötzlich daran, dass ich dort eine Brosche finden müsste. Sie wäre das einzige Indiz darauf, dass jene Träume die Wirklichkeit waren. Als ich die Schublade einen Spalt geöffnet hatte, starrte mir jedoch nur mein Haustürschlüssel entgegen.

Nicht einmal meine Brieftasche war hier! Hatte ich sie irgendwo vergessen? Oder hatte meine sorgsame Mutter sie an sich genommen, um mein Passbild immer bei sich zu haben, während ich, ihr einziger Sohn, im Koma lag?

Ich ärgerte mich darüber, dass ich so wenig über mich und mein letztes Ereignis zu wissen schien. Das einzige, an das ich mich erinnerte, waren die gemeinsamen Erlebnisse mit Nelly.

Die Tür ging ein weiteres Mal auf. „Guten Tag, ähm, ich bin Dr. Runks... wie fühlen Sie sich, Jake- ?“, der Arzt sah mich an und machte eine Handbewegung, ich solle weiterreden. Aber ich wusste es nicht. Ich wusste nicht, wie mein Name lauten sollte, wenn nicht Jason Nicholas Barefield.

Also antwortete ich: „Mir geht es... besser. Danke!“

Dr. Runks beäugte mich misstrauisch, schaute dann in meine Akte hinein und lächelte plötzlich.

„Nunja, wenn Sie sich dementsprechend fühlen, können Sie bereits morgen die Klinik verlassen. Sie hatten 40° Fieber und ein paar Platzwunden, die wir genäht haben. Jetzt sollten Sie sich noch etwas ausruhen und morgen klären wir dann die Formalitäten.“, er schlug meine Akte wieder zu, „Gut, dann belästige ich Sie nicht länger... achja, ehe ich es vergesse!“, er grinste unentwegt, „Haben Sie den Zettel schon gefunden? Das war mit das einzige, das wir gefunden haben... man, Sie sind ein Glückspilz, wenn ich richtig rate! Und keine Sorge, wir behandeln so etwas mit höchster Integrität! Aber heute ist bereits der dritte Tag, also müssen Sie ihr ein andernmal das Vergnügen bereiten!“, mir unverständlicherweise zwinkerte er mir zu und ließ mich schließlich allein zurück.

Ein Zettel?

Ich zog hektisch die Schublade ein Stück weiter auf, riss sie beinahe heraus und fummelte mit einer Hand darin herum. Dann endlich fand ich ein kleines Stück Papier, auf dem geschrieben stand: „ Triff mich in 3 Tagen bei unserem liebsten Hotel! Deine dunkle Freundin“

Da war er! Der Beweis! Ich war Jason Nicholas Barefield und ich hatte eine dunkle Freundin namens Nelly!

Jetzt war ich mir ganz sicher! Nelly, die Vampirin oder Halbvampirin, existierte! Und sie wartete auf mich... vielleicht bereits jetzt!

Ich musste mich also beeilen.

Ich hoffte nur, dass ich vielleicht die Chance bekommen könnte, zu fliehen, um zum Hotel zurückkehren zu können, um bei Nelly sein zu können.

Um mich selbst davon zu überzeugen, dass es ihr gut ging.

Und irgendwann erkannte ich meine Chance. Ich tüftelte jedoch viele weitere Minuten an meinem Plan, um auch ja keinen Fehler zu machen. Das schwierigste würde es sein, vor Schwester Natalie davon zu laufen, von der ich glaubte, sie würde trotz Enttäuschung noch immer Gefallen an mir haben und mich deshalb genau im Auge behielt.

Und als Mensch war es mir unmöglich sie daran zu hindern.

Wäre jedoch Nelly hier, hätte sie mich jederzeit befreien können. Aber sie war aus irgendeinem Grund nicht hier, sondern erwartete mich bereits im Ocean House.

Also machte ich so schnell ich konnte.

Zunächst einmal müsste ich mich daran machen, diese Kleidung gegen Alltäglichere zu ersetzen, sodass ich nicht auffallen würde, sobald ich das Gebäude verließ.

Doch in dem Moment, als ich versuchte mich vom Tropf zu lösen, um endlich von diesem Ort zu verschwinden, passierte etwas, womit ich nie gerechnet hätte. Ein drittes Mal sprang die Tür auf und ein mir bekanntes und mittlerweile verhasstes Gesicht strahlte mir entgegen, mit einer Pistole und einem Grinsen bewaffnet, zielte er auf meine Beine und schoss drauf los. Zu meinem Glück schoss er daran vorbei ins Bett, doch das leise Puffen der schallgedämpften Pistole war für die anderen Im Krankenhaus leider ungehört.

Der Schock saß tief, denn nie hätte ich hier mit ihm gerechnet!

„Ich wusste doch früher oder später würde ich dich in Downtown finden!“, rief er und schlug die Tür hinter sich zu.

Jetzt war ich dem Kahlkopf völlig ausgeliefert.

Unachtsam riss ich mir den Kateter aus der Hand und stolperte rückwärts.

„Dean, nimm die Waffe herunter, ich bitte dich...“, ich bemühte mich ruhig zu bleiben, aber was er wollte, war, dass ich mich vor Angst kaum winden konnte und den Gefallen konnte ich ihm leider zu gut erfüllen.

Etwas an ihm war anders. Er war schon immer rachsüchtig gewesen und bei Leibe auch zornig, ja, aber so grausam fröhlich an diesem Tun, das hätte ich ihm nicht so leicht zugetraut. Er hätte lieber jemand anderen vorgeschickt, um mich zu holen. Dass er es selbst tat, mit der Waffe in der eigenen Hand (auch wenn er einen Hang dazu hatte, seine Macht zu demonstrieren), das war äußerst merkwürdig und auffällig.

„Fällt dir eine Veränderung an mir auf?“, fragte Dean, der Verräter, beinahe stolz. Aber bis auf, dass er in unzählig viel Kleidung eingehüllt war, fiel mir nichts an ihm auf. Ich wusste trotz Kapuze, dass er noch immer einen kahlen Kopf hatte, in dem nicht viel Intelligenz wohnte.

Nachdem ich verzweifelt nach Veränderung gesucht hatte, aber nichts fand, entschied ich mich sachte den Kopf zu schütteln, um ihm dies mitzuteilen.

Da er so ein Hitzkopf war, wusste ich, dass jede Enttäuschung ihn vielleicht dazu brachte, mir mit der Pistole den Schädel zu spalten.

Aber stattdessen lachte er vergnügt über mein Unwissen und sprach geheimnisvoll: „Du wirst nie erraten, was passiert ist! Aber du wirst es noch erkennen... Wichtig ist vorerst nur, dass ich den Auftrag habe, dich mitzunehmen! Also pack deine Sachen, du Mensch, wir geh'n!“

Kapitel 17 Ende.

Mia Janies

 

Hey, woher sollte ich wissen, dass Rob mit solchen Freaks abhing? Er war eigentlich nicht der Typ für dauerschwarze Kleidung, düstere Musik und umgedrehte Kreuze!

Ich gebe zu, dass ihn ein gewisses Charma umgab und dass ich auch Satansanbetung für ihn bewilligt hätte, aber nie hätte ich mir träumen lassen, was dort am Meer auf mich wartete...

Als ich die ersten Schritte durch den Sand auf ihn zustapfte, war er wie verändert. Er sah mich mit einem Gesichtsausdruck an, den ich nicht einordnen konnte. Er sah irgendwie enttäuscht von mir aus – dabei wollte ich doch alles tun, um bei ihm zu bleiben!

Ich versuchte es locker zu sehen und unterhielt mich deswegen mit den anderen schwarzgekleideten und dunkel geschminkten Gestalten. Manche waren höflich zu mir, aber die meisten billigten mich nicht, das wusste ich. Vermutlich weil ich nicht wie sie war und wenn ich ehrlich war, auch nie sein wollte. Rob schlenderte zum Wasser. Ich beobachtete, dass er eine breite, halbleere Flasche in der Hand trug und nahm an, er wäre betrunken.

Als ich ihm folgen wollte, um mich nach seinem Befinden zu erkundigen, hielt mich eine kleine Blondine an meiner Schulter zurück.

Sie lachte mich an, beinahe hätte ich gedacht sie lachte mich aus, so schön wie sie war. Sie hatte zu beiden Seiten ihre glatten, blonden Haare zu Zöpfen gebunden, die ihr an den Schultern hinabhingen.

Sie sah aus wie eine Art düsterer Cheerleader. Sie war die einzige, die sich nicht in langen, düsteren Kleidern herumtrieb, sondern die, wie ich, einen roten Minirock bevorzugte.

Doch ehe ich sie fragen konnte, warum sie mich davon abhalten wollte, zu meinem Freund zu gehen, hörte ich einen tiefen, ängstlichen und weinerlichen Schrei hinter mir.

Das Mädchen mit den blonden Zöpfen und ich drehten uns zum Geräusch herum, doch unsere Reaktionen waren nicht dieselben.

Beim Anblick, der sich mir bot, schlug ich sofort vor Schreck meine Hand vor den Mund und meine Augen riss ich auf, obwohl sie nicht weiter diese Grausamkeit mitansehen wollten.

Das blonde Mädchen hingegen riss die Augen genauso weit auf wie ich, doch in ihren lag ein Glitzern, das besonders betont wurde durch ihr breites Grinsen.

Lange konnte ich sie jedoch nicht ansehen, weil das Mädchen, das ungefähr in meinem Alter war, und dort zu meinen Füßen lag, zu große Schmerzen hatte. Sie schrie immer und immer wieder, doch der Mann mit der schwarzen Robe ließ sie nicht entkommen und krallte sich immer mehr an ihr fest, das Blut rann ihren Hals entlang und ich stolperte rückwärts. Warum biss er ihr in den Hals? War das hier ein schlechter Scherz?

Plötzlich fühlte sich der Strandausflug mit Robs Freunden an wie eine Folterkammer. Überall ringsum wurden Mädchen in meinem Alter zu Boden geworfen und gebissen. Nur ich stand da und sah es mitan, hilflos.

Es gab nur einen Ort, an dem ich mich sicher fühlte und so rannte ich auf das Meer zu, der Strandsand zu meinen Füßen wirbelte durch die Luft und ließ das lachende, blonde Mädchen mit den Zöpfen zurück.

Ich lief schneller und machte erst Halt, als ich direkt neben Rob war, dort ließ ich mich fallen und begann zu weinen.

Zum ersten Mal sah ich wieder einen anderen Ausdruck in seinem Gesicht. Ich erkannte die Enttäuschung in seinen Augen, aber es war eigene Enttäuschung. Er war aus irgendeinem Grund von sich selbst enttäuscht.

Wieder nahm ich an, er wäre einfach zu betrunken, um mich zu verstehen, nie hätte ich geahnt, dass er so viel trinken konnte, wie er wollte und dass ihm dies nichts ausmachen konnte.

„Rob!“, krächzte ich und weinte unaufhörlich. Der Schrecken saß noch zu tief.

Doch Rob hörte mich nicht, sah starr geraus aufs Meer, nahm mich nicht in den Arm, sondern ließ mich neben ihm bitterlich zu Grunde gehen.

Nach vielen einsamen Minuten des Schluchzens folgte endlich eine Berührung, für die ich so dankbar war. Er rieb mir mit seiner ungewohnt harten Hand über den Rücken und flüsterte mir zu, ich solle aufhören zu weinen.

Dann drehte er sich endlich zu mir, als würde er endlich auf meinen Kummer eingehen wollen. „Mia, gleich ist es vorbei...“, sagte er und es war das Letzte, an das ich mich erinnerte, bevor ich in seine dunkelroten Augen blickte, die so rötlich und tödlich wie das Blut des Mädchens waren.

Noch ehe ich alles verstand, klammerte Rob sich an mich, saugte kräftig an meinem Mund und übergab mir damit den Fluch... Von da an war ich Nelly.

Kapitel 18 Ende.

Es dauerte nicht lange, da hatte ich raus, wie ich den Leuten aus dem Krankenhaus entkommen konnte.

Schließlich lag es nun an mir. Ich musste so schnell wie es ging zum Ocean House gelangen. Auch wenn der Ort sicherlich nicht der Schönste oder der Sicherste war, so empfand ich doch viel beim Gedanken an das Geisterhaus. Ich empfand viel beim Gedanken an Jason.

Ich kannte ihn eigentlich zu wenig, um ihn so vermissen zu dürfen. Vielleicht lag es an meiner zurückkgekehrten Menschlichkeit, die mich tagsüber einholte, aber ich konnte den Gedanken nicht ertragen, ihn nicht bei mir zu haben.

Als ich aus dem Fenster entwischt war, unter Schmerzen meines gebrochenem und zum Glück noch nicht eingegipsten Beines, machte ich mich daran mich im Schutze des Sonnenlichts zum Treffpunkt zu begeben.

Es dauerte unwahrscheinlich lange, bis ich dort eintraf. Zu hinderlich war es, nicht auf meine ungehaltenen Sinne vertrauen zu können.

Doch als ich endlich dort ankam - und ich war mir beinahe sicher, dass mir niemand gefolgt war – sackte ich am Eingangstor zusammen und versuchte meine Gedanken zu ordnen.

Er war noch nicht hier, falls er überhaupt kommen würde.

Etwas in mir widerstrebte der Möglichkeit, dass es ihn nicht hierher verschlagen wollte, auch wenn es für ihn das Sicherste wäre, nicht der Gefahr der Sintflutlichen ausgesetzt zu sein.

Jede Sekunde seiner Abwesenheit spürte ich die Sterblichkeit in mir deutlicher. Es war beinahe so, als könne ich dem Verfall meines Körpers zusehen. Das war ein grauenhaftes und doch natürliches Gefühl.

In manchen Momenten wünschte ich mir, es könnte immer so sein. Ich könnte immer ein Mensch bleiben. Sollte die Sonne niemals untergehen. Ich könnte bei Jason sein, ohne Angst haben zu müssen, ihn zu verletzen...

Aber auf der anderen Seite hatte ich es verlernt ein Mensch zu sein. Und ohne Jasons Hilfe war es mir mühsam, mich in dieses nicht vertraute Leben zurück zu finden.

Außerdem hatte ich die Jagd mit Leo und Kev wirklich genossen. Ich genoss das stätige Gefühl der Überlegenheit und nutzte gerne meine übersinnlichen Sinne. Mal davon abgesehen, dass es natürlich kein gutes Erlebnis war, dass ich den Mann im Familienhaus beinahe getötet hatte. Das würde jedoch nicht wieder vorkommen, sollte ich mich dafür entscheiden ein Vampir sein zu wollen. Das, was ich sieben Jahre lang hart lernen musste. Das, was ich als meine unendliche Zukunft gesehen hatte.

Ich dachte deshalb über eine Entscheidung nach, weil ich nicht wusste, ob es nicht vielleicht besser war, wenn ich einfach bloß wieder ein Vampir wäre. Ich könnte mich beißen lassen und es wäre vorbei mit dem menschlichen Teil in mir, oder? Aber wollte ich das wirklich?

Und war es wirklich eine so schreckliche Vorstellung sich diesen Sintflutlichen anzuschließen? Wenn sie dies von Jason fernhielt, ging ich das Opfer dann ein? Würde es mir vielleicht sogar gefallen an der Seite der stärksten Vampire, die es hier zuweilen gab, zu kämpfen? Aber möglicherweise lag ihr „Interesse“ an mir auch nur in der Erforschung meiner Einzigartigkeit. Hatten sie erst einmal herausbekommen, dass mich vermutlich das Seraphimblut in einen Menschen verwandelt hatte, wozu war ich ihnen dann noch von Nutzen?

Da fiel mir wieder ein, wie seltsam es war, dass ich mich noch immer stätig verwandelte. Obwohl das Seraphimblut in mir eigentlich keine Wirkung mehr haben konnte. Ich hatte derweil so viel Menschenblut getrunken und so viele Pfannkuchen verdrückt, dass es unwahrscheinlich war, dass sich das himmlische Blut noch in meinem Organismus befand. Also warum verwandelte ich mich noch immer?

Ich betrachtete ungläubig meine Hände. Ich vergewisserte mich belustigt mit einem Zwicken, dass ich nicht träumte.

Aus meinen Gedanken und meinem kleinen Schmerz, den ich mir selbst zugefügt hatte, starrte ich in Richtung des Geisterhauses, aus dem es polterte. Noch immer belustigt fiel mir zum ersten Mal eine mögliche Erklärung für den Begriff „Poltergeist“ ein. Leider war ich mir nicht sicher, ob es die Geister waren, die dort für Krach sorgten, da es sie eigentlich nur in Unruhe versetzte, wenn sie ungebetene Gäste erhielten.

Schleppend zog ich mich ein Stück in Richtung des leerstehenden Hotels.

Waren es Leo und Kev, die dort auf mich lauerten, um mich zu packen, sobald ich die Sicherheit der Sonne verließ und in das Haus hineinging? Oder war es Jason, der dort im Innern des Hauses sehnsüchtig auf mich wartete?

In diesem Moment wünschte ich mir meine Auspex-Fähigkeit zurück, die mich erkennen ließ, welche Auren im Haus herumirrten.

Doch schon bald erkannte ich, welch wundersames Wesen dort für Aufruhr sorgte. Dafür brauchte ich keine vampirischen Augen.

Aus Neugier, warum das Haus auf einmal stärker zu leuchten schien als die Sonne es bereits draußen tat (als gäbe es im Haus eine eigene Sonne), schlich ich mich näher an das Haus heran, mein kränkliches und hinderliches Bein hinterherschleppend.

Ich versuchte mich so leise, wie möglich zu bewegen, doch gelang es meinem tollpatschigen, schweren, halbmenschlichem Körper nicht und so versiegte das Leuchten mit einem Mal, ehe ich ankam.

Es war anders als das bläuliche Licht, das Kev aus seinen Händen schleuderte. Es war greller und eher orangefarben statt blau.

Als ich bereits fast an der Veranda angekommen war, krachte etwas erneut und ich hörte ein lautstarkes, weibliches Husten.

Ich versuchte zu lauschen, doch auch das fiel mir zu schwer, ich war viel zu sehr an das Vampirdasein gewöhnt, sodass ich wieder näher heran musste.

Das Husten hörte bald auf, als hätte die Person innerhalb des Hauses meine Anwesenheit nun bemerkt.

Ich traute mich gewiss keinen Schritt weiter, denn ich ahnte, dass die Geister noch immer nicht friedlich auf mich reagieren würden.

Als die Tür aufging, war ich nicht darauf gefasst, etwas so Helles vor zu finden, dass ich meine Arme schützend vor meine Augen halten musste. Diesmal war ich froh kein Vampir zu sein, denn dieses Licht hätte meinen Körper vermutlich ins absolute Jenseits befördert.

Als ich mich etwas an das Licht gewöhnt hatte oder es etwas abgeklungen war, trat eine große, schlanke Person auf mich zu.

Zunächst erahnte ich ihre Schönheit nur, die ich schon durch ihren graziösen Gang ausmachen konnte, da sich mein Blickfeld zunächst auf ihre Beine beschränkte aufgrund der Blendung meiner Augen.

Als sie näher an mich herantrat, nahmen ihr Becken und ihr nackter, heller und doch muskulöser Bauch Gestalt an.

Und als sie genau vor mich trat, schaffte ich es, ihr makelloses Gesicht zu betrachten. Sie war mit Abstand das hellste und schönste Geschöpf, das ich je gesehen hatte.

Ihre ellbogenlangen, weiß-silbernen Haare und ihr blutroter Mund stachen mir sofort ins Auge, aber noch viel auffälliger waren jene fast schon mechanisch metallisch aussehende Flügel, die sie auf dem Rücken trug und ganz besonders hatten es mir ihre grellen, weiß leuchtenden Augen angetan.

Ich verlor mich ganz in ihren schimmernden Augen, die aussahen, als hätte man kleine Lämpchen hinter die Augenhöhlen getan, damit diese so leuchteten. Sie wirkte beinahe wie eine Blinde, da ich mir nicht erklären konnte, wie sie sehen sollte so ohne Pupillen.

Und trotz dieser Auffälligkeit, erkannte ich in ihrem Blick Ernsthaftigkeit bis Wut.

Mit einer tiefen, sanften Stimme sprach sie zu mir: „Ein Engel des Lichts, geboren um die Unendlichkeit des Himmels zu bewahren und zu beschützen. Ein Engel, geboren um zu kämpfen, für all jene, die es verdienen. Ein Engel, geboren, um zu töten, all jene, die es wagen sich gegen das Licht zu stellen.“

Etwas eingeschüchtert, aber eingenommen von ihren Worten, ließ ich einige Sekunden verstreichen.

Mir kam es so vor, als wäre dies etwas, das sie rein formell sagen müsste, sollte sie einem anderen Wesen begegnen.

Natürlich kannte ich ihre Rasse. Ich wusste, wer sie war und wofür sie stand. Aber ihre Schönheit war außergewöhnlich und ihr Leuchten heller als ich es der Erinnerung an eine andere Seraphim zu verdanken hatte.

Ob sie wohl wusste, dass ich es war? Dass ich die Mörderin war? Dass ich eine ihrer Kameradinnen, Schwestern, Mitstreiterinnen oder wie auch immer man es sagen sollte, ausgesaugt hatte? Ob sie überhaupt wusste, dass ich nachts zum Vampir wurde? Ob sie wohl gar auf mich gewartet hatte?

Sie wich eilends zurück, als hätte sie jene Gedanken vernommen und nahm eine Abwehrhaltung ein.

„Woher stammen sie?“, sprach sie, wie aus einer fernen Zeit, „Woher stammen jene Erinnerungen deiner Gedanken? Wem stahlst du sie?“, doch ich konnte nicht folgen.

„Seraphim, nun, ...“, begann ich und atmete tief ein und aus und kostete die Luft um mich herum, „ … ich denke, ich bin es, die diese Gedanken...hat.“

Es war mehr ein Raten als Wissen, ob ich richtig lag bei dem, was sie von mir wissen wollte.

Ein großer Schreck durchfuhr mich, als sie mich plötzlich mit einem Arm packte und mir tief in ihre leuchtenden Augen blickte. Alles erhellte sich um mich herum, bis einzelne Bilder aufblitzten.

Als sie in mich eintauchte, ist da erst Nichts. Einen Augenblick lang befindet sich mein Körper in einer Starre und ich sehe nichts als weiße Dunkelheit. Erst höre ich dumpfe Geräusche, dann entwickeln sich Stimmen daraus. Ich kann sogar etwas riechen und beginne bereits zu schmecken. Ich höre zwei verschiedene Herzschläge – meinen eigenen und den meiner Mutter, als ich noch in ihrem Mutterleib bin! Wieder verändern sich die Geräusche, werden lauter, ich werde aus der Wärme gezogen, in eine grausame Welt gestoßen, in die ich nicht gehöre. Ein langer, kläglicher Babyschrei, dann geht alles furchtbar schnell. Ich spüre meinen Körper wachsen, unglaublich schnell, beinahe rasend schnell! Im nächsten Moment lache ich mit Freunden, spüre eine eigenartige Wärme beim Berühren eines anderen Menschens. Ich verliebe mich. Und verliebe mich wieder. Habe Streit mit Menschen, ziehe mich zurück. Verliere meine Mutter. Treffe Robert Strainsworth. Es gibt nichts, das mich mehr anzieht, als er. Ich verliebe mich. Liebe ihn. Will für Rob alles sein. Erlebe den größten Schock meines Lebens beim Zusehen, wie die Vampire sich über ihre Opfer hermachen. Der Blutkuss. Mein Herz hört auf zu schlagen.

Eine Weile ist es dunkel. Eine pechschwarze Dunkelheit, in die der Kampfengel keinen Einblick hat. Plötzlich befinde ich mich auf einer Parkband - mein Herz schlägt wieder! Ich treffe Jason. Aus irgendeinem Grund vertraue ich Jason. Fühle mich trotzdem einsam. Hin und her gerissen. Wieder schwarze Dunkelheit. Herz setzt aus. Herz schlägt wieder und bringt das Licht wieder zurück und dann geht es immer so weiter..., dann war es vorbei und die Seraphim schreckte zurück, konnte es beinahe nicht mehr ertragen, schleuderte mich beim Zurückschrecken ebenfalls zurück, während ich stark blinzelte, um wieder klar sehen und denken zu können.

„Bahh! Das ist ja widerlig... so etwas Ekelerregendes habe ich noch nie gesehen!“, rief sie plötzlich mit einer gar nicht so sanften, lieblichen Stimme. Sie schüttelte sich und das Leuchten in ihren Augen schimmerte nun nur noch leicht, mittlerweile erkannte ich darin eine graue Pupille, die von weißer Iris umhüllt war.

Noch immer verwirrt darüber, was sie überhaupt mit mir gemacht hatte und warum sie nun eine so fast menschliche Reaktion an den Tag legte, machte ich mich daran, meinem Bein etwas Entlastung zu spenden, in dem ich mich hinsetzte.

Wie eine unausgeprochene Bitte, die sie erhörte, setzte sich die Seraphim, trotz offentsichtlicher Abscheu mir gegenüber, zu mir.

Sie bewegte ihren Kopf auf ihrem Hals hin und her, der daraufhin ein kräftiges Knacken hinterließ und sah mich mit großen, nicht mehr leuchtenden Augen, wartend an.

Nach einer Weile des Schweigens, sprach sie in wieder etwas sanfterem, doch nicht mehr all zu übertriebenen heiligem Ton, der mit einer gigantischen Neugier versehen war: „Das musst du mir erklären!“

Kapitel 19 Ende.

„Bist du sicher, dass du wissen möchtest, wieso ich mich nachts wieder in einen Vampir verwandle? Wieso ich zumindest denke, dass ich mich verwandle. Ich meine, wissen tu ich es nicht.“, fragte ich das helle Wesen, das anscheinend nicht genug bekommen konnte von meinen Geschichten.

„Na aber sicher doch! Das ist alles so interessant!“, sagte sie mit einer Freude, die sich ziemlich echt anhörte.

Trotzdem. Ich konnte nicht glauben, dass das Kampfengelfräulein vor mir mich wirklich dazu gebracht hatte, ihr von Jason und meiner seltsamen Verwandlung zu erzählen. Und besonders mochte ich nicht daran denken, was sie mit mir anstellen würde, wenn sie wüsste, was ich getan hatte mit einer von ihnen. Oder wusste sie es bereits? Ihre Reaktion war so eigenartig gewesen, als nur die Gedanken an jene Nacht aufgetaucht waren.

Aus Angst, sie könnte sie wirklich hören, schob ich die Gedanken erneut beiseite.

„Ich weiß nicht, das ist keine so interessante Geschichte. Und, wie gesagt, ich weiß auch nicht, ob das dazu führte...“, wich ich aus, doch das schlanke, riesige und bildhübsche Mädchen, das mir aufgrund ihres Alters eigentlich hätte nur bis zu den Schultern gehen dürfen anstatt mich mit einem halben Kopf zu überragen, setzte einen beleidigten Blick auf, der mich an einen kleinen Hund erinnerte, wenn er ganz hungrig aussah und man ihm Essen gab, obwohl er es wahrscheinlich gar nicht benötigte.

„Nun, du kannst es mich auch einfach sehen lassen! Die kleine Reise vorhin hat mir zwar einiges gezeigt, aber lässt noch immer einige Fragen offen.“, sagte sie und ihre metallischen Flügel klappten sich einmal kurz zusammen.

„Du hast also in mich hineingesehen?“, fragte ich fassungslos. Sie hatte also wirklich dieselben Bilder vor Augen gehabt, wie ich. Sie hatte einen Schnelldurchlauf meines Lebens gesehen. Und zwar nur des Lebens. Von meinem Vampirdasein hatte ich ihr erst erzählen müssen.

„Ja, wenn ich eine Seraphim wäre, hätte ich sogar deine Gedanken lesen und vielleicht sogar kontrollieren können! Obwohl ich keine Ahnung habe, ob das auch bei Vampiren funktioniert...“

Wenn sie eine Seraphim wäre...?

„Du bist keine Seraphim?“, fragte ich und mittlerweile klang ich genauso neugierig wie sie.

„Nein!“, strahlte sie, „Noch nicht! So und nun erzähle mir mal, wieso du dich verwandelst!“

Als sie lautstark „Nein!“ gesagt hatte, wäre mir fast ein Stein vom Herzen gefallen und ich hätte mich überwinden können, es ihr zu erzählen, denn obwohl ich sie erst einen Augenblick lang kannte, wollte ich sie nicht so sehr verletzen. Aber leider wog der Stein mindestens dreifach so viel wie zuvor, als sie die Worte „Noch nicht!“ ergänzt hatte.

„Ich glaube es waren Drogen oder sowas in der Art... vielleicht fühle ich mich auch nur ab und zu menschlich und dabei bin ich es gar nicht... Ich weiß auch nicht genau...“, ich redete meinen Mund fusselig, aber, wie angenommen, würde sie mir kein Wort glauben und sie lachte beherzt los.

Ich versuchte sie wieder auf ihre Geschichte zu lenken: „Und wann wirst du eine Seraphim?“

Ihre fröhliche Miene wurde plötzlich schwer und ihre Mundwinkel fielen rasch nach unten. Als sie ihre Unterlippe schmollend nach vorn geschoben hatte, antwortete sie: „Bestimmt nie!“

Und noch ehe ich sie fragen konnte, erzählte sie bereits ihre Geschichte ausführlich: „Ich weiß nicht inwiefern dir die Mythen unserer Wesen bekannt sind, aber Seraphim werden geboren aus der ersten Flamme und tragen deshalb immer selbst eine Flamme in ihrem Innern. Die sechs Flügel, die ihnen wachsen, stehen für die Verteidigung der Menschen, die Verteidigung des Himmelreichs und nunja, die letzten Paar Flügel dienen einfach dem Fliegen... Um eine Seraphim zu werden, werden uns – wir, die Anwärter, werden Veraphim genannt – Aufgaben auferlegt. Die erste Aufgabe besteht darin, fliegen zu lernen, was ich bereits geschafft habe. Bei der zweiten Aufgabe muss man in das Leben eines Toten 'sehen'. Und die letzte Aufgabe kann ich dir noch nicht erklären, weil ich noch immer an der zweiten Aufgabe verzweifle!“, doch auch nach einem schweren Seufzer war sie noch nicht fertig: „Neben all dem Kampf und – Lufttraining ist das 'Sehen' für mich das schwierigste. Aber um eine Seraphim zu werden, ist es notwendig, die Gedanken des Gegenüber einzusehen, um entscheiden zu können, ob er ein Sünder ist oder nicht. Denn der erste Seraph erhielt von Gott die Aufgabe, einem Menschen mit glühend heißer Kohle, die er durch seine eigene Flamme erhitzt hatte, die Lippen zu versiegeln, weil er mit ihnen gesündigt hatte. Nachdem er sie berührte, hatte der Mann Buße getan. Es gehört zu unseren Aufgaben, Sünder zu bestrafen.“

Eine Weile stellte ich mir den Mann vor, ein Lügner, ein Kahlkopf, der es nicht besser wusste und dem reinen Himmelsgeschöpf weitere Lügen auftischte, weil er nicht wusste, dass er geprüft wurde und der dann unter Schmerzen die Prozedur der Verbrennung standhalten musste, um nicht wieder zu lügen, um nicht einmal daran zu denken, es nochmal zu tun. Doch in meiner Vorstellung bekam der sechsfach beflügelte Seraph schwarze Schwingen und ließ Dean ganze drei riesige, glühende Kohlestücke schlucken, bis er daran erstickte. Ich kicherte düster und heimlich in mich hinein.

„Und wieso bereitet dir die zweite Aufgabe solche Mühen? Ich dachte du hättest guten Einblick in mich gehabt!?“, ich stelle die Frage auch, weil ich wissen wollte, ob sie gesehen hatte, dass ich in Raserei eine Seraphim getötet hatte.

„In deine zwanzig Jahre Leben, schon. Aber nicht was darüber hinausging. Als Vampir ist man doch eigentlich tot oder?“

Ich nickte und sie seufzte erneut.

„Da haben wir's. Ich kann nicht in totes Leben sehen.“, sie sagte es schroff und gleichgültig, als hätte sie die Hoffnung bereits aufgegeben.

„Das hattest du also im Ocean House vor – du wolltest in Geister einsehen, richtig?“, schlussfolgerte ich, doch die Seraphim schüttelte den Kopf.

„Das war es, was ich ihnen erzählte, doch ich kam hierher, um mal ein bisschen Abstand zu haben. Das ganze Training und die Floskeln, die wir auswendig lernen müssen...“, sie verdrehte die Augen und streckte mir die Zunge heraus, „das nervt manchmal ganz schön. Also bin ich abgehauen.“

Unweigerlich entglitt mir ein Lächeln. Sie erinnerte mich sehr an mich, als ich noch jünger war und als ich noch lebte. Sie erinnerte mich an Mia Janies, im Alter von sechsszehn Jahren, als ich immer aus dem Fenster geklettert war, wenn ich Hausarrest aufgebrummt bekam (natürlich nur dann, weil es am ärgerlichsten für meine Eltern war!) oder ich meiner Mutter, als sie noch lebte, lautstark erklärte, warum ich nicht zur Schule gehen wollte.

Nun grinste ich beinahe und versuchte es mit einem Husten zu unterdrücken, sie hatte es anscheinend nicht wahrgenommen.

„Und wann taucht dein Jason hier mal auf?“, fragte sie beinahe beiläufig, doch in mir ließ es einen Orkan los.

Ich dachte wieder an all die Gefahren, die hier auf ihn lauerten, und, dass es wirklich, wirklich besser für ihn wäre, in Downtown zu bleiben. Aber vor allem dachte ich daran, wie egal mir das war, wenn er doch bloß wieder auftauchen und wieder in mein Tod-Leben treten würde. Wie sehr ich mir wünschte, er würde, trotz der Gefahren, zu mir zurückkommen, machte mir selbst schon Angst.

Trotzdem sagte ich tapfer: „Hoffentlich gar nicht.“ und versuchte den Kloß im Hals herunterzuschlucken.

Als hätte sie geahnt, was für Schmerzen das Thema mir bereitete, ließ sie mich damit in Ruhe.

„Oh, ich weiß!“, rief sie nach einer Weile freudig und sprang aus dem Sitzen auf, ich nahm an, ihre zwei metallischen Flügel halfen ihr, und ihre Augen begannen wieder weiß zu glühen, „Du hilfst mir!“

Etwas verwirrt und holprig, da ich den immensen Schmerz in meinem Bein vergessen hatte, stand ich auf und wartete darauf, dass sie erklärte.

„Bald ist es Nacht und wenn du dich verwandelst, dienst du mir als Versuchsobjekt. Vielleicht ist es einfacher in einen Halbtoten zu 'sehen' als in einen Toten?!“, ihre Vorfreude war unübersehbar, meine dagegen hielt sich in Grenzen.

Wenn die Nacht eintraf, wurde ich vermutlich wieder ein Vampir. Und was würde passieren, wenn ich in meinem Zustand Blut benötigte und ich ihr weh tat? Das wollte ich auf keinen Fall. Sie war mir in der kurzen Zeit sehr ans Herz gewachsen. Aber es war schließlich schon einmal passiert. Außerdem konnte Jason bald hier sein, ich wusste nicht, ob er sie dulden würde... oder ob er sie vielleicht zu gern haben würde, so hübsch, wie sie war...

Na, aber was viel wichtiger war, war die Tatsache, ob ich ihr meine Entgleisung weiterhin vorenthalten konnte oder nicht und ob Jason es konnte. Sie hatte etwas so Ehrliches an sich, das ich sie nur ungern belog. Außerdem fürchtete etwas in mir, sie würde mir, sollte sie die Wahrheit erfahren, mit einem Stück glühender Kohle den Mund verbrennen...

Und weil ich sie irgendwie gern hatte (oder vermutlich nur der menschliche, sozialere Teil in mir), willigte ich ein, ihr bei ihrer Aufgabe zu helfen. Ich würde eh noch die ganze Nacht hier bleiben und auf Jason warten. Warten und hoffen, dass er dort blieb. Warten und hoffen, er würde trotzdem wiederkommen...

Kapitel 20 Ende.

„Sag mal, müssten wir nicht eigentlich Todfeinde sein?“, fragte ich beiläufig als sich die sanfte Veraphim nach einem weiteren Sehversuch auskurierte.

Sie hielt sich angestrengt den Kopf als hätte sie starke Kopfschmerzen.

„Ja, sind wir...“, antwortete sie und ließ es so klingen als wäre es ihr egal.

„Und wieso bist du dann noch hier?“, fragte ich sie, doch da tat sie einen weiteren Versuch in mich hinein zu sehen, aber erneut erfolglos. Ich spürte keine Veränderung und vor ihren Augen blieb weiterhin meine Todeszeit und alles darüber hinaus pechschwarz.

„Und wieso bist du noch hier?“, fragte sie mich und hielt sich erneut die Stirn. Ich überlegte nicht lange: „Ich warte auf Jason.“ Ich versuchte es gleichgültig klingen zu lassen, aber die Veraphim durchschaute mich.

„Und du bist jetzt vampirisch, tot, du könntest mich angreifen, wenn du es wolltest. Aber du willst es nicht. Du brauchst mich.“

Über einiges war ich jetzt bei Nacht sehr froh. Zum Einen war mein gebrochenes Bein endlich geheilt, ich spürte wieder keinerlei Schmerzen, was leider nicht in jeder Hinsicht so war, denn Jason ließ sich immer noch nicht blicken und das schmerzte schon sehr. Zum Anderen fühlte ich mich nun viel sicherer, vor allem auch vor Kev und Leo, die bestimmt bald meinen Geruch aufnehmen und mich auffinden würden. Aber diesmal würde ich nicht vor ihnen davonlaufen.

„Wieso brauche ich dich?“, eine Weile sah ich sie starr an, doch sie kicherte nur vor sich hin. „Ist es nicht eher so, dass du mich brauchst?“, fragte ich sie kühl als sie einen weiteren Sehversuch starten wollte.

Diesmal hielt sie mich an meinen Schultern und stemmte ihre Stirn gegen meine. Ich spürte nicht, wie viel Druck sie anwendete, aber sie schien Kraft aufzuwenden. Mit ihrem Blick durchbohrte sie mich, fand jedoch nichts.

„Vielleicht geht es nur bei Vampiren nicht!?“, ich versuchte sie irgendwie zu entlasten, aber anstatt darauf einzugehen, klärte sie die Frage davor: „Du brauchst mich. Vielleicht gibt es irgendetwas in dieser Finsternis, das dir Aufschluss darüber geben kann, warum du kein richtiger Vampir mehr bist und auch kein Mensch.“

Sie konnte ihre eigene Neugier nicht verbergen. Ich wusste, dass es sie auch interessierte, warum ich so besonders war. Aber ich fürchtete immer noch, dass es ihr irgendwann gelingen könnte, dass sie in mich hineinsehen würde und mich gebeugt über eine Seraphim entdecken würde, wie ich mich an ihrem Blut berauschte und dabei beinahe den Verstand und wohl meinen Vampirismus zur Hälfte verlor.

Mich schauderte es bei dem Gedanken eine aufgebrachte Veraphim besänftigen zu müssen. Oder vielleicht würde sie gar auf einen Kampf hinauswollen? Schließlich hatte ich ein Wesen ihrer Art getötet.

Die Nacht wurde dunkler und es schien auch in ihrem Kopf dunkel zu bleiben. Die ganze Nacht lang redeten wir und probierten verschiedene M̦glichkeiten aus, wie ich es ihr erleichtern k̦nnte, in mich hineinzusehen. Aber es blieb dennoch erfolglos Рzu meiner Erleichterung.

Ca. eine Stunde vor Sonnenaufgang war es so weit. Meine scharfen Sinne ermöglichten es mir in der Ferne einen äußerst schnellen und einen äußerst stämmigen Vampiren auszumachen. Sie gaben sich nicht sonderlich Mühe unentdeckt zu bleiben.

„Wir bekommen Besuch.“, warnte ich das Himmelswesen.

„Oh, ist Jason endlich da?“, fragte sie aufgeregt, doch als sie in mein angespanntes Gesicht blickte, verstummte sie.

„Ihre Namen sind Leo und Kev. Der Eine sieht ziemlich nahkampferfahren aus, er ist groß und kräftig, und wenn er nicht mit seinen Fäusten und Krallen auf uns losgeht, besitzt er leider noch die Gabe Blitze aus seinen Händen zu schleudern. Der Andere ist... nunja, ein ziemlich nerviger Kerl. Er redet die meiste Zeit gerne oder spielt Spielchen und er ist sehr schnell, also pass besonders vor ihm auf.“, als meine Gedanken an den blonden Vampir geheftet waren, erstaunte ich darüber, was für eigenartige Regungen er in mir hervorrief. Wie abstoßend er war und auf der anderen Seite auch nicht.

„Und was wollen sie genau?“, fragte die Veraphim mich, ehe sie aufstand und eine stolze Haltung einnahm, zum Kampf bereit.

„Mich.“, war das einzige, das ich sagen konnte, ehe Leo auch schon direkt vor uns stand. Er tauchte wie aus dem Nichts auf und stand grinsend vor mir. Ich konnte mir nicht erklären, warum er ein so ehrliches Lächeln mir zeigen konnte, obwohl ich sie doch so gelinkt hatte und sie das unglaublich ärgern müsste.

Wenige Sekunden später stapfte Kev neben ihn, sofort erkannte ich in seinem finsteren Ausdruck auch eine Brandnarbe direkt im Gesicht, die direkt über ein Auge führte, das statt rötlich zu schimmern nun leicht gelblich aussah.

Ich zuckte mit meinen Krallen und war erregt von der Vorstellung eines Kampfes. Jetzt war ich ihnen jedenfalls nicht mehr so unterlegen wie zuvor. Und ich hatte das Himmelsgeschöpf an meiner Seite. Ich war mir sicher, sie würde nicht einfach dieser Geschichte entfliehen können. Dafür war sie viel zu neugierig, wie es ausgehen würde.

„Na, sieh mal einer an! Seit wann ist es üblich für einen Vampir sich mit einer Veraphim zu umgeben?“, fragte Leo und Schabernack blitzte in seinen Augen auf.

Ich spürte den heller werdenen Schein neben mir und sah erneut die Augen meiner Gefährtin weiß aufleuchten.

Nun lächelte auch sie. „Ich weiß gar nicht, was du meinst, Nelly, die beiden sehen mir nicht gerade gefährlich aus!“, sie gab ein hämisches Grinsen ab an Leo, der sich sichtlich darüber freute, dass jemand ihm mit seinem Unsinn konkurrierte.

„Vielleicht sollte man fragen seit wann es üblich ist, dass Himmelswesen sich mit Halbvampiren abgeben...“, grummelte Kev und sah trotzdem mich an, obwohl die Frage ja an die Veraphim zu meiner Linken gerichtet war.

Einen Moment lang dachte ich über den Begriff „Halbvampirin“ nach. Er beschrieb mich tatsächlich ganz gut.

„Was wollt ihr hier?“, fragte jenes Himmelswesen und ich wunderte mich darüber, dass sie nicht, wie einst vor mir, mit ihren Engelsflosken angab.

„Mein Name ist Leo...“, sagte der Blonde und zwinkerte mir einmal kurz zu und sah dann erneut zur Veraphim, „und das ist Kev.“, er zeigte mit seinem Daumen zu seiner Rechten.

„Das weiß ich bereits.“, antwortete die Veraphim zügig und kühl. Wieder lachte Leo. Kev sah mich noch immer gebannt an. Ich wusste, wie sehr es ihm nach Rache dürstete für das, was ich seinem Gesicht angetan hatte.

Es lag etwas in der Luft. Eine seltsam ruhige und trotzdem angespannte Atmosphäre war es, die jederzeit in einen Kampf übergehen konnte.

„So und wie ist dein Name?“, fragte Leo lächelnd, er war der einzige, der die Atmosphäre mit Absicht ruhig beließ. Wir anderen hätten nur ein falsches Zucken oder ein schlechtes Wort benötigt und wären aufeinander los gegangen, aber er hielt uns irgendwie in Schach.

„Juliette Miller. Das war zumindest mein menschlicher Name.“, sagte sie nun in genau derselben ruhigen Art und Weise, wie Leo zuvor.

Nur ich spürte noch zu deutlich, wie angespannt Kevs Muskeln waren, weil er jederzeit zum Sprung ansetzen und mich außer Gefecht setzen wollte.

Bis dato war mir nicht aufgefallen, dass ich den Namen meiner Gefährtin nicht gewusst hatte. Sie war für mich eine Veraphim. Mir war nicht bewusst gewesen, dass diese auch Namen hatten, obwohl es sogleich auch wieder eine absolute Dummheit war, so zu denken.

Außerdem hatte sie gesagt, es wäre ihr menschlicher Name gewesen. Das würde also bedeuten Juliette war auch einst ein Mensch?

Erneut warf mir Kev einen dieser 'Gleich krieg ich dich!'-Blicke zu und mein Mechanismus machte sich automatisch daran, noch mehr in Kampfhaltung zu gehen. Sollte er mich doch angreifen. Eigentlich bestand dazu kein Anlass, wenn man davon absah, dass ich ihm ein Viertel seines Gesichts geraubt hatte natürlich. Aber sollte er es doch ruhig wagen, mich zu attackieren, er würde es sehr bereuen.

Bald schon war mir das Warten zuwider, mein Körper krampfte beinahe, weil er Kevs dämlichem Gesicht eine weitere Narbe verpassen wollte.

Das Tier in mir ließ sich nicht länger bändigen und so riss es mich in die Hocke, Krallen nach vorn gerichtet. Ich öffnete reflexartig meinen Mund und fauchte Kev an, dessen Augen erregt aufgerissen waren und der ebenfalls beinahe gleichzeitig mit mir in Angriffstellung ging.

Juliette jedoch hielt mich zurück. Ihr Blick wirkte nachdenklich, als ihr grelles Leuchten wieder erlosch und sich ihre Pupillen in weißliches grau verwandelten.

„Was wollt ihr von uns?“, ihre Frage beinhaltete ein „uns“, das mich aufschauen ließ. Ich kannte sie noch kürzer als Jason und schon schien sie ein Teil des „wir“ zu sein.

„Das ist unsere Angelegenheit, Himmelswesen!“, fauchte Kev und fraß mich mit seinem Blick.

Leo versuchte ebenso seinen Gefährten zurück zu halten, wie Juliette es bei mir tat, und wendete sich dann zum ersten Mal nur zur Veraphim.

„Hey, Jules, du brauchst dich nicht in Vampirgeschichten einzumischen. Sie gehört zu uns und du gehörst nicht hierher. Nelly kommt jetzt mit uns.“, er wirkte wesentlich ernster als zuvor und zum ersten Mal schien nichts die drückende Stimmung unterbinden zu können.

Ein erneutes, kurzes Aufleuchten von Juliette bestätigte mir, dass auch sie nun nicht mehr so ruhig war.

„Mein Name ist Juliette...!“, sagte sie düster und dann begann sie mit den Engelsflosken, auf die ich gewartet hatte: „Ein Engel des Lichts, geboren um die Unendlichkeit des Himmels zu bewahren und zu beschützen. Ein Engel, geboren um zu kämpfen, für all jene, die es verdienen. Ein Engel, geboren, um zu töten, all jene, die es wagen sich gegen das Licht zu stellen.“

Als sie ihren Satz beendete, klang es wie ein Kriegsruf, der mir bestätigte, dass wir nun mit unseren Gegenübern kämpfen würden, aber um das zu verhindern, stellte sich Leo blitzschnell vor uns und hielt die Hände resignierend nach oben.

„Wartet!“, rief er und schaffte es unseren Angriff zu stoppen. Sogar Kev schien inne zu halten und sich darüber gleichzeitig mächtig zu ärgern.

„Das ist sehr rührend, dass du dich auf die Seite eines Vampirs stellst, ...“, beinahe hätte er wieder Jules gesagt, doch wartete er einen winzigen Augenblick und sprach weiter, „...Juliette. Nichts desto trotz ist es unsere Angelegenheit, weshalb wir hier sind. Ich sehe ein, dass es hier heute nichts zu holen gibt. Wir lassen die Halbvampirin in deiner Obhut – zumindest vorerst! Aber unsere Meister wünschen Nelly zu sehen und wenn ihr das Leben ihres kleines Menschenfreundes wirklich so viel wert ist, dann lässt du sie allein zu uns kommen!“, noch im Satz stürzte ich hoch, um ihn anzugreifen, aber Juliette hielt mich zurück.

„Jason! Jason! Ihr Mistkerle! Wo ist er?“, schrie ich und abwechselnd fauchte ich zwischendurch. Meine Wut hatte seinen Höhepunkt erreicht. Nicht mehr lange könnte mich das helle Wesen neben mir zurückhalten.

Die Veraphim schlang ihre Arme um mich und ich fühlte ihr Nicken in meinem Nacken, als Leo und Kev sich ruhig und gelassen davonmachten. So einfach ließ sie sie gehen? Obwohl sie meinen Jason bei sich hatten?

Ich schlug mit meinen Krallen nach jenen, die immer mehr in die Ferne rückten und bald nicht mehr zu sehen waren.

Ich wettete damit, dass ich nie solche Geräusche aus meiner Kehle zuvor vernommen hatte. Klägliche Laute, beinahe wie Hundejaulen.

Es dauerte noch einige Minuten, in denen ich wild mit den Armen herumwirbelte, dann sank ich zu Boden und Juliette ließ mich endlich frei.

Auf der Erde keuchte ich wie wild und die Laute verstummten und ich begann zu schluchzen und zu weinen, während die ersten Sonnenstrahlen den Tag ankündigten.

Kapitel 21 Ende.

So aufgebracht, wie ich jetzt war, war es mir total egal, dass ich menschlich war und zugleich im „Elysium“. Und wenn ich Anette die ganze Geschichte erzählen musste. Dass ich so etwas wie eine Halbvampirin war. Ich würde es tun. Sie war mir und ihm trotzdem etwas schuldig. Vor allem ihm. Sie hatte ihm seinen Schutz zugesprochen und die Sintflutlichen hatten ihn trotzdem gefunden. Und dabei war Jason wirklich zurückgekehrt – zu mir... und das hatte ihn nun in größte Schwierigkeiten gebracht.

Ich schubste mich regelrecht durch die Vampirmassen am Eingang und im Flur, ehe ich vor dem Lift zu Anettes Appartement angekommen war. Ich kannte diese Tage. Mal wieder ein Spezialangebot des Elysiums. Dennoch war es mir egal, dass ich menschlich war. Mir war alles egal – außer Jason. Sämtliche Gedanken fokussierten sich auf ihn, ich war mir sicher, nicht einmal der größte Blutdurst im Vampirismus könnte mich nun von ihm ablenken.

Juliette hatte ich geraten draußen zu bleiben, herumzufliegen, um nach Jason zu schauen, ob sie ihn irgendwo entdeckte oder eher ob sie dessen Entführer ausfindig machen konnte, schließlich hatte sie ja keine Ahnung, wie Jason aussah.

Es war bereits morgens und ich wusste, dass Leo und Kev etwas Sonnenlicht ertragen konnten, aber nicht zu viel, deshalb würde es sie ganz sicher bald in etwas Dunkelheit zwingen, in die Juliette leider keinen Einblick mehr haben würde. Aber einen Versuch war es doch wert.

Der Lift fuhr für meinen Geschmack viel zu langsam und, als würde es etwas nützen, drückte ich wie wild auf dem Knopf herum, der die Tür öffnen sollte.

Als sich die Tür endlich aufmachte, schnellte ich heraus und raste um die Ecke. Nicht wie sonst machte ich Halt vor Anettes Wohnungstür, sondern trat sie einfach ein, beinahe mühelos als hätte ich immense Kräfte bekommen, und stand dann wutentbrannt mittem im Zimmer. Ich atmete angestrengt, da mein Herz wieder schlug und die Empfindungen zurückgekehrt waren. Und mal eben so eine Tür einzutreten, war für einen Menschen nicht gerade eine Lappalie.

Keuchend stand ich da und eine blonde Schönheit drehte sich zu meiner um.

„Bajon!“, schrie ich und ballte meine Hände zu Fäusten, da ich Anette erwartet hatte und es für mich kein Problem war, sie zu bestrafen und zu beschimpfen. Doch mit ihrer Schwester Bajon hatte ich hier nicht gerechnet und sie konnte ich für all das nicht zur Rechenschaft ziehen. Außerdem mochte ich sie. Sie hatte so etwas Beruhigendes und trotzdem sehr Ernsthaftes.

Sie sah mich an mit einem sorgsamen Blick und trat vorsichtig auf mich zu. In völliger Unbewusstheit darüber, was diese Enttäuschung mit mir gemacht hatte, bemerkte ich, dass meine Augen feucht wurden. Nein, es war nicht direkt die Enttäuschung nicht Anette vorfinden zu können, sondern die Gewissheit, dass es Jason nicht gut ging.

Wieder eine Träne huschte sachte über mein Gesicht. Und eine weitere. Das war alles andere als gut. Ich durfte nicht verraten, wer ich war. Dass ich jetzt kein Vampir war, durfte keiner wissen.

Doch es geschah wieder und wieder. Die Tränen rannen mein Gesicht hinunter und ließen Bajon schreckhaft zurückweichen.

„Wo ist sie...?“, brachte ich unter Tränen des Schmerzes heraus. Sollte meine Menschlichkeit mich doch verraten, das war jetzt eh egal, „Wo ist deine Schwester...?“

Bajons schreckhafte Augen verrieten ihre Furcht. Einen Vampir, der weinen kann, gibt es nicht.

„Wer bist du?“, fragte sie schließlich, als meine Tränen versiegten und mich in einem jämmerlichen Schluchzen zurückließen.

Ich war so unglaublich wütend! Wieso heulte ich also?? Ich wollte Anette den Arsch versohlen! Ich wollte ein Vampir sein und sie in Fetzen reißen!! Sie kaputt machen, weil sie alles kaputt gemacht hatte! Weil sie Jason nicht beschützt hatte!

Meine Hand versuchte mein feuchtes Gesicht zu trocknen.

Noch einmal sah Bajon mich unverwandt an und fragte mich: „Wer bist du?“ Diesmal verlangsamte die Frage mein Herz, ließ mich hinabsinken.

Mein Blick traf den ihren. Ich wusste einfach keine Antwort.
Weiter fixierten meine nun leer starrenden Augen die ihre, doch Bajon rührte sich nicht.

„Liebes...!“, sagte sie urplötzlich und mir wurde zum ersten Mal richtig bewusst, wie ähnlich sich Anette und sie doch waren. Sie hatten dieselben blonden Haare und dieselben grünblauen Augen, die vermutlich schon zu ihren Lebzeiten so weltfremd aussahen.

Bis auf, dass Bajon sich eher klassisch kleidete und Anette sehr flippig und jugendlich unterwegs war, hatten sie besonders im Klang ihrer Stimme etwas gemein.

Bisher war es mir nie aufgefallen, aber in diesem Moment waren sie sich sehr änhlich und dies gab mir Kraft, wieder aufzustehen. Wenn Bajon etwas mehr wie Anette sein konnte, könnte ich meine Wut doch zeigen.

„Bajon.“, sagte ich ernst und mein Blick kehrte wieder in diese Welt und sah sie eindringlich an.

Noch einmal atmete ich tief ein, ehe meine Wut endlich wieder in mir aufloderte. Meine Augenbrauen zogen sich tief zusammen und ich presste meine kurzen Zähne aufeinander. Unter diesen zusammengepressten Zähnen gab ich erneut hervor: „Wo ist sie?“

Noch immer sehr irritiert sah Bajon mich an, doch ich merkte, dass sie nach einer Antwort suchte. Suchte sie nach einer, weil sie eigentlich keine hatte?

„Sie ist weg.“, sagte sie schließlich und meine Nasenlöcher blähten sich auf, als ich erneut eine gigantische Menge Luft inhalierte.

„Wo-Ist-Sie!?“, fragte ich diesmal lauter und Bajon zuckte mit den Achseln.

„Anette ist weg. Und sie wird auch nicht wiederkommen.“

Diese Antwort hatte ich nicht erwartet. Was meinte sie damit, dass ihre Schwester nicht wiederkommen würde?

Bisher hatte ich aufgrund meiner Erfahrung mit ihr immer angenommen Bajon wäre die glaubhaftere der beiden Schwestern. Doch an diesem Tag wusste ich nicht mehr so Recht, ob ich dies noch länger glauben konnte.

Aufgewühlt drehte ich mich um und trat auf die auf dem Boden liegende Tür und ging hastig aus dem Zimmer, doch Bajon eilte mir nach.

Sie rief mir meinen Namen nach, so als würde sie fragen, ob ich es sei.

Noch einmal. Doch ich hörte nicht. Irgendetwas stimmte hier nicht. Wieder rief sie meinen Namen und ich drückte den Knopf, der den Lift öffnete. Zum Glück war dieser bereits oben und die Türen machten sich sofort auf.

Bajon war bereits hinter mir und blieb auf dem Flur stehen und sah mir hinterher. Und dann sagte sie etwas, das mich zu ihr blicken ließ.

„Halbvampirin!“, rief sie und schien genau auf meine Reaktion zu achten.

Ich stürmte aus dem Lift und raste auf sie zu und machte erst direkt vor ihr Halt.

„Was?“, fragte ich sie fassungslos und sie verstand.

Sie begann, mir unverständlicherweise, zu grinsen. „Dann stimmt es also. Du bist ein Halbwesen. So etwas ist verdammt selten, Nelly.“

Ihre Art zu sprechen verstand ich nicht. Nur am Klang ihrer Stimme erkannte ich es. Sie verachtete mich. Sie verstieß mich, obwohl wir uns jahrelang kannten und ich auch unter ihrem Schutz stand.

„Woher weißt du davon?“ Hatte sie es allein durch die Tränen erraten? Doch ich musste nicht lange auf meine Antwort warten, aber sie folgte ernster und flehender, als ich erwartet hatte: „Wenn du sie retten willst, musst du in die Kanalisation hinab. Ins Zentrum. Dort gibt es einen großen feuchten Keller, den die Nosferatu manchmal für sich beanspruchen. Kannst du mir folgen?“, ich nickte, „Dort hinter einem Gitter und dahinter in so etwas wie Käfigen haben sie die beiden hingebracht.“

„Die beiden?“

Es dauerte eine Weile, ehe Bajon sprach: „Anette... und den Menschen.“

Alle Wut und Verwirrung fiel aus meinem Gesicht und Einsicht klärte meinen Schmerz. Natürlich! Die Sintflutlichen hatten sich beide geschnappt! Jason und Anette. Sie hatte ihr Versprechen also doch gehalten. Und vermutlich beschützte sie ihn noch immer. Das musste ich zumindest hoffen.

„Ich kann hier nicht weg. Hab mich hier versteckt, weißt du. Nicht einmal für die Mächtigen ist es möglich ewig durch die Sonne zu laufen. Aber sie kamen und nahmen sich einfach, was sie wollten. Anette erzählte mir ich sollte auf eine Halbvampirin warten, auf dich. Nur du könntest sie retten, wo das Sonnenlicht uns andere aufhält ihr zu helfen. Nur du, Nelly, kannst sie wohl aufhalten.“, Bajon erzählte es mit einer Hingabe, die mich hoffen ließ.

Anette verließ sich auf mich. Und wenn sie wollte, dass ich sie vor den Sintflutlichen beschützte, dann hatte sie keine Wahl als Jason ebenso zu beschützen, sonst wüsste sie, würde ich es nicht auf mich nehmen.

Plötzliche Zuversicht trat in meinen Ausdruck. Ich nickte aufmerksam bis sie zu Ende erzählt hatte und ließ sie mit einem letzten, längeren Nicken wissen, dass ich es auf mich nehmen würde.

Ein ehrfürchtiges „Danke...“ erwies sie mir, ehe ich mich erneut zum Lift drehte, hinabfuhr und mich durch die Vampirmassen im Club nach draußen drängte.

Es dauerte nicht lange, ehe Juliette, an einer Mülltonne lehnend, auf sich aufmerksam machte. Sie hielt sich in einer Gasse auf, daher nahm ich an, dass sie auch für Menschen sichtbar war und sie sich deshalb vor ihnen zu schützen versuchte.

Als ich zu ihr kehrte, wirkte ihr Blick traurig und noch ehe ich direkt vor ihr stand, versuchte sie mit entschuldigender Stimme zu erklären: „Es tut mir so Leid, ich habe sie nicht gefunden. Sie müssen irgendwo drinnen sein und sich vor meinem Blick verbergen. Und ich konnte nicht einfach so in alle Menschen sehen, um heraufzufinden, ob sie etwas bemerkt hätten, ob sie die zwei Gestalten in den Kapuzen gehüllt gesehen hätten. Es erfordert schon viel Kraft zu sehen und sie dann noch vergessen zu lassen, ist wesentlich schwieriger und...“, doch ich unterbrach ihre Entschuldigung.

„Juliette. Ich weiß, wo sie sind.“, sagte ich ernst, aber versuchte meine Miene freundlich aussehen zu lassen.

„Wirklich!?“, fragte sie erleichtert, ihr Blick hellte sich auf. Ich wollte sie nicht länger in Gefahr bringen, also trat ich an ihr vorbei und suchte mit meinem Blick nach dem nächsten Gullideckel.

Doch Juliette folgte mir. Bei den nächsten Worten konnte ich, wollte ich ihr nicht in die Augen sehen, deshalb hielt ich einfach im Gehen an und ließ ihr meinen Rücken zugewendet.

Wenn ich es sagte, musste es überzeugend klingen. Ehrlich. Und ein Teil in mir, der wirklich dieser Meinung war, schaffte es, diese Ehrlichkeit in meine Stimme zu übertragen.

„Veraphim... Juliette..., wie auch immer du heißt, du kannst mir nicht mehr folgen. Ich danke dir für alles, was du getan hast, aber es ist genug. Bis hierhin und nicht weiter. Das hier muss ich allein tun.“

Ich ging angespannt auf einen Gullideckel an einer Seitenstraße zu und ließ mich zu diesem hinab, um ihn zu öffnen.

Einige Meter entfernt stand Juliette, sich vor den Menschen versteckend, und sah mir reglos hinterher.

Sie konnte mir nicht folgen. In zweierlei Hinsicht. Die Menschen würden sie sehen und erkennen, dass sie anders war, deshalb konnte sie mir nicht einfach nachlaufen. Und sie würde sich diesem vermeitlichen Beschluss niemals entgegensetzen. Meinem Beschluss.

Nicht noch einmal wollte ich jemanden so in Gefahr bringen. Dass es eine meiner engsten Vampirvertrauten getroffen hatte und meinen geliebten Jason, das war mehr als genug. Ich wollte nicht, dass aus dem Ganzen, aus dem „wir“, letzendlich wieder nur ein „Ich“ bleiben würde. Ich wollte nicht wieder jemanden verlieren, wie ich damals mein 20-jähriges Leben verloren hatte, wie ich Rob mit dem Blutkuss seinerseits verlor und wie ich Claire in den Sonnenstrahlen verloren hatte. Diesmal würde ich kämpfen. Was ich auch war: Mensch oder Vampir. Oder Halbvampirin.

Ich hielt noch einen Moment inne, drehte mich aber nicht zu ihr um, sondern öffnete den Deckel und seufzte vor dem, was mir bevorstand. Dann ließ ich mich einsam hinab.

Kapitel 22 Ende.

In den dunklen, feuchten Gängen schien absolute Stille zu herrschen. Als wüsste der Ort selbst, um was es ging und als würde er mit mir leiden, weil er wusste, was mir bevorstand.

Bei meinen leichten und doch zügigen Schritten schwappte das Wasser zu meinen Füßen laut und verstärkt durch die Gänge im Echo. Es kündigte mich an. Denn das schlimmste an meinem Kommen war nicht, dass meine Feinde mit Sicherheit stärker waren als ich, sondern, dass ich bereits erwartet wurde.

Wie sollte die Nachricht sonst von Anette zu Bajon gelangt sein? Sicher, wir lebten im Mobiltelefonzeitalter, aber etwas an Bajons Blick hatte mir verraten, dass sie genau wusste, worum es ging und dies nicht nur aufgrund eines histerischen Anrufs oder einer möglicherweise nicht ernst zu nehmenden SMS ihrer Schwester. Sie hatte es mit eigenen Augen gesehen, dessen war ich mir sicher. So wie sie über die Sintflutlichen sprach und wie sich ihr Ausdruck dabei veränderte, so ähnlich war es gewesen, als sie davon erfuhr, dass ich ein Halbwesen war. Eine Mischung aus Verwirrung, Angst und Verachtung formte sich in ihren Wangen, funkelte in ihren Augen und spitzte sich mit ihrem Mund zusammen.

Was würde eigentlich geschehen, wenn ich das Zentrum der Kanalisation erreicht hatte? Bestimmt würden sie auf mich warten. Sie wollten, dass Anette und Jason hier unten waren. Und sie wollten, dass ich es wusste. Sie wollten, dass ich zu ihnen kam und das bereitete mir Unbehagen.

Das einzige, das ich über die Sintflutlichen wusste, war, dass sie mehrere Jahrhunderte alt waren und dadurch angeblich unvergleichbare Kräfte entwickelt hatten.

Ich war ihnen in jeder Hinsicht unterlegen. Ich war nur eine einzige Person und sie warteten dort zu zweit mit einem jahrhunderte altem Wissen, zwei Leibwachen (einem unheimlich schnellen Gegner und einem, dessen Gesicht ich verbrannt hatte und damit seinen unmittelbaren Zorn auf mich gelenkt hatte) bei sich und nicht einmal das Ãœberraschungsmoment auf meiner Seite.

In keiner Sekunde wollte ich bereuen, dass ich Juliette weggeschickt hatte, aber ich musste zugeben, dass ihre Nähe mich schon etwas in Sicherheit gewogen hätte.

Nichts desto trotz hätte es mich genauso in Unsicherheit gewogen, sie in solch eine Gefahr zu bringen. Wie gesagt, es hatte bereits genug getroffen.

Etwas planlos lief ich weiter durch die Gänge, die zu meinem Nachteil alle gleich aussahen. Niemand kannte die Kanalisation so gut wie die Vampire, die sie zur ständigen Abkürzung benutzten oder sich dort vor der Sonne versteckt hielten. Aber wo genau das Zentrum lag, wusste ich nicht genau.

Doch ich wusste, ich brauchte nicht zu hetzen. Sie würden Jason und Anette nichts tun, ehe ich eintraf. Ich war es, die sie wollten... und eigentlich wusste ich nicht so recht, warum. Wenn sie wüssten, was es für ein Fluch war, Menschlichkeit zurückzuerlangen, nur um sie dann wieder zu verlieren oder sich hilflos zu fühlen in der Sterblichkeit, waren Dinge, die ich niemand anderem wünschte.

Als ich das nächste Mal einbog, bemerkte ich erst zu spät, dass ich in diesem Gang nicht allein war. Abrupt stoppte ich mein Herumirren und sah einem Nosferatu in sein scheußliches Gesicht. Reflexartig zuckte ich zurück. Ich war ein Mensch und es dürstete ihm nach Blut, das sah ich ihm an. Seine Augen glühten bereits rötlich. Ich konnte jetzt nicht einem Vampir zum Opfer fallen und schon gar keinem Nosferatu, der nur etwas Gerippe von mir zurücklassen würde!

Er stellte seinen Kopf schief und versuchte sich mit seinem krummen Rücken aufrecht hinzustellen, um bedrohlicher zu wirken.

„Nein... ich kann nicht. Ich kann mich jetzt nicht mit dir auseinandersetzen, Vampir. Ich bin... selbst einer... oder war es, wie auch immer, ich muss ins Zentrum gelangen. Dort treffe ich mich mit den... Sintflutlichen.“, sagte ich, ehe ich langsam auf ihn zutrat, um an ihm vorbeischleichen zu können. Während ich ging und redete, kippte sein Kopf auf eine Seite und er beäugte mich interessiert.

Und als er das Wort 'Sintflutliche' hörte, begann er zu lachen. Ich wollte nicht, dass es mich ärgerte und aufhielt, aber der dreckige Nosferatu lachte mich aus. Also blieb ich neben ihm stehen und versuchte aus seiner Miene Klarheit zu erlangen.

„Warum lachst du?“, fragte ich verwirrt und ein wenig gereizt, nachdem ich nichts in seinem Ausdruck hatte lesen können. Doch statt mir zu antworten, lachte er nur noch lauter und grunzte etwas dabei.

Den Kopf schüttelnd, ging ich schließlich an ihm vorbei und machte den nächsten Gang ausfindig, doch der Nosferatu humpelte krüpplig hinter mir her. Sein Lachen war in ein seltsam grunzendes Kichern übergegangen, doch er verfolgte mich immer noch.

Als ich mich zu ihm umdrehte und ihn mit meinem Blick durchbohrte, fing er wieder an zu lachen. In seiner Kauerstellung erinnerte er mich eher an einen trotteligen Affen als an eine wilde Bestie, welche er ja war.

„Das darf ich mir nicht entgehen lassen... eine Halbvampirin... das kommt vielleicht alle Eintausend Jahre vor!“, rief er durch seine fauligen Zähne und mir lief ein Schauer über den Rücken.

„Du weißt, was ich bin?“, fragte ich vorsichtig und er begann langsam näher zu kommen.

„Dein Duft ist für einen Menschen nicht gerade verführerisch und eine Todesnote liegt auf ihr. Als wärest du mal gestorben und nun zurückgekehrt. Nur ein einziges Mal habe ich solch einen ähnlichen Geruch wahrgenommen und das ist über siebenhundert Jahre her! Du musst ein Halbwesen sein. Und wenn ein Halbwesen so dumm ist, sich den Sintflutlichen anzuschließen, dann muss ich das mit eigenen Augen sehen!“, wieder lachte er sein grunzendes Lachen.

Ich schüttelte langsam den Kopf: „Nein, ich habe nicht vor mich ihnen anzuschließen. Ich bin hier, um zwei Freunde von mir zu befreien. Aber natürlich bin ich ihnen vollkommen unterlegen, deshalb werde ich wohl tun, worum sie mich bitten... und wenn sie wollen, dass ich mich ihnen anschließe, werde ich das wohl tun müssen.“

„Ihnen unterlegen?“, fragte er skeptisch und ich wusste nicht, was diese Skepsis zu bedeuten hatte.

„Ja, sicher. Du riechst es doch. Ich bin im Moment nicht vampirisch. Das heißt ich kann absolut nichts gegen sie ausrichten.“

„Ihnen unterlegen!?“, grunzte er und kratzte sich mit seiner Krallenhand über den beinahe kahlen Schädel, „Du bist ihnen doch nicht unterlegen! Warum denkst du, wollen sie ausgerechnet dich? Weil du etwas hast, das sie nicht haben! Du bist das perfekte Bindeglied zwischen Sonne und Mond, zwischen Himmel und Hölle, zwischen Mensch und Vampir. Wenn sie etwas fürchten, dann das! Sie fürchten dich! Und ehe sie dich zum Feind haben und nicht finden oder töten können, wollen sie dich als Verbündete!“

Seine Worte taten ihre Wirkung und ich erkannte, worum es hier wirklich ging. Ich wusste, dass sie mich wollten, aber ich konnte mir nicht vorstellen, was es ihnen nützen könnte, da es für mich bisher eher ein Fluch als ein Segen gewesen war.

„Was ist mit dem Halbwesen passiert, das du vor siebenhundert Jahren getroffen hast?“, fragte ich neugierig, ich konnte mir kaum vorstellen, dass noch ein Vampir so blöd gewesen war und eine Seraphim gebissen hatte.

„Sie hat die eine Seite töten lassen.“, sagte er trocken und seufzte auf eine gressliche Art und Weise, „Fiona Asbury, eine bildhübsche Frau. Sie war verliebt. Sie hat es für ihn getan. Und weil sie nicht mehr konnte. Weil das hin und her sie verrückt gemacht hatte.“

Also war sie in ihrem Zwispalt auf eine Lösung gekommen, wie sie kein Halbwesen mehr sein musste. Ich nahm an, sie hatte die richtige Wahl getroffen und hatte für ihren Liebsten die Sterblichkeit angenommen und hatte mit ihm ein schönes, ansehnliches, langes und dennoch nicht unendliches Leben. Es war wie in einem Märchen.

„Wie ist dein Name, Nosferatu?“, wollte ich wissen. Diesmal wollte ich von vornherein die Namen meiner Verbündeten oder Feinden wissen. Doch der Nosferatu kicherte nur.

„Ich habe es nicht nur gerochen.“, gab er zu, „Ich wusste, dass ich dich hier finde. Ein anderer Nos, Ratshaw, verriet mir, dass er einem seltsamen Wesen begegnet war. Ich brauchte nur zu warten.“

Meine Erinnerung spiegelte in meinem Kopf jenes Geschehen ab, als ich dem anderen gresslichen Nosferatu begegnet war. Jener Nos, der mich versucht hatte zu beißen. Er musste ihm von mir erzählt haben.

„Und was willst du von mir?“, fragte ich und ich war mir nicht sicher, ob ich diesem hässlichen Wesen Vertrauen schenken konnte. Alles, was er sagte, konnte gelogen sein. Vielleicht hatten die Sintflutlichen auch ihn gekauft und er sollte mich nur davon überzeugen, dass ich auch auf jeden Fall auf sie traf.

„Ich will dir helfen... Ich will, dass sich die Geschichte nicht wiederholt.“, sprach er geheimnisvoll und lotste mich zu einem Abwasserkanal, in den er hineinging.

„Hier entlang!“, rief er mir zu und ich wusste nicht, ob ich folgen konnte oder ob es sich um eine Falle handelte. Aber was konnte schon noch Schlimmeres passieren, als dass ich den Sintflutlichen hilflos gegenüberstand? Damit rechnete ich bereits. Und mir war bekannt, dass den Nosferatu diese Abwassergänge geläufiger waren als allen anderen, also, wenn jemand den Weg ins Zentrum wusste, dann er.

Also atmete ich noch einmal kräftig ein und folgte dem humpelnden Geschöpf vor mir durch den mit noch mehr Abwasser gefüllten, schmalen Gang.

Kapitel 23 Ende.

Noch einmal inhalierte ich den grausigen Duft des Abwassers, dann tauchte ich unter.

Als ich wieder hochkam, um Luft zu holen, wartete bereits eine Krallenhand auf mich, um mich aus dem Wasserschacht hoch zu ziehen. Der Nos, der mir bislang immer noch nicht seinen Namen verraten hatte, zog mich hinaus und musste sich damit abmühen mich fest zu halten, da ich so erschöpft war vom Tauchen und beinahe keine Luft mehr bekommen hatte, dass ich nur sehr kurz davor gewesen war, in Ohnmacht zu fallen und möglicherweise beinahe ertrunken wäre.

Nachdem ich mich einen Moment ausgeruht hatte und immer noch kräftig nach Luft keuchend dort auf dem Boden kauerte, erfasste mein Blick die ersten Gitter, die Bajon beschrieben hatte.

Noch immer atmete ich hektisch, doch erweckte der Anblick des nicht mehr all zu weiten Weges neue Kraft in mir.

Ich kümmerte mich nicht darum, dass mein ganzer Körper klitschnass war und ich vor Kälte und Aufregung zittern musste. Auch war es mir egal, dass der mich lotsende Nosferatu gerade einige Ratten verspeiste (Mir war es ja vorhin schon aufgefallen, welch ein großer Blutdurst ihn verfolgte und ich empfand es als äußerst erstaunlich, wie ruhig er es genommen hatte).

Ich fühlte mich bereit. Es war nicht mehr weit, das spürte ich. Was auch immer die Sintflutlichen verlangen würden, ich würde alles tun, wenn sie Jason und Anette wieder freiließen. Aber ich wusste, dass sie nicht gerade nachsichtig waren in solchen Dingen, nicht einmal ihrer eigenen Rasse gegenüber. Wieso hätten sie sonst das „Elysium“ halb auseinandernehmen oder die unschuldigen Menschen ermorden sollen, nur um Aufmerksamkeit zu erregen?

Der Nos begab sich zum Gitter, das den einen Raum vom anderen trennte, und öffnete es, das Schloss war bereits geknackt worden. Ein weiterer Hinweis darauf, dass wir uns auf dem richtigen Weg befanden.

Noch einmal atmete ich tief ein, dann folgte ich ihm.

Wieder schwappte das Wasser zu meinen Füßen auf und ab während ich die letzten Meter ging.

„Egal, was sie dir anbieten werden, du musst Geduld haben und darfst dich nicht auf sie einlassen.“, ermahnte mich der Nos und ging weiter voran, wendete sich mir nur kurz zu, ehe er wieder weiterging.

Ich seufzte. Er hatte ja keine Ahnung, was er da verlangte.

„Wenn das so einfach wäre...“, entgegnete ich, doch er schien es überhört zu haben.

Ein letztes Mal bogen wir um die Ecke und fanden uns plötzlich in einem riesigen Raum mit starken Betonsäulen wieder.

Der Boden hier war besonders nass und die Decke besonders hoch. Trotz der herrschenden Dunkelheit der Kanalisation, schien es hier äußerst hell zu sein, ich konnte besser sehen als zuvor. Und der Raum war äußerst hellhörig. Sie würden wissen, dass wir angekommen waren.

Hier würde er also stattfinden. Der letzte Kampf. Mein letzter Kampf.

Und dann endlich erblickte ich ihn! Weit, weit hinten in einer Art Käfig, vor dem sich bereits Kev, Leo und eine weitere Person positioniert hatten.

„Jason!“, flüsterte ich atemlos.

Zwar waren es mindestens noch 500m zum anderen Ende des Raumes, aber jeder Schritt kam mir so vor, als wären wir kilometer weit entfernt, als würde keiner meiner Schritte uns wirklich näher bringen.

Ein seltsames Gefühl kam in mir auf, das mich schneller gehen ließ. Der Nos lief die ganze Zeit voraus, doch mittlerweile hatten meine hektischen Schritte ihn eingeholt. Er hielt mich allerdings mit einer Pranke zurück, als ich über sein Tempo hinausgehen wollte.

Ehe wir eintrafen, sagte niemand ein Wort.

Es dauerte eine ganze Weile bis ich die Sintflutlichen ausfindig machen konnte, aber als ich sie entdeckte, war es eindeutig, dass es sich bei ihnen um die legendären Vampire handelte. Sie hatten sich auf zwei Säulen aufgeteilt, auf denen sie hockten, lauerten, auf uns warteten und uns beobachteten.

William stand auf der rechten Säule, die uns am nächsten war. Er war sehr muskulös, weitaus muskulöser als Kev es war und doch hatte er etwas sehr Edles an sich, das ihn wie aus einer anderen Zeit aussehen ließ.

Dies galt erst Recht für Amanda, welche auf der hintersten linken Säule saß und ihre überschlagenen Beine baumeln ließ.

Sie hatte einen zierlichen und kleinen Körperbau und war sehr schlank. In einer Krallenhand hielt sie einen Zigarettenhalter, an dem eine Zigarette vor sich hinbrannte. Die andere hatte sie in die Hüfte gestemmt. Je näher wir ihr kamen, desto tiefer zog sich ihr Grinsen.

Erst als wir in ihrer unmittelbaren Nähe standen, gesellten sich die Sintflutlichen ebenso zu uns, hechteten von den Säulen hinunter und landeten perfekt und synchron nebeneinander einige Meter vor uns.

Mein Blick ging an ihnen vorbei zu den Käfigen und ich erspähte Leo und Kev und nun erkannte ich auch das Gesicht der anderen Person, die dort Wache hielt. Es war der Kahlkopf Dean, der Jason verraten hatte und den ich eigentlich fast vergessen hatte. Warum war er hier? Ich konnte mir das nicht erklären.

Dann ging mein Blick weiter und blieb einen Moment an einer blonden Gestalt hängen, die ihre Augen wütend auf die Sintflutlichen gerichtet, am Käfig stand und mit einer Hand fest ein Gitter umklammerte. Anette.

Und dann wurde es ganz still in meinem Herzen. Dort saß Jason, weit weg von Anette (er hatte wohl noch immer mit seiner Angst vor ihr zu kämpfen) mit dem Rücken am Käfig, die Seite zu uns gerichtet und bemerkte, dass mein Blick auf ihm lag und erwiderte ihn mit traurigen Augen.

Die Welt hörte fast auf zu existieren.

Mein Mund öffnete sich. Ich wollte etwas sagen, aber ich konnte nicht. Es tat mir so Leid, dass ich ihn in diese Gefahr gebracht hatte.

Doch mein Mitgefühl wurde unterbrochen durch Amanda, die sich zum ersten Mal seit dem Sprung bewegte: „Interessant.“

Eine weitere Weile herrschte Schweigen, ehe sich meine Schuldgefühle in Wut umwandelten und sich mein besorgter Blick für Jason in einen Zornigen für Amanda verwandelte.

„Hat unsere Nachricht dich erreicht?“, fragte William unter einem Schmunzeln und ich erkannte seinen fehlenden Finger und die Brandnarben an seiner Hand, die ihm ein zu langer Spaziergang in der Sonne beschert hatten.

Anstatt etwas zu sagen, nickte ich. Der Nos, der mit mir gekommen war, ging einen Schritt vor.

„William...“, er neigte kurz und kühl seinen Kopf, „Amanda...“, wieder neigte er seinen Kopf ein wenig, doch diesmal schien es höflicher als zuvor.

„Das Halbwesen kommt mit mir.“, sagte er bestimmt und mein Blick fiel automatisch auf ihn. Wann hatten wir jemals davon gesprochen, dass ich mit zu ihm kommen würde?

Amanda kicherte erst kurz, dann lachte sie laut und teuflisch, als hätte sie einen großartigen Witz gehört.

William, der so steif stand wie ein Soldat, blickte einen langen Moment zu seiner Verbündeten und dann wieder zu uns. Ich fragte mich, ob sie sich wohl auf einer Art Ultraschallfrequenz unterhalten hatten.

„Nein, wird sie nicht. Sie ist hier, um ihren Menschenfreund zu retten.“, sagte Amanda mit einer grausamen Verachtung beim Wort 'Menschenfreund'.

„Jason.“, sagte ich kühl und schritt an die Seite des Nosferatu.

Amanda war wohl beendruckt davon, dass ich nun auch etwas sagte und nicht länger dem brodelnden Schweigen in mir unterlag, sondern die Wut nun preisgab, weil es nun an der Zeit war.

„Sein Name ist Jason.“, verbesserte ich Amandas Annahme, „Und ich bin hier, um ihn und Anette zu befreien.“

William lachte kurz und wartete anscheinend darauf, dass Amanda in sein Lachen miteinstieg. Diese brauchte lange dafür. Ihr Kichern stieg langsam in ihr teuflisches Lachen auf. Es dauerte gefühlte Minuten, ehe sie ausgelacht hatten.

„Was bin ich froh, dass sie früher eingetroffen ist als du. Den Spaß hätte ich um nichts in der Welt verpasst!“, mit einer eleganten Bewegung machte sie kehrt und nickte Kev zu, der am nähesten am Gitter stand. Mit einer Armbewegung und mir wieder zugedreht deutete sie auf das nächste Ereignis hin.

Kev holte einen Schlüssel heraus und schloss den Käfig auf, Jason stand ruckartig auf und ging tiefer in seine Ecke des Käfigs, während Anette sich zum Ausgang begab.

Skeptisch betrachtete ich Kev, der die Käfigtür aufmachte und Anette passieren ließ. Diese machte einige Schritte auf uns zu, blieb jedoch direkt zwischen Amanda und William stehen.

Der Nos drehte sich zu mir und wollte genauso wissen, was das zu bedeuten hatte, wie ich, doch mein Blick heftete sich noch immer an Anette, die langsam anfing zu lächeln.

„Ich verstehe das nicht...“, gab ich zu und hoffte in den anderen Gesichtern Antworten zu finden.

Ich fand eine Antwort in einem Gesicht. Anette löste die Schnüre ihrer zu beiden Seiten herunterhängenden Zöpfe, dann nahm sie eines der Bänder und knotete ihre blonden Haare zu einem Pferdezopf zusammen, so wie ihn ihre Schwester immer trug...

Meine Augen und mein Mund weiteten sich automatisch.

„Das kann nicht sein!“, flüsterte ich ungläubig, ehe ich mir vor Schreck den Mund mit meiner Hand verdeckte.

Es war jetzt so eindeutig. Nie hatte ich diese Vermutung gehabt. Zwillinge, ja, siamesische, aber doch nicht als dies hatte ich sie gesehen!

Endlich erkannte ich die Wahrheit.

„Bajon und Anette sind ein und dieselbe Person...!“, schlussfolgerte ich und schüttelte entsetzt den Kopf.

„Dann war es von Anfang an dein Plan gewesen mich zu ihnen zu bringen! Du hattest Jason nie Schutz bieten wollen, sondern wolltest ihn die ganze Zeit entführen, um mich zu ihnen locken zu können! Bereits als wir den Schutzvertrag gemacht hatten, wolltest du nicht, dass er dir irgendetwas beweist mit dem Auftrag – du wolltest ihn in das Ocean House locken, einzig allein, um ihn dort entführen zu lassen! Es hatte nie einen Auftrag gegeben! Und Leo und Kev waren auch nicht zufällig da. Sie hatten den Auftrag Jason zu entführen... Sie wollten gar nicht unser Leben retten, aber sie hatten auch nicht mit mir gerechnet, weil es ausdrücklich ein Auftrag nur für Jason war. Und Bajon war auch nicht zufällig vorhin da, um mir die Nachricht zu überbringen, sodass ich meine Meinung auf keinen Fall ändern würde, hierher zu gelangen... Es war einfach alles geplant!“

Nun ging mir ein Licht auf. Das alles war meinetwegen. Nicht zu fassen, dass meine Vampirfreundschaft mit Anette und auch Bajon so eine Wendung genommen hatte. Sie war eine Verräterin. Sie hatte das Ganze eingefädelt...

„Interessant.“, sagte Amanda, „ Sehr interessant. Wenn du mal den Mund aufmachst, dann nicht umsonst. Du hast Recht. Wir mussten nichts weiter tun, als einen dir vertrauten Vampir zu finden, sie mit unseren Argumenten zu überzeugen und dich täuschen zu lassen. Und als wir von Bajonette von deiner Zuneigung zu diesem Menschen erfuhren, waren wir zutiefst gerührt und hatten unsere Lösung gefunden. Nun hatten wir das Druckmittel, das wir brauchten, um dich auf ewige Knechtschaft zu unterweisen. Und hier sind wir und lassen dir die Wahl. Lass deinen Freund laufen, schenke ihm sein noch so junges Leben, und verbünde dich mit uns oder beende sein Leben jetzt sofort, in dem du dich gegen uns stellst!“

Kapitel 24 Ende.

„Halt dich zurück, Nelly.“, riet mir der Nos und machte schützend einen Schritt vor mich.

Aber es war unmöglich sich zurück zu halten bei jenen Worten. Es war, als hätte man in mir einen Schalter umgelegt. Auf der Stelle verwandelte sich meine unendliche Trauer in rasende Wut.

„Nicht..., du bist ihnen nicht gewachsen! Außerdem wollen sie dich lebend. Nur wenn du jetzt den Fehler machst und sie zuerst angreifst, werden sie sich wehren. Sie suchen doch nur eine Schwachstelle!“, tadelte mich der Nos wieder und meine Hände ballten sich zu Fäusten, mein gesamter Körper war so angespannt, dass ich dachte, er würde jeden Moment krampfen.

Mein Atem ging unregelmäßig, es war beinahe ein Knurren aus meinem Inneren zu hören. Bestimmt eine Art vampirischer Reflex, der sich trotz momentaner Menschlichkeit nicht abschütteln ließ.

„Toe hat Recht. Halte dich zurück. Nicht nur dein Leben hängt davon ab. Denk doch an deinen Liebsten...“, ein fettes Grinsen konnte sich Amanda nicht verkneifen.

Mein Blick wich ihr automatisch aus und folgte den Gitterstäben zu Jason, doch Dean stellte sich meinem Blick in den Weg, verschränkte die Arme vor der Brust und grinste ebenso.

Mir fiel nun bereits das Schlucken und Atmen so schwer, weil ich mich so verkrampfte, weil ich mich so zurückhielt, dass einzelne Töne zwischen meinen zusammengepressten Zähnen entwichen.

„Du hast selbst Schuld... du hast mir meine Tour versaut. Hättest du dich bloß nicht eingemischt!“, kam es von Dean, doch er wurde schnell gebremst durch Leo, der, wie ich annahm, wiedermal der einzige Ruhepunkt der grausamen Stille zu sein schien.

Meine Schuld. Ja, es stimmte und das war das schlimmste daran.

Der Nos, mit Namen Toe, drehte sich zu mir um und vergewisserte sich, dass ich nicht auf ihre Reden anspringen würde. Aber wie konnte ich auch? Es ging immerhin um Jason und ich hatte schon genug angerichtet. Ich hatte schon genug Blut an mir kleben (und das oftmals auch im wörtlichen Sinne). Ich war mit Schuld befleckt. Ich konnte hierbei nicht gewinnen. Aber Jason vielleicht.

„Ich schließe mich euch an. Egal, was ihr mit mir vorhabt, ich werde es tun. Aber ich wünsche, dass im Gegenzug Jason freigelassen wird.“, mein Körper hörte auf zu krampfen, ich resignierte.

„Nelly, nein!“, rief Toe und versuchte mir den Mund zuzuhalten.

In jenem Moment sah ich im Augenwinkel, wie Dean seine Arme aus ihrer Verschrenkung nahm und losrannte.

„Das reicht mir nicht!“, hatte er geschrien und lief auf mich zu.

Dean hechtete auf mich zu und Bajonette wich sachte einen Schritt beiseite, um ihn durch zu lassen. Leo verfolgte ihm blitzschnell und hatte ihn eingeholt, ehe er direkt vor mir, in Kauerhaltung, war und die Zähne bleckte.

Toe stand noch immer einen Schritt vor mir und hielt schützend seine rechte Krallenhand vor mich, ehe er sich ganz vor mich stellte und Dean entgegenfauchte.

Amanda und William hingegen hatten sich kaum einen Zentimeter bewegt, ebenso wie Kev, der mich nur zu gern hätte sterben gesehen.

„Nicht, Devin!“, warnte Leo ihn und hielt ihn an seinen Armen zurück.

„Devin...?“, wiederholte ich langsam seine Worte. Dean war tot. Gestorben. Diese Kreatur hier vor mir war ein Vampir und kein Mensch. Er hatte sich beißen lassen und sich ebenso mit den Sintflutlichen verbündet.

Ich hatte gewusst, dass es äußerst schlecht für mich aussehen würde, aber hier stand ich sechs Vampiren gegenüber, selbst nur einen zur Seite stehend.

Bajonette ging aus Amandas und Williams Mitte hervor.

„Liebes...“, sagte sie wieder, wie sie es früher oft gesagt hatte. Diesmal hatte es für mich jedoch eine völlig neue Bedeutung.

„Ich hatte keine Wahl. Du hast keine Wahl. Wir sind Vampire und das sollten wir auch bleiben. Entweder du entscheidest dich für uns oder gegen uns. Entscheide dich für das, was du bist oder für den endgültigen Tod. Nelly, sei nicht dumm, er ist nur ein Mensch!“, sprach sie und klang wirklich besorgt um mich. Aber jegliche ihrer Emotionen prallten an mir ab.

Gerade wollte ich ihr etwas entgegensetzen, ihr kühl in ihre falsche Fratze sehen, und ihr erklären, was Jason war, was er für mich war, denn er war viel mehr als einfach nur ein Mensch für mich, da wurde ich bereits unterbrochen.

„Ihr werdet ihn ja doch nicht am Leben lassen...“, kam es plötzlich ruhig von Toe, der die Augen geschlossen hatte und mittlerweile wieder an meine Seite getreten war. Irritiert blickte ich ihn an.

„Sintflutliche können untereinander Gedanken austauschen...“, sprach er und ich achtete auf Amanda und William, die unter sich einen Blick austauschten, als wüssten sie nicht weiter.

„Ich bin erstaunt, Toe, zu was du fähig warst. Du hast einen Sintflutlichen ermordet, nicht wahr?“, nun sprach William mit seiner klaren, harten Stimme.

Nicht lange brauchte ich zu überlegen. Damit waren wir ihnen vielleicht doch nicht so unterlegen, wie ich angenommen hatte!

„Und wer einen Sintflutlichen tötet, der wird selbst zu einem!“, sprach ich begeistert und Toe nickte.

„Und schon seit Minuten warten sie darauf, dass du einen Fehler machst, Nelly. Sie wollen dich nur zu eigenen Zwecken missbrauchen. Und sie hatten von Anfang an vor Jason zu eliminieren. Du hättest ihnen versprechen können, was du wolltest. Das hätte nichts geändert. Sie hätten verlangt, dass du dich von ihm lossagst. Und hättest du dies getan, hätten sie ihn in der nächsten Nacht aufgespürt und umgebracht.“, sagte Toe und sofort änderte sich die Stimmung.

Wut und Hass spiegelten sich nun auch in den Augen der Sintflutlichen wider.

„Dann heißt es alles oder nichts.“, sagte Bajonette und sah mich feindlich an. Mir würde es schwer fallen, aber ich konnte nun auch ihr nicht mehr trauen und musste sie hier und heute töten, irgendwie.

Devin machte sich ruckartig los, als Leo nicht aufgepasst hatte, und schnappte mit seinen Pranken nach mir, doch sofort trat mein Nosferatu-Begleiter Toe an meine Seite und umkrallte diese mit seiner Krallenhand. Es machte ein knirschendes und knackendes Geräusch, als Toe Devins Arm einmal herumdrehte und ihm jegliche eiserne und extrem harten Knochen brach.

Devin selbst hatte keine sonderlichen Schmerzen, aber sein Arm war einmal herumgedreht und es kostete ihn Mühe und etwas Zeit, kostbare Zeit für uns, ihn wieder gerade zu drehen.

Amanda und William sprangen auf uns zu, nun war der Kampf entfacht, und es kostete Toe sichtlich viel Kraft es mit zwei Sintflutlichen auf einmal aufzunehmen.

Ich schreckte immer wieder einen Schritt zurück und sah mitan, wie immer wieder ein Vampir auf mich zu hechtete, um mir den Gar auszumachen.

Ein lautes „Nein!“ erfüllte den Raum, nur ich hörte dieses Wort, mein Blick eilte nach hinten zu den Käfigen, dann huschte er zum Käfig, indem Jason war und ich sah, wie er dort mit Händen und Füßen versuchte zu entfliehen. Und er schrie um mich.

Mit jedem Mal, das er meinen Namen rief, dass er Angst um mich hatte, sprang mein Herz beinahe aus meiner Brust.

Es konnte sich nur noch um Sekunden handeln, ehe ich von einem von ihnen erfasst wurde und einen grausamen Tod starb. Wahrscheinlich war es sogar der Kahlkopf Devin, ehemaligst Dean, selbst, der mir mein Lebenslicht auslöschen würde.

Und plötzlich war es geschehen. Eine Krallenhand, ich schätzte die von Devin oder Kev, traf mich und warf mich zu Boden. Noch im selben Moment erbot sich mir der wundervolle Anblick eines gleißendes Lichtes, das so sonnig und hell, und ließ mich dahinschwinden.

Mir war schummrig. So fühlte es sich also an einen gewöhnlichen Tod zu sterben. Mir war schwindelig. Es war so, als würden mehrere Personen gleichzeitig an meinen Gliedern zerren und mich herumwirbeln.

Ich konnte meine Augen nicht öffnen. Mir war so, als wären sie bereits offen und das göttliche Licht blendete so sehr, dass ich sobald das Himmelstor erblicken würde.

Aber ich hörte etwas. Erst waren es nur stumpfe Geräusche, die sich anhörten, als würden dumpfe Schüsse auf eine Mauer treffen. Dann hörte ich plötzlich eine Befreiung meines Schwindelgefühls: „Ein Engel des Lichts, geboren um die Unendlichkeit des Himmels zu bewahren und zu beschützen. Ein Engel, geboren um zu kämpfen, für all jene, die es verdienen. Ein Engel, geboren, um zu töten, all jene, die es wagen sich gegen das Licht zu stellen.“

Ich war nicht tot!

Die freudig überraschte Aussage von Leo, bestätigte mich darin. „Jules!“, rief er und ich konnte darin sein Lächeln hören.

Plötzlich erlosch das helle Leuchten und ich sah Juliettes Gesicht direkt vor mir. Ich lag in ihren Armen und bemerkte jetzt einen stechenden Schmerz auf meiner Haut in der Nähe meiner Brust.

„Juliette...!“, verbesserte sie wiedermal Leo, aber sie sagte es unter einem zufriedenen Lächeln und ich spürte ihre metallischen Flügel auf und ab – flattern.

Nun sah ich wieder um mich herum. Amanda und William, die vor dem Licht geflohen waren und daher nicht mehr direkt vor uns standen, tauschten erneute Blicke aus, doch unterließen dies schnell wieder, weil sie wussten, dass Toe ihre Gedanken ebenso hören konnte.

„Weil sie kein Vampir ist, ihr Dummerchen. Deshalb hast du sie nicht riechen können mit deiner Superspürnase, William!“, erklärte Toe, der seltsamerweise nicht vor dem grellen Licht verschwunden war, wie alle anderen.

„Aber was machst du denn hier...?“, fragte ich Juliette, aber sie antwortete nur mit einem lieblichen Lächeln und einem Kopfschütteln.

„Ich will meine Rache!“, rief Devin und Kev stieg mit ein: „Genau wie ich. Himmelswesen hin oder her.“ und so atete alles plötzlich wieder in einen Kampf aus.

Aber es sah nun gar nicht mehr so finster für uns aus. Die Veraphim Juliette legte mich sanft hinab und stieg mit Toe an ihrer Seite in den Kampf mit ein. Sie hatte wohl erkannt, dass er auf unserer Seite stand.

Weil Kev Angst hatte in die unmittelbare Nähe des Engels zu kommen, bevorzugte er es, mit seinen Energieblitzen herumzuwirbeln. Er hatte aber nicht damit gerechnet, dass Juliette in die Höhe flog und seine Blitze mit Leichtigkeit umkehrte. Dieser hatte bisher noch nie seinen eigenen Energieblitzen ausweichen müssen.

Kapitel 25 Ende.

Toe war weiterhin damit beschäftigt sich Amanda und William gleichzeitig zu stellen. Daher fragte ich mich, warum Bajonette nicht die Chance nutzte, um mich zu bestrafen, dass ich nicht zu den Vampiren gehören wollte. Wie konnte ich auch, wo ich doch keiner mehr war?

Als ich durch die Mitte zweier Säulen hindurchspähte, erkannte ich etwas Seltsames. Etwas, das ich erst glaubte, als es auch direkt vor meinem gesamten Blick zu erkennen war: Leo ringte mit Bajonette.

Nicht nur, dass ich mir sicher war, dass er eigentlich eine Schwäche für schöne (Vampir-) Frauen hatte, nein, er kämpfte doch tatsächlich für die falsche Seite! Also eigentlich empfand ich es so als richtige Seite, aber mir war nicht recht klar, warum er nun für uns kämpfte und sich sogar gegen Kev stellte oder ging es ihm nur um die Clubbesitzerin?

Immer wieder sprangen sie aufeinander zu und versuchten sich Biss und – Kratzwunden zuzufügen.

Ich versuchte das Geschehen weiter zu beobachten und hoffte, dass keiner der Vampire es bis zu mir schaffen würde oder auf die Idee kam, sich an Jason zu vergreifen, als ich wieder auf meinen eigenen Schmerz gelenkt wurde, der sich unterhalb meines Halses auf meinem Dekolletee befand. Als ich zum ersten Mal an mir hinabsah, erkannte ich drei tiefe Einschnittwunden. Eine der Schnittwunden zog sich direkt durch mein Schlüsselbein, die anderen beiden lagen direkt darunter. Einer der Vampire, der mich soeben attackiert hatte, hatte meinen Hals nur knapp verfehlt.

Noch war ich also wirklich am Leben. Aber es war fragwürdig, ob und wie lange ich es noch machen konnte. Nicht immer würde ich mich gekonnt aus dem Weg rollen können oder mich auf Toe und Juliette verlassen, dass sie mich beschützten.

Doch plötzlich wendete sich das Blatt. Mit einem gekonnten Stoß, in jenem Moment als Amanda Toe auswich, um zu mir zu gelangen, brachte Toe William zum Schweigen. Selten hatte ich den Anblick erhalten können, wie es aussah, wenn ein Vampir einen anderen tötete und besonders nicht, wenn es sich hierbei um Sintflutliche handelte.

Toe hatte seine Hand zu einer Faust geballt, zurückgenommen, um Schwung zu bekommen, und ließ sie dann mit den Krallen voran in Williams Brust sausen. Auf der anderen Seite seines muskulösen Körpers erkannte ich Toes Krallenhand, die sich einmal durch ihn durch gebohrt hatte.

Williams Angriff wurde gestoppt, er konnte sich kaum regen, fiel dann hilflos auf die Knie mit weit aufgerissenen Augen und sank noch tiefer als Toe seine Krallenhand wieder aus ihm löste.

Allein das kräftige Geräusch, das der Stoß tat, hatte Amanda aufgehalten zu mir zu rennen. Sie war herumgewirbelt, doch es war zu spät für sie, ihren Geliebten zu retten.

William fiel zu Boden, seine Augen waren leer und langsam, von seinem riesigen Loch im Herzen an, verwandelte sich sein Körper in Staub und ließ schließlich nichts mehr von ihm zurück.

Ein langer, eisiger und uns alle lähmender Schrei ertönte.

Amanda sprang zu den Überresten ihres Verbündeten und tauchte ihre Hände in den Staub, ungläubig darüber, was passiert war.

Toe atmete hektisch und betrachtete seine eigene Krallenhand, die mit Blut überströmt war. Mit Williams Blut.

Amandas Körper wirkte klapprig. Sie sah aus, als würde sie jeden Moment zerbrechen. Sie sah jetzt gar menschlich aus. Ihre Krallenhände zitterten mit den Asche oder Staubresten im Inneren, die sie versuchte zu umklammern.

Da ich auf dem Boden lag, machte das nächste Ereignis besonders Eindruck auf mich. Wie ich zuvor, verwandelte Amanda ihre unendliche Trauer in rasende Wut. Aber es war nicht einfach rasende Wut. Es war blinde Wut. Ich hatte von den unglaublichen Fähigkeiten der Sintflutlichen gehört, aber nie hatte ich mir sie so gigantisch vorgestellt.

Amanda streckte ihre Arme in die Höhe und kreischte wie eine Mischung aus einer Sirene und einer Kettensäge. Es war ein gressliches Geräusch.

Ringsumher verwandelte sich der Boden plötzlich. Erst färbte er sich rot und ich spürte, dass mein Rücken immer wärmer wurde, dann verschwand langsam das Wasser zu unseren Füßen, immer schneller verdampfte es und der Boden schien zu glühen.

Ihre Augen färbten sich in tiefes, dunkles Rot, das eigentlich von größtem Blutdurst zeigte, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie Durst hatte, denn ihre Augen verfärbten sich nicht langsam und stätig in diese Farbe, sondern waren urplötzlich so. Als hätte etwas in ihr den Urvampir entfacht.

Aber etwas ähnelte diesem Zustand sehr, der mit Blutdurst heraufbeschworen wird. Sie befand sich ohne Zweifel in einer Art Raserei...

Bald schon erzeugte sie eine grausame Hitze, die mich noch schwerer atmen ließ als schon zuvor.

Flammen züngelten sich bald durch den gigantischen Raum, wanderten die Säulen hinauf und brennten alles nieder.

Amanda ließ die Flammen ihrem Willen folgen und schleuderte sie in unsere Richtung. Juliette schaffte es jedoch, mich rechtzeitig aus dem Weg zu ziehen und nahm mich dann wieder auf den Arm, um mit mir in die Höhe zu fliegen. Selbst Bajonette und Leo hatten aufgehört zu ringen. Alles sah gespannt auf die Sintflutliche, die den Verstand zu verlieren schien.

Da das Feuer bald überall war und uns eingekreist hatte und wir selbst in der Luft uns nicht mehr davor verstecken konnten, mussten wir uns hinter die Säulen begeben, hinter denen das Feuer es bisher noch nicht geschafft hatte.

Devin rannte von der Nähe des Käfigs aus auf seine Herrin zu, um ihr zur Seite zu stehen, doch Amanda schien nicht mehr zwischen Freund und Feind unterscheiden zu können und ließ ihn einfach vor aller Augen in Flammen aufgehen. Immer wieder schrie sie, benommen von ihrer Raserei.

Juliette, die hinter den Säulen mit mir gelandet war, legte mich ab. Leo stand neben ihr und auch Bajonette stand in unserer Nähe. Nun war nur noch Toe in der brennenden Hitze und stand eingeschlossen zwischen den Flammen, die sich bereits meterweit türmten.

„Amanda...!“, rief er und hielt sich die Arme schützend vors Gesicht. Feuer war nicht gerade jeder Vampirs Freund...

„Amanda...! Beruhige dich! Komm zu dir! Du wirst dich noch selbst töten!“, schrie er, doch sie schien nicht zu hören.

Nun ging das Getuschel auch bei uns los. Keiner verstand, wie ein Vampir so ausrasten konnte. Mir war bewusst, dass jeder Vampir in Raserei eine tödliche Waffe war, aber so etwas hatte ich noch nie gesehen.

„Sie hat sich nicht mehr unter Kontrolle...“, nuschelte Bajonette vor sich hin, doch ich hörte es genau.
Ich versuchte mich aufzurichten, Juliette verlangte zwar von mir, dass ich mich wieder hinlegte, aber ich wollte es dennoch versuchen.

„Sie ist so... wegen William... oder?“, fragte ich und ich blickte in ratlose Gesichter. Nun trat Bajonette näher an unsere Gruppe heran.

„Ich habe schon mal davon gehört. Wenn Vampire sich in Paare zusammentun, ist es meistens eine Beziehung, die nur auf Macht aufbaut und auf kein Vertrauen oder Ähnliches. Aber bei Sintflutlichen, die Jahrhunderte miteinander verbringen, entsteht womöglich eine menschenähnliche Bindung...“, sprach sie und wechselte mit mir einen Blick. Hatte sie tatsächlich zugegeben, dass Menschen eine solche Verbindung hatten, dass sie lieben konnten?

Vielleicht verstand sie nun ein wenig besser, wie es um mich und Jason ging.

„Du meinst... Amanda hat ihn wirklich geliebt?“, fragte Leo fassungslos und runzelte die Stirn.

Ich konnte mir das gut vorstellen. Eigentlich war ich immer der Meinung gewesen, dass Vampire so etwas wie Liebe nicht erfahren konnten, aber als ich Jason als Halbvampir kennenlernte, war es auch in meinen Vampirstunden so, dass ich ihn in Sicherheit wissen musste.

Vielleicht gab es also doch eine solche Verbindung unter Blutsaugern.

„Ich muss irgendwie zu Jason... Er ist noch in dem Käfig... Bald wird das Feuer auch da sein...“, sagte ich zu Juliette und sie nickte.

„Ich weiß..., aber wir kommen da jetzt nicht hin. Das wäre Selbstmord. Du siehst doch, wie sie ist.“, sie versuchte mich zu besänftigen, aber es half nicht. Ich schüttelte vehement den Kopf, um ihr zu signalisieren, dass mir das egal war, dass ich auch zu ihm robben würde, wenn es nicht anders ging, aber sie schlang ihre Arme um mich und ließ mich nicht entkommen.

Zu meiner Verwunderung trat Bajonette an meine Seite und sah mich an mit Anettes Augen. Ein jugendliches, freches Funkeln lag darin. Wie damals, als ich sie am Strand kennengelernt hatte, als ich noch Mia Janies war. Und auch sie schien sich an jenen Moment zurück zu erinnern.

„Robert hatte Recht. Du würdest niemals einen normalen Vampir abgeben. Deshalb verwandelte er dich. Er wollte, dass deine Besonderheit für immer existiert.“, sprach sie und lächelte urplötzlich freundlich, wie Bajon es getan hatte, und ging zu den nächsten Säulen hinüber, um von dort aus auf das Kampffeld zurück zu gelangen.

„Nein...!“, rief ich ihr hinterher, aber sie schien mir Wiedergutmachung schenken zu wollen, rannte durch das Feuer, ließ sich vom Feuer treffen und wurde schnell von Amanda bemerkt. Diese wendete sich ihrem nächsten Opfer in ihrem blinden Wahn zu und attackierte sie. Diesmal schien es ihr nicht zu genügen mit dem Feuer zu spielen, sondern biss auf sie ein.

Die Grausamkeit dieser Tat lähmte mich abermals, bis Leo es erkannte: „Das ist ein Ablenkungsmanöver!“

So schnell sie konnten, machten sich Leo und Juliette auf den Weg ins Feuer und ließen mich bei Kev zurück, den ich jetzt erst in unserer Gruppe bemerkt hatte.

Es war ein grausiges Unbehagen, das mich erfüllte, das er nun in meiner Nähe war. Er konnte mich ohne Probleme töten, jetzt, da wir allein waren.

Er grummelte und setzte sich zu mich.

„Leo ist für mich wie ein Bruder...“, sagte er, aber seine Miene blieb hart, „Er hat die Seite gewechselt. Er hat sich auf deine Seite gestellt.“

Ich nickte zaghaft und wartete ab, ob er noch etwas tun oder sagen würde, aber er machte keine Regung und ließ irgendwann seinen Blick von mir ab und sah Leo und Juliette hinterher.

Wenn ich mich unbeobachtet fühlte, erhaschte ich einen Blick seiner Narbe und fühlte mich erneut schuldig. Der Jagdausflug mit Leo und ihm hatte mir damals wirklich Spaß gebracht. Sie hatten mir nie ein Leid tun wollen. Erst als ich Kevs Gesicht verbrannte, hatte ich mir seinen Rachedurst selbst eingebracht.

Leo flitzte in seiner Blitzgeschwindigkeit zu den beißenden Flammen hinüber. Als Amanda mit Bajonette fertig war, schien sie sich schon ein neues Opfer auserkohren zu haben. Jeder, der ihr zu nah kam, würde es schnell bereuen. Aber vielleicht war Leo ihr mit seiner Schnelligkeit überlegen.

Er rannte hin und her und wich den Flammen aus, die sie ihm entgegensendete. Juliette versuchte währenddessen durch die Luft zum Käfig zu gelangen. Ich fühlte mich so hilflos, dass ich nur zusehen und ihnen nicht aktiv helfen konnte.

Wie aufs Stichwort, stand Kev auf und ging langsam ebenso zum Kampfschauplatz hinüber. Ich wusste nicht direkt, warum, aber er schien mir nun auch helfen zu wollen. Oder zumindest seinem Gefährten.

Doch keiner konnte es schaffen, keiner kam an Amanda vorbei. Nicht einmal Leo, der sich so schnell bewegte, wie er nur konnte, vermochte es durch die Flammentore hindurch zu rennen.

Ich versuchte mich erneut aufzurichten, diesmal wollte ich aufstehen, um selbst dem Geschehen näher zu kommen.

Als ich mich an einer Säule hinaufzog und nähertrat, erblickte ich das gesamte Ausmaß des Feuers.

Toe befand sich immer noch in der Mitte des Raumes kurz vor Amanda und schien sie zur Vernunft bringen zu wollen, doch vorerst nichts, was er sagte, schien bei ihr Gehör zu bekommen.

Zu seinen Seiten befanden sich Kev, Leo und Juliette, die verzweifelt einen Durchgang in ihrem Flammenmeer suchten.

Doch dann schrie Toe laut und eindringlich einen Namen und die Flammen erloschen urplötzlich.

„Fiona!“, schrie Toe und hielt die Hände vor sich, beinahe so, als ob er nach ihr greifen wolle.

Fiona... ich überlegte. Diesen Namen hatte ich schonmal irgendwo gehört.

„Fiona... komm zu dir! Alan ist tot! Nichts bringt ihn wieder her! Du musst aufhören! Es ist nicht meine Schuld! Du hast damals die Entscheidung getroffen, erinnerst du dich? Du hast die falsche Entscheidung getroffen, nicht ich! Ich bin hier, damit sich die Geschichte nicht wiederholt!“, sie schien ihm zuzuhören, doch ließ einzelne Flammen um sie herum wirbeln, sodass ihr keiner zu nahe kommen konnte.

Jetzt plötzlich wirkte sie wieder so verletzlich. Aber was hatte Toe damit gemeint, dass er nicht wollte, dass sich die Geschichte wiederholte?

Doch anstatt, dass es jetzt endlich vorbei war und sich Amanda beruhigte, schien sie jetzt erst richtig loszulegen. Sie schenkte mir einen hasserfüllten und trotzdem tieftraurigen Blick.

Sie türmte die Flammen vor sich auf, sodass niemand sie mehr sehen konnte. Sie versperrte uns den Weg zu sich und auch zu Jason. Was hatte sie vor?

Hinter den hiesigen Flammen, die alle anderen von ihr fernhielten, vernahmen wir ihre Worte. Sie hegte noch immer einen Groll gegen Toe, das war mir bewusst, aber etwas an ihrer Stimme stimmte mich ängstlich, beinahe mitfühlend.

„...Dass sich die Geschichte nicht wiederholt...! Toe..., du weißt nicht, wovon du da sprichst! Diese Geschichte hat Jahrhunderte überlebt! Nur du hast sie zerstört! Du hast sie kaputt gemacht!“, schrie sie verzweifelt und sie jaulte schrill und laut. Dabei erinnerte sie mich an mich, als ich Bajon meinen Besuch abgestattet hatte und von ihr erfuhr, dass Anette und Jason entführt worden waren.

„Das ist nicht wahr! Du hast dich falsch entschieden! Und du hast es immer bereut, das weiß ich. Fiona, komm zu dir und hör auf mit dem Wahn, du wirst dich noch selbst zerstören!“, auch in Toes Worten lag eine gewisse Fürsorge und Angst um die Vampirin.

Nun kam ich hinter den Säulen hervor und betrat humpelnd unter Schmerzen meiner Brust die riesige Halle.

„Fiona Asbury!“, die Worte machten sich aus meinem Mund, ehe ich überhaupt verstand, was sie bedeuteten.

Toe sah zu mir herüber und einige der Flammen vor Amanda schienen sich zu legen. Der Name hatte sie irritiert, denn es war ihr Name gewesen, als sie noch ein Mensch war.

„Fiona Asbury... du warst das Halbwesen vor siebenhundert Jahren! Du hast dich nicht für das Menschsein entschieden, sondern hast die menschliche Seite in dir töten lassen, um für immer mit deinem Geliebten zusammen sein zu können...“, meine Worte taten ihre Wirkung und die Flammen schossen in die Höhe, machten sich auf zur Decke und schlängelten sich die Decke entlang. Die falsche Entscheidung, die sie getroffen hatte, war, dass sie die Menschlichkeit aufgegeben hatte, denn die wahre Liebe würde nur in einem menschlichen Herzen Platz finden. William und sie hatten trotzdem eine seltene Verbindung, aber die Liebe war ausgelöscht.

„Und es darf sich nicht wiederholen, Nelly!“, rief mir Toe zu, als hätte er meine Gedanken gehört. Ich nickte zaghaft, doch ein Schrei ließ mir meine Adern gefrieren.

„Nelly!“, schrie Jason hinter dem Feuervorhang. Was hatte sie mit ihm vor? „Nun muss sie dasselbe erleiden, was ich erlitt, Jahrhunderte lang! Die Geschichte wird sich wiederholen! Hättet ihr mir meine Liebe gelassen, hättet ihr mir mein Leben gelassen, hätte es nicht so enden müssen!“, schrie sie und ich konnte hören, dass Jason sich in ihren Armen wehrte.

„Nein, Jason!!!“, schrie ich und lief näher auf die Flammen zu, die mich sofort wieder zurückjagten.

Toe lief mir nach und zog mich einige weitere Meter nach hinten. Leo brauste an meine Seite und versuchte ebenso mich festzuhalten. Juliette hingegen versuchte sich wieder auf in die Lüfte zu machen, aber es war so heiß, dass ihre Flügel nicht funktionierten.

Fiona Asbury wollte mir also nun denselben Fluch anhängen, den sie sich selbst auferlegt hatte, siebenhundert Jahre zuvor.

„Jason!“, schrie ich und weinte verzweifelte Tränen. Gegen die immensen Kräfte von Toe und Leo würde ich ja doch nichts ausrichten können.

Und dann mit einem Mal fielen die Flammen wie ein seidiger Schleier zu Boden, klatschten auf dem Boden auf und lösten sich langsam auf. Hinter der brennenden Fassade, die sich noch durch die Luft zog, sah man nur eins: Amanda, die sich über Jason beugte, seinen Kopf in beide Krallenhände legte, ihn zu sich zog und sich seinen Lippen näherte.

Die Welt hörte auf zu existieren...

Ich lauschte der Stille und sogar mein Herz hatte aufgehört zu schlagen. Ich konnte nichts mehr sagen. Mein Mund fühlte sich taub an. Es war ein seltsamer Rückblick, der mich einholte. Ich sah mich am Strand mit Rob, der mir versicherte, alles würde gut werden, mich an sich zog und mir den Blutkuss übergab.

Als meine Augen weinen wollten, bemerkte ich, dass sie nicht konnten. Dass sie sich weigerten und, dass ich stattdessen jaulende Geräusche von mir gab. Das Stechen auf meiner Brust hatte ebenso nachgelassen, dafür begann etwas in meinem Mund plötzlich zu schmerzen und meine Hände fühlten sich hart an. Ich riss mich augenblicklich los und rannte auf Amanda zu.

Ein gigantisches Knurren erfüllte meine Kehle, das Amanda zu mir blicken ließ. Sie legte Jason zu Boden, der sich vor Schmerzen krümmte, und wich zurück. In ihrem Ausdruck lag Todesangst und ich erkannte den Anblick der Schuld in ihren Augen.

Doch das half nichts, ich rannte direkt auf sie zu und attackierte sie mit Bissen, entriss ihr Fleisch bis ihr Blut ihren Körper überströmte und ich von ihr fortgerissen wurde. Ich hatte sie gerissen, wie ein Tier. Ich spürte den Vampirismus. Die Nacht musste angebrochen sein. Und statt mich um Jason zu kümmern, hatte ich mich um Amanda 'gekümmert'.

Am Käfig lehnend wurde ihr Blick immer trüber. Leo versuchte mich zurückzuhalten, denn mein Körper schien immer noch kämpfen zu wollen, dabei dachte ich schon längst nicht mehr daran. Ich wollte nicht mehr kämpfen, aber meine Krallenhände und Zähne schienen nicht auf meinen Wunsch zu hören. Oder vielmehr schienen sie auf den inneren Wunsch mehr zu hören, als ich es selbst tat. Ich wollte Jason retten, etwas in mir verfolgte Amanda bis zu ihrem bitteren Ende und ging davon aus, dass es sein Leben verschonen würde. Aber es war zu spät. Jason hatte den Blutkuss bereits empfangen. Endlich gab auch mein Körper nach und stimmte in meine tragischen Gedanken mitein. Jason lag auf dem Boden, zuckte immer wieder zusammen und stöhnte laut unter den gresslichen Schmerzen auf.

„Jason...!“, flüsterte ich, ehe ich sah, dass er stark am Hals blutete. Ich hechtete zu ihm herüber und erkannte, dass sie ihn nicht verflucht hatte, dass er nicht den Blutkuss empfangen hatte, weil sie ihn verschont hatte. Irgendetwas schien Amanda doch daran gehindert zu haben, ihn zu einem Vampir zu machen. Doch schnell erkannte ich, weshalb die Schuld in ihren Augen dennoch so echt gewesen war.

Sie verlangte es von mir... Sie verlangte es von mir, dass ich es tat. Als ich Jason herumdrehte, sah ich, wie tief verwundet er wirklich war. Selbst mit Leos Schnelligkeit und Juliettes Flugkünsten zusammen hätten wir es nicht rechtzeitig in ein Krankenhaus geschafft.

„Nein! Nein! Nein!“, rief ich immer wieder. Toe trat an meine Seite und atmete schwer ein, als er es ebenso erkannte.

„Du hast die Wahl.“, sagte er und hockte sich neben uns, während ich Jason im Arm hielt.

„Halt durch, halt durch!“, rief ich immer wieder, doch Toes Krallenhand, die mich berührte, stoppte meine sinnlosen Rufe.

„Er hat nur noch ein paar Minuten..., wenn überhaupt. Du musst dich entscheiden. Amanda konnte ihn nicht selbst küssen, sie wollte, dass du genauso entscheiden musst, wie sie es einmal musste. Daher werde ich dir ebenso die Entscheidung überlassen. Wenn du ihn jetzt küsst, wird er für immer ein Vampir sein. Aber er wird dich nicht lieben können. Aber wenn du jetzt nichts tust, wird er bald sterben...“, sagte Toe langsam und bedacht, doch ich schüttelte immer wieder den Kopf.

Wieso verlangte er das von mir? Ich wollte ihm nicht sein Leben nehmen, in keinerlei Hinsicht.

Mich hatte man damals nicht gefragt, ob ich ein Vampir sein wollte. Und auch wenn ich wusste, dass Jason diese Welt gefiel, war ich mir nicht sicher, ob er auch diese Welt sein wollte.

Gerade auch, weil ich wieder wusste, wie es war, menschlich zu sein, wie es war zu lieben..., wollte ich ihn am Leben lassen. Aber er hatte nur noch ein paar Minuten. Was sollte ich tun?

Ich näherte mich Jasons Gesicht, welches schmerzverzerrt hin und her schaukelte aufgrund der Schmerzen. Sein Blut rann immer weiter seinen Hals und seine Brust hinab. Es war bereits überall. Ich bemerkte, dass Leo sich zurücknahm aufgrund des Geruchs. Ich vermutete, er hatte etwas Durst bekommen bei diesem Anblick und wollte das gefährliche Gefühl niemandem zeigen.

„Jason...! Jason...!“, rief ich immer wieder und ein trauriges Jaulen erfüllte meine Brust. Es war ein Wunder, dass das viele Blut keinen Durst in mir aufkommen ließ.

„Ne...lly...“, kam es kraftlos zurück und alles, was als nächstes geschah, wirkte auf mich wie in Zeitlupe. Noch einen winzigen Augenblick sah ich ihn an, dann schloss ich meine Augen, drückte sanft meine Lippen auf seine und drückte ihn nah an mich heran. Mein Vampirkörper tat, wie ihm mit dem Fluch aufgetan. Ich spürte die frostige Kälte auf unseren Lippen und versiegte sie mit dem Blutkuss.

Er schloss ebenso seine Augen und sein Herz hörte auf zu schlagen. Und auch ich öffnete meine Augen nicht mehr.

Mein Herz fühlte sich hohl an. Dann schwanden jegliche Gefühle und ich hörte nur den dumpfen Aufprall meines Kopfes auf dem harten Steinboden, auf dem ich neben ihm zu Boden glitt.

Kapitel 26 Ende.

„Jules!“

„Mein Name ist immer noch Juliette, kleiner Vampir!“

„Mir gefällt Jules aber besser!“

„Das ist mir doch egal! Mein Menschenname war Juliette Miller.“

„Okay, dein Menschenname. Aber du bist ein Engel oder sowas, also leg den Namen doch ab.“

„Machen wir es so: Wenn ich eine Seraphim bin, nenne ich mich Jules! Und da das niemals eintritt, musst du mit Juliette leben!“

„Mir egal, irgendwann heißt du Jules! Für mich bist du es eben jetzt schon!“

„Und verrätst du mir auch, wie dein Name war? Ihr Vampire ändert eure menschlichen Namen doch auch um, wenn ihr euch verwandelt habt oder?“

„Der war Leo!“

„Erzähl keinen Unsinn!“

„Doch, ich hieß Leo Hicks.“

„Leo Hicks? Hicks, wie ein Schluckauf?“

„Das ist nicht so lustig, wie du denkst...!“

„Ach, doch, ich finde schon!“

„Oh, sieh mal, sie ist aufgewacht...“

Schweigen herrschte bis sich meine Lider langsam hoben und ich zu blinzeln begann. Erst nach einigen Sekunden erkannte ich wieder einige Umrisse. Ich befand mich in meiner alten Wohnung. Das Licht war nicht eingeschaltet, also nahm ich an, es wäre Nacht. Das war es, was ich nun am wenigsten wollte: Vampir sein. Aber das war es, was ich nun war.

„Kev hat dich hierher getragen, ist das nicht äußerst lieb von ihm, nachdem du sein hübsches Gesicht so enstellt hast?“, Leo grinste mir entgegen und ich hörte ein Grummeln aus einer Ecke des Raumes und nahm an, dass es Kev war.

„Wenn du was trinken willst..., hier ist ein Blutbeutel...“, murmelte Juliette mit sichtlicher Abneigung.

Ich erhob langsam meinen Körper und nahm aus Reflex den Beutel in meine Kralle. Ich betrachtete das Blut, das so verführerisch darin aufblitzte. Sie hatten den Beutel sogar für mich aufgewärmt.

„Wo ist er...?“, sagte ich monoton und legte den Beutel wieder beiseite. Ich wollte jetzt nicht trinken.

Augenblicklich wurde es bedrückend still im Raum. Leo und Juliette wechselten traurige Blicke.

Juliette seufzte tief und entfernte sich von meinem Bett. Leo setzte sich zu mir und machte mir den Beutel auf. „Du solltest erst einmal was trinken.“, sagte er sanft, doch in mir kam schnell Panik auf.

„Wo ist er? Wo ist Jason??“, fragte ich hektisch, doch keiner antwortete mir. „Trink.“, sagte Leo wieder und führte den Blutbeutel an meinen Mund, doch ich stieß ihn mit meiner Krallenhand beiseite und er landete mit einem lauten Platschen an der Wand und platzte auf. Das Blut floss aus ihm heraus und verteilte sich auf dem Boden, so wie es Jasons Blut in der Kanalisation getan hatte, so wie es aus seinem Hals geflossen war, als ich bei ihm war und nicht mehr weiter gewusst hatte.

Eine ganze Weile herrschte Schweigen, als hätten alle dieselben Bilder vor Augen, ehe Kev sich erhebte und den Platz von Leo einnahm, der sich erhob und sich zu Juliette gesellte.

Kev rückte näher und ich betrachtete schuldig seine Narbe im Gesicht.

„Jason ist dort unten gestorben.“, sagte er ruhig und meine Augen weiteten sich. Also hatte ich ihn getötet! Ich hatte ihn in diese Gefahr gebracht und er war trotz meines Versuchs ihn zu verwandeln gestorben. Vielleicht hatte er die Schmerzen des Fluches nicht ertragen. Ich hatte von solchen Geschichten gehört. Dass nicht jeder Mensch den Fluch annehmen konnte. Dass manche bei den grausamen Schmerzen der Verwandlung ums Leben kamen...

„Sein Herz hörte auf zu schlagen und er wurde zu einem Vampir.“, ergänzte Kev und meine Augen verkleinerten sich wieder.

Ich wusste nicht recht, ob dies besser war. Ob es nicht besser gewesen wäre, wenn er einfach gestorben wäre.

„Und wo ist er...? Geht es ihm gut?“, fragte ich, doch Kev sah ängstlich zu Leo und Juliette in die Ecke herüber.

Dann kamen die beiden ebenso zu mir und setzten sich auf mein Bett, während Kev wieder zu seinem Stuhl ging und sich dort setzte.

„Ehrlich gesagt..., wir wissen es nicht. Wir blieben noch einige Stunden da unten. Du schienst bewusstlos oder in einer Art Trance zu sein, während Jason die Verwandlung absolvierte. Irgendwann konnte Jason seine Augen wieder öffnen und sie hatten einen rötlichen Schimmer. Als wir ihm alles erklären wollten, stand er hektisch auf und entfernte sich von uns. Er hatte Durst und Toe zeigte ihm, dass man sich als Frischvampir zunächst einmal auch von Ratten ernähren könne. Und als wir beschlossen dich erst einmal zurück in deine Wohnung zu bringen, sagte Jason, er wolle nicht mitkommen. Also blieb Toe bei ihm. Aber als wir vor ein paar Stunden das letzte Mal unten waren, gab es keine Spur von Toe und ihm. Es tut mir Leid...“, erklärte Juliette und umfasste meine Krallenhand.

Ich schluckte. Er wollte nicht bei mir sein? Ich hatte ihn zerstört. Ich hatte ihn kaputt gemacht. Ich hatte ihn verloren...

 

 

 

Fiona Asbury liebte einst einen Mann namens Alan William Walden. Sie trafen sich heimlich an einem Brunnen und erklärten sich ihre Liebe. Doch Fiona sagte, sie würde Alan nie bei Nacht treffen können. Den Grund hielt sie geheim. Irgendwann kam Alans Vater dahinter und wollte die Halbvampirin, welche Fiona war, umbringen. Doch Alan schützte sie mit seinem Leben. In ihrer Wut riss sie seinen Vater, der ihre Liebe zu zerstören gedroht hatte, der seinen eigenen Sohn tödlich verletzt hatte, weil dieser seine Liebste zu beschützen versucht hatte.

Fiona wollte nicht ohne ihn leben. Und auf sie wartete noch so etwas wie die Unendlichkeit. Sie liebte ihn so sehr, dass sie ihn immer bei sich haben wollte. Sie übergab Alan den Blutkuss und somit den Fluch des Vampirismus. Doch dieser hatte zur Folge, dass die Liebe in seinem Herzen erlosch. Also tötete sie ihre Menschlichkeit, um so zu sein wie er. Doch das änderte nichts. Die Liebe war noch immer verloren.

Zwar verband sie etwas sehr Sinnliches und daher trennten sie sich nie und beschritten fortan zusammen ihr Vampirdasein, doch die Liebe, die sie einst verband, war verloren und kehrte nie zurück. Das wussten sie. Und Fiona machte sich auf die Suche nach dem einzigen Weg, sich wieder zu vereinen. Jahrhunderte begab sie sich auf die Suche nach einem Halbwesen, wie sie es war. Nur jenes Halbwesen konnte vielleicht Aufschluss darüber geben, wie man jene Liebe zurückerlangen könnte. Nur jenes Halbwesen würde sie verstehen...

 

 

„Jason sagte uns, wir sollen dir etwas mitteilen.“, sprach Juliette, „Ich weiß nicht, ob es etwas zu bedeuten hat, aber... Jason wollte, dass du weißt, dass sein jetziger Name nicht mehr Jason lautet, sondern Jake.“

Jake... Der Name hatte allerdings etwas zu bedeuten.

„Jake?“, wiederholte ich und begann zu lächeln. Von draußen hörte ich den Regen auf das Haus prasseln.

„Triff mich in drei Tagen bei unserem liebsten Hotel!“, sagte ich glücklich und nahm mir einen Blutbeutel von meinem Bett, trank genüsslich und ließ die Wärme des Blutes in meinen Körper fließen, meine Adern erfüllen und meinen Kopf berauschen...

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LorelaiPatton
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Apollinaris Cover gelungen der Rest ist ( nur ) nicht so meins. :-)

Simon
Vor langer Zeit - Antworten
LorelaiPatton Re: Soo -
Zitat: (Original von Schlauchen am 19.02.2010 - 11:12 Uhr) hab bis kapitel 8 gelesen!
Ziemlich gut und ich komm wirklich hervoragent im Geschehen mit.
Bin schon gespannt was Annette mit Jason vor hat..

Liebe Grüße
Caro


Achja, sein Auftrag :) Sei gespannt, denn es tauchen neue Personen auf, während der Auftrag von statten geht ;)
Aber meine liebste Person ist dir bisher noch nicht begegnet... Aber das kommt noch, kommt noch ;)
Viel Spaß beim Weiterlesen und danke dafür, dass du so fleißig am Ball bleibst!!! :)

Lg
Vor langer Zeit - Antworten
LorelaiPatton Re: Oh -
Zitat: (Original von Schlauchen am 16.02.2010 - 10:22 Uhr) ist das herrlich viel..
Ist die Geschichte am Schluss schon zu Ende?
Ich werd jetzt erstmal soweit lesen, wie ich komme und mir den Rest aufteilen :)
Der Prolog(Hintergrundszenariio) ist genial beschrieben. Erinnert mich an die Geschichte aus einem Computerspiel, das auch von Vampiren handelt. Alles klingt so logisch und ist sehr gut erzählt!
Okay, ich habe weiter gelsen und Santa Monica und die verschiedenen Rassen (abgesehen von dem Engel) kommen mir so bekannt vor!
Aber du erweckst es genial zum Leben, wenn ich das so sagen darf .
Kennst du das Spiel??
Wahrscheinlich wird es das sein, aber du erschaffst, finde ich, eine ganz eigene Atmosphäre!
Ich bin irgendwie so hibbelig weil ich die ganze Zeit nicht das Spiel vor Augen habe, aber mir die Szenen so überdeutlich vorstellen kann! TOLL :)
Hab jetzt die ersten beidnen Kapitel gelesen und mach mich nachher dran weiterzukommen..

Liebe Grüße
Caro

ps.: Huch, ist ja lang geworden :P


Hehe, das hast du aber gut erkannt ;)
Das Buch (ist übrigens nur der 1. Teil von 3!) habe ich für einen Freund geschrieben und es basiert auf dem Computerspiel "Vampire the Masquerade Bloodlines"! Ein einfach grandioses Spiel!!
Freut mich, dass du mal reingelesen hast :) Ich gebe zu, es ist nicht eins meiner besten Werke, aber wenn du weiter am Ball bleibst, bereust du es sicher nicht, denn das Ende hat es in sich! Wenn man denn von einem "Ende" sprechen kann ;)

Glg und gerne weiter lesen!

Lilly
Vor langer Zeit - Antworten
LorelaiPatton Re: Hab -
Zitat: (Original von Robin am 23.01.2010 - 18:48 Uhr) sogar das 2. Kapitel noch geschafft und bin alles andere als enttäuscht :-)
Muss wirklich verwirrend sein, plötzlich wieder als Mensch aufzuwachen und mit deren ganzen kleinen Schwächen zu kämpfen. Sehr schön dargestellt!

LG


juhu, das freut mich aber :)
immer fleißig weiterlesen (was besseres kann der eigene autor seinen lesern ja auch schlecht raten :P) wenn du zur mitte in richtung ende des buches kommst, würde mich gerne interessieren, welchen charakter du am besten findest...
und denk dran, es wird noch 2 weitere teile geben :)
danke schonmal fürs lesen!!!

glg
Vor langer Zeit - Antworten
Robin Hab - sogar das 2. Kapitel noch geschafft und bin alles andere als enttäuscht :-)
Muss wirklich verwirrend sein, plötzlich wieder als Mensch aufzuwachen und mit deren ganzen kleinen Schwächen zu kämpfen. Sehr schön dargestellt!

LG
Vor langer Zeit - Antworten
Robin Also - leider bin ich ja längere Zeit nicht mehr zum Lesen gekommen, aber jetzt hab ich mir endlich mal ein paar freie Minuten gegönnt, in denen ich das erste Kapitel (ja, ich weiß, noch nicht sehr weit ^^) förmlich verschlungen habe.
Toll, toll, toll. Eine Geschichte nach meinem Geschmack. Mal schaun, ob ich noch ein bisschen Zeit für das 2. Kapitel hab :-)

Liebe Grüße
Vor langer Zeit - Antworten
LorelaiPatton Re: Re: Re: Re: Re: Wahnsinn! -
Zitat: (Original von Robin am 07.01.2010 - 18:32 Uhr)
Zitat: (Original von LorelaiPatton am 07.01.2010 - 18:28 Uhr)
Zitat: (Original von Robin am 07.01.2010 - 18:25 Uhr)
Zitat: (Original von LorelaiPatton am 07.01.2010 - 18:21 Uhr)
Zitat: (Original von Robin am 06.01.2010 - 19:25 Uhr) Das ist genau so eine Geschichte, die ich gerne lese!
Bis jetzt hat sie schon alles was dazu gehört finde ich und du hast einen unheimlich genialen Schreibstil!
Natürlich bin ich noch nicht annähernd fertig mit dem Lesen, aber was ich bisher gesehn habe, gefällt mir wirklich richtig gut!
Vor allem das Hintergrundszenario hat mich beeindruckt. So etwas muss man sich erst einmal einfallen lassen.
Ich werde auf jeden Fall weiterlesen!

Herzlich liebe Grüße,
Robin


Dankeschön, immer schön fließig weiterlesen :) Der Anfang und der Mittelteil sind mir nicht sonderlich gelungen, wie ich nun im Nachhinein feststelle :P Aber das Ende ist richtig gut, also wenn man alles fleißig liest, dann findet man das Ende, denke ich, sogar richtig spannend! :D Jedenfalls danke nochmal fürs Lesen und by the way: Das Hintergrundszenario ist gar nicht mal erfunden. Das steht alles so in der Bibel!

Lg


Ja, das werde ich sicherlich :-)
Also, was ich bis jetzt vom Anfang gelesen habe, erscheint mir doch ziemlich gelungen, allerdings ist man mit sich selbst immer am kritischsten, deswegen verstehe ich dich ;-)
Oh, das wusste ich gar nicht xD
Trotzdem toll geworden :-)

LG


Ja, das mit dem Kritischsein stimmt wohl allemal :) Aber mir ist auch aufgefallen, dass mir Kurzgeschichten besser gefallen, zu schreiben, weil man sie einfach runterschreiben kann... Bei carpe noctem hat es über ein Jahr gedauert bis ich es fertig hatte... und da ich leider nur phasenweise (also hauptsächlich in den Ferien) geschrieben habe, merkt man das auch leider hin und wieder beim Lesen. Also nicht verwirrt sein ;)
Aber freut mich, dass du trotzdem willens bist, es weiter zu lesen! :)
Und wenn du dann noch nicht genug hast, gibt es Teil 2 und 3 auch noch irgendwann dazu ;)

Lg


Wow, ich bewundere Menschen, die es tatsächlich schaffen etwas fertig zu schreiben xD
Mir fällt das unglaublich schwer, obwohl ich jetzt ganz gut dabei bin. Ich hab immer zu viele neue Ideen und kann sie nicht alle einbringen und dann muss ich eine neue Geschichte anfangen, damit ich sie nicht vergessen :-)
Du hast wirklich meinen Respekt ;-)

Hm, bei einer guten Story macht es mir nichts aus, wenn ich hin und wieder verwirrt bin. Sollte ich mal etwas überhaupt nicht checken, dann frag ich dich einfach :P

LG



Genau, einfach fragen, wenn du nicht mehr weiter weißt :P Aber, wie gesagt, gegen Ende hin wird es endlich mal recht spannend. Wenn man die Zusammenhänge versteht und der letzte Showdown stattfindet, quasi ;)

Ja, das mit dem zu Ende bringen... das ist wirklich so eine Sache :D Mir ergeht es da genau wie dir... zu viele neue Ideen, die dann nicht zu dem passen, an was man gerade schreibt, schnell aufschreiben, damit man sie ncht vergisst und dann schafft man womöglich beide Geschichten nicht fertig :P
Aber naja, solange man immer irgendwie die Motivation findet, weiter zu schreiben, ist ja alles gut ;)

Lg
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Robin Re: Re: Re: Re: Wahnsinn! -
Zitat: (Original von LorelaiPatton am 07.01.2010 - 18:28 Uhr)
Zitat: (Original von Robin am 07.01.2010 - 18:25 Uhr)
Zitat: (Original von LorelaiPatton am 07.01.2010 - 18:21 Uhr)
Zitat: (Original von Robin am 06.01.2010 - 19:25 Uhr) Das ist genau so eine Geschichte, die ich gerne lese!
Bis jetzt hat sie schon alles was dazu gehört finde ich und du hast einen unheimlich genialen Schreibstil!
Natürlich bin ich noch nicht annähernd fertig mit dem Lesen, aber was ich bisher gesehn habe, gefällt mir wirklich richtig gut!
Vor allem das Hintergrundszenario hat mich beeindruckt. So etwas muss man sich erst einmal einfallen lassen.
Ich werde auf jeden Fall weiterlesen!

Herzlich liebe Grüße,
Robin


Dankeschön, immer schön fließig weiterlesen :) Der Anfang und der Mittelteil sind mir nicht sonderlich gelungen, wie ich nun im Nachhinein feststelle :P Aber das Ende ist richtig gut, also wenn man alles fleißig liest, dann findet man das Ende, denke ich, sogar richtig spannend! :D Jedenfalls danke nochmal fürs Lesen und by the way: Das Hintergrundszenario ist gar nicht mal erfunden. Das steht alles so in der Bibel!

Lg


Ja, das werde ich sicherlich :-)
Also, was ich bis jetzt vom Anfang gelesen habe, erscheint mir doch ziemlich gelungen, allerdings ist man mit sich selbst immer am kritischsten, deswegen verstehe ich dich ;-)
Oh, das wusste ich gar nicht xD
Trotzdem toll geworden :-)

LG


Ja, das mit dem Kritischsein stimmt wohl allemal :) Aber mir ist auch aufgefallen, dass mir Kurzgeschichten besser gefallen, zu schreiben, weil man sie einfach runterschreiben kann... Bei carpe noctem hat es über ein Jahr gedauert bis ich es fertig hatte... und da ich leider nur phasenweise (also hauptsächlich in den Ferien) geschrieben habe, merkt man das auch leider hin und wieder beim Lesen. Also nicht verwirrt sein ;)
Aber freut mich, dass du trotzdem willens bist, es weiter zu lesen! :)
Und wenn du dann noch nicht genug hast, gibt es Teil 2 und 3 auch noch irgendwann dazu ;)

Lg


Wow, ich bewundere Menschen, die es tatsächlich schaffen etwas fertig zu schreiben xD
Mir fällt das unglaublich schwer, obwohl ich jetzt ganz gut dabei bin. Ich hab immer zu viele neue Ideen und kann sie nicht alle einbringen und dann muss ich eine neue Geschichte anfangen, damit ich sie nicht vergessen :-)
Du hast wirklich meinen Respekt ;-)

Hm, bei einer guten Story macht es mir nichts aus, wenn ich hin und wieder verwirrt bin. Sollte ich mal etwas überhaupt nicht checken, dann frag ich dich einfach :P

LG
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