Da bin ich nun extra hierher gekommen, und es ist niemand da.
Im Nieselregen glänzen die bunten Blätter der halb kahlen Bäume, in der Luft liegt der Geruch nasser Erde.
Na schön, sage ich mir selbst, was hast du denn erwartet? Dass jeder so viel Lust und Zeit hat wie du, Samstag früh um acht unterwegs zu sein?
Obwohl mir nicht kalt ist, ziehe ich wie fröstelnd die Schultern hoch. Reiner Reflex, ich stehe so oft in der Kälte herum, dass ich mir gewisse Bewegungen nicht abgewöhnen kann. Dabei habe ich extra meine Winterjacke aus den Tiefen meines Schrankes hervor gekramt, sie roch ein wenig muffig; als ich sie anzog und mit den Händen in die Taschen fuhr, entdeckte ich den Grund dafür: Ein paar alte Kastanien vom letzten Herbst, die ehemals glänzende Hülle jetzt matt und hart. Die muss mir Marie gegeben haben. Sie sammelt so gern Kastanien. Ich sehe sie durch den Park springen, in ihrem blauen Mantel, in Gummistiefeln, die kurz unterhalb der Knie enden, wo sich die Wollstrumpfhose beult. Sie hebt Kastanien auf, pult sie aus der stacheligen Schale, um sie strahlend bei mir abzuliefern. Eigentlich habe ich die meisten in den Stoffbeutel getan, aber ein paar muss ich aus unerfindlichen Gründen in den Jackentaschen versenkt haben. Oder Marie hat sie heimlich dort versteckt. Bei diesem Gedanken sehe ich ihr zahnlückiges Grinsen vor mir, umrahmt von zwei abstehenden Rattenschwänzchen, die lustig auf und abwippen bei jeder Bewegung des Kopfes.
Der Nieselregen ist unmerklich stärker geworden, ich ziehe mir die Kapuze über den sowieso schon nassen Kopf.
Motorengeräusche. Ein Auto nähert sich. Die Reifen knirschen auf dem nassen Kiesweg, als es zwei Meter von mir entfernt hält. Es ist ein roter Fiat. Die Fahrertür öffnet sich, ein grauhaariger Mann steigt aus. Er hat den Kragen seiner dunklen Jacke hochgeschlagen, und als er spricht, steht sein Atem weiß in der Luft.
„Das tut mir leid, dass Sie warten mussten“, ruft er. Seine Stimme ist angenehm in meinen Ohren. Ich ziehe die Hand aus der Jackentasche, um sie ihm zu reichen, als er auf mich zugehüpft kommt, mit einer schwarzen Aktentasche in der Linken. Seine Hand ist warm, der Händedruck fest. Dann schiebt er sich an mir vorbei. „Warten Sie, ich schließe auf. Wirklich, das tut mir leid, aber meine Frau hatte das Frühstück nicht fertig, wissen Sie, wir essen am Wochenende eigentlich immer erst um neun…“ Da er mit dem Rücken zu mir steht, sehe ich auf die Uhr. Es ist halb neun. „Nein, nein, das ist meine Schuld“, sage ich laut, „Ich hätte ja auch um einen anderen Termin bitten können.“
Er dreht sich zu mir um. „Na ja, jetzt sind wir ja beide hier, nicht wahr?“, sagt er fröhlich und öffnet die Tür. Ich erwidere sein Lächeln. Er hält mir die Tür auf. „Wenn ich bitten darf…“ Ich habe die Hände wieder in den Jackentaschen vergraben, als ich an ihm vorbei hinein gehe.
In meiner Faust halte ich die Kastanien.