Humor & Satire
Am liebsten Harfe

Am liebsten Harfe

Oma Pischler, Bauer Hubers Erbtante mütterlicherseits, hatte ein hohes Alter erreicht. Doch nun wollte das alte nicht mehr so recht mitmachen. Oma Pischler lag auf dem Sterbebett.
Die Honoratioren der umliegenden Klein- und Kleinsorte besuchten sie fast täglich. Unter ihnen auch Hochwürden, dem sie sich schon über ein halbes Jahrhunderts ihres Lebens stets anvertraut hatte.
Und als eben diese beiden für eine kurze Weile alleine in dem kleinen Kämmerlein waren, in dem Oma Pischler in blütenweißem Linnen gebettet lag, flüsterte sie leise:
„Würden Sie mir noch einen letzten Gefallen erweisen, Hochwürden?“
„Aber natürlich, meine Tochter. Jeden.“
Oma Pischler lächelte schwach und versuchte ein erfreutes Kopfnicken: „Dann, Hochwürden, möchte ich Sie bitten, dass Sie dem Herrn Doktor sagen, er möge auf meinem Totenzettel eintragen, dass ich am Asthma gestorben bin. Würden Sie ihm das von mir ausrichten, Hochwürden?“
Hochwürden nickte gedankenverloren wie ebenso verwirrt. Und wenn er es auch nicht so recht verstehen wollte, nickte er: „Natürlich werde ich das dem Doktor ausrichten, Oma Pischler. Doch, so möchte ich fragen, warum soll er denn ausgerechnet bescheinigen, dass Sie am Asthma gestorben sind?“
Ein kurzes Schmunzeln verlieh dem vom Alter gezeichneten Gesicht etwas Verschmitztes:
„Nun ja, Hochwürden, Sie wissen ja, wie fromm und gottesfürchtig ich mein Leben lang gelebt habe und es auch jetzt noch immer bin ...“
„Oh, das weiß nicht nur ich allzu gut ...“
„Ja, sehen Sie“, das Schmunzeln wollte offenbar nicht mehr aus Oma Pischlers Gesicht weichen, als sie da fortfuhr: „Den Zettel will ich dann im Himmel vorzeigen können.“
Worauf Hochwürden verständlicherweise mit dezent verständnislosen Blicken die Daliegende ansah: „Jaaa ...?“ dehnte er fragend, und: „Und...?“
„Na ja, es ist halt so, dass ich ... nicht Posaune blasen muss, sondern viel lieber dann Harfe spielen möchte ...!“

© Gerd Kirvel