Sommerregen. Ich liebte ihn. Dieser herbe Geruch nach nassem Asphalt, hochspritzenden Pfützen unter meinem Fahrrad und nass gewordenen Schenkeln, um die ein erfrischend kühler Wind strich. Danach hatte ich mich den ganzen Nachmittag gesehnt in meinem stickigen Büro mit Sicht auf die Aare, ein tiefblauer, gelangweilt dahin fliessender Fluss.
Zuhause angekommen nahm ich zwei Treppen auf einmal und sprang wie ein junges Wiesel die vier Stockwerke des Mehrfamilienhauses hoch. Jetzt noch unter die Dusche, dann ist mein Feierabend fast perfekt! Ich würde mich danach auf mein plüschig rotes Sofa einbetten, das letzte Erdbeerjogurth aus dem Kühlschrank angeln und in einem Thriller schmökern, bis ich einschlief und von geköpften Frauen, einbetonierten Polizisten und hirnkranken Aliens mit Magenverstimmung träumte. Also doch besser was Romantisches lesen!
„Frau Schweizer!“ riss mich auf dem letzten Treppenabsatz die Stimme meiner Nachbarin aus meinen Gedanken. „Ihre Katze hat meinen Kanarienvogel gefressen!“
OH MEIN GOTT!!
„Das tut mir aber leid!“ keuchte ich und wischte mir eine durchnässte Haarsträhne aus dem verschwitzten Gesicht. Aus der Wohnung von Frau Pechmeier roch es nach verbranntem Kirschkuchen.
„Ich werde jetzt die Polizei rufen!“ drohte sie mir und erhob ihre Hände gehn Himmel wie einst Moses als er das Rote Meer teilen wollte, nur dass Frau Pechmeiers Finger keinen Stock, sondern Vogelfedern um krallten.
„Sie wollen meine Katze anzeigen?“ sagte ich verblüfft und verbiss mir ein nervöses Lachen.
„Mit ihnen habe ich nur noch Probleme Frau Schweizer, sie bringen mich noch ins Grab!“ Ins Grab, wie sie diese Worte ausspuckte, mich überkam eine schaurige Gänsehaut.
Nichts lieber als das! dachte ich böse und erwiderte mit einem gewinnbringenden Lächeln: „Ich kaufe ihnen einen neuen Papagei!“
„DAS WAR KEIN PAPAGEI!“ Frau Pechmeiers Gesicht verfärbte sich in ein ungesundes Purpurrot und ich spürte förmlich ihren Puls über die Grenzwerte hinaus schnellen. „Wegen ihnen ist mir auch noch mein Kirschkuchen verbrannt, weil ich sie hier abfangen wollte! Sie ungezogene Göööre!“ sie schrie heiser, krächzte, fasste sich an die Brust und mir stockte der Atem.
„Bitte beruhigen sie sich doch Frau Pechmeier. Sagen sie einfach, wie viel der Vogel kostet und ich pflücke ihnen auch gern noch einige Kirschen vom Baum unten!“
„Verschwinden sie!“ In ihren Augen blitzte mir der Teufel entgegen und ich duckte mich unwillkürlich. Das Lächeln gefror mir auf den Lippen, während ich ihr den Rücken zukehrte und die letzten drei Stufen zu meiner Haustüre hochstieg. Diese blöde Pissnelke die!
Wütend schloss ich die Haustüre auf und rammte die Türe in den vollgefressenen Magen meiner Katzte Wuschi, die es pflegte, hinter der Türe ihr Nickerchen zu halten. Super, echt toll! Miauuuuuuuu! Sehr schrill dieser Schrei für ihr Verhältnis, aber ihr Sturkopf siegte über ihren Verstand, sich einen anderen Schlafplatz zu suchen.
„Tut mir leid Kleine!“ hauche ich entschuldigend. „Hat dir der Vogel von Frau Pechmeier wenigstens geschmeckt? Nicht, dass du mir noch auf mein Sofa kotzt!“
Im Schlafzimmer herrschte die gleiche Unordnung die sich dort heimisch fühlte, wenn mein Mann mal wieder auf einem seiner Geschäftsausflüge war. Momentan verweilte sein mit Hugo Boss Anzügen bekleideter Knackhintern in Vancouver, der Stadt meiner Träume, nur ich konnte meinen kleinen Arsch wieder nicht in ein Flugzeug bewegen, da ich unter panischer Flugangst litt. Sonst hätte mich mein Gemahl nämlich mitgenommen, als Handgepäck, oder als Ja-sagende Privatsekretärin, vielleicht auch als „Schatz-hast-du-mir-mein-Hemd-schon-gebügelt-Dame“, nö, dazu hätte ich eh keine Lust gehabt.
Meine nassen Klamotten warf ich seufzend aufs Bett und mied einen Seitenblick in den Schrankspiegel. Okay Tanja, kein Schokoladenmousse mehr im Büro, keine Chips mehr vor dem Fernseher, v e r s t a n d e n? Nimm gefälligst ein trockenes Knäckebrot mit Hüttenkäse und dazu einen Kräutertee!
Ach war die Dusche prickelnd. Warme, dampfende, massierende Strahlen auf nackten Brüsten, auf breiten Hüften, die Speckröllchen mal weg lasse, und auf langen, grazilen Beinen. Ich könnte Werbung machen für das Duschgel das so herrlich nach Mango und Papaya riecht. Noch ein Bisschen Meeresrauschen und jaaa jaaaaaa jaaaaaaaa ist das Leben nicht schön!
Etwas klirrte. Erschrocken hielt ich inne. Stille. Das Wasser plätscherte weiter. Perlte auf meiner pfirsichweichen Haut. Miauuuuuuuu. Kreisch! Oh mein Gott, ist ihr jemand auf den Schwanz getreten? Und wer ist JEMAND? Eine Türe schlug zu. Wo habe ich überall die Fenster offen gelassen, oder war es die Haustüre? Ein Einbrecher? Frau Pechmeier die mir einen Profikiller auf den Hals hetzt? Oh mein Gott, oh mein Gott! Ich kriegte so eine Art Schreckstarre und sah aus wie eine begossene Wachsfigur. In Madame Tussauds würde ich mich bestimmt gut machen.
Die Katze war plötzlich so still. Ist sie mausetot? Bin ich es auch gleich, wie in diesem schwarz weiss Film, wie hiess er noch gleich? Der Mann der auf die blondierte Dame einhackt, mit einem Küchenmesser, Blut, überall spritzt es hoch, was für eine Schweinerei!
Mein Bad wurde doch vor 2.5 Monaten neu gemacht, der Hausmeister bekäme einen Schreikrampf wen mir das jetzt passieren würde. Und Frau Pechmeier ein Herzversagen aus schadenfreudiger Glückseligkeit. Boah, wie sich das wohl anfühlt, von einem Messer aufgeschlitzt zu werden? Ich wusste wie schmerzhaft ein Schlangenbiss war. Damals in der Wüste in dem scheiss Beduinenzelt. Iiih wie das brannte, als würde mir jemand glühend heisse Lava über die Pobacken giessen. Da ich immer auf dem Bauch schlief und mich kurz drehen wollte, hat mich das Biest in meine Linke…
Schritte. SCHRITTE! Schwere Männerschritte sind das, die sich dem Badezimmer näherten! Keine luftig tänzelnden, schwebenden, klackenden Damenschritte. Okay, es ist soweit. Und das Testament habe ich noch nicht gemacht. Wenigstens die Katze hätte ich berücksichtigen müssen, mein engstes Familienmitglied, abgesehen von meinem Mann der wieder mal nicht da war, wenn ich ihn brauchte! Alles musste Frau immer selber machen! Tief durchatmen und beten, dass das Ungeheuer an mir vorüber ging!
So stand ich da, unter der Dusche, mit kalkweissem Gesicht, aufeinander klappernden Zähnen und einem letzten Gebet auf den Lippen, als ER herein trat. Mit weit aufgerissenen Augen habe ich ihn angestarrt, auf den Todesstoss wartend, in regungsloser Starre, dem Schicksal ergeben, als er mich befreite mit den Worten: „Schatz, ich habe bereits den Champagner kühl gestellt! Hast du den meine E-Mail nicht gelesen, dass ich früher zurück sein werde?“ Und er lachte. Sein Lachen hallte in meinem Kopf wieder als wäre ich unter einer riesigen Kirchenglocke gefangen. Es katapultierte mich aus der Todeszone in die heitere Gegenwart zurück. Hinter der Badezimmertüre schnurrte zufrieden unsere Katze.
Conny B.