Der Tag davor - Erinnerung an den 04.11.89
Schon die Jahreszahl macht Schwierigkeiten, 1989 - da hat das angefangen?!
Es gab keinen Wörter, wie „Job“ oder “Arbeitgeber“.Mein Arbeitsrechtsverhältnis hatte mich Anfang ‘87 zum HauptauftraggeberKomplexer Wohnungsbau (HAG) beim Rat des Kreises Ilmenau verschlagen.Bauleiter, Gewerkschaftsvertrauensmann und Genosse war ich dort.Einmal im Monat schulte der FDGB Kreisvorstand seine Vertrauensleute.Meist ein Vormittagsmonolog des Genossen Kreisvorsitzenden und viele kamen, denn es gab ja ‘ne Freistellung.Nach dem kostenlosen Mittagessen in der Schulspeisung, gingen die jeweiligenGewerkschaftsfachfunktionäre in Klausur.Unsere Genossin Patschke, wir gehörten zum „Öffentlichen Dienst“, teilte uns unter Sonstiges ganz beiläufig mit, dass im neuen Gästehaus des FDGB in Berlin die Möglichkeit zu Übernachtung besteht.Für ganz normale Gewerkschafter!Ohne Sondergenehmigung?!Ohne.Es muss im Sommer gewesen sein als wir den Beschluss fassten mit dem Zug nach Berlin zu fahren.Mittel hatte der Kultur- und Sozialfond, will sagen - Geld war da.Nur einfach war es nicht.Schon der Antrag ging an den FDGB Bezirksvorstand, wir fügten eine Stellung-nahme mit unseren Verdiensten bei und Genossin Patschke unterschrieb.Nach dem Genehmigungsdurchlauf kam der Anruf aus Berlin mit dem Terminvorschlag.Vom 03.11.89 - bis 05.11.89 - Freitag bis Sonntag.Die Zugfahrkarten hängen noch in dem alten Terminkalender - 321 km kosteten 2.Klasse 52,00 Mark.Die Zimmer mussten in Vorkasse bezahlt werden.Freitagmittag kamen wir in Berlin an und besuchten die „Bauausstellung“.Erinnerungen daran fehlen.Nur das Gästehaus war neu und die Zimmer toll, das Personal ein wenig arrogant.Von der DEMO am kommenden Tag hatten wir keine Ahnung.Am Vormittag kam ein Kollege aus der City zurück und war ganz aufgeregt.„Mensch, Leute, die machen ‘ne DEMO!!!! Ganz ohne Feiertag und ohne Anmeldung, da braut sich was zusammen. Ich muss sofort wieder hin“ und wegwar er.Sofort begann die Diskussion, sofort zog sich unser Direktor zurück.Ein Teil wollte hin - der Alex war nicht weit.Vom „Palast der Republik“ wälzte sich ein Menschenstrom ohne Ende die Straße herab. Keine Plakate, keine Fahnen - keine Musik.Menschen, Menschen, Menschen - mit selbst gemalten Losungen.Redefreiheit, Pressefreiheit, Reisefreiheit und ‘ne Menge andere Forderungen.Wir haben uns am Bauministerium eingereiht und liefen einfach mit.Es war ein merkwürdiges Gefühl.In Berlin hatten wir schon öfter demonstriert - immer zu Jubelfesten und alles war organisiert.Von ‘69 - ‘89 - 20 Jahre angeordnetes Marschieren.Und nun freiwillig und wir wussten nicht, was daraus wird.Am Kulturministerium standen Polizeiwagen.Die Demonstranten hatten Blumen dran gesteckt.Die Masse zog uns mit und war bald am überfüllten Alex angekommen.Auf der Ladefläche eines LKW’s standen die Redner.So ein Novum - keine Tribüne.In Erinnerung blieben M.Wolf, S.Spira, M. Gerlach und Schabowski, der ausgepfiffen wurde.In meinem Terminkalender steht vermerkt, dass 1000000 Leute marschierten, aber ich denke die Zahl ist nicht wichtig.Es war ein Kribbeln im Bauch und das Gefühl, dass hier etwas Besonderes passiert.Am Abend haben wir mit Rotwein angestoßen und wilde Sprüche losgelassen.Dass es nach 10 Jahren so aussieht - wer hätte das gedacht?