Biografien & Erinnerungen
Angst vor Hexen

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"Angst vor Hexen"
Veröffentlicht am 24. Juni 2009, 10 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Über den Autor:

Ich bin eher introvertiert, liebe die Menschen, die Natur - die Literatur seit ich lesen kann (bin eine echte Leseratte) und schreibe auch selbst sehr gerne.
Angst vor Hexen

Angst vor Hexen

Beschreibung

Angeregt durch Karins "Verloren" ist diese Erinnerung in mir lebendig geworden....

Angst vor Hexen

 

 

In meiner frühesten Kindheit war Krieg. Bilderbücher, Märchenbücher gab es nicht. Doch abends setzte sich meine Mutter an mein Bett und ich erfuhr von Prinzen, Prinzessinnen, von verwunschenen Schlössern, von Drachen und  armen, allein gelassenen  oder verstoßenen Kindern, wie Hänsel und Gretel. Und auch von Hexen. Die Kinder bedauerte ich sehr, ich litt und freute mich mit ihnen, aber vor den Hexen fürchtete ich mich. Misstrauisch beäugte ich fremde, alte Frauen mit Kopftuch und gebeugtem Rücken.

Aber Mutti war ja da – ich brauchte mich nicht zu fürchten.

Dann, mit vier Jahren wurde ich krank. Schwer krank. Ich wurde immer blasser, war ständig müde und hatte stets leicht erhöhte Temperatur. Vor allem abends. Mein Appetit ließ mehr als zu wünschen übrig.  Es gab damals sowieso kaum zu essen, doch ich brachte nicht einmal  das wenige hinunter. Schließlich stellte der Arzt Lungentuberkulose fest.

Meinem Vater gelang es, mich in einem preisgünstigen Sanatorium unterzubringen.

Verstoßen, fortgeschickt wie Hänsel und Gretel!

Nicht in den finsteren Wald, sondern in eine Lungenheilanstalt – so weit, weit weg von Mutti. Von da gab es nicht die Möglichkeit, mit Hilfe ausgestreuter Brotkrumen oder Kieselsteine nach Hause zu finden.

„Es war gut für dich.“, sagte Mutti, „Es war wichtig, notwendig, damit du wieder gesund werden konntest.“

Aber wusste sie auch, wie ich mich fühlte? Wie verlassen und allein?

Dieses Sanatorium stand am Waldesrand. Die Freiluftliegekuren waren neben den Mastkuren – das hieß tatsächlich so – Hauptbestand der Therapie. Licht, Luft, Ruhe und gute Ernährung galten als Hauptheilfaktoren.

Sechs Monate musste ich in dieser Heilanstalt bleiben.

Anscheinend waren in dem Haus nur Kinder untergebracht, denn ich kann mich an keine erwachsenen Patienten erinnern.

Beaufsichtigt und gepflegt wurden wir von Klosterschwestern.

Die Monate in der Lungenheilanstalt zählten zu der trostlosesten Zeit meiner Kindheit. Besonders die Nächte waren schlimm.

In dem riesigen Schlafsaal, in dem sicher 50 bis 60 Betten nebeneinander standen, hatte die weiß gekleidete Krankenschwester hinter einem weißen Vorhang ihr Bett stehen. Für mich verkörperte sie eine „weiße Hexe.“ Ich fürchtete mich vor ihr. Sie war zwar nicht hässlich, aber böse war sie doch. Wenn ich vor Heimweh  weinte, musste ich mein Schluchzen im Polster ersticken, denn die „weiße Hexe“ kam sofort angelaufen. Aber sie tröstete mich nicht. Nein, sie schimpfte, ich soll still sein, weil ich sonst die anderen Kinder aufwecken würde. In diesem Schlafsaal mit den weiß getünchten Wänden, den weißen Polstern und Decken, fühlte ich mich wie in einem Bettenwald. Statt Bäumen nur weiße Betten um mich. Unzählige Betten, sonst nichts. Und in jedem dieser Bettchen lag wie ich ein krankes, kleines Kind, das sich nicht rühren und nicht mucksen durfte. Ob sich die anderen Mädchen und Buben auch so verlassen und allein fühlten? Ich jedenfalls habe mich in all den Jahren meines Lebens niemals mehr so einsam gefühlt wie damals. Wie gut ging es dagegen „Hänsel und Gretel“ im Märchen – sie hatten einander, waren zu zweit.  Aber ich hatte keinen Hänsel an meiner Seite. Ich war den strengen Schwestern, vor allem der Nachtschwester im Schlafsaal alleine ausgeliefert. Der „bösen, weißen Hexe“, die mich nicht ein kleines bisschen lieb hatte. In diesem Sanatorium, das so kalt, so unpersönlich, so nüchtern – und so weiß war.

Weiß war die dominierende Farbe.

In meiner Erinnerung taucht ein Wintertag auf. Es hatte geschneit. Die Bäume hatten dicke, weiße Mützchen bekommen und das kleine Dorf lag wie verzaubert da.

Ich weiß noch, dass wir Kinder in zwei Gruppen aufgeteilt waren.

Während die andere Gruppe  mit einer Schwester spazieren gehen durfte und im Schnee herum tollte, lagen wir auf der Terrasse und absolvierten unsere „Freiluftliegekur“.

Und am nächsten Tag war der Schnee wieder geschmolzen.

Aber irgendwie gingen diese sechs Monate auch vorüber – und ich durfte heim.

Heim!!

Mutti arbeitete. Oma führte den Haushalt und sorgte für mich.

Sicher tat sie hervorragend ihre Pflicht, aber herzen und kosen oder Geschichtenerzählen war nicht ihre Sache. Sie war eine resolute Frau. Wenn Oma etwas anordnete, und ich nicht gleich tat, wie mir geheißen, so genügte ein strenger Blick von ihr – und schon aß ich, kleidete mich an oder räumte meine Spielsachen auf.

Vielleicht hat sie mich beim Abendessen gerügt? Vielleicht musste ich etwas essen, das absolut nicht hinunter rutschen wollte? Ich war nämlich eine schlechte Esserin; und das machte den Erwachsenen natürlich Sorgen. Besonders jetzt, wo ausreichende Ernährung das Um und Auf waren, nicht wieder zu erkranken.

Jedenfalls wurde meine Großmutter gleich in der ersten Nacht nach meiner Heimkehr zur furchterregenden Hexe aus „Hänsel und Gretel“. Sie hatte einen Buckel, trug einen geflickten Rock und ein riesengroßes Kopftuch.

Aber das Gesicht! Es war das Gesicht meiner Großmutter!

Auf einen Stock gestützt stand sie vor meinem Bett und sah mich streng an. „Wenn du nicht brav bist, werde ich dich wieder weggeben“, sagte sie und fuchtelte mit dem Stock. Mir fuhr der Schreck dermaßen in die Glieder, dass ich schweißgebadet und vor Angst zitternd aufwachte. Ich wagte nicht mehr, einzuschlafen und weinte nun auch zuhause in meinen Polster.

Mutti hörte mich, nahm mich in ihr Bett. Und alles war gut.

Meinen Traum erzählte ich nicht. Ich schämte mich, so böse von Oma zu träumen.

Von meiner Oma, die mir Geborgenheit und Sicherheit schenkte, und die mich, selbst wenn sie ziemlich streng war, doch sehr lieb hatte. 

Und am Morgen sah sie  auch gar nicht mehr wie eine Hexe aus. Sie machte mir Kaukau und war sehr lieb zu mir.

Wie schön war die Welt wieder geworden!!

Ich war daheim! Ich war geborgen und beschützt, und wurde ein gesundes und fröhliches Kind.

.... Und Hexen gab es für mich nur noch in Märchenbüchern.

 

 

I.  H.   2009

 

 

 
 
 
 
 

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mukk
Ich bin eher introvertiert, liebe die Menschen, die Natur - die Literatur seit ich lesen kann (bin eine echte Leseratte) und schreibe auch selbst sehr gerne.

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Markus Re: Re: ***************** -
Zitat: (Original von mukk am 08.03.2012 - 15:57 Uhr)
Zitat: (Original von Markus am 26.02.2012 - 16:29 Uhr) So haben wohl viele Kinder schon geträumt, doch Du allein hast es so wirklichkeitsnah und mit schönen auch etwas traurigen Bildern mir gesandt, danke.
Dieses aufgesetzte, eingeschnitzte Lächeln so mancher Schwester, mit weißem Häubchen, begegnet noch nach vielen Jahren meinen Traumfluß
lieben gruß
markus


Lieber Markus, erstmal herzlichen Dank für dein "Durchackern" einiger neiner Geschichten, Danke!
Diese Schwestern hatten nicht einmal ein aufgestztes Lächeln, ich hatte entsetzliche Angst vor ihnen, besonders die Nächte waren schlimm, wenn ich weinend vor Heimweh nach meiner Mutti in meinem Bettchen lag....
Mit liebem Gruß Ingrid


Es war kein Ackern, liebe Ingrid, es war Freude und Labung daran, zu wissen, es gibt noch viele Schreiber und Schreiberlinen, denen die Sprache Freude bereitet, vor allen Dingen dann, wenn sie ohne Floskeln oder Leitsätzen auskommt.
lieben gruß
markus
Vor langer Zeit - Antworten
mukk Re: ***************** -
Zitat: (Original von Markus am 26.02.2012 - 16:29 Uhr) So haben wohl viele Kinder schon geträumt, doch Du allein hast es so wirklichkeitsnah und mit schönen auch etwas traurigen Bildern mir gesandt, danke.
Dieses aufgesetzte, eingeschnitzte Lächeln so mancher Schwester, mit weißem Häubchen, begegnet noch nach vielen Jahren meinen Traumfluß
lieben gruß
markus


Lieber Markus, erstmal herzlichen Dank für dein "Durchackern" einiger neiner Geschichten, Danke!
Diese Schwestern hatten nicht einmal ein aufgestztes Lächeln, ich hatte entsetzliche Angst vor ihnen, besonders die Nächte waren schlimm, wenn ich weinend vor Heimweh nach meiner Mutti in meinem Bettchen lag....
Mit liebem Gruß Ingrid
Vor langer Zeit - Antworten
Markus ***************** - So haben wohl viele Kinder schon geträumt, doch Du allein hast es so wirklichkeitsnah und mit schönen auch etwas traurigen Bildern mir gesandt, danke.
Dieses aufgesetzte, eingeschnitzte Lächeln so mancher Schwester, mit weißem Häubchen, begegnet noch nach vielen Jahren meinen Traumfluß
lieben gruß
markus
Vor langer Zeit - Antworten
mukk Re: eine bewegende geschichte -
Zitat: (Original von NORIS am 13.07.2011 - 09:22 Uhr) lieben gruß
heidemarie



Ich freue mich, wenn dich mein Text berühren konnte ... danke!
Sei allerherzlichst gegrüßt!
Ingrid
Vor langer Zeit - Antworten
mukk Re: Ich sehe in Deinen Erinnerungen -
Zitat: (Original von baesta am 02.06.2011 - 18:19 Uhr) Parallelen zu meiner Kindheit. Diesen Schlafsaal mit den vielen Betten she ich auch wieder vor mir und auch diese böse Nachtschwester. Selbst meine Oma sehe ich wieder vor mir. Sie war ebenso streng, wie Deine und ich hatte immer gewaltigen Respekt vor ihr. Deine bildhafte Schreibweise gefällt mir sehr gut. Ich arbeite ja auch an meinen Kindheitserinnerungen, aber mir gelingt diese bildhafte Schreibart nicht. Muss wohl noch etwas daran arbeiten. Es ist ja so schwer, Gefühle und Gedanken in die richtigen Worte zu fassen.
Mach weiter so.

Liebe Grüße
Bärbel



Liebe Bärbel, danke dir für deinen lieben Kommi, solch schöne Worte freuen einen natürlich sehr. Danke für dein Lob. Doch ich denke, auch du kannst so schreiben.
Deinem Kommi nach hattest du es in deiner Kindheit nicht so leicht?
Ich umarme dich und wünsch dir alles Liebe! Mit herzl. Gruß
Ingrid
Vor langer Zeit - Antworten
NORIS eine bewegende geschichte - lieben gruß
heidemarie
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Ich sehe in Deinen Erinnerungen - Parallelen zu meiner Kindheit. Diesen Schlafsaal mit den vielen Betten she ich auch wieder vor mir und auch diese böse Nachtschwester. Selbst meine Oma sehe ich wieder vor mir. Sie war ebenso streng, wie Deine und ich hatte immer gewaltigen Respekt vor ihr. Deine bildhafte Schreibweise gefällt mir sehr gut. Ich arbeite ja auch an meinen Kindheitserinnerungen, aber mir gelingt diese bildhafte Schreibart nicht. Muss wohl noch etwas daran arbeiten. Es ist ja so schwer, Gefühle und Gedanken in die richtigen Worte zu fassen.
Mach weiter so.

Liebe Grüße
Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
mukk Re: ich liebe Hexen -
Zitat: (Original von Rajymbek am 29.05.2011 - 13:43 Uhr) so schnucklich weiße Hexen ganz besonders - lach. Schöne geschichte für die Enkel, liebe Mukki.

VLG Roland




Lieben Dank, ich hab zwar keine Angst mehr, aber mögen tu ich sie rotzdem noch nicht ... :-))
Herzliche Grüße
Ingrid
Vor langer Zeit - Antworten
Rajymbek ich liebe Hexen - so schnucklich weiße Hexen ganz besonders - lach. Schöne geschichte für die Enkel, liebe Mukki.

VLG Roland
Vor langer Zeit - Antworten
mukk Re: Eine sehr traurige Kindheitserinnerung! -
Zitat: (Original von Forseti am 27.05.2011 - 23:56 Uhr) Ich kann mir das gar nicht so recht vorstellen, dass ein Kind sechs Monate von seiner Mama getrennt wird, weil es krank ist. Wenn ich eines meiner Kinder solange Zeit nicht hätte bei mir haben können, ich hätte jede Nacht genauso gelitten, wie du in deinem Bettchen...wie schlimm muss diese Zeit nur für dich gewesen sein...du warst doch noch so klein!!!!! Ich drück dich, liebe Oma Mukk, Marianne


Dein Drücken, liebe Marianne, tut heute noch gut. Danke dir herzlich.
Wahrscheinlich tat es meiner Mutter genauso weh wie mir, nur ich verstand es eben nicht....doch es war eine gute Schule fürs Leben, ich lernte schon mit vier Jahren, allein mit meiner Sehnsucht, meiner Angst und meinem Kummer fertig zu werden....
Sei allerherzlichst gegrüßt!
Oma Mukk

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