Kurzgeschichte
Die Selbstkasteiung

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"Die Selbstkasteiung"
Veröffentlicht am 01. Juni 2009, 8 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Laßt jedem Individuum, gleich welches Aussehen, welche Interessen, welche Religion und welcher Herkunft die Möglichkeit der freien Entfaltung seines Lebens und gönnt ihm die Suche nach seinem eigenen Glück. Freut euch wenn Menschen fröhlich sind und tröstet sie bei Trauer. Versucht die Gedanken anderer Menschen zu begreifen und behandelt jeden, wie Ihr behandelt werden möchtet. Vielleicht wird die Welt dann besser.
Die Selbstkasteiung

Die Selbstkasteiung

Die Selbstkasteiung
 

Ich beschloss mich selbst zu kasteien. Warum wollte ich dies tun? Bin ich ein streng-christlicher Fundamentalist? Wollte ich mich selbst für zu häufiges Onanieren strafen? Glaubte ich mein Selbstwertgefühl dadurch steigern zu können?
 

Eigentlich ist es gleichgültig. Der geschätzte Leser möge sich sein eigenes Urteil  über meine Person und mein Seelenleben bilden. Vielschichtig jedoch sind die Möglichkeiten einer gelungen Selbstkasteiung. Wollte ich mich körperlich züchtigen? Dies erschien mir zu martialisch und zu anstrengend. Nach einigen Überlegungen schwankte ich zwischen einer Reise nach Nordafrika um mir in einem dortigen Bordell durch Sex ohne Kondom eine schmerzhafte Geschlechtskrankheit zuzuziehen oder – viel schlimmer – den Besuch eines Spieles der deutschen Fußball-Bundesliga.
 

Ich wollte den Höhepunkt meiner Leidensfähigkeit ausleben und wählte das Letztere.
 

Fußball – das Spiel wo junge Männer ihre sexuelle Frustration durch das Hecheln nach einem Ball zu kompensieren versuchen. Das Spiel wo alte und junge Deutsche das Vergessen über 2 verlorene Weltkriege durch den Sieg über eine andere Mannschaft suchen. Das Spiel wo Anarchie und kollektive Volltrunkenheit Sieg über die in Jahrhunderten anerzogene Sitten und Werte feiern.
 

Ich fragte ein befreundetes Ehepaar – Fans des 1. FCK – ob sie mich nächsten Samstag mit ins Stadion nach Kaiserslautern mitnehmen. Sie willigten, etwas verlegen – sie kannten meine Einstellung zum Fußball – aber freudig zu.
 

Wir bewegten uns – mehr im Stau stehend als fahrend – auf einer extra für die WM 6-spurig ausgebaute Autobahn nach Kaiserslautern. Angesichts des plötzlich wie eine mittelalterliche Trutzburg vor uns aufragenden Stadions sinnierte ich darüber nach welche Lobby in Deutschland noch so mit Steuergeldern überschüttet wird wie die Fußballfanatiker und beschloss meine zu zahlenden Steuern selbstständig um einige Prozent zu kürzen. Ich will mich an dieser Unsitte nicht mitschuldig machen.
 

Weitere Gedanken jagten durch meine Gehirnwindungen. Würden sich Fußballspieler um öffentliche Ämter bemühen hieße unser nächster Bundeskanzler wohl Poldi oder Schweini. Nun – wohl die einzige Möglichkeit den durchschnittlichen IQ unseres Bundestages noch weiter zu reduzieren.
 

Während ich so meinen Gedanken nachhing erreichten wir das Stadion. Das Fahrzeug verlassend nährten wir uns dem Eingangsbereich, wo Hunderte von Menschen Einlass begehrten.
 

Ich war schon auf vielen Heavy-Metal-Konzerten. Im Vergleich zu dem nun Erlebten sind diese Konzerte jedoch ein Hort des Anstandes und der guten Sitten. Ein Stoßen und ein Rempeln, ein Drücken und ein Treten erwartete mich. Ich – der es nicht mag wenn übelriechende, fremde Menschen mir zu nahe treten musste es erleben, dass grausamer Atemhauch aus schlechten Zähnen meine feine Nase umgarnte; Dass Herren mit 2 Zentnern Lebendgewicht ihren Körper wohlgemut auf meinen Füßen parkten; Dass wild herumbaumelnde obere Extremitäten fremder Leute schmerzhaft den Weg zu meinen edelsten Weichteilen fanden.
 

Wir suchten unsere Plätze in der rechten Fankurve. Politisch gesehen waren wohl alle Kurven hier rechts. Ich schaute mir das Publikum an. Alles war vertreten: Brave Finanzbeamte ruhig auf das kommende Erlebnis wartend; Sittsame Hausfrauen an ihre Männer angelehnt; Halbwüchsige, wie üblich leicht angetrunken und rechte Glatzen, welche durch die umgehängten rot-weißen Schälchen und aufsitzenden Mützchen auch nicht sympathischer wurden. Was ich nicht wissen konnte – dieses Publikum sollte sich nach Anpfiff drastisch in seinem Wesen verändern.
 

Doch zuerst liefen die Spieler ein. Meine Freunde nannten mir die Namen der Herren, welche den 1. FCK hier vertraten. Allerdings habe ich mir Kaiserslauterer Namen immer anders vorgestellt. Ich hörte nur bosnische, polnische und afrikanischer Ureinwohner entstammende Namen. Dies war also das Aufgebot für die pfälzische Metropole. Die rechten Glatzen die den Spielern hier und jetzt zujubelten würden dieselben heute Abend wohl in einer dunklen Unterführung verprügeln. Fußball ist eine seltsame Welt.
 

Das Spiel begann. Mit fortlaufender Begeisterung begann die befürchtete Wesensveränderung des Publikums. Der brave Finanzbeamte bekam plötzlich Schaum vor den Mund und benutzte Schimpfworte die ich auf keinen Fall wiederholen möchte! Die sittsamen Hausfrauen trugen jetzt ein süffisantes Lächeln auf dem Gesicht, welches die Feuchte zwischen ihren Beinen im Angesicht der muskelbepackten Männerbeine widerspiegelte; Die Halbwüchsigen waren nun stockbesoffen und randalierten während der rechten Glatzen Ausschau nach gegnerischen Fans hielten um die Schmach des 2.Weltkrieges endlich vergessen zu können. Dazu vergiftete ein unerträgliches Schreien und Chorsingen die Luft.  Das schöne „We are the Champions“ habe ich noch nie so zweckentfremdet gehört.
 

Mir wurde es zuwider und ich bekam Hunger. Ich verließ meinen Platz um mich vorsichtig und unauffällig einem Bratwurststand zu nähern. Ich wollte unauffällig bleiben, da mir die Menschen derart suspekt wurden, dass ich um meine Gesundheit bangte. Dies waren keine Bürger wie außerhalb des Stadions , ich sah sie nur noch als hirnlose und rachsüchtige Meute, bar jeglichen menschlichen Verstandes.
 

Bevor ich die Bratwürste erreichte sah ich das Schild „Ausgang“. Nun wurde ich unsicher. Auf der einen Seite die lecker duftenden Würste, allerdings innerhalb des Stadions; Auf der anderen Seite zwar das Hungergefühl, jedoch auch die Sicherheit der Zivilisation. Ich flüchtete auf den Parkplatz und wartete auf meine Freunde. Angesichts meines Gesichtsausdruckes vermieden diese mich zu fragen wie mir das Spiel gefallen habe.
 Sollte ich wieder einmal den Drang zur Selbstkasteiung fühlen werde ich jedoch lieber die Reise nach Nordafrika antreten als mich noch einmal in ein Fußballstadium verirren. Dagegen erscheint mir eine schmerzhafte und kräftezehrende Syphilis als das kleinere Übel.

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pfalzgraf
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