09.04.2009
Liebe Oma,
gestern morgen um halb sechs bist Du einfach nicht mehr aufgewacht. Hast weitergeschlafen, Dein Herz hörte auf zu schlagen. Ich lag in meinem Bett, habe unruhig geschlafen, klein Marvin war nicht zu bändigen auch er hat schlecht geschlafen, bereits die zweite Nacht.
Mein Dienst hätte gestern um 13 Uhr begonnen. Vormittags bin ich mit Maik und Marvin zu Dir gefahren. Auf der Station wurden wir von der Schwester abgefangen die uns fragte ob man uns erreicht habe. Wir sollten noch nicht reingehen in Dein Zimmer, Zimmer 8. Am Tag zuvor bin ich Abends gegen 17:30 Uhr gegangen. Du warst müde, erschöpft, wie auch die Tage zuvor. Du sagtest mir noch ich solle ein Geschenk besorgen für Maik zu Ostern. Ich habe Deine Brausetablette aufgelöst. Kalzium. Du hast besser geatmet als die Tage zuvor. Aber trotzdem hattest Du noch Mühe Luft zu holen. Immer wieder fielen Dir die Augen zu. Du hast Marvin in seinem Buggy noch gewunken. Er hat Dich angelacht. Das Sprechen fiel Dir auch manchmal schwer.
.....und einen Tag später warteten wir auf die Ärztin. Eigentlich solltest Du heute verlegt werden auf die Station der Internisten. Auf die B55. Innere Medizin. Als wir auf die Ärztin warteten begannen meine Hände zu zittern. Ich wusste es war etwas nicht in Ordnung. Entweder war es eine Not OP oder......?
Die Ärztin sagte uns die Traurige Gewissheit. Du bist gegangen. Dahin wo wir Dir nicht folgen können. Kein Tschüß mehr, kein Ostern mehr, keine Oma mehr, keine Mutter mehr, kein Gefühl mehr Kind zu sein. Allein....
Ich wollte Dich noch einmal sehen. So wurden wir runtergeschickt in die Pathologie. Wir klingelten und man liess uns hinein. Bei gedämpften Licht lagst Du auf einer Bahre die wie ein schmales Bett aussah. Warst zugedeckt bis zum Hals. Du sahst aus als würdest Du schlafen. Zufrieden. Ohne Schmerzen. Deine Haut erschien mir so glatt, das rosige war bereits gewichen. Aber Du sahst irgendwie glücklich aus, wie in einem schönen Traum. Ich habe mich nicht getraut Deine Wangen zu streicheln, ich hatte Angst von dem Gefühl, aber ich habe durch die Decke Deine Hände gehalten die man Dir über dem Brustkorb gefaltet hatte. Ich habe meine Hand einfach draufgelegt und mit Dir geredet. Dich angesehen. Habe Dich gefragt. Ob es Dir nun besser geht, ob Du nun bei Opa und bei Deinen Kindern bist die Dich viel zu früh verlassen mussten. Ich stelle es mir so vor. Du bist dort, zufrieden, glücklich, keine Schmerzen mehr, keine Sorgen mehr. Es geht Dir gut, Du hast es geschafft diesen Schweren Weg vor dem sich alle fürchten. Du hast ihr hinter Dir.
Wir bleiben zurück. Es ist so traurig und es tut weh.
Ich wollte nicht gehen. Maik weinte, er stellte sich neben Dich, auf die andere Seite. Und nach einer Weile holten wir Marvin aus seinem Buggy, auch er sollte Dir Tschüss sagen. Er lächelte Dich an und ich sagte ihm das Du schläfst. Hättest Du noch drei Wochen gewartet, dann hättest Du seinen ersten Geburtstag miterlebt. Es tut mir alles so leid.
Ich wollte nicht gehen, ich wollte noch bleiben. Ich hatte auch den Gedanken ein Foto zu machen, Dich zu behalten, für immer. Aber es erschien mir so absurd in dieser Situation. Ich will mich nicht damit abfinden das Du nun fort bist für immer. Du kannst uns doch nicht zurück lassen einfach so?
Es änderte nichts, irgendwann mussten wir ja gehen. Aber in diesem Moment bei Dir fühlte ich mich stark. Als ich da so bei Dir stand. Ich hatte keine Angst vor dem was da kommt. Vor dem "danach". Nun wünschte ich ich könnte nochmal so bei Dir sein. Oder so wie vorgestern. Dich besuchen, Dir noch so viel sagen. Es fällt so schwer....
Wir holten Deine Sachen von der Station. Allerdings warst Du nicht dabei. Die frische Wäsche die wir Dir mitgebracht haben konnten wir gleich wieder mitnehmen. Die Schwester gab mir Deinen Ehering in einem Umschlag mit Fenster. Ich steckte ihn ein. Er liegt jetzt in meiner Nachttischschublade zusammen mit Opa´s Ring - wieder vereint-.
Die Ärzte fragten ob wir eine Obduktion wünschen würden. Es sei wichtig für die Klinik um die genaue Ursache des Todes zu klären. Allerdings war es mir nicht mehr wichtig. Dein Herz hatte aufgehört zu schlagen. Du hast so gelitten. Der Krebs hat Dich beherrscht und Dir sämtliche Lebensqualität und Würde geraubt. Ich konnte ihn fühlen mit der Hand. Er hat Deine Brust entstellt und Deine Knochen schmerzvoll verformt. Die letzte Vermutung war das sich Metastasen im Herzen gebildet haben. Vielleicht auch in der Lunge. Ich wollte keine Obduktion. Gedanklich hätten sie Dich womöglich aus Deinem Zufriedenen Schlaf gerissen um etwas zu klären was nicht mehr zu ändern war. Nein, sie sollten Dich schlafen lassen in Frieden. Du hast es verdient.
Am selben Tag waren wir in Deiner Wohnung. Alles sah so aus als würdest Du jeden Moment wiederkommen. Das Wasserglas stand noch benutzt am selben Platz. Dein Nachthemd lag auf dem Bett, die Decke auf dem Sessel. Käse war im Kühlschrank, das angebrochene Marmeladenglas im Schrank. Nur die Blumen die Du zum Geburtstag bekommen hast sind verwelkt. Sie sind genauso traurig wie ich. Ob Du uns sehen kannst?
Heute morgen hat Dich der Bestatter im Krankenhaus abgeholt. Gleich morgens um acht. Es hat mich erleichtert. Noch immer hatte ich Angst sie würden Dich vielleicht doch noch aufschneiden. Er hat Dich gerettet damit Du weiterschlafen konntest.
Mich quälen die Gedanken. Wie wird die Zeit werden ohne Dich? Das letzte halbe Jahr waren wir täglich für Dich da. Bei Dir daheim. Machten Dir Essen, machten sauber, leisteten Dir Gesellschaft. Halfen Dir in so vielen Momenten wenn Du Dir selbst nicht mehr helfen konntest. Arzt und Apothekengänge. Marvin immer im Schlepptau, jeden Tag war er um Dich herum. Liegend, sitzend, krabbelnd und laufend. Jetzt bist Du weg. Ich gönne Dir Deine Ruhe, aber bereits jetzt fehlst Du so sehr. Du hast mir doch auch das Gefühl gegeben Kind zu sein. In dieser schweren Welt, in manch schwerem Alltag, hast Du mir durch kleine Gesten gezeigt das Du stolz auf mich bist, das ich Dein Kind bin. Wer tut das jetzt? Ich fühle mich alleine und kann das alles noch gar nicht realisieren.
Ich habe den Bestatter gebeten ein Bild von Dir und diesem Sarg zu machen. Du hast für Dich, gemeinsam damals mit Deinem Mann, entschieden das ihr Anonym beerdigt werdet. Es gibt keine Trauerfeier, keine Beerdigung am Grab, Du bist einfach weg als wärst Du nie dagewesen. Das geht in meinen Kopf nicht rein. Ich wollte schon hinfahren zu dem Bestatter, da wo Du jetzt bist. Will bei Dir bleiben, Dich festhalten das Du nicht gehen kannst, doch Du bist ja längst gegangen. Es ist so schwer. Wie ein Kind das in der Finsternis allein gelassen wurde.
Ich weis ich brauche Zeit. Ich weis auch das es besser für Dich war. Aber ich will auch wissen wie es Dir jetzt geht und ob Du da bist wo Du hin wolltest? Geht es Dir jetzt auch gut? Dann versuche ich zu akzeptieren das es so sein muss, das wir zurückgeblieben sind.
Ostern - Auferstehung. Für mich bist Du auch auferstanden. Zu allen die Du liebtest und vermisst hast. Aber wir vermissen Dich auch und es ist doch nicht mal zwei Tage her......