Humor & Satire
Der Schubladenliterat

DER SCHUBLADENLITERAT

Ein Mensch, der der Dichtkunst mit Leidenschaft frönte,

sich  Tage und Nächte mit Versen verschönte,

der träumt im Geheimen, berühmt einst zu werden,

bekannt und geliebt, wo er hinkommt auf Erden.

Er träumt, denn er ist stets zu feige gewesen,

aus all den Gedichten vor andern zu lesen,

erst recht so ein Werk aus den Händen zu lassen.

Er fürchtete Lachen  und Spott in den Gassen;

er fürchtete eisige Kritikerworte

wie Unverstand, Widerstand jeglicher Sorte.

Um dem zu entgehn, hat er sicher verwahrt,

was je er geschrieben hat mühsam und hart,

in Laden verpackt und mit Riegeln verschlossen,

was je seinem Geist, seiner Feder entsprossen.

Und so blieb denn der Dichter sein Leben lang nur

ein Vertreter der Schubladenliteratur.

© Gerlinde File