BIO – Heiligabend
Der Heiligabend kam ohne Schnee, aber mit dieser besonderen Stille, die nur entsteht, wenn selbst die Stadt kurz innehält, als hätte jemand die Welt an den Schultern gepackt und gesagt: Jetzt.
In der Küche brannten Kerzen. Nicht aus Sentimentalität – aus Notwendigkeit.
Elektrisches Licht ist zu ehrlich für diesen Abend.
Thomas saß bereits am Tisch.
Er trug ein Hemd, das Mara für Anlässe bügelte, die er selbst nie benannte.
Das Radio murmelte von Frieden auf Erden, als sei das eine wiederkehrende
Möglichkeit und kein Gerücht.
„Zu dunkel“, sagte er und stach mit der Gabel ins Fleisch. „Am Heiligabend sollte man nichts verbrennen.“
Mara lächelte. Sie hatte gelernt, an solchen Abenden zu lächeln, wie andere Menschen gelernt hatten zu beten.
Draußen ging jemand vorbei und zog einen Tannenbaum hinter sich her,
die Nadeln hinterließen eine Spur
wie der Beweis einer Entscheidung.
„Fleisch braucht Respekt“, sagte Thomas. „Gerade heute.“
Sie dachte an Krippenspiele.
An Kinder, die stillhalten mussten,
weil Stille wichtiger war als Wahrheit.
Die Pfanne lag noch warm auf dem Herd.
Schwer. Verlässlich. Ein Gegenstand, der wusste, wozu er da war.
Als sie sich umdrehte, war es, als hätte jemand das Jahr angehalten.
Kein Zorn. Nur diese letzte, klare Müdigkeit, die sagt: Jetzt nicht mehr.
Der Schlag war leise. Fast ein Weihnachtsgeräusch. Wie Holz, das im Ofen nachgibt.
Thomas fiel nach vorne. Nicht dramatisch. Eher, als wolle er sich entschuldigen für etwas, das zu lange gedauert hatte. Die Kerzen flackerten, blieben aber. Kerzen bleiben.
Mara stellte die Hitze herunter.
Es gibt Dinge, die man zu Ende bringt,
weil man sie immer zu Ende gebracht hat.
Der Körper auf den Fliesen sah aus wie ein vergessenes Geschenk. Eines, das niemand mehr auspacken wollte.
Sie arbeitete langsam. Heiligabend ist kein Abend für Hast. Die Uhr tickte wie ein entferntes Glöckchen.
Draußen lachten Kinder, ein Lachen, das sich kurz verirrte und dann weiterzog.
Später summte der Kühlschrank.
Innen lag Ordnung. Beschriftete Pakete.
Advent ist Vorbereitung – das hatte sie verstanden.
Gegen Mitternacht aß sie allein.
Gemüse. Brot.
Und etwas Warmes, Dunkles, das nach Nähe schmeckte, ohne zu fragen, was Nähe kostet.
Im Radio sang ein Chor von der heiligen Nacht. Mara dachte, dass Nacht nur dann heilig ist, wenn man ihr nichts mehr hinzufügt.
Sie schrieb auf einen Zettel
und klebte ihn an die Kühlschranktür:
Fleisch braucht Respekt.
Sie strich ein Wort durch
und schrieb ein anderes darüber:
Nähe braucht Respekt.
Dann löschte sie die Kerzen.
Eine nach der anderen.
Draußen stand jemand kurz still vor dem Haus, atmete aus und wusste nicht,
warum ihm plötzlich warm war.
Mara setzte sich, hörte dem Summen zu
und dachte: Vielleicht ist das Weihnachten.
Nicht Erlösung.
Sondern Ruhe nach einer langen Entscheidung.