Kurzgeschichte
Kassandra und der Walnussbaum

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"Neulich traf ich eine Elfe, die erzählte mir....."
Veröffentlicht am 19. Dezember 2025, 22 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Da ich schwerhörig zur Welt gekommen bin, hat meine Mutter mir während der Grundschulzeit das Tagebuchschreiben als tägliche Hausaufgabe aufgegeben. So musste ich viel Zeit und Übung investieren, um das Lesen und Schreiben zu lernen. Auf diese Weise entwickelte sich eine Schwäche zur Stärke, denn auch im Berufsleben habe ich viel schreiben müssen. Privat habe ich immer gerne Tagebuch, Gedichte, Kurzgeschichten und kleine Texte geschrieben. Meine ...
Neulich traf ich eine Elfe, die erzählte mir.....

Kassandra und der Walnussbaum

Kassandra und der Walnussbaum


Kassandra lebte zurückgezogen, aber glücklich. Hatte sie doch den besten Freund der Welt an ihrer Seite. Hier war sie Zuhause und ihre Höhle war warm und gemütlich. Sie hatte es sich schön eingerichtet und liebte ihren Baum und die Umgebung, welche ihr Nahrung und Wasser spendete.


Als die noch junge Kassandra vor vielen Jahren auf der Suche nach einer sicheren Bleibe hier vorbei kam, hatte der große Walnussbaum sie schon von Weitem gesehen und ihr in seiner bassigen Stimme zugerufen; „Hey du Süße, magst du vielleicht näher kommen und dir meine Wurzeln anschauen?! Da ist viel freier Platz und sogar ein paar

kleine Höhlen! Ich würde mich freuen, wenn du mal schauen kommst?!“ Kassandra hatte schüchtern ihren rosafarbenen Schal fester gewickelt und sich ihre wollweiße Mütze tiefer ins Gesicht gezogen. Sie war auf ihrem weiten Weg schon lange nicht mehr von einem reinrassigen Erdwesen angesprochen worden. So fühlte sie sich etwas unsicher, war aber neugierig genug, um mit ihren zarten Flügelchen flatternd näher zu kommen. Die kleine Elfe staunte mit großen Augen über das starke, teilweise überirdisch befindliche Wurzelgeflecht des großen Baumes. Bei genauerer Betrachtung entdeckte sie zwischen moosbewachsenen Wurzelsträngen

kleine Höhleneingänge, welche durch mehrere Kallusaugen bewacht wurden. Einige Höhleneingänge schienen bis in die tiefe Erde zu reichen. Zaghaft hatte sie in ihrer sanften Elfenstimme gefragt; „Welche dieser Erdhöhlen in deinem Wurzelreich sind denn bewohnt? Ich möchte Niemanden stören, lieber Baum!“ Als der mächtige Walnussbaum das liebliche Stimmchen der Elfe vernommen hatte, war es augenblicklich um ihn geschehen! Er hatte sich trotz seiner dicken Rinde verliebt! Inständig hoffte er, dem wundervollen rosa Flügelmädchen möge eine seiner Erdhöhlen gefallen. „Süßes Mädchen, schau dich ruhig um, keines der Höhlen ist bewohnt! Du darfst

dir gerne so viele Zimmer einrichten, wie du magst. Nur eine Höhle ist nicht begehbar, denn dort sind alle Früchte, welche ich nach dem Sommer abgeworfen habe, hinein gekullert. Ich freue mich sehr über deinen Besuch!“ Er lebte nun schon so viele Jahre lang ohne Misch- oder Luftwesen in diesem Wald, dass er sich einsam fühlte. Die Familie, welche ihn einst bewohnt hatte, war vor langer Zeit ausgestorben. Seither war er öfters traurig und einsam. Vorsichtigen Schrittes wagte sich die kleine Elfe in eine der Höhleneingänge unter dem dicken Wurzelstrang hinein und schnupperte sachte die Höhlenluft. Angenehmer, gesunder Erdgeruch begrüßte Kassandra im Inneren

des auf natürliche Weise abgesackten Bodens unter dem verzweigten Ausläufern des Walnussbaumes. Die Höhle war recht groß und an einer anderen Stelle quer gegenüber dem Eingang fiel durch einen kleinen Spalt sogar Licht hinein. Kassandra staunte über diese kuschelige, aber weitläufige Behausung. Ein angenehmes wohliges Gefühl hatte sich in ihr ausgebreitet und mit dem angenehmen Wohlgeruch der gesunden Erde gepaart. Da war Freude im Herzen der kleinen Elfe aufgekommen. Die aufgestauten Ängste und tiefe Traurigkeit begannen abzubröckeln und Kassandra spürte damals vorausschauend, dass dies eine bequeme, sichere und angenehme Bleibe für sie sein würde. Sie hatte ihre Flügelchen

ein paar Mal durchgeschüttelt und war flatternd freudig um ihre eigene Achse getänzelt. Den Kopf aus der Höhle haltend rief Kassandra dem Baum mit fipsiger Stimme zu ; „Lieber Baum, dies hier ist wirklich eine hübsche Behausung in deinem Wurzelreich! Düfte ich tatsächlich eine Zeitlang darin wohnen? Dann hätte ich endlich ein gemütliches Reich zum Ausruhen und Erholen nach dem langen beschwerlichen Weg!“ Vor großer Freude und voll Glücksgefühle hatte sich der Walnussbaum samt Ästen und Blättern durchgeschüttelt, dass der Boden bis zwei Meter im Umkreis zu Beben anfing. Die Elfe wackelte auf ihren Füßen und brauchte

ihre Flügel, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Verwundert flatterte sie gänzlich aus der Höhle hervor und fragte erschrocken; „Bist du ärgerlich mit mir?“ Der Baum versuchte sein zartestes Lächeln, welches Kassandra jedoch mangels Kenntnisse noch nicht zu deuten wusste. Dann antwortete der mächtige Baum; „Ich habe mich doch vor Freude geschüttelt!“ Daraufhin hatte sich die kleine Elfe beim Walnussbaum nett eingerichtet. Für ihr Bett hatte sie bunte Blätter und weiches Moos gesammelt und auf ein großes Stück abgefallene Rinde drapiert. Als sie sich zum ersten Erholungsschlaf hingelegt hatte, war sie augenblicklich eingeschlafen und nach

einer ausgedehnten Nacht warm, weich und wohlfühlend aufgewacht. Sie hatte sich am großen Baum gut aufgehoben gefühlt und den Eindruck gehabt, er hätte über ihren Schlaf gewacht. Wie schön!

Dann war sie mit frischer Energie aufgestanden, um sich in der Umgebung für ihr Frühstück Beeren und Wasser zu suchen. Mit der frisch gepflückten Nahrung hatte sie sich dann einen Sonnenplatz zu Füßen des Baumes gesucht und sich gemütlich an einen Wurzelstrang gelehnt. Auf diese Weise hatte Kassandra zum ersten Mal nach einer gefühlten Ewigkeit in Ruhe gefrühstückt.



Nach einer Weile vernahm Kassandra die erdige Bassstimme ihrer Baumgesellschaft; „Süße, wie hast du denn geschlafen?“ „Einfach himmlisch! Lieber Baum, ich habe schon seit Ewigkeiten nicht mehr so ruhig und ausgiebig schlafen können! Ich bin so froh!“, teilte die kleine Elfe ihre Freude und Dankbarkeit dem Walnussbaum mit. Dieser schmunzelte ein verliebtes zartes Lächeln in der mittleren Höhe seines Baumstammes, welches Kassandra jedoch zum einen nicht sehen und zum anderen nicht als solches hätte erkennen können. Ein bisschen war der Walnussbaum darüber aber auch froh, denn er staunte selbst über seine Fühlfähigkeit.


Auf wundersame Weise spürte Kassandra jedoch, dass der Baum sie mochte und ihr sehr positiv gestimmt war. Wahrscheinlich hatte sie deshalb auch so wohlig schlafen können. Intuitiv sprang sie auf und traute sich, die dicke Wurzel zu umarmen und ihm ein Elfenküsschen auf die Rinde zu drücken. Ihr Herz pochte aufgeregt und auch die Flügelchen flatterten bebend vor Freude. Dies alles spürte der Baum und beherrschte sich erfolgreich, nicht wieder ein Zweimeterbeben zu verursachen. Stattdessen genoss er es, wie ihm lichtvoll warm um seine einsame traurige Seele wurde. Nach einer langen Weile, die sie bereits am ersten Tag ihres gemeinsamen Lebens still beieinander saßen, fragte der Walnussbaum

vorsichtig in seiner tiefen, nun doch aber leisen, Stimme; „Sag mal, darf ich dich fragen, warum du so einen langen, beschwerlichen Weg hinter dir hast? Was ist dir denn passiert?“ Mit seiner Frage hatte er die Elfe aus ihren verträumten Gedanken heraus gerissen. Sie staunte ihn mit großen Augen an, wobei sie wegen der herrlichen Sonneneinstrahlung blinzeln musste. „Ach herjee, dass ist doch eine lange Geschichte, so lang, wie mein Weg war. Ich war jetzt fast genau ein Jahr lang unterwegs. Denn es ist im milden Winter bei zuvor schönen Wetterbedingungen passiert. Ich hatte schon einige Tage lang darauf gedrängt, dass wie weiter nördlich ziehen müssten, weil ich irgendwie gespürt habe,

dass ein Unwetter im Anmarsch ist, dem unser Heimatbaum nicht stand halten kann. Natürlich wollte mir keiner glauben! Sie haben mir meistens nicht glauben wollen, weil ich ja noch so jung bin und die Schulzeit noch nicht fertig habe.“ Milchige Tränen purzelten Kassandras Gesicht entlang und fielen vom Kinn in den rosa Schal. Der moosige Wurzelstrang zitterte leicht in ihrem Rücken, als wollte Walnussbaum sie trösten. Kassandra hatte es direkt gespürt, sich umgedreht und hielt ihr Gesicht dagegen. Unzählige ungeweinte Tränen strömten nun direkt aus den Augenwinkeln ins weiche Moos und als dieser durchnässt war, sickerte die milchige Elfenflüssigkeit in das alte Holz ein.

Für Stunden blieb damals die Zeit stehen. Der Baum nahm den Wasserfall der Kleinen in sich auf und transportierte die erlösenden Tränen in seine vom Austrocknen bedrohten Altersringe auf.


Als die warmen Sonnenstrahlen weiter gewandert waren und der kühlen Dämmerung Platz gemacht hatten, waren Elfe und Baum bereits eingeschlafen und erwachten am nächsten Tag mit ihrer Wiederkehr. Ihre Strahlen blitzten im dunklen Rot durch die Stämme der Waldbäume. Kassandra blinzelte schlaftrunken über mehrere Mooshügel der Wurzeln hinweg direkt ins Licht. Sie fühlte sich, als wäre sie per Lichtgeschwindigkeit aus einem unbekannten Land plötzlich hier

draußen am Walnussbaum angekommen.

Vorsichtig bewegte sie ihre Arme, welche sich noch steif anfühlten. Auch ihre langen Beine waren ungewöhnlich labberig wie Honig und ihre Flügel wollte noch nicht so richtig wach werden. Außerdem spürte Kassandra außergewöhnlichen Hunger und krabbelte von ihrem Platz aus zur unbegehbaren Höhle, um sich eine der Walnüsse aus dem Eingang heraus zu fischen. Zwischen ihren zarten Händen fühlte sich die harte Schale sehr starr und unzerbrechlich an. Deshalb setzte sie sich einfach auf den Nussschlitz und hopste ein paar Mal auf und ab, bis die verholzte Schale knackte und den gehaltvollen Inhalt preisgab. Vorsichtig brach sie ein Stückchen nach dem anderen ab, um zu frühstücken.

Die morgendliche Stärkung tat Körper, Geist und Seele gut und veranlasste die Elfe, in ihrer damals noch neuen Umgebung einen Erkundungsspaziergang zu machen. Nachmittags kehrte Kassandra zufrieden mit sich und ihrer zukünftigen Nachbarschaft zu ihrem neuen Heim zurück. Die Umgebung bot ihr alles, was sie benötigte und sich insgeheim gewünscht hatte. Darüber freute sie sich sehr! Schon von weitem rief ihr der Walnussbaum zu; „Hey, meine süße neue Mitbewohnerin, da bist du ja! Ich habe mir schon Sorgen gemacht, ob du nun doch schon weiter gezogen bist! Schön, dass du wiederkommst!“ Kassandra sah seine blätterlosen Äste ihr zuwinken und flatterte also mit ihren Flügeln in die Lüfte, um sich ihnen schwebend zu

nähern. Kurz darauf wedelten dicke und schmale Äste mit den Elfenflügeln spaßeshalber um die Wette. Noch mitten in deren Spiel fielen sachte kleine Eiskristalle vom Himmel und tanzten mit Ästen und Flügeln in kälter werdender Waldluft. Irgendwann ließ sich Kassandra zu Boden sinken und nahm vor der moosbewachsenen Wurzel in den letzten Sonnenstrahlen, welche die Eiskristalle glitzern ließ, Platz zum Verschnaufen. Sie fühlte sich so glücklich und zuversichtlich wie in ihren allerfrühesten Kindheitstagen. Es gab also doch Wunder! Honigkuchenkuscheligsüßliche und regenbogenfarbenfriedliche Gefühle durchströmten die Elfe und weiteten sich aus.

Einige Zeit später, als nur noch die Sterne am

Himmel leuchteten und Kassandra sich in ihr kuscheliges Bett zurückziehen wollte, hatte der mächtige Baum ein außergewöhnliches Anliegen an die rosafarbene Elfe; „ Süße, ich bin so froh und glücklich, dass du in meinem Wurzelreich ein neues Zuhause gefunden hast. Ich mag deine Gesellschaft sehr! Jetzt, wo ich dich ein bisschen besser kennen gelernt habe, hätte ich eine Bitte an dich. Du hast gesagt, du besitzt die Fähigkeit, Unwetter voraus zu sehen. Würdest du mich bitte stets wissen lassen, wenn du eine kommende Wetterveränderung wahrgenommen hast?! Denn ich möchte gerne dein Wissen hören! Ich bin sicher, deine Fähigkeit wird uns Beiden von Nutzen sein!“


Augenblicklich hielt Kassandra in ihrer Bewegung inne.Sie hielt die Luft an, die Flügelchen falteten sich vor Erstaunen zusammen und die wollweiße Mütze rutschte ihr vollends ins Gesicht. Der Elfen Beine verwandelten sich in honigweiche Farnstiele und in ihrem Kopf zuckten tausend Gedankenblitze durcheinander. Plumpsend sackte sie zurück auf das mit Eiskristallen geschmückte Moos und sie benötigte eine ganze Weile, um sich wieder zu sortieren und zu sammeln. „Lieber Baum, ist das wirklich wahr? Habe ich das richtig gehört? Du vertraust mir und willst meine Wahrnehmungen hören und ernst nehmen? Du bist ja großartig! Ein richtiger Freund!“

So fest sie konnte, drückte die Elfe Kassandra dem Walnussbaum ihr Gesicht entgegen und küsste ihn ewig lang mit innigem Elfenkuss. So ein Wunder! Seither teilt Kassandra dem besten Freund der Welt stets mit, wenn sie wahrgenommen hat, dass das Wetter in Kürze ungewöhnlich wird. Der Walnussbaum zweifelt nie an der Fähigkeit der Elfe, sondern beratschlagt mit ihr stets, wie sie sich am besten auf die Wetterumstellung vorbereiten können. Und so gab es über die vielen Jahre hinweg, in welchen Kassandra nun beim Walnuss lebt, einige Tage und auch Nächte, in welchen der Baum seine Wurzeln besonders fest in den Boden krallt, während sich Kassandra

ausnahmsweise in einem Astloch des mittleren Baumstammes festhält und mutig betet. Manchen stürmischen Regen und so einige heftige Winde haben die Beiden auf diese Weise überstanden. Und an sonnigen Tagen lieben sie es, einfach beieinander den Sonnenplatz zu genießen. Sowohl die schönen, wie auch die stürmischen Zeiten haben sie zu unzertrennlichen Freunden gemacht. Eine Freundschaft, wie man sie nur findet, wenn man für das Wunder bereit ist.

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Über den Autor

Gabriele
Da ich schwerhörig zur Welt gekommen bin, hat meine Mutter mir während der Grundschulzeit das Tagebuchschreiben als tägliche Hausaufgabe aufgegeben. So musste ich viel Zeit und Übung investieren, um das Lesen und Schreiben zu lernen. Auf diese Weise entwickelte sich eine Schwäche zur Stärke, denn auch im Berufsleben habe ich viel schreiben müssen. Privat habe ich immer gerne Tagebuch, Gedichte, Kurzgeschichten und kleine Texte geschrieben. Meine Lieblingsthemen sind: der Mensch, das Leben, Psychologie, die Natur und Engel.

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Eichenlaub 
Liebe Gabriele,
Deine süße Geschichte habe ich jetzt bereits begonnen, werde sie aber später noch weiterlesen, weil es mich interessiert....
Und mit fast einer "Lichtgeschwindigkeit" habe ich diese Geschichte von der Elfe und dem Walnussbaum nun doch noch zu Ende gelesen.
Nett geschrieben.
Lieben Gruß von Gerlinde
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Gabriele 
HERZlichen Dank liebe Gerlinde,
tja, eigentlich hatte ich sie kürzer fassen wollen - aber manchmal gelingt es mir nicht.....
Liebe Abendgrüße von Gabriele
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