zum 3. Advent hatte ich etwas anderes erwartet
Nicht den Geruch von abgestandenem Punsch, nicht das leere Glänzen der Flaschen, nicht das müde Schweigen der Werkstätten, in denen sonst Lachen und Liedfetzen wohnten. Ich hatte etwas anderes erwartet – und vielleicht war genau das der erste Fehler dieser Geschichte.
Denn Weihnachten kündigt sich nicht mit Pauken an, sondern mit Rissen.
Ich sah es zuerst an Michael. Wie er innehielt, öfter als sonst, wie seine
Schultern schwerer wurden, als trüge er nicht nur Listen, Pläne und Sorgen, sondern die Erinnerung an etwas, das einmal geglänzt hatte. Er sprach leiser, wenn er durch die Flure ging. Und er hörte besser hin. Auf das Knarzen der Böden. Auf das Verstummen der Wichtel. Auf das unsaubere Summen der Maschinen, die zu viel konnten und doch nichts fühlten.
Der Alte trank. Paul rechnete. Und zwischen beiden rutschte etwas weg, das sich nicht optimieren ließ.
Ich schrieb es mir auf.
Tag für Tag.
Denn irgendwer muss bezeugen, wenn die Magie nicht stirbt, sondern krank wird.
Der Advent kam nicht wie sonst. Er schlich. Er stolperte. Er brachte keine Vorfreude, sondern Müdigkeit. Geschenke kippten, Glöckchen rollten davon, Briefe verschwanden in Schubladen, die niemand mehr öffnete. Und doch: Mitten im Chaos stand Michael. Still. Wach. Und plötzlich war da wieder etwas, das ich lange nicht gesehen hatte – Aufmerksamkeit.
Er griff ein Glöckchen auf, als wäre es ein Versprechen.
Er hielt einen Wagen, als hinge mehr
daran als Holz und Band. Er sagte nichts Großes. Er tat das Kleine richtig.
Und das genügte.
In dieser Nacht lernte ich etwas, das ich heute, am 14. Dezember, mit zitternder Hand festhalte: Weihnachten zerbricht nicht am Chaos. Es zerbricht an Gleichgültigkeit.
Als der Schnee fiel, fiel er leise. Als hätten selbst die Flocken verstanden, dass Lautstärke hier nichts mehr rettet. Paul lächelte zum ersten Mal ohne Berechnung. Der Alte schwieg – und war zum ersten Mal wieder ganz da. Und Michael stand im Hof, als hätte er nie woanders hingehört.
Ich schloss mein Tagebuch. Nicht, weil alles gut war. Sondern weil es wieder möglich war.
Ich hatte etwas anderes erwartet.
Und vielleicht ist genau das der Moment, in dem Weihnachten beginnt.