Gedichte
Hinter dem Glas - Schreibparty 114

Hinter dem Glas

Schreibparty 114 Frei nach dem Motto: In der Kürze liegt die Würze! zum Thema: "Weihnachten in Familie" VORGABEWORTE: Licht, Kittelschürze,

und Kullerpfirsich

In der Stube knistert das Feuer ein bisschen, die Flammen werfen tanzende Schatten an die Wände, als würden sie leise Geschichten erzählen. Ein paar Nadeln vom Tannenbaum liegen schon auf dem Boden, ihre grünen Spitzen glänzen im warmen Licht. Auf dem Fensterbrett liegt eine Mandarine – sie riecht gut, süß und frisch, ein kleiner Hauch von Sommer zwischen Schnee und Kerzenlicht. Draußen schneit es leise, die Flocken wirbeln wie winzige funkelnde Sterne und fallen sanft auf die Dächer der

Nachbarschaft. Alles wirkt ruhig, als würde Weihnachten selbst gleich losgehen. In der Küche riecht es nach Kakao. Die Tasse ist schon halb leer, ich hab wohl zu viel Glühwein getrunken. Vom Flur hört man ein leises Rascheln – wahrscheinlich Geschenkpapier. Alles ist still, nur das Knistern des Feuers begleitet mich, und ab und zu scheint der Tannenbaum mir kleine Geheimnisse zuzuflüstern. Vom Sofa aus sehe ich, wie die Schneeflocken durchs Fenster tanzen. Eigentlich könnte ich noch ewig hier

sitzen bleiben. Aber ich weiß, dass ich irgendwann noch aufräumen muss – die Nadeln vom Tannenbaum liegen überall. Vielleicht gehe ich später noch raus, einen Schneeball werfen oder so. Mal sehen, ob Weihnachten zu mir kommt – oder ob ich selbst dafür sorgen muss... Gegenüber flackert Licht aus einem Fenster. Ellen, die vor drei Monaten dort drüben eingezogen ist, ist meine große Liebe. Wie gut, dass keiner weiß, dass ich Rumpel

heiße. Vielleicht sollte ich mich als Nikolaus verkleiden und einfach rübergehen. Es weiß ja keiner, dass ich gegenüber wohne. Durch das Fenster sehe ich, wie sie in ihrer Kittelschürze steht, bedruckt mit Kullerpfirsichen und kleinen Nikolausgesichtern. Die Kinder rollen Plätzchen aus, das Mehl wirbelt in kleinen Staubwolken, glitzert kurz im warmen Licht, und manchmal lacht Ellen, ein kurzes, leises Lachen, das sich mit dem Kinderlachen vermischt und wie ein sanftes Echo

klingt. Draußen tanzen weiter die Schneeflocken, und drinnen strahlt diese kleine, warme Welt hinter dem Glas. Ich lehne mich zurück, bleibe still und nachdenklich, atme den Duft von Zucker, Zimt und Mandarine ein. Es ist schön, sie zu sehen, und zugleich traurig, dass diese Wärme nicht zu mir gehört – dass Weihnachten für manche eben nur aus Fenstern, Licht, Düften und stillen Beobachtungen besteht. Und für einen Moment scheint die ganze Welt aus leisen Wundern zu bestehen, nur ein Atemzug entfernt, still und zerbrechlich, wie die Schneeflocken draußen vor meinem

Fenster.