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Der Weihnachtsmuffel und der Punkt - Kalenderblatt 2

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"Der Weihnachtsmuffel und der Punkt - Kalenderblatt 2"
Veröffentlicht am 02. Dezember 2025, 18 Seiten
Kategorie Sonstiges
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Über den Autor:

Ich erinnere mich noch gerne meiner allerersten Zeilen - ein Schulgedicht: Der Winter ist ein Bösewicht, die Bäume tragen Schneegewicht, die Stämme sind kahl und so schwarz wie ein Pfahl, die Felder sind weiß und auf dem See liegt Eis. In den seither vergangenen Jahrzehnten hat sich mein Schreibstil sicher geändert - ist erwachsen geworden -, aber die Freude am Schreiben ist ungetrübt.
Der Weihnachtsmuffel und der Punkt - Kalenderblatt 2

Der Weihnachtsmuffel und der Punkt - Kalenderblatt 2

Der Weihnachtsmuffel

Im Kerzenrand der langen Nacht, steht ungefragt die Weihnachtswacht. Sie tropft nicht Glanz, sie fordert nicht – sie hütet nur ein einzelnes Licht. Und sagst du Nein, ganz leis‘ und still, es bleibt bei dir – weil es nur bleiben will. Weihnachtsmuffel – ein Name wie winterkalter Atem, doch in dir glüht ein Funke, auch wenn er im Mantel des Zweifels schlummert.

Du sagst: muffel, und die Nächte nicken zustimmend, mit frostigen Sternen und

unbeleuchteten Gassen. Doch hör – selbst die dunkelste Tanne trägt den Duft von Harz, selbst der verschlossene Ofen kennt die Sehnsucht nach Wärme. Vielleicht ist Weihnachten für dich kein Glockenton, sondern eine stille Tür, die nur behutsam geöffnet sein will. Kein Zwang, kein Trubel, kein Lamettagewitter – nur ein Licht, das flüstert statt schreit. Im Kerzenrand der langen Nacht, steht ungefragt die Weihnachtswacht. Sie tropft nicht Glanz, sie fordert nicht –

sie hütet nur ein einzelnes Licht. Und sagst du Nein, ganz leis‘ und still, es bleibt bei dir – weil es nur bleiben will. Trink eine heiße Tasse, wenn die Welt zu laut ist – der Dampf erzählt Geschichten, nicht die Menschen. Schmücke nichts Großes. Stell nur ein einziges Objekt auf: eine Kugel, ein Tannenzweig, ein dunkler Stein – dein persönlicher Jahrespunkt. Dreh die Musik nicht auf. Leg Kopfhörer an, hör ein Lied, das dir wirklich gefällt. Winter braucht Wahrheit, keinen Chor.

Sag Termine ab, die sich wie Pflicht anfühlen, und sag Ja zu dem, was sich wie Atem anfühlt. Du musst den Himmel nicht erleuchten, um trotzdem Teil der Sterne zu sein. Und wenn du der Weihnachtsmuffel bleibst? Dann sei es mit Stolz: Ein Rabe im Schneefall, kein Engel im Kaufhaus – ehrlich, still, notwendig. Denn auch Kontrapunkte machen Melodien schön.

Der Weihnachtsmuffel und der Punkt

Im letzten Haus einer Straße, die der Dezember vergessen hatte, wohnte Finn. Ein Mann mit Mantelkragen aus Widerstand und Augen so grau wie gefrorenes Morgenlicht. Während in den Fenstern der anderen Häuser die Lichterketten funkelten wie überdrehte Sternschnuppen, blieb seines dunkel. Kein Kranz, keine Kugel, nicht einmal ein einsamer Zweig durfte hinein. Weihnachten war für Finn kein Fest – es war eine zudringliche Jahreszeit. Die Stadt tobte draußen mit Glöckchen und Chören, die sich selbst zu sehr

liebten. Finn jedoch liebte die Stille: das klare Knacken des Frosts, den langen Atem der Winternächte, in denen die Dunkelheit wenigstens ehrlich war. Er hatte einen Beruf, der zu ihm passte – Korrektor. Worte polieren, Fehler finden, Überflüssiges streichen. Und hätte jemand ihm ein Gesetzbuch des Weihnachtsrummels vorgelegt, er hätte alles rot markiert. Jeden Abend im Dezember stapfte er heim, an glühweinroten Nasen und einkaufstütenvollen Missionaren der Gemütlichkeit vorbei. „Besinnliche Zeit!“, riefen sie. „Grausige Zeit“, murmelte er zurück.

Doch eines Tages, an dem die Kälte so scharf war, dass selbst die Luft innehielt, saß vor seiner Haustür etwas, das nicht in seine Ordnung passte: ein kleiner schwarzer Kater. Dünn, zerzaust, mit einem Ohr, das aussah, als hätte es schon bessere Kämpfe gefochten. Und an seinem Hals – befestigt mit einer Schnur, die eher strickte als schmückte – hing eine winzige golden matte Kugel. Finn starrte den Kater an. Der Kater starrte zurück. Kein Mauzen. Kein Flehen. Nur Blick. Ungefragt, ungeschönt. Er hätte die Tür schließen können. Wirklich, er hätte es gekonnt. Doch der

Wind schob ihm die Entscheidung wie eine kalte Pfote in den Rücken. Also hob er das Tier auf, roch Schnee, Straßenkampf und die kleine Wahrheit eines Lebens, das nichts von ihm wollte außer Wärme. Er nannte ihn Punkt. Ein Name wie Satzende. Wie Klarheit. Punkt sprach nicht. Er verlangte keinen Glanz. Und wenn Finn am Schreibtisch saß, rollte sich der Kater daneben zu einem dunklen Fragezeichen ohne Frage. Die Kugel? Finn ließ sie hängen. Nicht, weil sie Weihnachten war – sondern weil sie zu Punkt gehörte. Und Punkt gehörte nun zu ihm.

Ab diesem Tag blieb sein Fenster weiterhin dunkel, während die Stadt draußen in ihren grellen Reimen lärmte. Doch drinnen, jenseits von Lametta und Lautstärke, saß ein Mann und ein Kater im Schweigen, das weicher wurde von Tag zu Tag. Am Heiligabend fiel der Schnee in schweren weißen Strophen vom Himmel, und die Nacht war ein Gedicht nur aus Leere und Sternen. Finn setzte Punkt auf die Fensterbank. Die kleine Kugel fing kein Licht der Straße – es gab keins, denn bei ihm brannte nichts. Und doch, ganz wunderlich, glomm sie schwach. Nicht durch Strom. Sondern durch Nähe. Durch Möglichkeit.

Finn lehnte die Stirn an die Scheibe. Punkt blieb bei ihm. Weil er nur bleiben wollte, nicht musste. Und irgendwo tief im Haus – unsichtbar, ungeschmückt, unzensiert – begann Weihnachten, sich von einer Pflicht zu einer Fußnote zu wandeln. Klein. Unaufdringlich. Fast … poetisch. Finn lächelte kaum. Was für seine Verhältnisse schon viel war. Ein paar Tage nach jener Weihnachtsnacht begann die Stadt zu tuscheln. Nicht über Lichter, nicht über Geschenke – sondern über das dunkle Fenster, in dem ein schwarzer Kater

thronte wie ein ungeladener König ohne Krone. Die Leute erzählten sich, man könne die Kälte dort nicht mehr schreien hören. Als wäre die Luft weicher, die Schatten wärmer. Niemand wusste, dass Finn nichts verändert hatte. Außer der Tatsache, dass nun Kazimir auf seiner Fensterbank wachte. Kinder blieben stehen. Nicht, weil es glitzerte, sondern weil es anders war. Ein Ort, der nicht blenden wollte, sondern sein durfte. Eine Geschichte ohne Süßstoff, aber mit Geheimnis. Und manchmal breiteten sie heimlich Bleistiftzeichnungen von einem Kater aus, der die Stille bewachte – sie legten

sie vor Finns Tür, klingelten und rannten davon, wie Schneeflocken auf der Flucht. Finn begann diese Zettel nicht zu korrigieren. Nicht zu bewerten. Sondern zu sammeln. Er steckte sie zwischen Manuskripte, als Beweis, dass nicht Schreien, sondern Bleiben die Welt formt. Und wenn abends der Wind wieder an den Fensterrahmen klopfte, antwortete kein Mensch. Nur ein leiser Pfotentritt. Ein kleines „Hier.“ Von Stille, die wohnte, nun offiziell, im letzten Haus der vergessenen Straße. Finn wurde nicht zum Weihnachtsfreund. Er wurde nur weniger winterhart.

Manchmal liegt die Revolution nicht im Feiern, sondern im sanften Platzmachen für das, was wahr ist. Und ein Kater hat ihm das beigebracht – ohne Deko. Ohne Chor. Nur durch Anwesenheit.

In der Gasse der ungekrönten Winter, wo die Lichter zu laut sangen und der Schnee nur dumpfe Zeilen schrieb, wohnte Finn – und nun auch Punkt. Ein Kater, schwarz wie die Nacht vor dem ersten Glockenschlag, mit Pfoten, die das Schweigen besser kannten als jede festliche Fanfare.

Punkt war kein Weihnachtstier. Er war ein Überlebender des Frosts, ein Lied aus Samt und Narben. Als Finn ihn fand, trug er jene Kugel am Hals – matt, golden, fast trotzig. Doch nun, bei Wärme, verlor sie ihren Lärm. Sie wurde stumpfer, ruhiger, ehrlicher. Wie er. Wie sie beide. Punkt schnurrte nicht um zu gefallen. Sein Schnurren war eine heisere Litanei gegen die Härte der Welt, nicht für die Weichzeichnung eines Festes. Und gerade deshalb hörte Finn ihm zu. Denn Finn glaubte an Geräusche nur dann, wenn sie wahr waren. Heiligabend kam, wie eine Jahresabrechnung ohne Rabatt. Die Stadt draußen klebte Engel an Scheiben, die

frieren mussten, während Kazimir auf seiner Scheibe saß – dem einzigen Fenster ohne Kranz, ohne Krimskrams, ohne Zwangsfreude. Der Schnee küsste das Glas. Kazimir blinzelte nicht einmal. Dieser Kuss galt der Stille. Finn stellte zwei Tassen auf den Tisch. Kakao für ihn, warme Milch für Kazimir. Rotstift lag bereit, doch heute blieb die Kappe zu. Keine Korrektur nötig – nicht in dieser Nacht, nicht in ihrer Ordnung der Dunkelheit, die ein anderes Glühen hatte: Kohleglut, Atemwolke, Zuneigung, unausgesprochen. „Weihnachten“, dachte Finn und schauderte. „Nur wenn es mich nicht anschreit.“

Punkt sah zu ihm auf. Grün-gelbe Augen, die sagten: Ich bleibe. Mehr nicht. Weniger nicht. Und in diesem Blick lag etwas, das kein Lametta je konnte: die Erlaubnis, nicht feiern zu müssen, um dennoch nicht allein zu sein. Ein Samtpunkt zwischen zwei Seelen im Winter – klein, schwarz, warm.

Nicht Weihnachten gewann über den Muffel. Sondern Punkt gewann über die Kälte. Und das, leise, war Wunder genug.

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Über den Autor

KatharinaK
Ich erinnere mich noch gerne meiner allerersten Zeilen - ein Schulgedicht:
Der Winter ist ein Bösewicht,
die Bäume tragen Schneegewicht,
die Stämme sind kahl
und so schwarz wie ein Pfahl,
die Felder sind weiß
und auf dem See liegt Eis.
In den seither vergangenen Jahrzehnten hat sich mein Schreibstil sicher geändert - ist erwachsen geworden -, aber die Freude am Schreiben ist ungetrübt.

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Phantasus Katharina, deine Weihnachtsgeschichte ist wohltuend unsentimental. Weihnachten braucht Weihnachtsmuffel wie Finn.
Liebe Grüße
Phabtasus (Ekki)
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