Fotograf / Fotocredit: Alexander Zvir / UnsplashDas ist die Fortsetzung,
– gestohlenes Glück
Doris
Ihre Hand zitterte kaum merklich, als sie ihm den Umschlag reichte. Vier Jahre lang hatte sie darauf gewartet, dass er sich für sie entschied – und jetzt stand sie selbst kurz davor, eine Entscheidung zu treffen, die ihr Leben verändern würde.
Er nahm das Schreiben, ahnungslos, noch immer mit diesem halbsanften Lächeln, das ihr Herz jahrelang weich gemacht hatte. Doch heute war etwas anders. Heute hatte sie ihre Rüstung
angelegt.
„Was ist das?“, fragte er.
„Meine Kündigung.“
Ihre Stimme klang überraschend ruhig. Fast zu ruhig.
Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen. Sein Blick wanderte von dem Umschlag zu ihren Augen, und Doris konnte genau sehen, wann er begriff, dass sie es ernst meinte. Kein Spiel. Keine Drohung. Realität.
„Doris…“ Er stand auf, trat um den Schreibtisch herum. „Das kannst du nicht machen.“
Doch, dachte sie. Ich muss.
„Ich habe es lange genug hinausgezögert“, sagte sie und wandte sich ab. Dabei spürte sie, wie ihr Magen einen schweren Knoten bildete. „Ich
kann nicht mehr so weitermachen.“
Er griff nach ihrem Arm, sanft, fast verzweifelt. „Lass uns reden. Nicht hier, nicht jetzt. Komm später in mein Büro. Bitte.“
Sie zog den Arm langsam zurück. Er ließ los.
Dieser Moment sagte mehr als Worte: Er hatte ihr Leben nie wirklich in der Hand gehabt – nur ihre Hoffnung.
„Es gibt nichts mehr zu reden“, antwortete sie. „Ich liebe dich, aber ich kann mich nicht länger selbst verlieren.“
Ein kurzer, brennender Schmerz durchzuckte sie, als sie den Raum verließ. Nicht wegen der Entscheidung – sondern wegen seines Blicks. Verwirrt. Verletzt. Vielleicht auch ein wenig wütend. Aber nicht entschlossen. Nie
entschlossen.
Am Schreibtisch setzte sie sich hin, atmete tief durch und ließ ihre Finger über die Tastatur gleiten. So viele Erinnerungen. So viele Stunden. So viel Ungesagtes.
Sie wusste, dass er ihr nach dem Mittag nachlaufen würde. Dass er Antworten suchen würde, die er seit Jahren vermied.
Doch zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte sie etwas, das sie beinahe vergessen hatte.
Freiheit.
Und Angst.
Gleichermaßen.
Sie schloss die Tür hinter sich und ging langsam zurück an ihren Platz. Ihr Herz schlug schneller als sonst, aber nach außen hin ließ sie
sich nichts anmerken. Sie setzte sich, faltete die Hände und sah auf den Bildschirm, der gerade hochfuhr.
Es war seltsam ruhig in ihr. Nicht angenehm ruhig – eher wie die Stille vor einem Gewitter. Sie wusste, er würde gleich zu ihr kommen. Er brauchte meist ein paar Minuten, um etwas zu begreifen, das nicht in seine gewohnte Ordnung passte.
Sie öffnete ihre E-Mails und tat so, als würde sie lesen. In Wahrheit sah sie nur die Buchstaben an, ohne sie zu erfassen. Ihr Blick wanderte immer wieder zu seiner Tür. Sie hörte, wie er sich setzte, hörte das Papier, das er aus dem Umschlag nahm. Sie wusste genau, in welchem Moment er ihre Unterschrift sah. Es war, als würde der Raum kurz die Luft anhalten.
Nach ein paar Minuten hörte sie, wie sein Stuhl
leise über den Boden schabte. Schritte. Dann Stille. Er stand vor ihrer Tür, doch er klopfte nicht. Wahrscheinlich war er unschlüssig, wie er reagieren sollte. Das war er oft, wenn es um sie ging.
Schließlich klopfte er doch.
„Kommen Sie bitte kurz zu mir, Doris?“ Seine Stimme war ruhig, aber sie kannte sie gut genug, um den leichten Druck dahinter zu hören.
Sie atmete aus, stand auf und ging in sein Büro. Er saß nicht hinter seinem Schreibtisch, wie sonst. Er stand am Fenster, die Kündigung in der Hand. Er drehte sich langsam um.
„Warum?“, fragte er. Keine Vorwürfe, nur dieses leise Unverständnis, das ihn verletzlicher machte, als er vielleicht zeigen
wollte.
Sie schloss die Tür hinter sich und suchte nach Worten, die nicht wehtun und trotzdem ehrlich waren. Aber solche Worte gab es nicht.
„Weil es so nicht weitergeht“, sagte sie. „Nicht für mich.“
Er sah sie lange an. „Du weißt, dass ich dich brauche.“
Sie lächelte traurig. „Du brauchst mich im Büro. Und im Hotelzimmer. Aber nicht in deinem Leben.“
Er wollte etwas sagen, doch sie hob leicht die Hand. „Bitte sag es nicht. Nicht das Übliche.“
Er schwieg. Und genau dieses Schweigen tat ihr am meisten
weh.
„Ich will nicht mehr warten“, flüsterte sie. „Ich will morgens nicht mehr im Dunkeln aufwachen, mit dem Wissen, dass du neben deiner Frau liegst und ich nur die Stunden bekomme, die übrig bleiben.“
Sie sah, wie er schluckte. Er war kein schlechter Mensch. Aber er war ein Mann, der sich nie ganz von dem lösen konnte, was er einmal gewählt hatte.
„Gib mir noch etwas Zeit“, sagte er leise.
Sie schüttelte den Kopf. „Vier Jahre sind genug Zeit.“
Er sah aus dem Fenster, als könnte er dort eine Antwort
finden.
Sie drehte sich um. Ihre Hand lag schon auf der Türklinke, als er ihren Namen sagte, ganz leise.
„Doris…“
Sie blieb stehen, drehte sich aber nicht um.
„Bitte geh jetzt nicht.“
Sie schloss die Augen. Ihr Herz tat weh, aber ihre Entscheidung stand.
„Ich gehe nicht jetzt“, sagte sie ruhig. „Aber ich gehe.“
Dann verließ sie das Büro und ließ ihn mit dem Schreiben in der Hand zurück