Die Nacht, in der der Winter kam
Es begann lautlos.
Über den Ebenen, wo der Wind sonst spielt wie ein unruhiges Kind, schob sich in jener Nacht eine seltsame Stille herab. Kein Hund bellte, kein Licht flackerte. Nur die Luft wurde schwer, als würde sie den Atem anhalten. Und irgendwo weit im Osten, jenseits der Wälder, glänzte ein blasses, eisiges Leuchten – schwach, aber entschlossen.
Die Alten im Dorf sagten schon am Abend: „Er kommt.“
Sie wussten nie genau, wer „er“ war, aber jedes Jahr, irgendwann zwischen den letzten Novemberschatten und der
ersten Dezemberdämmerung, fielen ihre Stimmen in diesen Ton. Und diesmal war er anders. Schärfer. Erwartungsvoller. Fast ehrfürchtig.
Kurz vor Mitternacht stieg die Kälte auf wie ein Wesen aus vergangener Zeit.
Sie wanderte durch die Straßen von Gyöngyös, kroch über die Donau, legte sich auf Dächer und Felder. Fensterscheiben rissen feine Risse wie Spinnweben, als hätte jemand mit frostigen Fingern darüber gestrichen.
Im Norden, in einem kleinen Ort nahe Miskolc, wachte ein alter Nachtwächter auf, weil er glaubte, Schritte unter seinem Fenster zu hören.
Schwere. Langsame. Atemlose.
Er ging hinaus, die Laterne in der Hand, und sah sie: die Kaltfront. Keine Wolke, kein Sturm, sondern ein wogender blauer Schleier, der wie ein lebendiges Wesen über die Hügel rollte. Und in ihrem Bauch funkelten winzige, wirbelnde Schneekörner – als hätte jemand Sterne zermahlen und in die Luft geworfen.
„Sibirisches Blut“, murmelte der Wächter und zog seinen Mantel enger.
Dann blieb er stehen, denn der Winter hielt direkt vor ihm inne.
Ein Moment, der alle Geräusche verschluckte.
Dann brach er los.
Der Wind schrie auf, Schnee stob über die Felder, verwandelte Wege zu Fallen,
Häuser zu bleichen Schatten. Die Temperatur stürzte, als hätte die Erde die Wärme vergessen. Türen knarrten auf, Tiere drängten sich enger zusammen, und über den Dächern Samuels Kirchturms peitschte der Frost wie ein unsichtbarer Hirte.
So kam der Winter – früh, wild, unentschlossen in seiner Grausamkeit.
Er trat nicht ein, er explodierte.
Und während der Winter weiterzog, von Ost nach West, flüsterte die Kälte an jede Tür, an jedes Fenster denselben Satz:
„Ich bin zurück.“
Doch die Menschen wussten auch:
So streng er war, so alt, so
erbarmungslos – er brachte eine Wahrheit mit sich, die keiner laut sagte, die jeder aber spürte.
Kälte ist nur der andere Name von Erwartung.
Und Schnee ist das Kleid, das die Welt trägt, bevor sie neu beginnt.
Monolog des Kommenden Winters
Ich nähere mich leise, doch unaufhaltsam.
Die Ebenen Ungarns spüren mein Husten aus Frost, mein flüsterndes Knirschen auf kahlen Ästen.
Ich bringe die Kälte, die tief in die Knochen kriecht, die Nächte, die länger
und dunkler scheinen.
Der Schnee wird fallen, wie gefrorene Seide, und die Straßen verwandeln sich in glitzernde Fallen.
Anfang Januar, da werde ich zuschlagen – die sibirischen Winde tragen mein eisiges Herz über das Karpatenbecken.
Jeder Atemzug der Stadt wird gefroren, jeder Fluss glitzert unter meinem Blick.
Ich komme nicht leise, aber ich komme mit Schönheit: Das kalte Licht der Morgendämmerung, das die Welt in silberne Stille taucht, das Rascheln von Schnee unter müden Schritten.
Zwischen dem 21. und 24. Januar, ja, dann werde ich zeigen, wer ich bin.
Die -6 Grad in der Nacht sind nur ein
sanftes Vorspiel.
Am 20. Januar – merkt euch dieses Datum – da werde ich die Zeit anhalten, die Welt erstarren lassen, und Ungarn wird mich spüren.
Ich bin der Winter, ich bin das Schweigen, das Knistern der Frostluft, die glitzernde Gefahr und die Schönheit zugleich.
Bereitet euch vor. Ich bin schon fast da.