Der kleine Konferenzsaal des Schreib-forums war gut gefüllt.
Der Sprecher der zehnköpfigen Jury, Username: „AndreaBergFan“, warf einen Blick auf seine Armbanduhr, erhob sich und bat um Ruhe.
Nach den einleitenden Begrüßungs-worten, setzte er hinzu:
„Noch ein Wort zum Ablauf: „Die drei Teilnehmer haben jetzt noch 30 Minuten Zeit, um ihre KI via Internet auf den neuesten Stand zu bringen, damit alle die gleichen Bedingungen haben. Anschließend verlese ich die vierzig Vorgabewörter zu dem Thema:
‚Weihnachten im Wandel der Zeit’, die die Teilnehmer dann bitte in ihr Notebook tippen. Es verbleiben zehn Minuten, um….“
„Zehn Minuten?!?“ Teilnehmer „Hingewurschtelt“ sprang empört auf. „Das ist viel zu lange! Mein Läppi hat zwölf Prozessoren und 64 Gigabyte Arbeitsspeicher! In zehn Minuten haut der DREI Geschichten raus!“
„…. die fertige Geschichte auszudrucken, in kleine Stücke zu zerreißen und sie im Besucherklo im ersten Stock die Toilette hinunterzuspülen. Das Geräusch dient als Zeitmesser“, fuhr „AndreaBergFan“
ungerührt fort und fügte mit einem forschenden Blick durch den Saal hinzu: „Gibt es noch Fragen?"
„Äh…. ja…“, meldete sich zaghaft „Wortzauberer“ und ergänzte: „Ich will niemanden ansehen, aber wie verhält es sich mit … äh … psychischer Instabili-tät, die Teilnehmer betreffend. Ist das in Ordnung so?“
„Da muss ich dich an die drei Grund-regeln hier erinnern, aus denen alle weiteren Regeln erwachsen sind:
§ 1: Die User wollen nicht lesen, sondern gelesen WERDEN.
§ 2: Favst du mich, fave ich dich.
§ 3: Bei reinen KI-Wettbewerben sind psychische Beeinträchtigungen zwar
nicht zwingend erforderlich, aber auch nicht hinderlich“
Ein anderer Arm schnellte nach oben. „Warum werden die Geschichten sofort vernichtet? Das ergibt doch gar keinen Sinn!“
„Ah, gut, dass du fragst, "Charly-Braun93“. Ich will mit einer Gegenfrage antworten: Stell dir vor, es ist Ende November. Draußen kübelt es in Strömen, der Wind heult und die Fenster-läden klappern. – Nimmst du dir dann ernsthaft ein Buch, das von einer Maschine geschrieben wurde, mit vor den Kamin und machst es dir in deinem Lieblingssessel bequem?“
„Äh, stimmt. Dumme Frage. Kein
Mensch will solche Texte lesen“.
„Stilsicher77“ erhob sich. „Gibt es diesmal einen Preis für den Gewinner?“ „AndreaBergFan“ reckte sich stolz. „Oh, ja! Zwei sogar! Der Zweitplatzierte gewinnt zwei Wochen Urlaub am Plattensee, der Gewinner eine Woche!“
„Oh. Cool! - Häh???“
„So. Da nun alle Fragen geklärt sind und die Teilnehmer bereit sind, verlese ich jetzt die Vorgabewörter: Islamisten-Kalifat-Wintermarkt-Sicherheitsvor-kehrungen-Geiselhaft-Sprengkommando-Glühweinvernichter…“
Eifrig hämmerten die drei Teilnehmer auf
ihre Tastaturen ein. Bis plötzlich „Pusztablume“ , die einzige weibliche Teilnehmerin, aufsprang und mit einem irren Leuchten in den Augen auf „Yakamoto32“ zeigte und kreischte: „Er betrügt! Er betrügt! Er hat ein Mikrofon im Ärmel versteckt und tut nur so, als würde er tippen! Das geht natürlich viel schneller und ist unfair!“
„Ist es nicht“, wehrte sich der Beschul-digte. „Ich habe eine Schreiblese-schwäche und kann nicht so schnell tippen wie die anderen. DAS wäre unfair!“
Die Jury steckte die Köpfe zusammen und beriet sich. Schließlich verkündete „AndreaBergFan“ vergnügt: „Der
Wettbewerb wird abgebrochen!"
Und so verließen an diesem Tag lauter Gewinner den kleinen Konferenzsaal.
Na ja, bis auf "Pusztablume". Die blieb noch eine Weile und keifte vor sich.
Als sie endlich merkte, dass sie alleine war und niemand ihr zuhörte, sank sie erschöpft auf ihren Stuhl und eine köstliche Ruhe machte sich breit.
© Ulrich Seegschütz
11|2025