Kurzgeschichte
Der erste Krampus - Wie alles begann

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"Der erste Krampus - Wie alles begann"
Veröffentlicht am 17. November 2025, 10 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Ich erinnere mich noch gerne meiner allerersten Zeilen - ein Schulgedicht: Der Winter ist ein Bösewicht, die Bäume tragen Schneegewicht, die Stämme sind kahl und so schwarz wie ein Pfahl, die Felder sind weiß und auf dem See liegt Eis. In den seither vergangenen Jahrzehnten hat sich mein Schreibstil sicher geändert - ist erwachsen geworden -, aber die Freude am Schreiben ist ungetrübt.
Der erste Krampus - Wie alles begann

Der erste Krampus - Wie alles begann

Der erste Krampus

Als die Welt noch jung war und die Alpen keine Namen trugen, lebte ein Hirtenjunge namens Arvid in einem kleinen Tal, das jeden Winter vom Schnee verschluckt wurde. Die Menschen behaupteten, in en langen Nächten wanderte etwas durch die Schluchten: ein Atem, der selbst das Feuer im Herd kleiner machte, ein Gewicht in der Dunkelheit. Arvid war der Einzige, der diese Nächte liebte. Er hörte Dinge. Ein fernes Klirren. Ein Poltern in den Tannen. Und manchmal ein Brummen, tief wie ein schlafender Berg.

Eines Abends, als der Mond hinter den Gipfeln hängen blieb wie ein vergessener Silberlöffel, verirrte sich eine seiner Ziegen. Arvid, trotzig und neugierig, nahm die Lampe und folgte ihren Spuren in die Schlucht hinunter, dorthin, wo selbst die Erwachsenen nicht gingen. Der Wind wurde plötzlich warm. Zu warm für Winter. Und dann hörte er es: das Brummen, klar und nah – und die Erde vibrierte unter seinen Füßen. Ein Schatten löste sich aus den Felsen. Kein Tier. Kein Mann. Etwas Hörnertragendes, Fellbedecktes, mit Augen wie glühende Kohlen im ersten Zug des Schmieds. Und doch… hatte das Wesen Angst.

Vor ihm? Vor der Welt? Vor dem, was es war? Arvid hob die Lampe, das Licht flackerte über das raue Gesicht des Wesens. Da sprach es – oder Arvid hörte nur die Worte in seinem Kopf: „Ich bin nicht geboren. Ich bin nur gefunden worden.“

Die Schlucht lag still wie ein angehaltenes Herz. Ein dünner Mond hing über den Felsen, und sein Licht brach sich in der Reifkruste, die jede Tanne wie eine gefrorene Träne umhüllt hielt. Arvids Lampe war der einzige warme Punkt weit und breit – ein kleines, zitterndes Gestirn in einer Welt, die nur aus Schatten bestand. Das Wesen stand halb im Felsen, halb im

eigenen Dunkel. Seine Hörner ragten wie gebrochene Äste, sein Fell war so schwarz, dass es das Licht verschluckte. Und doch – sobald es sprach, bebte die Luft, als würde ein alter Berg Geist annehmen. Arvid spürte, wie seine Finger froren, obwohl er die Lampe festhielt. Nicht vor Angst, sondern vor der Wucht der Stille, die zwischen ihnen lag. „Ich hab keine Angst vor dir.“

„Dann bist du töricht.“

„Oder mutig.“ „Mut ist eine Art Blindheit.“ Der Wind schob sich durch die Tannen und trug Flocken mit, die sich erst in der Luft bildeten – als würde die Nacht

selbst sie hauchen. Kleine Kristalle schwebten zwischen den beiden, funkelten kurz im Lampenschein und vergingen wieder, als wären sie nicht echt. „Blind seh ich besser als die anderen. Sie fürchten alles, was atmet und anders ist.“ „Ich atme nicht. Nicht so, wie ihr es tut.“ Arvid hörte aber sehr wohl etwas. Kein Atem – eher ein tiefes, unruhiges Grollen, wie wenn unter dem Schnee ein Bach sein Eis zu sprengen versucht. „Doch. Ich hör’s. Es klingt wie… ein Stein, der vom Berg rollt und nicht weiß, wohin.“ „Du gibst mir Namen, bevor du weißt, was ich bin.“

„Dann sag’s mir. Was bist du?“ Das Wesen trat einen halben Schritt aus dem Schatten. Schnee schmolz dort, wo seine Klauen die Erde berührten. „Ein Schatten, der zu lang geworden ist. Ein Irrtum der Dunkelheit.“ „Kein Irrtum steht vor mir und spricht.“

Die Worte trafen das Wesen sichtbar. Es senkte den Kopf, als hätte der Junge ihm einen ungewohnten Schmerz zugefügt – oder ein unerwartetes Licht gegeben. „Ich sollte dich zerreißen. So will es der Frost. So will es die Nacht.“ „Und was willst du?“ Für einen Augenblick verstummte sogar der Wind. Die Schlucht lauschte, die Sterne schienen näher zu rücken, als

warteten sie auf die Antwort. „Ich will wissen, warum du hergekommen bist.“ „Weil eine Ziege fehlte. Und weil …“ „Weil?“ „Weil dein Brummen mich ruft, seit ich denken kann.“

Der Krampus – denn es war schon in ihm, dieses Sein, nur noch namenlos – hob den Kopf. Man sah etwas hinter dem Feuer seiner Augen, etwas Erschrockenes. „Viele hören es. Keiner folgt ihm.“ „Vielleicht bin ich der Erste.“ „Der Erste…“ Ein Riss ging durch die Stille. Kein bedrohlicher – eher ein feiner Spalt,

durch den etwas Warmes sickerte. „Sag mir deinen Namen.“ „Ich habe keinen. Die Menschen geben mir bald einen. Und er wird ihnen Angst machen.“ „Dann sag mir, wie du klingen willst.“

Das Wesen atmete tief ein – oder tat etwas, das so wirkte – und ein heiseres Geräusch entrang sich seiner Kehle. Ein Laut, roh, noch ungeformt. „… Kr… Rrss…“ „Krampus.“ Der Name hing kurz zwischen ihnen wie eine Glocke, die gerade geschlagen wurde. „Was bedeutet das?“ „Dass du nicht mehr allein bist.“

Und in diesem Moment – genau diesem – hörte die Schlucht auf, nur kalt zu sein. Sie wurde ein Ort, an dem Furcht und Mut sich begegneten und etwas Neues erschufen.



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Über den Autor

KatharinaK
Ich erinnere mich noch gerne meiner allerersten Zeilen - ein Schulgedicht:
Der Winter ist ein Bösewicht,
die Bäume tragen Schneegewicht,
die Stämme sind kahl
und so schwarz wie ein Pfahl,
die Felder sind weiß
und auf dem See liegt Eis.
In den seither vergangenen Jahrzehnten hat sich mein Schreibstil sicher geändert - ist erwachsen geworden -, aber die Freude am Schreiben ist ungetrübt.

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"Der erste Krampus - Wie alles begann..."
Jetzt weiß ich erst, wie dieser Krampus überhaupt in die Welt gekommen ist... ...smile*
Das ist in der Tat, ein schön erzähltes Märchen, welches ich gern gelesen habe... ...smile*
LG zu Dir, liebe Katharina...
Louis :-)
Vor einem Monat - Antworten
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