Die Krampuss
Der Weckmann
Er lächelt noch, als die Dämmerung ihn findet. Goldene Haut, spröde vom Ofenfeuer, die Rosinenaugen längst zu Asche gebrannt. Die Kinderhände greifen nach ihm, reißen ihn entzwei, als wäre er nie lebendig gewesen. Doch im Rauch des Backhauses flüstert etwas Altes. Ein Atem aus Korn und Kälte, der den Weckmann einst formte – nicht zum Naschen, sondern zum Gedenken. An das, was starb, um Leben zu schenken.
Ein Riss zieht sich durch den süßen Leib, und für einen Herzschlag lang scheint er
zu lächeln. Nicht aus Güte – aus Erinnerung.
Die Krampusse
Der Wind heulte durch die Gassen, trieb den Nebel wie graues Wasser durch die leeren Straßen. Niklos spürte, wie sein Herz klopfte, hart und schnell, ein Kribbeln zwischen Aufregung und Angst. „Wir sollten vorsichtig sein“, murmelte er, doch seine Stimme klang unsicher – selbst er spürte, dass Vorsicht in dieser Nacht nur ein schwacher Schild war.
Piet scharrte ungeduldig mit den Flügeln, die Federn vibrierten. „Ach komm schon,
Niklos! Wir schaffen das. Wir sind Krampusse, wir fürchten uns vor nichts.“ Doch Niklos sah die Unsicherheit in seinen Augen, wusste, dass Mut manchmal nur die Angst übertönte.
Klas schlug die Fäuste in die Luft, lachte übertrieben, als wollte er die Spannung zerreißen. „Ihr denkt zu viel nach! Das ist ein Abenteuer!“ Bartl hingegen blieb stumm, die Hände tief in den Taschen, die Augen wie dunkle Seen. Er spürte die Kälte, die Angst, und die Verantwortung, dass jeder von ihnen in dieser Nacht überleben musste – wenn auch nur für einen Moment.
Sie hatten den Martinstag ausgesucht. Nicht, um Laternen zu tragen oder Lieder
zu singen. Nein. Sie wollten die Grenze testen – zwischen Licht und Dunkelheit, Ordnung und Chaos. Jeder Schritt durch den Nebel war ein Triumph der Dreistigkeit, jeder Atemzug gefüllt mit dem Rauch des verbotenen Spiels.
„Hier endet euer Spiel.“ Die Stimme schnitt durch die Nacht wie kaltes Eisen. Knecht Ruprecht trat aus den Schatten, den Stab fest in der Hand. Niklos erstarrte. Piet flatterte aufgeregt, Klas’ Lachen starb in der Kehle, Bartl schloss die Augen, den Atem anhaltend.
Ruprecht bewegte sich wie eine dunkle Welle, langsam, unaufhaltsam. Mit jedem Schlag seines Stabs verschwanden die Krampusse nacheinander: Niklos
versuchte zu fliehen, doch Rauch verschlang ihn. Piet kämpfte, schlug die Flügel, doch der Stab war schneller, präzise. Klas, der immer gelacht hatte, sah seine eigenen Hände zittern, als der Rauch ihn umhüllte. Bartl blieb stehen, das Herz klopfend, und verschwand als letzter.
Die Stille danach war drückend. Ruprecht sank auf die Knie, den leeren Sack neben sich. Die Last des Wächters lag schwer auf seinen Schultern, doch das Gleichgewicht war wiederhergestellt. Er wusste, das Böse würde zurückkehren. Die Krampusse waren nicht tot, nur zurückgezogen – wie Schatten, die auf den richtigen Moment warteten.
Am Morgen lag das Dorf still unter einer Schneedecke. Kinder liefen lachend durch die Straßen, Laternen flackerten. Erwachsene bereiteten den Umzug vor, ahnungslos, dass die Nacht zuvor ein Spiel zwischen Licht und Dunkelheit gewesen war.
Und in der Kälte, wenn Frost die Luft prickeln ließ, konnte man das entfernte Läuten hören, das Echo alter Geschichten. Ein Ruf. Ein Flüstern von Angst und Mut, von Verlust und Überleben. Ein Erinnern daran, dass der Wächter immer wacht – und dass Dunkelheit niemals endgültig verschwindet.