Stefán – Der Geist der Duna
Der Nebel lag wie ein silbriger Schleier über der Ráckevei-Soroksári Duna.
In der Morgendämmerung glitten nur wenige Boote über das Wasser,
und das Flussbett atmete wie eine alte Brust – ruhig, geduldig, wissend.
In diesen Tiefen lebte Stefán,
ein Karpfen, dessen Größe jedes menschliche Maß sprengte.
Die Alten sagten, er sei so alt wie das erste Lied der Donau,
geboren aus einem Tropfen, der die Sonne kannte, und gewachsen im Herzschlag des Flusses selbst.
Seine Schuppen schimmerten wie poliertes Silber, und in seinen Augen ruhte die Erinnerung an Jahrhunderte.
Er war kein gewöhnlicher Fisch –
er war ein Wächter, ein Flussgeist,
der über die Grenze zwischen Leben und Legende wachte. Fischer erzählten sich sein Geheimnis am Feuer: „Wer ihn sieht, erkennt sich selbst. Wer ihn fängt, verliert, was er sucht.“
An einem solchen Morgen saß Sándor am Ufer. Der Nebel hing schwer über dem Wasser, als sich seine Angelschnur spannte – eine Kraft riss daran, so mächtig, dass selbst das Boot zu erzittern begann. Die Luft roch nach
Eisen und Ewigkeit. Stefán tauchte auf, ein glühendes Wesen aus Tiefe und Zeit.
Sándor kämpfte, nicht gegen einen Fisch,
sondern gegen das Flussgedächtnis selbst. Als der Kampf endete, ließ Sándor die Rute sinken und beugte sich vor, verneigte sich vor dem Wasser – vor der Weisheit, die sich nicht besitzen ließ.
Die Nachricht von Stefán ging umher wie Wind durch das Schilf.
Man sprach leise von ihm, als könnte lautes Reden den Zauber brechen. Eine junge Biologin, Eszter, beobachtete ihn monatelang, notierte jede Bewegung, doch am Ende schrieb sie nur einen Satz:
„Er ist die Duna selbst, und wir sind nur ihre Spiegel.“
Als die Jahre kamen und gingen,
wurde Stefán zum Mythos.
Kinder hörten von ihm an Winterabenden, alte Männer blickten auf die Wellen und sagten: „Dort schwimmt der, der mehr weiß als wir.“
Einmal, heißt es, wurde er doch gefangen. Zweihundert Pfund schwer, zwei Männer lang. Doch bevor das Netz ihn halten konnte, brach es – und das Wasser nahm ihn wieder an sich, wie eine Mutter, die ihr Kind heimholt.
Seit jener Nacht sagt man, die Duna trage einen silbrigen Glanz, wenn der Mond voll ist – und wer still genug lauscht, kann seine Stimme hören:
„Ehrt das Wasser. Ehrt das Leben.
Wer versteht, wird sehen.“
Und so lebt Stefán weiter, in Nebel und Erinnerung, in Liedern und Strömungen –
ein Wächter aus Schuppen und Seele, ewig wie die Duna, die nie denselben Weg zweimal fließt.