Fantasy & Horror
TALEE YA SÉ SHA HA - Buch 4 : Das Schweigen des Meeres

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"Band 5 in Arbeit "
Veröffentlicht am 23. Oktober 2025, 484 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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Über den Autor:

Ich bin ein junge Schreiberin mit LRS (Lese recht scheib schwache) und möchte meine Gedanken zu Papier Bingen möchte was schwer ist und des halb danke ich allen dir helfen meine Worte zu Papier zu Bingen.
Band 5 in Arbeit

TALEE YA SÉ SHA HA - Buch 4 : Das Schweigen des Meeres

Prolog – Die Insel der Alten

Das Meer war grau. Kein Wind. Kein Rauschen.

Nur das Atmen des Wassers, gleichmäßig, wie ein schlafendes Tier.


Korar trat aus der Tiefe. Ihr Kleid klebte an der Haut, Salz im Haar,

die Füße wund vom Gehen durch Erinnerungen.

Vor ihr stand Odin, Speer in der Faust, Auge milchig, aber sehend.

Er sprach nicht. Er hatte sie schon kommen gespürt.


Sie blieb stehen, sah ihn lange an.

Zwischen ihnen war kein Glaube. Nur Verstehen.


> Korar: „Ég kom ekki sem kona né guð.“

(Ich komme nicht als Frau und nicht als Gott.)


„Ég kom sem hafið.“

(Ich komme als das Meer.)




Odin nickte. Der Speer knirschte in seiner Hand.


> Odin: „Hafið talar þegar heimurinn þegir.“

(Das Meer spricht, wenn die Welt schweigt.)




Sie lächelte kaum.


> Korar: „Þeir munu berjast aftur. Guð gegn börnum sínum.“

(Sie werden wieder kämpfen. Gott gegen seine Kinder.)


„Hann lærði ekkert.“

(Er hat nichts gelernt.)




Der Wind bewegte sich ein wenig. Salzgeruch. Blutgeruch.

Odin trat einen Schritt näher.


> Odin: „Þú hefur enn hjarta.“

(Du hast immer noch ein Herz.)




> Korar: „Það er vandamál.“

(Das ist das Problem.)




Stille. Nur das Meer, das atmete.


> Korar: „Ég sé eld, járn, menn sem trúa að ljós drepi skugga.“

(Ich sehe Feuer, Stahl, Männer, die glauben, Licht könne Schatten töten.)


„En skugginn er þeirra eigin.“

(Aber der Schatten ist ihr eigener.)




Odin sah sie an, müde, wie jemand, der das Ende schon zu oft gesehen hat.


> Odin: „Þú munt reyna að bjarga

þeim.“

(Du wirst versuchen, sie zu retten.)




> Korar: „Ég er hafið. Ég gleyti og gef aftur.“

(Ich bin das Meer. Ich verschlinge und gebe zurück.)


„Það er allt sem ég get gert.“

(Mehr kann ich nicht tun.)




Odin legte den Speer zur Seite. Zum ersten Mal seit Jahrhunderten.

Er sah nicht mehr aus wie ein Gott, sondern wie ein alter Mann,

dem das Wetter aus der Haut getrieben wurde.


> Odin: „Þú ert ein.“

(Du bist allein.)




> Korar: „Alltaf.“

(Immer.)




Der Wind schwieg wieder.

Dann zog sie den Blick zum

Horizont – wo das Meer dunkel wurde.

Unter der Oberfläche bewegte sich etwas. Groß.

Wie ein Atemzug der Erde selbst.


> Korar: „Þeir munu kalla það stríð. En það er aðeins endir á sakleysi.“

(Sie werden es Krieg nennen. Aber es ist nur das Ende der Unschuld.)




> Odin: „Hvað þarftu af mér?“

(Was brauchst du von mir?)




> Korar: „Ekkert nema vitni.“

(Nichts außer einem Zeugen.)




Sie trat näher, berührte seine Hand. Sie war kalt, rau, echt.


> Korar: „Þegar ég fell, minnist mín ekki sem guð.“

(Wenn ich falle, erinnere dich nicht als Göttin.)


„Segðu þeim að ég reyndi að skilja.“

(Sag ihnen, dass ich versucht habe zu verstehen.)




Dann drehte sie sich um.

Ging zurück ins Meer, langsam, ohne Eile.

Jede Welle wich ihr aus, als hätte das Wasser Angst.

Odin blieb stehen, bis nur noch der Nebel blieb.


> Odin: „Hún mun reyna samt.“

(Und sie wird es trotzdem versuchen.)



Der Speer fiel.

Das Meer schwieg.

Und irgendwo, weit entfernt, atmete die Welt ein letztes Mal friedlich,

bevor sie brennen würde.

Kapitel 1 – Das Dekret der Ordnung

Der Saal war still wie eine Leere aus Glas.

Das Licht fiel von oben herab und traf drei Gestalten:

Jehova auf dem Thron, Adam kniend vor ihm,

Jesus neben dem Altar, bleich im Schein der Lampen.

Hinter den Toren wartete Metatron auf das Zeichen,

das Wort, das Krieg bedeutete.


Jehova erhob sich.

Seine Stimme schnitt durch die Stille.


> „Ordo est lex vitae.“

(Ordnung ist das Gesetz des Lebens.)




Er trat an die Stufen heran, jede Bewegung ein Ritual.


> „Femina fecit primum peccatum,

et iterum aperiet portas ruinae.“

(Die Frau beging die erste Sünde,

und sie wird erneut die Tore des Untergangs öffnen.)




Adam hob das Gesicht, das aus Licht und Gehorsam gemacht war.


> „Domine, signum tuum expectamus.“

(Herr, wir erwarten dein Zeichen.)




Jehova nickte.

Sein Blick glitt zu Jesus, der still blieb.


> „Tu tace, fili. Intelligisne?“

(Schweig, mein Sohn. Verstehst du?)




Jesus hob den Blick.

Sein Mund zitterte nur einen Moment,

bevor er sagte:


> „Pater, si haec est ordo,

tunc ordo est mors.“

(Vater, wenn das Ordnung ist,

dann ist Ordnung der Tod.)




Das Geräusch der Hand kam zuerst –

ein kurzer, flacher Schlag gegen

seine Wange.

Kein Zorn, nur Disziplin.


> „Verbum meum est veritas.“

(Mein Wort ist Wahrheit.)




Jehova drehte sich ab,

als sei nichts geschehen.


> „Metatron, procedas.“

(Metatron, tritt hervor.)




Die Türen öffneten sich,

Licht fiel herein wie eine Schneide.

Metatron trat ein, ein Pergament in Händen.


> „In nomine Domini,“

rief er,

„incipiat ordo novus!

Femina taceat,

masculus regat!

Lux sola vivit!“

(Im Namen des Herrn beginne die neue Ordnung!

Die Frau schweige,

der Mann herrsche!

Nur das Licht soll leben!)




Draußen antworteten die Glocken.

Dann der Jubel der Menge – laut, blind, heilig.


Adam sank auf die Knie.


> „Fiat voluntas tua.“

(Dein Wille geschehe.)




Jehova legte ihm die Hand auf den Kopf.


> „Tu eris gladius meus.“

(Du wirst mein Schwert sein.)




Jesus stand noch immer,

die Spur der Hand auf der Wange,

as Schweigen schwer wie Schuld.


Er sah den Thron an

und wusste,

dass der Krieg bereits begonnen hatte.

Kapitel 2 – Lioras Feuer

Das Jahr roch nach Ruß und Weihrauch.

Der Himmel über der heiligen Stadt war bleigrau, und die Glocken läuteten das Dekret der Ordnung.

Kinder mussten in Reihen stehen, still, sauber, gehorsam.


Liora stand ganz vorne.

Ihre Hände waren kalt, die Finger eingerissen.

Seit ihre Mutter verbrannt worden war, kümmerte sich niemand mehr um sie –

nur die Nonnen, die mehr beteten

als sprachen.


> Nonne: "Say it, child. Obedience is grace."

(Sprich es, Kind. Gehorsam ist Gnade.)




Liora blickte auf den Schnee, nicht auf die Frau.


> Liora: "Grace isn’t obedience."

(Gnade ist kein Gehorsam.)




Die Nonne zog die Luft scharf ein,

doch sie schlug nicht.

Stattdessen drehte sie sich weg und flüsterte ein Gebet.

Liora hörte das Summen der anderen Kinder – leere Stimmen, leere Worte.

Und über allem: den Geruch von verbranntem Öl.


Nach der Messe schlich sie hinaus.

Hinter dem Waisenhaus gab es eine alte, zerbrochene Mauer.

Dahinter lag eine halbvergessene Feuerstelle.

Liora sammelte Holz, zündete es mit einem gestohlenen Streichholz

an.


Das Feuer sprang hoch, als hätte es gewartet.

Orange, lebendig, flackernd wie Atem.


> Liora: "You’re the only one who listens, right?"

(Du bist die Einzige, die zuhört, oder?)




Das Feuer zischte.

Dann eine Bewegung, ein Windstoß, und für einen Moment sah sie ein

Gesicht im Rauch.

Nicht deutlich – aber alt, ruhig, lächelnd.


> „Ich bin hier.“




Sie wusste nicht, ob sie es gehört oder geträumt hatte.

Sie streckte die Hand aus, näher an die Glut.


> Liora: "Are you my mother?"

(Bist du meine Mutter?)




> „Nein, Kind. Aber sie war meine Tochter.“




Das Feuer flackerte heller.

Liora spürte keine Angst. Nur Wärme,

als hätte jemand ihre Schultern umarmt.


> Liora: "Then who are you?"

(Wer bist du?)




> „Ich bin, was sie dir nahmen. Erinnerung. Feuer. Stimme.“




Das Holz knackte.

Über ihr schneite es leise, doch die Flocken schmolzen,

noch bevor sie den Boden berührten.


Liora legte die Hand auf ihr Herz und flüsterte:


> Liora: "Then I’ll keep you. I’ll remember."

(Dann behalte ich dich. Ich

erinnere mich.)




Das Feuer verneigte sich im Wind,

wie eine Antwort.

In der Ferne schlug die Glocke zur Abendmesse.

Liora stand auf, nahm einen glimmenden Zweig,

und verbarg ihn in ihrem Mantel.


Sie wusste nicht, warum.

Aber sie würde ihn brauchen.

Bald.

Kapitel 3 – Asche und Wasser

Das Meer hatte geschwiegen, als das Schiff starb.

Jetzt atmete es wieder — träge, gleichgültig, salzig.

Zwischen Wrackteilen und totem Holz lag Sand, schwarz von Asche.


Azrael kam zu sich, hustete Wasser.

Jede Bewegung brannte.

Ihr Kleid war zerfetzt, der rechte Schuh hing in Fetzen, der linke fehlte.

Der Gürtel war fort, die Waffe im Meer.

Ihr Flügel klebte schwer an der

Haut, schwarz mit goldenen Narbenadern.


Sie sah das Wrack. Nur noch Knochengerüste von Holz und Eisen.


> Azrael: “No... no, no, no—damn it!”

(Nein … nein, verdammt noch mal!)




Sie trat gegen eine Planke; sie brach, schnitt ihr den Fuß.

Das Blut mischte sich mit Salzwasser.


> Azrael: “My ship. My notes. Everything’s gone!”

(Mein Schiff. Meine Aufzeichnungen. Alles ist verloren!)




Sie schlug mit der Faust in den Sand.

Der Wind kam kalt vom Wasser, brannte in den Wunden.

Für einen Moment dachte sie an Zuhause –

an die metallenen Gänge von Luzifers Reich, den Geruch nach Öl und Schwefel.

„So fühlt sich Heimat an, wenn man sie verliert“, dachte sie.


Etwas bewegte sich hinter ihr.

Talee hob sich langsam aus der Brandung.

Haut glitt aus dem Wasser, Augen wie Spiegel,

Hände, die nicht suchten, sondern wussten, wo sie waren.


Azrael starrte sie an – erschöpft, zornig.


> Azrael: “You! You knew this would happen, didn’t you?”

(Du! Du wusstest, dass das

passieren würde, oder?)




Talee blinzelte.

Keine Antwort, kein Laut.

Sie trat näher, Sand klebte an ihren Füßen.

Dann hob sie die rechte Hand, legte sie auf die Brust,

führte sie langsam nach außen,

ließ die Finger offen und sinken.

Zuhause.


Azrael runzelte die Stirn.


> Azrael: “What? What are you

doing?”

(Was? Was machst du da?)




Talee machte die Geste erneut, diesmal mit geschlossenen Augen.

Das Meer antwortete mit einer flachen Welle,

die sanft über ihre Knöchel strich.


Azrael trat einen Schritt zurück.


> Azrael: “Stop that. I don’t— I don’t understand your tricks.”

(Hör auf damit. Ich versteh deine Spielchen nicht.)




Talee öffnete die Augen, sah sie an.

Sie hob beide Hände, bewegte sie sacht,

als würde sie den Wind formen,

dann ließ sie die Hände sinken,

legte eine flach an den Boden.

Frieden.


Azrael kniff die Augen zusammen.


> Azrael: “You think I get that? I don’t!”

(Du glaubst, ich verstehe das? Tu ich nicht!)




Wut vibrierte in der Stimme, aber die Müdigkeit fraß sie auf.

Sie sah wieder auf das Wrack, dann auf ihre nackten Füße.

Der eine Schuh, aufgerissen, die Naht wie eine offene Wunde.


> Azrael: “Great. Even my damn boots betrayed me.”

(Großartig. Sogar meine verdammten Stiefel haben mich verraten.)




Talee folgte ihrem Blick.

Sie beugte sich, nahm das kaputte Stück Leder,

legte es vorsichtig neben Azraels Fuß.

Dann beide Hände geöffnet, Daumen aneinander,

eine kleine, kreisende Bewegung.

Zusammen.


Azrael sah das, verstand kein Wort, keine Bedeutung –

aber irgendetwas in der Bewegung ließ sie zögern.

Sie spürte Wärme, wo vorher nur Kälte war.


> Azrael: “You don’t speak, and I can’t listen. Perfect pair.”

(Du sprichst nicht, und ich kann nicht zuhören. Ein perfektes Paar.)




Talee drehte sich um, blickte zum Horizont.

Nebel schimmerte grünlich – Wälder, Licht, Bewegung.

Ihr Atem wurde ruhig, gleichmäßig.

Sie hob eine Hand, zeigte dorthin.


Azrael folgte dem Fingerzeig.


> Azrael: “That’s... your home?”

(Das ist … dein Zuhause?)




Talee nickte.

Dann eine kurze Bewegung: flache Hand von Herz nach außen,

die Finger weit, sanft im Wind.

Gehen.


Azrael atmete schwer.


> Azrael: “Fine. You lead. I’ll follow.”

(Na schön. Du führst, ich folge.)




Sie trat neben sie, barfuß,

ein Flügel schleifte über den Boden,

Sand klebte an der Spitze der Federn.

Talee ging voraus, leichtfüßig,

und die Wellen zogen die letzten Spuren hinter ihnen fort.


Azrael blickte


auf das Meer,

auf das Wrack, das verschwand,

und dachte:

Vielleicht sind sie keine Tiere. Vielleicht bin ich diejenige, die

nichts fühlt.

Kapitel 4 – An der Grenze des Atems

Der Nebel wurde dichter, je weiter sie gingen.

Das Meer hinter ihnen war nur noch ein fernes Grollen.

Vor ihnen lag Stille – eine, die nicht leer war,

sondern gefüllt mit dem Geräusch des eigenen Atems.


Schnee fiel.

Nicht der Schnee des Winters, sondern der, der hier immer fiel –

fein, fast warm, leuchtend wie Staub.


Talee hob das Gesicht, ließ ihn auf ihrer Haut schmelzen.

Ein Lächeln, kaum sichtbar.


Azrael dagegen fluchte leise,

rieb sich die Schultern, der nasse Stoff klebte an ihr.


> Azrael: “Cold. Always cold. Even hell was warmer than this.”

(Kalt. Immer kalt. Selbst die Hölle war wärmer als hier.)




Sie blieb stehen, zog den Rest ihres zerrissenen Schuhs aus.

Die Zehen waren rot, der Boden schneidend.


> Azrael: “I swear this land wants me dead.”

(Ich schwöre, dieses Land will mich tot sehen.)




Talee sah sie an, dann deutete sie mit beiden Händen,

eine sanfte, gleitende Bewegung von der Brust in die Luft,

Finger leicht zitternd,

eine Geste des Trostes.


Azrael verstand es nicht.


> Azrael: “Don’t. Don’t do that sign thing. Just… say something.”

(Tu das nicht. Hör auf mit diesen Zeichen. Sag einfach was.)




Talee antwortete nicht.

Sie ging weiter, barfuß, lautlos,

bis die Bäume vor ihnen sich lichteten.


Zwischen den Stämmen standen Schatten –

hohe Gestalten, in weißes Fell

gehüllt.

Kein Laut, kein Atemzug verriet sie,

nur die Bewegung des Schnees an ihren Umrissen.


Azrael blieb sofort stehen,

spannte den Körper,

Hand an der Hüfte, wo ihre Waffe einmal gewesen war.


> Azrael: “We’re being watched.”

(Wir werden beobachtet.)




Talee nickte ruhig,

hob langsam die rechte Hand,

führte sie nach oben,

die Finger offen, dann sanft nach außen gedreht.

Frieden. Anerkennung.


Die Schatten bewegten sich kaum,

doch einer trat aus dem Nebel hervor.

Ein Elb – hoch, bleich, mit Augen so hell,

dass sie selbst das Licht zu durchdringen schienen.

Er trug keinen Bogen, kein Schwert.

Nur Fell und den Ausdruck tiefer Ruhe.


Er machte eine Geste:

die rechte Hand offen, die linke darunter,

eine sachte Drehung.

Beobachten. Erkennen.


Talee antwortete,

spiegelte seine Bewegung,

legte danach die Hand auf ihr Herz,

ließ sie nach außen kreisen.

Heimkehr.


Azrael sah das,

verstand nur, dass keiner von beiden sprach –

und dass sie selbst allein in der Lautwelt stand.


> Azrael: “Are they… your people?”

(Sind das … deine Leute?)




Talee nickte,

aber in ihrem Blick lag mehr –

eine Stille, die älter war als Erinnerung.


Die Schnee-Elben traten näher.

Ihre Bewegungen waren vorsichtig, respektvoll.

Sie musterten Azrael,

doch ohne Furcht, ohne Aggression.

Nur Beobachtung –

wie Jäger, die wissen, dass jedes

Tier Seele hat.


Azrael wich nicht zurück.


> Azrael: “If you want a fight, you’ll have to start it.”

(Wenn ihr kämpfen wollt, müsst ihr anfangen.)




Der vorderste Schnee-Elb neigte leicht den Kopf.

Er machte eine Geste –

beide Hände geöffnet,

eine kleine Bewegung,

wie das Gleiten eines Vogels.

Keine Furcht. Keine Waffe.


Talee antwortete wieder,

diesmal mit einer fließenden Kreisgeste beider Arme,

dann eine Hand nach oben,

die andere auf ihr Herz.

Danke. Vertrauen.


Etwas in der Luft veränderte sich.

Der Wind wurde weicher,

der Schnee fiel langsamer.

Die Schatten um sie herum lösten sich in Licht auf –

nicht fort, nur weiter entfernt,

wie ein Atemzug, der sich verteilt.


Talee senkte die Hände,

sah Azrael an,

legte beide Handflächen aneinander,

führte sie kurz auseinander.

Folge mir.


Azrael atmete tief.


> Azrael: “Fine. But if one of them tries anything…”

(Na schön. Aber wenn einer von denen was versucht …)




Sie beendete den Satz nicht.

Der Schnee-Elb hatte sich bereits umgedreht,

den Kopf leicht geneigt,

und ging voran durch das weiße Licht.


Zwischen den Bäumen glommen Formen –

Zelte aus Fell und Eis,

Licht, das von innen schimmerte.

Kinder liefen lautlos,

ihre Bewegungen wie Tanz,

ihre Sprache reine Geste.


> Azrael (leise): “This… is a city?”

(Das … ist eine Stadt?)




Talee nickte.

Sie hob beide Hände,

die linke nach oben, die rechte zum


Boden.

Shahai.


Azrael wiederholte den Laut ungelenk,

das Wort schmeckte nach Schnee und Atem.


Und irgendwo tief in ihr

flackerte zum ersten Mal

etwas wie Ruhe.

Kapitel 5 – Farben des Atems

Die Sonne hing wie ein goldener Splitter über der weiten Eisfläche.

Wind fuhr über gefrorene Zelte, brachte sie zum Singen.

Shahai lag vor ihnen – kein Palast, keine Mauern,

nur ein Kreis aus Licht und Atem.


Der Schnee-Elb, der sie geführt hatte, blieb stehen.


> Schnee-Elb: “We’re home.” (Wir sind daheim.)




Talee trat neben ihn.

Ihre Schultern waren gesenkt, die Hände vor der Brust.

Sie legte die rechte Hand flach aufs Herz,

führte sie in einer weiten Kreisbewegung nach außen,

ließ sie im Wind offen.

Das bedeutete: Ich kehre zurück, nicht allein.


Azrael hinkte leicht, ihr Kleid war kaum mehr als ein Fetzen.

Eine Seite offen, die Ränder hart vor Salz.

Sie zog fröstelnd die Arme

zusammen.


> Azrael (leise): “Don’t stare.” (Starrt nicht.)




Die Elben taten es doch.

Nicht aus Spott, sondern wie Menschen,

die in ihr etwas sahen, das sie erkannten.


> Azrael (Gedanke):

They look at me like I’m a memory they’ve met before.

(Sie sehen mich an, als wäre ich

eine Erinnerung, die sie schon einmal getroffen haben.)




Am Dorfrand knieten Frauen über flachen Steinschalen,

in denen Farben schimmerten – Blau, Weiß, Gold, Rot.

Sie mahlten Kristallstaub mit Schnee,

ihre Hände bewegten sich rhythmisch, fast wie Atemzüge.


Der alte Elb wandte sich zu Azrael.


> Schnee-Elb: “Your cloth is broken.

It should not carry the storm inside.”

(Dein Kleid ist zerbrochen. Es sollte den Sturm nicht weitertragen.)




> Azrael: “It’s mine.” (Es gehört mir.)




Ein leises Lächeln, kein Spott.


> Schnee-Elb: “Nothing here is ‘mine’.

What we wear is memory, not

ownership.”

(Nichts hier ist „mein“.

Was wir tragen, ist Erinnerung, kein Besitz.)




Azrael wollte etwas erwidern – doch Talee hob die Hände.

Sie legte beide flach an die Brust,

atmete sichtbar aus,

ließ dann die Finger offen auseinanderlaufen.

Die Bewegung sagte: Lass los. Atme.


> Azrael: “You really expect me to strip down in the snow?”

(Ihr erwartet wirklich, dass ich mich im Schnee ausziehe?)




> Schnee-Elb: “Not for shame. For beginning.”

(Nicht aus Scham. Aus Anfang.)




Zwei Elbinnen traten heran.

Eine hielt neue Kleidung – Fell, Silberfäden, weich wie Atem.

Die andere trug Wasser in einer Steinschale.


Sie begannen mit Talee.

Sie lösten ihr Reisetuch, wuschen Hände und Stirn,

malten mit weißer Farbe Spiralen über Brust und Arme.

Talee schloss die Augen,

ihre Lippen bewegten sich wortlos,

nur die Hände antworteten dem Rhythmus.

Ich bin wieder Teil des Windes.


Dann war Azrael an der Reihe.

Sie zögerte.


> Azrael (Gedanke):

They’ll see the scars. They’ll think I’m ruined.

(Sie werden die Narben sehen. Sie werden denken, ich bin zerstört.)




Doch niemand sah sie mit Scham an.

Eine Elbin berührte die Fetzen ihres Kleides,

legte sie in den Schnee.

Ein junger Mann entzündete stilles Feuer – es brannte ohne Rauch,

nur ein leises Zischen, als würde Schnee selbst atmen.


> Schnee-Elb: “Old cloth remembers pain.

We send it to the wind.”

(Alte Stoffe erinnern sich an Schmerz. Wir schicken sie in den Wind.)




Azrael atmete aus.

Kälte schnitt, aber sie stand still.

Sie ließ die zerrissenen Stoffe fallen.

Talee blieb bei ihr, die Hände ruhig,

eine Geste zwischen Schutz und Ermutigung.


Die Elbin tauchte Finger in goldene

Farbe,

zog eine Linie über Azraels Stirn,

hinab über die Wange bis zur Narbe an der Schulter,

wo einst ein zweiter Flügel hätte wachsen sollen.


> Schnee-Elb (sanft): “Now you remember the sky, not the wound.”

(Jetzt erinnerst du dich an den Himmel, nicht an die Wunde.)




Die Farbe kühlte,

ließ ein Kribbeln zurück, das nach Leben schmeckte.


Neue Kleidung legte sich über ihre Haut – hell, schlicht,

nicht gemacht, um zu besitzen,

sondern um Teil des Atems zu sein.


Talee trat vor sie,

führte eine langsame Geste aus:

beide Hände öffnen sich,

die Finger zittern leicht,

dann sinken sie ineinander.

Das bedeutete: Willkommen, Schwester des Windes.


> Azrael (flüsternd): “I’ve never been anyone’s sister.”

(Ich war noch nie jemandes

Schwester.)




> Schnee-Elb: “Then begin here.” (Dann fang hier an.)




Hinter ihnen brannte das alte Kleid aus,

lautlos, ohne Asche.

Nur Licht blieb – ein kurzes, reines Aufleuchten im Schnee.


Tal


ee lächelte.

Azrael hob vorsichtig eine Hand,

tastete nach der Bewegung,

unsicher, aber ehrlich.

Zwei Gesten trafen sich in der Mitte.

Ein neuer Anfang.


Kapitel 6 – Der Schnee atmet

Die Nacht hing über Nehásh wie gläserner Atem.

Das Lager des Schnee-Stammes ruhte still in der Weite,

Zelte aus Fell und Eis, durch die ein schwaches, blaues Licht floss.


Talee schlief.

Ihre Hände ruhten auf dem Herzen,

Finger bewegten sich kaum merklich –

Daumen zur Brust, dann nach außen geöffnet.

In Sha-nú bedeutete das: Ich ruhe im Gleichgewicht.


Azrael saß vor dem Zelt,

den Blick auf den Schnee gerichtet,

der unter Mondlicht wie atmendes Wasser glänzte.

Ihr Kleid war einfach, grob gewebt,

die Haut an den Schultern noch wund von der Reise.


Ein Mann näherte sich lautlos.

Der Elb, den alle ehrfürchtig „Avaron“ nannten –

Anführer des Stammes, Lehrer der Zeichen.

Er setzte sich neben sie,

die Bewegungen langsam, um die Stille nicht zu zerreißen.


> Avaron: “You do not sleep.” (Du schläfst nicht.)

Azrael: “Too quiet.” (Zu still.)

Avaron (lächelnd): “Quiet is not emptiness. It is full of what you bring into it.”

(Stille ist keine Leere. Sie ist voll von dem, was du in sie trägst.)




Er schob eine Hand in den Schnee,

ließ die Kristalle über seine Finger laufen.


> Avaron: “You wish to learn our

way of speaking.”

(Du willst unsere Art zu sprechen lernen.)

Azrael: “If I am to travel with you… yes.

But I don’t know if I can.”

(Wenn ich mit euch reisen soll … ja.

Aber ich weiß nicht, ob ich es kann.)




> Avaron: “Every child here learns Sha-nú before breath.

You will, too. Not with words, with movement.”

(Jedes Kind lernt Sha-nú vor dem

Atem.

Du auch. Nicht mit Worten, mit Bewegung.)




Er hob die Hände.

Langsame, fließende Geste –

rechte Hand zur Stirn, dann zur Erde,

linke Hand folgt, öffnet sich wie eine Blüte.


> Avaron: “This means: I see you as part of the earth.”

(Das heißt: Ich sehe dich als Teil der Erde.)




Azrael beobachtete ihn.

Ihre Finger zuckten unruhig,

sie versuchte, die Bewegung nachzuahmen –

doch zu hart, zu eckig.


Avaron lächelte, schüttelte leicht den Kopf.


> Avaron: “You think too much.

Your mind fights your hands.”

(Du denkst zu viel.

Dein Geist kämpft gegen deine Hände.)




Sie wollte antworten –

doch plötzlich zog sich die Luft zusammen,

kühl, fast süß im Geschmack.

Ein Flimmern entstand über dem Schnee,

ein Schatten, der nicht warf, sondern atmete.


Hel.


Sie trat aus dem Licht wie aus Erinnerung.

Kein Körper, nur Konturen aus

Nebel und Glanz.

Niemand außer Azrael bemerkte sie;

Avaron sprach weiter, unberührt,

zeigte Formen, Linien, Rhythmus.


> Hel (in Azraels Geist): „He teaches you to speak with hands.

I will teach you to listen with silence.“

(Er lehrt dich, mit den Händen zu sprechen.

Ich lehre dich, mit Stille zu hören.)




Azrael hielt inne.


> Azrael (gedacht): I don’t understand you. (Ich verstehe dich nicht.)

Hel: „You don’t need to.

Understanding is not knowing, it’s remembering.“

(Du musst mich nicht verstehen.

Verstehen ist kein Wissen, es ist Erinnern.)




> Avaron: “Try again.” (Versuch es noch einmal.)




Sie tat es –

diesmal langsamer,

ließ den Atem führen, nicht den Verstand.

Ihre Hand folgte der Bewegung,

und der Schnee antwortete mit einem sanften Glühen.


Avaron nickte zufrieden.


> Avaron: “Good. The snow knows your name now.”

(Gut. Der Schnee kennt jetzt deinen Namen.)




Hel stand dicht hinter ihr,

ihre Stimme kaum mehr als ein Hauch in Azraels Gedanken.


> Hel: „Every gesture is a confession.

You will find Talee when your hands stop fearing meaning.“

(Jede Geste ist ein Geständnis.

Du wirst Talee finden, wenn deine Hände aufhören, Bedeutung zu fürchten.)




Der Wind zog durch das Lager,

ließ die Glut aufflackern.

Talee regte sich kurz im Schlaf,

murmelte, die Finger flossen in vertrauter Bewegung:

Weg, Wind, Heimkehr.


Azrael sah es,

spürte den Rhythmus,

versuchte, ihn in der Stille zu halten.


> Azrael (leise): “Maybe I can learn.” (Vielleicht kann ich lernen.)




> Hel: „You already are.“

(Das tust du bereits.)



Der Schnee schloss sich über den Spuren.

Nur Atem blieb,

und der leise Herzschlag des Landes unter ihnen.

Kapitel 7 – Die erste Geste

Der Schnee lag weich und kalt unter ihren nackten Füßen.

Das Eis brannte zuerst, dann wurde es warm – als hätte die Erde sie anerkannt.


Avaron stand im Kreisplatz, der Mantel aus Feenseide wehte leise im Wind.

Azrael gegenüber, barfuß, die Haut blass und rau von der Kälte.

Ihr schwarzer Flügel hing halb geöffnet, geschwärzt vom Rauch des Schiffes, das sie verloren hatte.


Talee war längst im Wald verschwunden. Nur ihre Spuren führten hinaus in das Weiß, das kein Ende kannte.


Avaron hob die rechte Hand.

Die Bewegung war ruhig, weich: flache Hand an die Brust, dann nach außen geöffnet,

die Finger gespreizt, als würde er etwas Unsichtbares in die Welt entlassen.


Avaron (englisch): “This means hello.” (Das heißt „Hallo“.)

Seine Stimme war leise, fast warm.

Avaron (englisch): “Not with words

— with breath.” (Nicht mit Worten – mit Atem.)


Er wiederholte die Geste.

Avaron (englisch): “When you touch your heart, you say: I am here.

When you open your hand, you say: I see you.”

(Wenn du dein Herz berührst, sagst du: „Ich bin hier.“

Wenn du deine Hand öffnest, sagst du: „Ich sehe dich.“)


Azrael runzelte die Stirn.

Azrael (englisch): “That’s all? Just moving your hand?” (Das ist alles? Nur die Hand bewegen?)


Avaron antwortete nicht.

Er tat es noch einmal – langsamer, tiefer. Sein Atem führte die Bewegung.


Hel flüsterte in ihrem Kopf:

„Er spricht mit der Luft. Du mit dem Widerstand.“


Azrael ahmte ihn nach.

Die Hand zu hart, der Atem zu kurz.

Die Bewegung brach mitten im Fluss.


Avaron trat näher, seine nackten Füße hinterließen kaum Spuren.

Er nahm ihre Hand, führte sie sanft:

von der Brust weg, durch den Atem, in den Raum zwischen ihnen.

Dann ließ er los.


DGS / Sha-nú: Rechte Hand zur Brust, ein Atem, dann öffnen,

Finger leicht gespreizt, Handfläche nach außen.

(Ich sehe dich. Ich bin hier.)


Azrael spürte, wie die Luft sich veränderte – nicht kalt, sondern lebendig.


Avaron (englisch): “Better.”

(Besser.)

Avaron (englisch): “You let the air move you now.” (Du lässt jetzt die Luft dich bewegen.)


Hel flüsterte:

„Fühl zuerst. Versteh später.“


Azrael schloss kurz die Augen.

Sie hob die Hand erneut, atmete tiefer, ließ den Schnee zwischen den Zehen knirschen.


DGS / Sha-nú: Flache Hand zur Brust, ausatmen, dann öffnen,

die Finger kreisen kurz in der Luft, lösen sich im Wind.

(Hallo. Ich erkenne dich.)


Avaron nickte leicht.

Avaron (englisch): “Now the snow hears you.” (Jetzt hört dich der Schnee.)


Ein Windzug strich über den Platz, hob die feinen Kristalle,

streifte ihren Flügel, ihre Haut, ihre Hände.


Weit draußen hob Talee den Kopf.

Der Wind wehte über ihr Gesicht,

trug eine Bewegung mit sich,


die kein Laut war –

und sie lächelte, als hätte jemand Hallo gesagt.

Kapitel 8 – Der Kreis des Atems

Der Morgen war still, nur das Knistern des gefrorenen Bodens brach die Luft.

Schnee lag wie feiner Staub auf der Haut, kalt und weich zugleich.

Azrael saß außerhalb des Zeltkreises, barfuß, die Knie angezogen.

Ihre Zehen waren taub, ihre Hände rot.

Das Gefühl der Erde unter ihr war für sie kein Trost – nur Schmerz.


Avaron kam lautlos über den Schnee.

Der Mantel aus Feenseide schimmerte mattblau, als würde er Wasser tragen.

Er sah sie lange an, ehe er sprach.


Avaron (englisch): “You still haven’t done your ancestor ritual.”

(Du hast dein Ahnenritual noch nicht gemacht.)


Azrael hob kaum den Blick.

Azrael (englisch): “I don’t have ancestors here.”

(Ich habe hier keine Ahnen.)


Avaron (englisch): “Everyone has the earth beneath them.”

(Jeder hat die Erde unter sich.)


Sie lachte kurz, bitter.

Azrael (englisch): “I’m not part of your soil, Avaron. I come from a world that burns its dead.”

(Ich gehöre nicht zu eurer Erde, Avaron. Ich komme aus einer Welt, die ihre Toten verbrennt.)


Er trat näher, barfuß wie sie.

Der Schnee schmolz kaum unter seinen Schritten.


Avaron (englisch): “Then you burn yourself every time you breathe.”

(Dann verbrennst du dich jedes

Mal, wenn du atmest.)


Er legte seinen Stab beiseite, kniete sich neben sie.

Avaron (englisch): “Do you feel nothing? The ground, the air, the cold?”

(Fühlst du nichts? Den Boden, die Luft, die Kälte?)


Azrael presste die Lippen zusammen.

Azrael (englisch): “I feel cold, Avaron. That’s all. And I don’t understand why you people want to feel it.”

(Ich fühle Kälte, Avaron. Mehr

nicht. Und ich verstehe nicht, warum ihr sie fühlen wollt.)


Avaron nahm eine Handvoll Schnee und legte sie in ihre Hand.

Der Schnee schmolz sofort, das Wasser rann über ihre Finger.

Er berührte mit seiner Hand ihre, nicht sanft, sondern fest.


Avaron (englisch): “Cold reminds you that you have skin. Pain reminds you that you still exist.”

(Kälte erinnert dich daran, dass du Haut hast. Schmerz daran, dass du noch da bist.)


Hel flüsterte in ihrem Kopf:

„Er redet mit der Erde. Du redest mit der Angst.“


Avaron richtete sich auf.

Avaron (englisch): “Stand up.” (Steh auf.)


Sie tat es widerwillig.

Der Wind zerrte an ihrem Haar, der Schnee biss in ihre Fußsohlen.

Avaron zeichnete mit dem Finger einen Kreis in den Schnee, groß genug für zwei.


Avaron (englisch): “Here, you will call them.” (Hier wirst du sie

rufen.)


Azrael (englisch): “Call who? There’s no one to answer.”

(Wen rufen? Es ist niemand da, der antwortet.)


Er blickte sie an, das eine Auge klar wie gefrorenes Wasser.

Avaron (englisch): “If you think that, they will never hear you.” (Wenn du das glaubst, werden sie dich nie hören.)


Er hob beide Hände.

DGS / Sha-nú: Hände zur Brust, tiefer Atem, dann öffnen sie sich

nach außen,

Finger zittern leicht, als ließen sie Rauch entweichen.

(Ich bitte um Wärme. Ich rufe meine Ahnen.)


Der Schnee im Kreis begann zu glimmen, nicht hell, aber lebendig.

Azrael sah zu, verstand nichts, spürte aber, wie der Boden vibrierte.


Azrael (englisch): “It’s just light. Tricks.” (Das ist nur Licht. Tricks.)


Avaron trat hinter sie, legte eine Hand auf ihre Schulter.

Avaron (englisch): “No tricks. Breathe with it. Let it hurt.” (Keine Tricks. Atme damit. Lass es weh tun.)


Sie zögerte, dann hob sie die Hand, unsicher.

Ihre Finger zitterten, der Atem war unruhig.


DGS / Sha-nú: Rechte Hand zur Brust, Ausatmen, dann öffnen, die Bewegung bricht ab.

(Ich… ich bin hier.)


Nichts geschah.


Hel flüsterte:

„Du hältst den Atem an, wenn du fühlen sollst.“


Azrael schloss die Augen, zwang sich zu atmen.

Der Wind legte sich.

Der Schnee unter ihren Füßen wurde warm.


DGS / Sha-nú: Flache Hand zur Brust, tief einatmen, dann öffnen,

eine Drehung der Finger, die Luft kreisend, sanft.

(Ich bin hier. Ich rufe dich.)


Etwas antwortete.

Ein Schimmer aus Licht und Schatten erschien über dem Kreis,

eine Silhouette – Hel.

Ihr Gesicht spiegelte Azraels eigenes wider, älter, stiller, mit denselben goldenen Augen.


Avaron trat zurück.

Er kniete nieder, als erkenne er etwas, das größer war als Worte.


Avaron (englisch, leise): “Your ancestor stands.” (Deine Ahnin steht.)


Hel neigte den Kopf, lächelte.

„Jetzt hörst du endlich.“


Azrael atmete unregelmäßig, der Schock mischte sich mit Angst.

Azrael (englisch): “She’s not… she’s me.” (Sie ist nicht… sie bin ich.)


Avaron (englisch): “She is what you will become, if you stop running.”

(Sie ist, was du wirst, wenn du aufhörst zu fliehen.)


Der Kreis begann sich aufzulösen, das Licht sank in den Boden zurück.

Hel verschwand.

Zurück blieb nur das Zittern des Atems in der kalten Luft.


Azrael sah auf ihre Hand.

Die Finger waren rot, der Schnee klebte daran.

Zum ersten Mal spürte sie nicht nur Kälte – sondern den Puls darunter.


Avaron (englisch): “Now the ground knows you.” (Jetzt kennt der Boden dich.)


Er reichte ihr einen dünnen Faden aus geflochtener Rinde.

Avaron (englisch): “Tie it around your wrist. It’s your bond to them.”

(Binde ihn um dein Handgelenk. Es ist dein Band zu ihnen.)


Sie tat es, mech


anisch.

Das Band war rau, aber warm.

Ein Kreis aus Atem, Haut und Schnee.


Hel flüsterte ein letztes Mal:

„Jetzt trägst du uns.“

Kapitel 9 – Der Klang des Wassers

Das Eis begann zu schmelzen, langsam, als würde die Welt wieder atmen.

Zwischen den Zelten sammelte sich Schmelzwasser, glasklar und still.

Talee kniete am Flussufer, Hände tief im Wasser, und sprach in Sha-nú –

die Bewegungen weich, präzise, beinahe wie Musik.


DGS / Sha-nú: Flache rechte Hand über das Herz, linke öffnet sich nach außen,

dann beide wellenförmig zum

Boden.

(Ich danke. Ich gehe. Ich komme wieder.)


Azrael stand ein Stück entfernt, barfuß im Schnee.

Das Wasser dampfte an ihren Füßen, aber sie spürte nur Kälte, kein Sinn darin.

Ihr Blick folgte Talee, ohne Verständnis.


Azrael (englisch): “She keeps moving her hands. What does it mean?”

(Sie bewegt ständig ihre Hände. Was bedeutet das?)


Avaron (englisch): “She speaks. The river listens.”

(Sie spricht. Der Fluss hört zu.)


Azrael (englisch): “The river? It’s water, not alive.”

(Der Fluss? Er ist Wasser, nicht lebendig.)


Avaron lächelte kaum sichtbar.

Seine Stimme war ruhig, alt.

Avaron (englisch): “Everything that moves can listen.”

(Alles, was sich bewegt, kann zuhören.)


Azrael sah ihn an, fassungslos, aber er meinte es ernst.


Talee drehte sich zu ihnen, Wasser tropfte aus ihren Haaren.

Sie gebärdete wieder, Hände klar, rhythmisch, voller Bedeutung.


DGS / Sha-nú: Hände öffnen sich, zeigen gen Süden, dann zur Brust, eine sanfte Drehung.

(Der Weg ruft. Wir folgen dem Fluss.)


Avaron blickte zu Azrael.

Avaron (englisch): “She says the current leads south.

We must go before the next frost.”

(Sie sagt, die Strömung führt nach Süden. Wir müssen gehen, bevor der nächste Frost kommt.)


Azrael (englisch): “You follow her just like that?”

(Du folgst ihr einfach so?)


Avaron (englisch): “Yes.” (Ja.)


Azrael (englisch): “Aren’t you the leader here?”

(Bist du nicht der Anführer hier?)


Er schüttelte den Kopf.

Avaron (englisch): “There are no

leaders. Only paths.”

(Es gibt keine Anführer. Nur Wege.)


Sie starrte ihn an, suchte nach Ironie, fand keine.

Azrael (englisch): “Then how do you keep order?”

(Wie haltet ihr Ordnung?)


Avaron (englisch): “We don’t. We keep balance.”

(Wir halten keine Ordnung. Wir halten Gleichgewicht.)


Azrael schwieg. Das Konzept war ihr fremd.

In Luzifers Reich bedeutete Macht

Struktur, Struktur Sicherheit.

Hier gab es nichts davon – und trotzdem brach nichts zusammen.


Talee kam näher, ihr Gesicht ruhig, Augen voller Licht.

Sie berührte Azraels Arm, sanft, nicht als Befehl.


DGS / Sha-nú: Rechte Hand auf Azraels Schulter, linke gleitet nach vorn,

die Finger öffnen sich in einer fließenden Bewegung.

(Komm mit. Es ist Zeit.)


Azrael wich unwillkürlich zurück.

Azrael (englisch): “She’s asking again. You have to tell me what she wants.”

(Sie fragt schon wieder. Du musst mir sagen, was sie will.)


Avaron (englisch): “She doesn’t want. She invites.”

(Sie will nichts. Sie lädt ein.)


Hel flüsterte in ihrem Kopf:

„Du hörst Worte, wo nur Hände sprechen.“


Azrael presste die Lippen zusammen.

Azrael (englisch): “I don’t…

understand this place.

No leaders, no possessions, no reason.”

(Ich verstehe diesen Ort nicht. Keine Anführer, kein Besitz, kein Sinn.)


Avaron (englisch): “Reason belongs to those who fear silence.”

(Vernunft gehört denen, die Stille fürchten.)


Er kniete sich nieder und legte seine Hand in das Wasser.

DGS / Sha-nú: Flache Hand auf Wasseroberfläche, Finger gespreizt, dann nach oben ziehend.

(Ich höre dich, Wasser. Zeig uns den Weg.)


Das Wasser leuchtete schwach auf, floss südwärts,

und Talee lächelte, als hätte sie eine Antwort gehört.


Azrael (englisch): “It’s just light. A reflection.”

(Das ist nur Licht. Eine Spiegelung.)


Avaron (englisch): “Maybe. Maybe a voice.”

(Vielleicht. Vielleicht auch eine Stimme.)


Sie verstand nicht, wie jemand ohne Beweis glauben konnte.

Aber sie sah Talee an – die Art, wie sie dem Fluss folgte,

nicht mit Furcht, sondern Vertrauen.


Azrael (englisch, leise): “She really believes it speaks to her.”

(Sie glaubt wirklich, dass es mit ihr spricht.)


Avaron (englisch): “She doesn’t believe. She knows.”

(Sie glaubt nicht. Sie weiß es.)


Azrael wollte widersprechen, doch

die Worte blieben stecken.

Sie sah den Fluss, das Eis, den Atem der Welt –

und für einen Augenblick hörte sie wirklich etwas. Kein Wort. Kein Klang. Nur … Nähe.


Talee blickte zu ihr und machte eine einfache Geste.


DGS / Sha-nú: Beide Hände an die Brust, dann öffnen, die Finger zittern kurz.

(Ich bin froh, dass du hier bist.)


Avaron übersetzte leise.

Avaron (englisch): “She says she’s

glad you’re here.”

(Sie sagt, sie ist froh, dass du da bist.)


Azrael schwieg. Sie verstand die Bewegung nicht,

aber sie spürte, dass sie ihr galt.


Hel flüsterte:

„Du lernst nicht, zu sprechen. Du lernst, zu hören.“


Azrael atmete tief.

Der Wind kam jetzt von Süden, warm und salzig.

Talee machte eine letzte Geste zum Fluss.


DGS / Sha-nú: Beide Hände öffnen sich, Handflächen nach vorne, dann schließen sie sich.

(Wir gehen.)


Avaron (englisch): “She says it’s time.” (Sie sagt, es ist Zeit.)


Sie traten in das Wasser, barfuß, nebeneinander.

Avaron vorn, Talee hinter ihm, Azrael zu


letzt.

Keiner sprach mehr. Nur das Wasser erzählte weiter.


Und Azrael, die alles verstehen wollte,

hörte zum ersten Mal, ohne zu begreifen.

Kapitel 10 – Die zweite Niederlage

Der Nebel war bleigrau,

so dicht, dass das Meer kaum atmete.

Fünfzig Schiffe der Heiligen Flotte trieben dahin,

die Flaggen Jehovas hingen nass und schwer im Wind.

Unter Deck murmelten Männer Gebete,

über Deck stand Adam,

das Gesicht unbewegt,

die Hände auf dem Geländer.


Das Meer war ruhig.

Zu ruhig.


> „Dominus vult ordinem.“ (Der Herr will Ordnung.)




Die Worte kamen leise, fast wie ein Zitat.

Niemand hörte sie, oder niemand wagte zu reagieren.


Dann flackerte Licht unter der Wasseroberfläche.

Rot.

Pulsierend.

Kreisende Runen aus Blut.


Ein dumpfer Schlag –

das erste Schiff zerbarst,

ein zweites kippte, Flammen stiegen auf.

Der Schock ging durch die ganze Linie.


Adam blinzelte nicht.

Er sah, wie Männer über Bord sprangen,

hörte ihre Schreie –

doch sein Blick blieb auf dem Horizont.


> „Iterum.“ (Schon wieder.)

„Secunda clades.“ (Die zweite Niederlage.)




Er drehte sich zu seinem Ersten Offizier.


> „Præpara naves ad reditum.“ (Bereitet die Schiffe zur Rückkehr vor.)

„Deus scire debet.“ (Gott muss es erfahren.)




„Aber, Herr—“


Adam unterbrach ihn.

Ein kaltes, unpersönliches Zucken in den Augen.


> „Mortui sunt. Non amplius serviunt.“ (Sie sind tot. Sie dienen nicht mehr.)




Draußen bebte das Meer.

Orks tauchten aus dem Nebel,

ihre Haut von glühenden Runen überzogen.

Ihre Stimmen rollten wie Donner über das Wasser.


> “Thra vokh!” (Blut und Sturm!)




Runenbomben flogen,

das Meer brannte.

Die Flotte zerbrach wie Glas.


Adam trat ins Steuerhaus,

gab die Befehle ruhig,

ohne Eile, ohne Zorn.


> „Convertere proram. Occidimus.“ (Wendet den Bug. Wir sterben.)




Das Flaggschiff wendete.

Hinter ihm versanken Männer, Schiffe, Gebete.

Er sah nicht zurück.


Das Meer färbte sich rot,

der Himmel schwarz.

Er atmete einmal tief,

flach, wie jemand, der weiß, dass er allein übrig bleibt.


> „Secunda clades.“ (Die zweite Niederlage.)

„Sed non mea.“ (Doch nicht meine.)




Er sah nach Osten,

wo hinter dem Nebel das Reich seines Vaters lag.


> „Deus sciet… et judicabit.“ (Gott wird es wissen… und richten.)




Das Schiff trieb davon,

der


Rauch im Wind,

und Adam stand still,

als wäre er aus Stein.


Hinter ihm erlosch das letzte Feuer.


Kapitel 11 – Fatum Mulieris

Der Palast von Velramis war still wie ein Grab.

Nur das Surren der Lichtmaschinen vibrierte in den Säulen.

Das Gold war matt geworden, das Weiß der Mauern krank vor Glanz.

Kein Gebet erklang. Kein Gesang. Nur Schritte.


Adam ging über den Marmor, gleichmäßig, gepflegt, ein Soldat aus Glas.

Sein Mantel war makellos, seine Stiefel spiegelten die Halle.

Keine Schramme, kein Blut – er

hatte befohlen, nicht gekämpft.

Das war die Ordnung des Reiches: Reinheit statt Mut.


Vor ihm stand der Thron, leer und doch schwer von Gegenwart.

Licht strömte aus der Leere über dem Sitz – das war Gott.

Er sprach nicht. Er musste nicht sprechen.

Sein Schweigen war Gesetz.


An seiner Seite wartete Metatron, in makelloser Robe,

Feder in der Hand, Augen so still, dass sie schnitten.


Adam trat näher, die Hacken zusammen.


> Adam: „Secunda clades, Metatron. Exercitus fractus est.“

(Zweite Niederlage, Metatron. Das Heer ist zerbrochen.)




Metatron hob kurz den Kopf, keine Überraschung, kein Zorn.

Nur das Klicken der Feder auf Stein.


> Metatron: „Ratio?“ (Grund?)

Adam: „Orci runas habent.

Disciplinam nostram irriserunt.“

(Die Orks besitzen Runen. Sie verspotteten unsere Disziplin.)

„Fidem populi labefactam video.“

(Ich sehe, dass der Glaube des Volkes erschüttert ist.)




Ein kaltes Lächeln schnitt über Metatrons Gesicht.

Er ging langsam um Adam herum, prüfend, als wäre er ein Werkzeug, das man inspiziert.


> Metatron: „Non arma defecerunt. Fides defecit.“

(Nicht die Waffen haben versagt. Der Glaube hat versagt.)

„Et unde nascitur fides?“

(Und woher kommt der Glaube?)




Adam schwieg.

Er wusste, was folgen würde.

Metatron sah zum leeren Thron hinauf, dann sprach er – laut, klar, für alle Schreiber ringsum.


> Metatron: „Femina radix est corruptionis.

Dubium intrat per linguam eius, peccatum per ventrem.

Si vir regit, ordo stat. Si mulier loquitur, ordo corruit.“

(Die Frau ist die Wurzel der Verderbnis.

Der Zweifel kommt durch ihre Zunge, die Sünde durch ihren Schoß.

Wenn der Mann herrscht, besteht Ordnung. Wenn die Frau spricht, zerfällt sie.)




Die Schreiber hielten den Atem an.

Dann begannen sie zu schreiben.


Adam blieb still.

Metatron drehte sich zu ihm.


> Metatron: „Redibis ad populos. Dic eis:

Secunda clades venit a feminis.

Nova lex nascitur: Lex Puritatis.“

(Du wirst zu den Völkern gehen. Sag ihnen:

Die zweite Niederlage kam durch die Frauen.

Ein neues Gesetz entsteht: das Gesetz der Reinheit.)




Adam nickte. Langsam, mechanisch.

Er verstand die Worte, nicht den

Sinn.

Doch das reichte. Verstehen war gefährlich.


> Adam: „Praedicabo.“ (Ich werde predigen.)




Metatron wandte sich an die Schreiber:


> Metatron: „Monasteria servantur.

Mulier, si tacet, vivet.

Si non tacet, comburetur.“

(Die Klöster bleiben verschont.

Eine Frau, die schweigt, wird leben.

Eine, die nicht schweigt, wird verbrannt.)




Das Licht über dem Thron flackerte einmal –

nicht Zustimmung, nicht Widerspruch.

Nur Existenz.


Adam trat zurück.

Die Schreiber ritzten.

Worte verwandelten sich in Stein, Stein in Gesetz, Gesetz in Macht.


Draußen, unter den vergoldeten

Kuppeln,

ließen Boten die ersten Flugblätter drucken.

Ein Satz stand darauf, in makellosem Latein:


„Femina est causa cladis. Vir est ordo Dei.“

(Die Frau ist die Urache der Niederlage. Der Mann ist Gottes Ordnung.)


Die Glocken läuteten.

Und Velramis begann zu glauben.


Kapitel 12 – Die Stimme des Windes

Der Himmel über Ahnamara war grau wie Blei.

Die Luft schmeckte nach Asche, der Schnee nach Metall.

In den Tälern brannten keine Feuer mehr — nur Rauch.


Jehova stand auf einem Felsen über dem Fjord.

Sein Körper war keine Gestalt mehr, nur Licht, zu hell zum Sehen.

Er sprach nicht zu den Menschen.

Er war das Gesetz.


Als er den Atem anhielt, hielt der

Wind selbst den Atem an.

Dann breitete er die Arme aus.


Ein Donner ging durch das Land, ohne Klang,

ein Druck, der Mauern zerbrach und Bäume spaltete.

Die Dörfer an der Küste verdampften, als hätten sie nie existiert.

Kein Blut, kein Schrei, nur das Verschwinden.


Aus dem Wind fielen Blätter aus dünnem, leuchtendem Pergament.

Sie glitten über das verbrannte Land,

schlugen gegen Türen, legten sich auf Schnee,

auf die Körper der Toten, auf das Wasser, das noch dampfte.


Die Schrift darauf war altnordisch,

rauh, runenhaft, in das göttliche Licht gebrannt.


> „Kvenn er veik. Hugr hennar er stormr.“

(Die Frau ist schwach. Ihr Geist ist ein Sturm.)


„Maðr skal ráða. Kvenn skal þegja.“

(Der Mann soll herrschen. Die Frau soll schweigen.)


„Þann sem brýtur lög, eldrinn gleypir.“

(Wer das Gesetz bricht, den verschlingt das Feuer.)




Die Blätter trugen den Geruch von Weihrauch und Eisen.

Wo sie den Boden berührten, wuchs kein Gras mehr.


Jehova sah hinab auf die Stille, die er geschaffen hatte.

Für ihn war das keine Zerstörung, sondern Reinigung.

Ordnung.


Ein letzter Windstoß ging über das Land —

und die Flugblätter trugen seine Worte bis zu den Bergen von Ahnamara.



---


Einige Monate später


In den Hallen der Runenpriester flackerte Feuer über kalten Steinen.

Männer aus Ahnamara — Schmiede, Krieger, verarmte Händler —

hatten sich versammelt.


Ihre Augen waren leer, der Stolz gebrochen,

aber sie trugen die Flugblätter in ihren Händen,

sorgsam gefaltet, als wären es heilige Schriften.


> Erster Krieger: „Þessi Guð talar vald.

Hann brennir óvini sína, gefur sigur þeim er hlýðir.“

(Dieser Gott spricht Macht.

Er verbrennt seine Feinde und gibt Sieg dem, der gehorcht.)


Zweiter: „Við fylgjum honum.

Ekki fyrir trú, heldur lif.“

(Wir folgen ihm.

Nicht aus Glauben, sondern um zu leben.)




Sie nannten sich Söhne des Feuers,

und in ihren Runen ritzten sie den Namen eines Gottes,

den sie nicht verstanden,

aber dessen Gewalt sie ehrten.


Im Norden zog der Wind weiter.

Die Flugblätter


tanzten über das Eis,

und wo sie liegen blieben,

begann die Erde zu sterben.


Kapitel 13 – Feuer und Blut

Der Himmel über Velramis stand still,

weiß und leer wie ein gebleichter Knochen.

Unter ihm marschierten Männer,

Söldner aus Ahnamara,

ihre Gesichter vernarbt,

die Rüstungen zerschlagen,

doch in ihren Augen brannte Hunger –

Hunger nach Ordnung.


Vor dem Altar aus Marmor

stand Jehova.

Kein Gesicht, kein Körper.

Nur ein Licht, das alles sah

und nichts erklärte.


Daneben kniete die Valkyrie,

sein Werkzeug, seine Stimme.

Ihr Körper war mit einem dünnen, weißen Tuch bedeckt,

auf der Schulter das Brandzeichen – ein Kreis aus Feuer,

das Fleisch schwarz umrandet.

Sie atmete flach,

die Kette an ihrem Hals zog sich mit jedem Atemzug.

Dann hob sie den Kopf

und sprach in der Sprache der Fremden.


> „Hann sér yður.“

(Er sieht euch.)


„Þér hafið enga húsbónda.“

(Ihr habt keinen Herrn.)


„Guð gefr skipan.“

(Gott gibt Ordnung.)


„Þjónið – og þér munuð lifa.“

(Dient – und ihr werdet leben.)




Die Männer schwiegen.

Der Wind hielt den Atem an.

Dann trat einer vor,

die Narbe über seinem Auge wie eine Linie aus Eis.


> „Við þjónum eldinum, ef hann nærir oss.“

(Wir dienen dem Feuer, wenn es uns nährt.)




Die Valkyrie nickte.

Das Licht Jehovas flackerte,

ein Atemzug ohne Laut.

Staub stieg auf,

und jeder Mann spürte Hitze an der Stirn,

ein Brennen, das kein Schmerz war,

sondern Gehorsam.


Sie sprach weiter, die Stimme brüchig,

doch fest in der Form:


> „Guð merkir yður með ljósi.“

(Gott zeichnet euch mit Licht.)


„Þér eruð eldr hans nú.“

(Ihr seid jetzt sein Feuer.)




Da riefen die Männer im Chor,

rau, tief, uralt:


> „Fyrir Guð! Fyrir vald!“

(Für Gott! Für Macht!)




Der Platz bebte.

Das Licht Jehovas weitete sich,

erfüllte den Hof,

ließ Schatten und Zweifel verbrennen.

Die Valkyrie sank auf die Knie,

das Brandzeichen glühte wieder auf,

und sie schwieg.


So begann das Heer des Lich


ts,

geboren aus Hunger,

genährt von Furcht,

geführt von einem Gott, der nie sprach.


Kapitel 14 – Das Flüstern der Flügel

Der Regen fiel wie Asche vom Himmel.

Graue Straßen, graue Gesichter.

Über den Türen prangte das Zeichen des Herrn: ein weißes Kreuz im Kreis,

darunter der Schriftzug: “Obedientia est vita.”

(Gehorsam ist Leben.)


Liora zog ihren Mantel enger.

Der Stoff war dünn, von Ruß durchzogen.

In der Innenseite, verborgen in einer Naht,

lag das verbotene Symbol —

drei gebogene Linien, die eine Mondsichel bildeten: Liliths Zeichen.

Nur wenige kannten es.

Wer damit erwischt wurde,

verschwand.


Seit Jahren durfte sie nicht mehr lernen.

Frauen durften nicht lesen,

nicht schreiben,

nicht sprechen in der Öffentlichkeit.

Aber sie hörten.

Und sie erinnerten sich.


Heute flüsterte die Stadt.

Überall dieselben Worte:


> “Valkyries. From the North.”

(Valkyrien. Aus dem Norden.)


“They came through the sea.”

(Sie kamen über das Meer.)


“Women with blades, they fight the Angels.”

(Frauen mit Schwertern, sie kämpfen gegen die Engel.)




Liora blieb stehen.

Ein Tropfen fiel von ihrem Mantel.

Der Gedanke brannte in ihr wie Feuer.

Kriegerinnen.

Frei.

Ungehorsam.

Echt.


Sie wandte sich an das alte Fabriktor.

Dahinter husteten Männer, Dampf zischte.

Sie griff nach der Wand,

die Hände rußig,

und zeichnete heimlich das Symbol Liliths in den Staub.

Ein Atemzug, kaum sichtbar.


> “If they fight, they live.”

(Wenn sie kämpfen, leben sie.)


“If I stay, I rot.”

(Wenn ich bleibe, verrotte ich.)




Sie sah nach Westen,

wo die Sonne in Rauch versank,

und schwor leise, dass sie sie finden würde


die Frauen mit den Flügeln,

die Gottes Licht zerschnitten.

Kapitel 15 – Die Trauer des Lichts

Es war still über den Türmen von Lux Aeterna.

Nur der Wind bewegte sich – schwer, wie aus Eisen gegossen.


Luzifer stand allein im Observatorium.

Vor ihm schwebte das Bild eines Signals –

eine schwache, abreißende Tonfolge,

aufgezeichnet vor drei Tagen im Eorchet-Meer.

Das letzte Lebenszeichen der Astra Nova.


> “Transmission ended. Coordinates lost.”

(Übertragung beendet. Koordinaten verloren.)




Er hörte die Stimme der Maschine,

doch sie klang, als käme sie von weit jenseits der Zeit.

Seine Hände ruhten auf dem Tisch.

Kein Beben, kein Wort.

Nur das Zittern der Flamme in der Lampe.


Lilith trat leise ein.

Kein Schmuck, kein Gold – nur ein schwarzes Tuch um die Schultern.

Sie blieb hinter ihm stehen,

blickte auf die stillen Apparaturen,

auf den Code, der über die Kristalltafeln lief.


> “No survivors?”

(Keine Überlebenden?)




Luzifer schüttelte den Kopf.

Langsam, als wäre selbst die Bewegung eine Bürde.


> “The sea took them.”

(Das Meer hat sie genommen.)


“Or God did.”

(Oder Gott.)




Lilith schloss die Augen.

Ein Atemzug, leise wie Asche.


> “Azrael was not just ours.”

(Azrael war nicht nur unsere.)


“She was every daughter who dared to question.”

(Sie war jede Tochter, die zu fragen wagte.)




Luzifer wandte sich ab.

Das Licht der Stadt fiel auf sein Gesicht,

und für einen Moment sah er müde aus – älter als jede Zeit.


> “If he burns them for asking,” sagte er leise,

(Wenn er sie verbrennt, weil sie fragen,)


“then we will build a world where questions are sacred.”

(dann bauen wir eine Welt, in der

Fragen heilig sind.)




Lilith trat zu ihm,

legte ihre Hand über seine –

die Geste war nicht tröstend,

sie war ein Schwur.


> “We protect the daughters,” flüsterte sie.

(Wir schützen die Töchter.)


“All of them.”

(Alle von ihnen.)




Ein Blitz erhellte den Himmel.

Draußen setzten sich die ersten Maschinen in Bewegung –

nicht als Angriff, sondern als Zeichen.

Auf den Dächern entzündeten sich Feuerzeichen,

in der Luft schwebten Sigillen aus Licht: Aurum Pactum –

das Goldene Versprechen.


Ein Schwur, kein Befehl.

Aus Trauer geboren, aus Liebe gewoben.


> “Let him keep his heaven,” sagte

Luzifer.

(Er mag seinen Himmel behalten.)


“We will guard the earth.”

(Wir werden die Erde hüten.)




Der Sturm nahm zu.

Luzifers


Augen spiegelten das Meer.

Kein Zorn. Kein Feuer.

Nur Trauer.

Und der Anfang eines neuen Krieges.

Kapitel 16 – Der Ruf der Walküre

Der Wind roch nach Eisen.

Über den Hallen von Fjornhall wehten keine Banner der Runen mehr, sondern weiße Tücher mit goldenen Kreuzen.

Die Männer sangen, als hätten sie nie Blut vergossen, als wäre das Schwert ein Werkzeug des Bösen.

Ihre Stimmen klangen fremd – glatt, leer, ohne Atem der Erde.


> „Dominus regnat,“ hallte es über den Platz.

(Der Herr herrscht.)




Viktoria stand am Rand der Menge, die Hand auf der Klinge.

Ihr Blick glitt über Gesichter, die sie kannte.

Krieger, die einst mit ihr stürmten, sprachen nun Worte, die aus einem anderen Reich stammten.


Ein alter Mann, Runen einst über den ganzen Arm, hielt jetzt ein Kreuz aus geschmiedetem Silber.

Sein Sohn kniete daneben.

Beide murmelten dieselben Verse.


> „Frelsun,“ sagte der Alte.

(Erlösung.)




Viktoria trat vor, die Rüstung von Frost überzogen.

„Þið sárir jörðina með orðum hans,“ sagte sie.

(Ihr verletzt die Erde mit seinen Worten.)


Niemand antwortete.

Einige mieden ihren Blick, andere lächelten mild – so, wie man ein Kind ansieht, das noch nicht begriffen hat.


Sie spürte, wie ihr Herz schneller schlug.

Das Meer rauschte hinter dem Fjord, als würde es zuhören.


„Ef þeir trúa að guð þeirra frelsi þá mun ég sýna þeim stríð,“ flüsterte sie.

(Wenn sie glauben, ihr Gott erlöse sie, dann werde ich ihnen Krieg zeigen.)


Sie wandte sich ab, ging durch den Schnee zu den Klippen.

Unter ihr tobten die Wellen – grau, schwer, lebendig.

Das Meer antwortete mit Schaum,

der in ihrem Atem gefror.


Sie kniete nieder, ritzte mit der Klinge ein Zeichen in den Fels:

ᛏ – Tiwaz, die Rune des Krieges.

Das Wasser leckte darüber, als schwöre es.


> „Við förum til Normandíu,“ sagte sie leise.

(Wir ziehen nach Normandie.)




Nicht als Bittstellerin.

Nicht als Gläubige.

Als Walküre.

Als Erinnerung d


aran, dass kein Gott über den Weg der Erde befiehlt.

Kapitel 17 – Das Lied aus Stahl

Der Schnee fiel in breiten, schweren Flocken über Fjornhall.

Er bedeckte Runensteine, gefrorenes Blut, alte Schiffe, die schon tausend Male in den Krieg gezogen waren.

Zwischen den Hallen brannten Feuer, und in ihrem Licht standen sie: die Schildmaiden.


Keine Gebete. Keine Männer.

Nur Frauen, Stahl und Atem.


Ihre Panzer glänzten matt, überzogen mit Ruß und Frost.

Runen aus Blut waren auf ihre Haut gemalt – Schutz, Zorn, Erinnerung.

Die Luft roch nach Eisen und Rauch, nach Sturm, der kommen wollte.


Viktoria trat zwischen sie, ohne Helm, das Haar geflochten, Augen hell wie gefrorenes Meer.

Das Schwert an ihrer Seite war älter als viele Reiche.

Die Klinge hatte gebrannt in Valgrun, geblutet in Ahnamara, geschrien in Nehásh.


> „Systr mínar,“ sagte sie.

(Meine Schwestern.)




Der Wind trug die Worte über das Lager.

Niemand sprach, doch alle hörten.


> „Menn hafa fallið fyrir nýjum guði,“ fuhr sie fort.

(Männer sind vor einem neuen Gott gefallen.)

„Þeir sverja honum, sem aldrei hefur blætt.“

(Sie schwören einem, der nie geblutet hat.)




Ein dumpfes Murmeln, tief wie Donner, lief durch die Reihen.

Jede Frau hatte jemand verloren – Bruder, Sohn, Geliebte – an diesen falschen Glauben.


> „Við sverjum ekki blóðlausan himin,“ rief Viktoria.

(Wir schwören keinem blutlosen Himmel.)

„Við sverjum eldinn, hafið, jörðina sjálfa.“

(Wir schwören dem Feuer, dem Meer, der Erde selbst.)




Da antworteten sie.

Nicht mit Worten, sondern mit Klang – Speerspitzen schlugen gegen Schilde, ein Rhythmus wie Herzschläge aus Eisen.

Dum. Dum. Dum.

Die Erde vibrierte.

Der Schnee schmolz um ihre Füße, weil ihre Körper heiß waren vom Feuer des Zorns.


Hinter ihnen loderten die Schiffe, als Zeichen.

Die Flammen leckten über den Rumpf, ohne ihn zu verbrennen – geweiht durch Runen, die in Salz

und Blut geritzt waren.


Die Schildmaiden sangen.

Kein Lied der Trauer, sondern ein Kampfruf, alt wie der Sturm.

Ein Chor von Stimmen, roh und mächtig:


> „Blóð ok bróðir! Eldr ok æra!“

(Blut und Bruder! Feuer und Ehre!)




Ihre Stimmen trafen auf das Meer, und das Meer antwortete.

Die Wellen stiegen, weiß, wie Riesen, die sich erheben.

Gischt peitschte über die Klippen.

Viktoria lächelte.


Sie hob das Schwert, zeigte gen Westen.

„Þar liggur Normandía,“ sagte sie.

(Dort liegt Normandie.)


Ein kollektiver Atem, heiß und kalt zugleich, durchzuckte die Reihen.

Sie stiegen an Bord.

Die Schiffe glitten ins Wasser, begleitet vom Klang der Trommeln.

Fackeln spiegelten sich in den Augen der Frauen.


Das Meer nahm sie auf, und es war,

als lauschte selbst der Himmel.


> „Við erum stormurinn,“ flüsterte Viktoria, als die Segel sich spannten.

(Wir sind der Sturm.)




Und als die Schiffe sich vom Land lösten, sah man auf den Klippen die brennenden Runen im Schnee:

ᛏ – Sieg.

ᛃ – Freiheit.

ᚦ – Schutz.


Der Himmel flammte in grünem

Licht, a


ls hätte der Norden selbst ihren Schwur gehört.

Und das Meer antwortete mit Donner.


Kapitel 18 – Winter ohne Sprache

Der Schnee fiel nicht mehr.

Er hing in der Luft wie Staub, schwer, grau.

Der Wind roch nach Metall und kaltem Rauch.


Viktoria stapfte durch das tote Land.

Ihre Stiefel knirschten über gefrorene Erde,

ihre Hand lag am Schwert, das stumpf geworden war.

Von zehntausend Kriegerinnen blieben fünftausend.

Der Rest – Schnee, Meer, Feuer.


Sie dachte nicht darüber nach.

Sie zählte nur, wie viele noch gehen konnten.


Am Rand eines zerstörten Dorfes sah sie Bewegung.

Eine Scheune, halb eingestürzt, Rauch aus einem Loch im Dach.

Lebende.


Viktoria hob die Hand, gab ein kurzes Zeichen.

Drei Walküren lösten sich aus der Reihe, folgten ihr.

Die übrigen warteten, Waffen griffbereit.


Zwischen Trümmern hockten Frauen.

Zerlumpt, eingefallen, barfuß im Schnee.

Vielleicht hundert, vielleicht mehr.

Sie hatten ein Feuer aus Abfall gemacht.

Einer hielt ein Kind, ein anderer starrte in den Boden, als hätte er ihn vergessen.


Viktoria blieb stehen.

Ihre Begleiterinnen musterten die Gruppe – nicht mit Hass, nur mit der kalten Routine von Überlebenden.

Eine Frau richtete sich auf.

Liora.

Das Gesicht ausgehöhlt vom Hunger, die Lippen aufgesprungen.

Sie sprach etwas – schnell, gebrochen, eine Sprache, die Viktoria nicht verstand.

Englisch, vielleicht.

Es klang wie ein Gebet und eine Warnung zugleich.


Viktoria antwortete nicht.

Sie winkte eine der Walküren heran.

Diese warf einen Sack auf den Boden – getrocknetes Fleisch, Brot, ein Krug Wasser.

Die Frauen zögerten, dann griffen sie zu.

Kein Dank, kein Blick nach oben. Nur das Geräusch von Zähnen und Atem.


Viktoria beobachtete sie.

Sie sah die Brandnarben auf ihren Händen, den Schmutz, die Zitterbewegungen.

Sie kannte den Blick: Menschen, die zu lange Hunger gekannt hatten, um noch zu fragen, warum jemand hilft.


Ihre Kriegerinnen warteten.

Eine sagte etwas auf Altnordisch,

leise,

fragte, ob sie sie mitnehmen sollten.


Viktoria schüttelte den Kopf.

„Nei. Þær verða eftir.“

(Nein. Sie bleiben hier.)


Sie wusste, dass sie ihre Armee nicht ernähren konnte, wenn sie noch mehr Münder aufnahm.

Aber Winter war Winter, und selbst Stolz fror irgendwann ein.


Sie ließ Holz bringen, ein paar Decken, eine alte Pfanne.

Dann drehte sie sich um.

Die Frauen sahen ihr nach, als sie ging – nicht hoffnungsvoll, nur leer.


Liora stand noch immer am Feuer.

Sie wusste, wer diese Kriegerinnen waren.

Valküren.

Die Legenden der alten Welt, die Männer erschlugen und den Himmel herausforderten.


Und jetzt hatten sie Brot gebracht.

Ein Rest Gnade, mitten im Tod.


Als Viktoria verschwand, sank Liora in den Schnee.

Das Brot war hart, das Feuer klein,

aber für eine Nacht brannte es.


Über allem lag der Winter.

Kein Krieg, kein Frieden –

nur der Atem derer, die zu schwa


ch waren, um weiterzuziehen,

und derer, die zu stolz waren, um aufzugeben.


Kapitel 19 – Das Papier im Schnee

Der Morgen kam ohne Licht.

Nur Wind.

Er wehte den Schnee in langen Strähnen über das leere Feld,

als wolle er alles verschleiern, was in der Nacht geschehen war.


Viktoria ging an der Spitze ihrer Walküren.

Ihre Schritte waren schwer, das Eis knackte unter den Sohlen,

die Mäntel starr vor Frost.

Sie dachten nicht an Ruhm. Nur an Wärme, an Essen, an ein Ziel.


Dann hörte sie den Ruf.

Ein Laut, zu dünn für eine Waffe, zu hell für Gefahr.

Sie drehte sich um.


Liora kam durch den Schnee gerannt.

Barfuß, der Mantel offen, gefolgt von einer Handvoll Frauen.

Ihre Gesichter waren bleich, die Hände rot vom Frost.


Die Walküren richteten die Speere,

doch Viktoria hob die Hand – Halt.


Liora blieb stehen, keuchte.

Sie sprach etwas – schnell, fremd.

Worte, die Viktor­ia nicht verstand, aber deren Ton sie erkannte:

Bitte, Zorn, Hoffnung, alles zugleich.


Dann griff Liora in ihre Jacke, zog ein zusammengefaltetes Blatt hervor.

Das Papier war zerknittert, schmutzig, halb zerrissen.

Sie hielt es hin.


Viktoria nahm es vorsichtig, sah darauf.

Lateinische Buchstaben.

Sie konnte sie lesen – mühsam, aber genug.


> "Mulier taceat in ecclesia..."

„Die Frau schweige in der Kirche.“

„Der Mann herrscht, wie der Herr über die Welt herrscht.“




Darunter das Siegel Jehovas.


Ein Flugblatt.

Eines von jenen, die der Wind in Ahnamara verstreut hatte,

nach den letzten Angriffen.

Propaganda.

Worte, die brannten.


Viktoria starrte darauf.

Ihre Finger zuckten.

Dann sah sie Liora an.


Die Frau deutete auf das Blatt,

sprach wieder, diesmal langsamer,

ihre Stimme schwankte,

aber das Feuer in ihren Augen war klar.


Viktoria verstand kein Wort –

doch sie verstand den Ausdruck.

Wut.

Verachtung.

Erinnerung.


Sie blickte wieder auf das Papier,

dann riss sie es entzwei.

Ein kurzer Laut.

Das Rascheln, das wie ein Schnitt klang.

Die Stücke fielen in den Schnee,

verschwanden in der weißen Kälte.


Liora hielt den Atem an.

Dann nickte sie.


Viktoria sagte leise, fast an sich selbst:


> „Þetta er lygi.“

(Das ist eine Lüge.)




Liora verstand den Klang nicht,

aber sie verstand den Blick.


Viktoria wandte sich ab,

gab ein Zeichen.

Die Walküren rückten auseinander,

ließen die Frauen in ihre Reihen.


Nicht als Soldatinnen.

Nicht als Gäste.

Einfach als Menschen, die in dieselbe Richtung gingen.


Der Schnee fiel dichter,

der Wind trug die Reste des zerrissenen Flugblatts davon.


Hinter ihnen brannte


das Feuer in der Scheune aus.

Vor ihnen lag nur das Grau der Welt.


Aber sie gingen.

Zusammen.


Kapitel 20 – Eisen gegen Flügel

Der Himmel war bleigrau.

Kein Donner, kein Sturm – nur das gleichmäßige Grollen der Maschinen.

Es kam von Osten.


Viktoria wusste sofort, dass es keine Pferde waren.

Kein Schritt, kein Atem passte zu diesem Klang.

Es war Eisen.

Es war der Krieg, wie Gott ihn schuf.


Sie standen auf einem Hügel über

der Stadt,

eine Ruine aus Stein und Rauch.

Zwischen den Gebäuden bewegten sich Schatten –

Stahlhelme, Uniformen, Gewehre.

Die Männer Jehovas.


Viktoria zog ihr Schwert, das alte Eisen glimmte schwach im Schnee.

Ihre Walküren stellten sich in Reihen,

Fünftausend, weniger als ein Schatten ihrer alten Armee.

Sie wussten, dass sie sterben konnten,

aber das war nie der Punkt.


Liora stand weiter hinten,

mit den Frauen, die kaum stehen konnten.

Sie hatten keine Waffen, nur Lumpen, Feuerhaken, Steine.

Sie sahen, wie Viktoria sich rüstete –

und sie verstanden.

Wenn Gott den Himmel herabsendet,

dann kämpft man auf der Erde.


Der erste Schuss kam wie ein Schlag.

Ein lautes, hartes Knacken.

Eine Walküre fiel.

Dann noch eine.

Dann zehn.


Die Kugeln kamen aus den Fenstern,

aus Schützengräben,

aus dem Bauch der Maschinen.

Blitz, Rauch, Blut.


Viktoria brüllte auf Altnordisch,

ihre Stimme ein Befehl, ein Schrei, ein Fluch.


> „Fyrir frjálsar meyjar! Fyrir heiður!“

(Für die freien Frauen! Für die Ehre!)




Sie stürmten.


Das Metall schrie, als ihre Schwerter auf Panzerplatten trafen.

Einige sprangen auf die Dächer, schlugen auf Maschinen ein,

die Funken regneten wie Sterne über Schnee.


Aber Gewehrfeuer war schneller als Mut.

Eine Kugel, ein Sturz, ein Name weniger.

Eintausend fielen in einer Stunde.


Liora duckte sich in den Ruinen,

hielt ein Kind fest, das weinte,

sah Viktoria kämpfen –

sah, wie sie eine ganze Maschinenstellung allein stürmte,

die Männer wie Spreu hinwegfegte.


Dann – Stille.

Nur noch das Ticken der Abzüge,

das Knistern von Feuer in Trümmern.


Als der Rauch sich legte,

lagen Tote überall.

Fleisch und Metall, Schnee und Blut.


Viktoria stand aufrecht,

ihr Arm blutete, ihre Augen brannten.

Sie wischte sich das Gesicht mit Ruß und Blut,

sah die Reste ihrer Armee.

Vierviertausend.

Vielleicht weniger.


Liora trat näher.

Sie zitterte.

In der Hand hielt sie wieder eins dieser Flugblätter –

diesmal nass, zerrissen,

über die Erde geweht.


Darauf stand in Latein:


> „Dominus vult.“

Der Herr will es.




Viktoria sah sie an,

nahm das Papier,

warf es ins Feuer.


Sie sprach leise, fast heiser:


> „Ef hann vill þetta, þá er hann ekki Guð.“

(Wenn er das will, dann ist er kein Gott.)




Der Wind drehte,

wehte den Rauch Richtung Westen.

Die Stadt war still.


Die Walküren sammelten ihre Toten,

die Frauen Lioras sammelten Brot.

Zwei Völker,


zwei Sprachen,

aber dieselbe Stille nach dem Krieg.


Und über ihnen –

ein Himmel, der nichts mehr versprach.

Kapitel 21 – Das Lager

Der Schnee hörte nicht auf.

Er fiel still, schwer, lautlos.

Er machte alles gleich – Häuser, Bäume, Ruinen, Blut.

Man konnte nicht mehr sagen, wo ein Mensch aufgehört hatte und die Erde begann.


Die Walküren zogen schweigend durch die Straßen.

Keine Fanfaren, keine Fahnen.

Nur Atem, Frost, der Klang von Stahl.

Sie waren weniger geworden.

Und die Stadt lag tot unter ihnen.


Am dritten Tag fanden sie es.


Hinter einer Mauer, halb verschneit, halb verbrannt,

ein Gelände aus Holz und Draht.

Tore mit Symbolen Jehovas,

Wachtürme aus schwarzem Eisen,

Boden voll Asche.

Darüber der Geruch.

Nicht Blut – älter, tiefer.

Etwas, das nicht verging.


Viktoria blieb stehen.

Sie sah die Zeichen an den Toren.

Latein, in feinem Schlag:


> „Puritas per Fidem“

(Reinheit durch Glauben.)




Das Tor stand offen.


Innen: Hütten, leer.

Betten aus Holz, mit Stricken.

Kleidung, verstreut.

Schuhe, kleine.

Ein Kinderlöffel.

Ein Ring.


Liora stand hinter ihr.

Sie wagte nicht zu sprechen.

Sie hatte schon vieles gesehen –

Hunger, Flucht, Tod –

aber das hier war anders.

Dies war nicht Krieg.

Dies war Ordnung.

Berechnet.

Sauber.

Kalt.


An den Wänden hingen Tafeln,

Listen, Nummern, Namen.

Nur Frauen.

Alle als „Vieh“ bezeichnet.


Viktoria trat näher.

Ihr Atem wurde sichtbar,

doch sie spürte nichts.

Nicht die Kälte, nicht den Wind.

Nur dieses Schweigen,

das sich an die Knochen legte.


Sie öffnete eine der Türen.

Drinnen: ein Ofen,

ein Tisch,

eine Kette an der Wand.


Keine Körper.

Nur Schatten,

verbrannt ins Holz.


Eine der Walküren flüsterte:


> „Hér var Guð.“

(Hier war Gott.)




Viktoria antwortete nicht.

Sie legte ihre Hand auf die Tür,

so fest, dass das Holz knackte.


Dann wandte sie sich an ihre Frauen.

Keine Rede.

Keine Befehle.

Nur drei Worte, rau, klar, endgültig:


> „Brennið þetta niður.“

(Brennt es nieder.)




Und sie taten es.


Die Flammen griffen über Balken und Dächer,

der Rauch stieg gerade in den Himmel,

schwarz gegen das Weiß.


Sie sammelten, was sie fanden: Decken, Werkzeuge, Essen,

und das, was noch an Menschen erinnerte –

Ringe, Tücher, Namen auf Stoff.


In der Nacht blieben sie dort.

Keiner wollte schlafen.

Liora saß am Feuer,

die Hände über den Flammen,

die Augen leer.

Neben ihr lag ein kleines Stück Metall,

eine Nummer.

Sie wusste nicht, wem sie gehörte.

Vielleicht keiner mehr.


Viktoria stand draußen.

Der Wind wehte Asche über den Schnee.

Sie sah zum Himmel,

und er war so still,

als hätte Gott ihn vergessen.


Sie sagte leise,

mehr zu sich als zur Welt:


> „Ef þetta er hans verk, þá mun ég eyða því.“

(Wenn das sein Werk ist, werde ich es vernicht


en.)




Dann trat sie ins Feuerlicht zurück.


Und im Schnee, zwischen Rauch und Asche,

begann der Winter, sie zu begraben.

Kapitel 22 – Asche und Namen

Der Morgen war grau wie Blei. Asche haftete an allem — am Holz, an den Schneeflocken, an den Augen. Zigarettenqualm aus den Bordellen der vergangenen Tage mischte sich mit dem beißenden Geruch verbrannter Pergamente. Niemand sang. Niemand weinte laut. Man bewegte sich wie ein Kollektiv der Überlebenden: langsam, zweckgerichtet.


Viktoria kniete bei der halb geschmolzenen Kiste, zog sie aus dem Eis, prüfte den Verschluss mit

der flachen Klinge. Ihre Hände waren Ruß, die Finger kurz geschnitten. Sie empfand kein Triumph. Nur Berechnung. Namen waren Papier; Papier konnte verbrennen. Aber Listen waren auch Inventar. Und Inventar ist Macht.


Sie riss das Siegel auf. Liora stand hinter ihr, die Jacke zu eng, die Wangen eingefallen. Die anderen kamen näher — Frauen mit Narben, Frauen mit leeren Blicken, Frauen, die gelernt hatten, nicht zu fragen. Sie schaufelten Asche fort, suchten nach Metall, nach Stoff, nach etwas,

das man brauchen konnte.


In der Kiste lagen die Akten: ordentliche Blätter, Zahlen, Siegel. Zwischen den Papieren ein Lederriemen mit einem Schlüsselbund. Unter dem Papier verbargen sich Beutel mit Messern, kleine Pumpflaschen, ein paar Defibrillatoren — wissenschaftliche Instrumente, hier umgedeutet zu Werkzeugen des Überlebens. Viktoria nahm ein Messer, wischte die Klinge an ihrer Hose, reichte es weiter.


„Þeir skráðu syndina—“ (Sie

schrieben die Sünde auf—) murmelte sie auf Altnordisch. „—en vi skrifa vopn.“ (—aber wir schreiben Waffen.)


Ihre Stimme war hart, ohne Pathos. Niemand lachte. Liora fing an, Dinge zu verteilen: schwere Mäntel, zerrissene Stiefel, ein Bündel sauberer Hemden. Sie teilte nach Not, nicht nach Rang. Wer hungrig war, bekam zuerst Brot. Wer zitterte, bekam Decken. Wer Hände hatte, bekam Werkzeuge.


Sie legten Vorräte an: Dosen, Pökelfleisch, Trockengewürze,

Lampenöl. Viktoria wies an, dass Munition und scharfe Klingen gesichert würden, dass Kinder und Alte geschützt und dass die schärfsten Waffen unter Verschluss blieben — nur jene, die kämpfen konnten, sollten ausgerüstet werden. Aus der Kiste nahm Liora ein kleines Notizbuch; mit Ruß schrieb sie Namen und Mengen, strich durch und ergänzte. Schrift war jetzt Tauschwert: wer schreiben konnte, dokumentierte die Welt, so wie früher Metatron Befehle dokumentiert hatte.


Einige Papiere verbrannten sie

nicht. Nicht aus Respekt — aus Zweck. Sie falteten Listen zusammen, stopften sie in Metallhülsen und vergruben sie unter dem Stallboden; falls jemand kommen sollte, der mehr wissen musste als nur die nächsten Tage, sollten die Zahlen noch auf ihre Spur führen. Alles, was gelöscht werden konnte, wurde gelöscht. Alles, was nützlich war, blieb.


Die Walküren trennten die Kleider. Alte Hochzeitsroben wurden zu Wärmeschichten, Metallverzierungen wurden zu Platten, Stoff zu Bandagen. Eine

Frau mit einem zerschlissenen Mantel nahm den schweren Stoff, riss ihn in Streifen, knüpfte daraus turnusmäßige Verbände. „Keep nothing pretty that burns,“ sagte eine andere leise auf Englisch; (Nichts Hübsches behalten, was brennt.) Die Sprache war kurz, funktional.


Sie banden Stöcke zusammen, schnitzten Spitzen, befestigten Eisenspitzen. Aus Feldspaten, einer zerbrochenen Gabel und einer Handvoll Nägel formten sie improvisierte Haken. Die Waffen waren roh, archaisch — aber

zuverlässig. Viktoria prüfte jede Klinge, testete die Balance. Dann verstaute sie die schärfsten Stücke in einer Truhe, die sie mit dem Kistenschlüssel versiegelte. Zwei Frauen blieben allein als Hüterinnen der Truhe.


Liora schrieb noch einmal: Namen. Vorrat. Munition. Brennstoff. Dann fügte sie in unsicherer Handschrift einen Zusatz an die Liste: „Wenn wir gehen, nehmen wir die Kiste.“ Sie steckte den Zettel in die Hülse.


Die Frauen arbeiteten mit mechanischer Gelassenheit. Es gab

Wut, ja — aber die war jetzt Rohstoff. Aus Wut machte man Pläne.


Bevor sie den improvisierten Unterschlupf schlossen, stand Viktoria auf, hielt die leere Kiste in die Mitte der Gruppe und sprach langsam, in der rauen Sprache, die ihre Leute kannten: „Við eigum hana nú.“ (Wir besitzen sie jetzt.) Dann fügte sie auf Englisch hinzu: „We keep the names, and we keep the tools.“ (Wir behalten die Namen, und wir behalten die Werkzeuge.)


Sie ließen die Kiste nicht brennen. Sie schlossen den Deckel. Der Schlüssel verschwand in einem Stiefel. Das Feuer hatte vieles genommen, aber nicht alles. Die Frauen verteilten die letzten Mäntel. Sie banden die Vorräte zusammen. Sie machten Wachen. Sie legten ihr Schweigen wie eine Rüstung an.


Draußen fiel leichter Schnee. Inmitten der verbrannten Welt hatten sie ein kleines, knirschendes System von Dingen angelegt — Waffen, Kleidung, Listen, Vorräte. Kein Triumph, nur Vorsorge. Und

darin, in der Kiste, die Namen und Zahlen, die einst Instrumente der Unterdrückung gewesen waren, wurden nun zu Karte und Kompass d


erer, die noch übrig waren.


Kapitel 23 – Sol Veritas

Der Saal lag tief unter der Erde.

Stahlwände, elektrische Lampen, der Geruch von Öl und altem Rauch.

Kein Banner, kein Wappen – nur ein Tisch, auf dem Karten lagen,

zerkratzt von Messerklingen und Ascheflecken alter Kriege.


Luzifer saß an der Stirnseite.

Neben ihm stand eine Valküre, hochgewachsen, das Gesicht von Narben durchzogen,

ihre Rüstung matt vom langen Marsch.

Sie war seine Stimme – seine Brücke zu Ahnamara.


Auf der gegenüberliegenden Seite drei Frauen:

Kriegerinnen, Runen auf den Armen, die Augen misstrauisch.

Sie trugen die Kälte des Nordwinds in den Bewegungen.


Luzifer sprach leise auf Englisch.


> “You came through fire and winter. You did not kneel.”

(„Ihr seid durch Feuer und Winter gekommen. Ihr habt euch nicht gebeugt.“)




Die Valküre übersetzte, langsam, in kehligem Alt-Nordisch:


> „Þér komuð úr eldi og vetrinum. Þér hafið eigi knélt.“

(„Ihr seid durch Feuer und Winter gekommen. Ihr habt euch nicht gebeugt.“)




Die älteste der Kriegerinnen antwortete in derselben rauen Sprache:


> „Við knéllum ekki fyrir mönnum né guðum.“

(„Wir beugen uns weder vor Männern noch vor Göttern.“)




Luzifer lächelte schwach.


> “Then we understand each other.”

(„Dann verstehen wir uns.“)




Er wies auf die Karte. Linien aus roter Tinte markierten die Fronten,

Kreise die verbrannten Städte.


> “Velramis moves west. You hold the fjords. We hold the sky.”

(„Velramis rückt nach Westen. Ihr haltet die Fjorde. Wir halten den Himmel.“)




Die Valküre übersetzte präzise, ohne Tonfall zu verraten.


Lilith trat näher, legte einen Zettel auf den Tisch – eine schlichte Platte aus Stahl.

Darauf das Zeichen einer Sonne,

eingeritzt mit einem Messer.


> “Sol Veritas,” sagte Luzifer.

“The sun of truth. A pact between two realms.

No gods. No masters. No weapons that burn the earth.”

(„Die Sonne der Wahrheit. Ein Pakt zwischen zwei Reichen.

Keine Götter. Keine Herren. Keine Waffen, die die Erde verbrennen.“)




Die Valküre übersetzte, jede Silbe sorgfältig.

Die Frauen nickten langsam,

verstanden genug, um den Ernst zu spüren.


Die Anführerin legte ihre Hand auf die Platte und sprach:


> „Við munum standa með ykkur, svo lengi sem sól rís yfir jörðinni.“

(„Wir werden an eurer Seite stehen, solange die Sonne über der Erde aufgeht.“)




Luzifer erwiderte:


> “And we will fight with you, until

the last shadow falls.”

(„Und wir werden mit euch kämpfen, bis der letzte Schatten fällt.“)




Ein Schweigen folgte. Nur der Strom summte in den Leitungen.


Dann entzündete Lilith eine kleine Lampe.

Die Flamme spiegelte sich im Metall – golden, still.


Die Valküre, nun ohne Befehl, wiederholte die Worte beider Seiten

leise in Alt-Nordisch und Englisch zugleich,

als wollte sie sie in die Luft brennen:


> „Sol Veritas – sannleikans sól.

The sun of truth.“




Sie alle legten die Hände über die Flamme.

Kalt, rau, vernarbt, aber lebendig.


> “The pact is sealed,” sagte Luzifer.

(„Der Pakt ist geschlossen.“)




Draußen tobte ein Schneesturm über Sol Veritas,

und für einen Mom


ent klang der Wind, als spräche das Meer von Nehásh –

fern, unerhört, jenseits der Welt der Menschen.


Kapitel 24 – Der Frühling aus Eisen

Der Schnee war geschmolzen, aber die Erde blieb tot.

Zwischen den verbrannten Feldern stieg Dampf aus den Ritzen der Erde,

der Himmel war bleigrau,

und unter ihm marschierten die letzten Walküren.

Ihre Rüstungen waren zerkratzt,

ihre Gesichter leer.


Viktoria ging an der Spitze,

das Schwert stumpf von zu viel Blut.

Sie hatte gewonnen – oder das, was

davon blieb.

Eine Stadt, halb Ruine, halb Grab.


Liora folgte,

die Augen weit offen,

zu müde für Angst.


In der Mitte der Stadt stand eine Halle aus Stahl.

Das Tor war unverschlossen.

Drinnen herrschte keine Stille,

sondern ein gleichmäßiges Pochen,

wie der Herzschlag einer Maschine.


Die Luft schmeckte nach Kupfer.

Ein Schimmer von Glas und Flüssigkeit füllte den Raum.

Körper – Dutzende – hingen in metallenen Rahmen.

Frauen, reglos, verbunden mit Schläuchen.

Die Bewegung des Atems ersetzt durch das Pumpen von Kolben.

Ihr Dasein war in Funktion übersetzt.


Liora trat einen Schritt näher.

Viktoria hielt sie zurück.


> „Þetta er ekki líf,“

(„Das ist kein Leben.“)

flüsterte sie.




Sie wollte das Schwert heben,

doch eine plötzliche Kälte drückte sie zu Boden.

Kein Wind – ein Gewicht aus Licht.


Er trat aus dem weißen Glanz,

in Gestalt eines Mannes in schwarzem Anzug.

Kein Blut, kein Staub haftete an ihm.

In seinen Augen spiegelten sich weder Himmel noch Erde.


Gott.


Er ging durch den Raum,

betrachtete die Frauen wie Objekte,

nicht mit Hass, sondern mit Gleichgültigkeit.

Dann wandte er sich an Viktoria.


> „Sie widersetzten sich. Ordnung muss gebären, was gehorsam ist.“




Ein Flackern –

die Temperatur fiel schlagartig.

Die Luft selbst brach.

Und die Walküren fielen.


Nicht durch Klingen oder Feuer,

sondern als hätte man das Leben

aus ihnen gelöscht.

Ein Schlag ohne Laut,

und Viktoria blieb als Letzte.


Sie atmete schwer,

die Hand am Griff.


> „Þú munt ekki taka þær aftur.“

(„Du wirst sie nicht wieder nehmen.“)




Er sah sie an,

ohne Ausdruck,

und hob eine Hand.

Das Licht traf sie.

Ein Atemzug –

und sie war fort.


Nur Asche blieb,

die sich in der Luft drehte

wie Schnee ohne Wärme.


Liora schrie,

doch das Licht verschluckte den Laut.

Etwas griff nach ihr –

kalte Finger aus Energie,

zogen sie fort,

in den hinteren Trakt der Halle,

wo das Pochen lauter wurde.


Die Tür fiel zu.

Stille.


Gott stand allein.

Er legte eine Hand auf das Glas einer der Kammern,

sah auf die Bewegung darin –

ein Körper, der sich formte,

nicht aus Liebe,

sondern aus Gehorsam.


> „Dies ist Schöpfung.“




Dann verließ er die Halle.




Draußen fiel der Regen in dünnen, silbernen Fäden.

Auf dem

Boden glitzerten Tropfen,

nicht wie Wasser,

sondern wie Tränen aus Metall.


Der Frühling kam –

und roch nach Eisen.

Kapitel 25 – Lioras Ende

Menschlicher Bestand


Velramis – Zentralarchiv für Ordnung und Reinheit

Abteilung IV – Reproduktions- und Erhaltungswesen



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1. Anlage und Betrieb


Sektor M-17 aktiviert.

Temperatur 18 °C ± 1 Grad.

Feuchtigkeit 62 %.

Versorgungseinheiten funktionsfähig.

Gesamtbestand: 32 menschliche Einheiten (weiblich, Altersklasse II).

Individuelle Namen nicht vorgesehen; Identifikationscode nach Geburtsfolge.

Kommunikation nicht freigegeben.



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2. Prozessbeschreibung


Systemziel: Aufrechterhaltung biologischer Zyklen zur Sicherung

des genetischen Bestandes.

Alle Ereignisse werden automatisch protokolliert; Abweichungen führen zu Aussortierung.

Betreuungspersonal führt Kontrollen im Vier-Stunden-Rhythmus durch.

Sprache ist innerhalb der Kammer verboten; akustische Signale gelten als Störung.



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3. Beobachtungen


Vitalwerte konstant.

Nahrungsaufnahme mechanisch unterstützt.

Reiz- und Fluchtverhalten minimiert durch sensorische Dämpfung.

Emotionale Reaktionen nicht mehr nachweisbar.

Kognitive Aktivität unter Grenzwert von Messbarkeit.


Personalvermerk:


> „Subjekte zeigen keine Zeichen eigenständigen Bewusstseins.

Reaktion auf Umwelt vergleichbar mit Nutztieren.“





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4. Ressourcen- und Wartungsprotokoll


Verbrauch pro Einheit täglich 2,3 kg Nährlösung, 0,4 kWh Energie.

Abfallstoffe über Zirkulationssystem abgeleitet.

Defekte Einheiten werden automatisch an Sektion R-2 überstellt (Neutralisation binnen 12 h).

Personalrotation monatlich.

Psycho-Monitoring optional.



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5. Ethischer Status


Klassifikation: M-Ressource, kein Subjektstatus.

Gesetzliche Grundlage: Dekret „De Puritate Corporis“ § 4.

Beobachtete Abweichungen von Barmherzigkeitsgeboten: irrelevant.



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6. Zusammenfassung


System M-17 arbeitet effizient.

Ausfallquote < 2 %.

Reproduktionsrate im Soll.

Empfohlene Maßnahmen:

– Erhöhung der Nährstoffzufuhr um 3 %,

– Austausch alter Verteilschläuche,

– Regelmäßige Überprüfung der Temperaturkompensation.


Unterschrift: Aufseher V-Caro

Kontrolle: Priester Marcus II

Archivnummer: 59-M-17


Interne Randnotiz (unauthorisiert):


> „Eine Einheit hat heute den Blick gehoben und mir in die Augen gesehen.

Es gab kein L


aut, aber für einen Moment hat es menschlich gewirkt.

Ich habe den Eintrag gelöscht.“

Kapitel 26 – Drei Hände

Der Morgen hing still über dem Meer.

Das Licht war blass, die Luft schmeckte nach Salz.

Drei Gestalten gingen am Rand des Wassers:

Avaron voran, Talee und Azrael hinter ihm.


Der Sand war kalt, doch keiner trug Schuhe.

Die Haut ihrer Füße war aufgeraut vom langen Gehen,

ein Mosaik aus Staub, Salz und Erinnerung.


Azrael blieb stehen.

Sie hob beide Hände, spreizte die Finger leicht,

führte sie dann über den eigenen Brustkorb und ließ sie sinken –

DGS: „Ich höre dich, Meer.“


Talee drehte sich um, das Haar nass vom Wind.

Sie näherte sich, stellte sich dicht vor sie,

legte die rechte Hand flach auf Azraels Brust,

die linke über ihr Herz, dann öffnete sie beide sanft zur Seite –

DGS: „Nicht hören, fühlen.“


Azraels Hände antworteten hastig,

Bewegungen scharf, fast rechnerisch:

Zwei Finger tippend an die Stirn,

Kreis über der Luft,

kurzes Strecken nach vorn, als wollte sie einen Gedanken greifen –

DGS: „Ich denke zu laut.“


Avaron, der das beobachtete,

hob ruhig die Arme, zog eine fließende Linie vom Himmel zum Boden,

dann drehte er die Handfläche nach außen,

ließ sie langsam sinken, wie ein

Blatt, das auf Wasser fällt –

DGS: „Dann lass den Wind für dich denken.“


Ein Lächeln flog über Talees Mund.

Sie trat näher zu Azrael,

legte ihre Stirn an deren Stirn,

und beide Hände ruhten nun ineinander.

Keine Worte.

Nur der Atem,

der in Bewegung überging:

Daumen und Zeigefinger formten Kreise,

öffneten sich, fanden sich wieder.

DGS: „Wir sind hier.“


Das Meer antwortete mit einer Welle,

die bis an ihre Knöchel reichte.

Salz lief über Azraels Haut,

kühl, lebendig.


Sie begann zu verstehen.

Nicht durch Analyse,

sondern durch Berührung.


Später, am Feuer,

zeichnete Avaron Kreise in den Sand.

Seine Hände erzählten, ohne dass einer von ihnen sprach:

DGS: „Der Heilige Berg wartet. Er ruft in Träumen.“


Azrael nickte,

ihr Körper antwortete träge,

die Finger bebten,

DGS: „Ich erinnere mich an Träume, die Zahlen waren.“


Talee lachte lautlos,

die Hände zogen Bögen in die Luft,

bewegten sich in breiten Wellen,

DGS: „Dann werden sie jetzt Wasser.“


In dieser Nacht,

unter dem Rauschen des Meeres,

vermisste Azrael ihre Maschinen nicht mehr.

Ihre Finger ruhten auf Talees Haut,

ihr Kopf wa


r leer,

und das Schweigen zwischen ihnen

sprach lauter als jedes Labor.


Kapitel 27 – Der Sturm ruft

Der Berg atmete.

Zwischen Nebel und Meer lag die Stadt aus Zelten –

Lichtlinien, Rauchfäden, Kinder, die still Gebärden nachahmten.

Jede Bewegung war Teil desselben Atems,

und der Atem gehörte dem Land.


Korar stand in der Mitte.

Ihre Haut glänzte im grauen Morgen,

die Füße halb im Sand, halb im Wurzelnest des Bodens.

Als sie die Hände hob, hörte selbst

der Wind auf zu atmen.


Ihre Arme öffneten sich weit,

die Finger spreizten sich, zitterten leicht im Rhythmus der Wellen.

Dann zog sie beide Hände an die Brust,

ließ sie über das Herz gleiten,

die Bewegung endete mit einem Schlag nach außen,

kurz und klar –

Sha-nú: Das Land muss ruhen.


Rund um sie antworteten die Körper der Versammelten.

Wellen aus Bewegung,

wie Wind über eine Fläche aus

Wasser.


Korar drehte die rechte Hand,

die Finger krümmten sich nach innen,

zogen Linien über die Luft,

als würde sie ein Netz schließen.

Sha-nú: Nehásh soll sich schließen.


Dann beide Hände nach oben,

die Arme weit gespannt,

ein Stoß nach außen, als würde sie etwas Unsichtbares abwehren.

Sha-nú: Bis der Sturm der Welt vergeht.


Donner rollte über den Himmel,

die Zelte bebten.

Niemand floh.

Jeder Körper stand still,

wie Wurzeln, die sich in den Boden graben.


Korar senkte die Hände,

ihr Atem ruhig,

die Augen auf den Rand der Menge gerichtet.


Dort standen Azrael, Talee und Avaron.

Das Meer hinter ihnen spiegelte das Licht,

still, fast wachsam.


Korar ging zu ihnen.

Ihre Bewegungen langsam,

wie Wellen, die nicht entscheiden müssen, wohin sie fließen.


Vor ihnen blieb sie stehen.

Dann hob sie beide Hände,

ließ sie über den eigenen Körper gleiten –

vom Herzen zu den Fingerspitzen,

weiter in die Luft hinein.

Sha-nú: Ihr habt gesehen, was kommt.


Talee antwortete,

ihre Hände klein, aber fest.

Sie formte eine Linie von der Stirn

zum Boden,

ließ sie offen –

Sha-nú: Wir haben gespürt.


Azrael hob die Hände zögerlich.

Ihre Finger arbeiteten präzise,

zu eckig, zu bewusst.

Sha-nú: Ich suche Verstehen.


Korar trat näher.

Ihre Hände schlossen den Raum zwischen ihnen,

führten die Linien der beiden ineinander,

wie zwei Flüsse, die sich treffen.

Sha-nú: Dann bleibt. Wir müssen sprechen, bevor der Sturm uns

trennt.


Das Meer hinter ihnen schlug höher,

doch niemand wandte sich um.

Der Himmel schwieg.


Korar senkte die Arme.

Ihre Haltung war keine Bitte,

aber auch kein Befehl.

Nur der Ausdruck einer Notwendigkeit.


Talee nickte.

Avaron trat einen Schritt zurück,

ließ die beiden mit Korar allein.

Er wusste: Jetzt begann etwas,

das Worte nie tragen würden –

nur Hände,

nur Körper,

nur Wahrheit in Bewegung


Das Feuer flackerte.

Über dem Meer wuchs der Sturm.

Und Korar wartete.

Kapitel 28 – Das Vermächtnis der Hände

Kapitel 28 – Das Vermächtnis der Hände


Die Nacht war fort, aber das Licht kam nicht als Sonne.

Es kam als Dunst über dem Meer,

ein Schimmer, der zwischen den Zelten hing wie ein Atemzug,

zu schwer, um zu verschwinden, zu zart, um Schatten zu werfen.


Korar stand auf der offenen Fläche,

die Füße bar im Sand,

ihre Haut feucht vom Nebel.

Vor ihr: Azrael und Talee.

Beide still.

Avaron hatte sich zurückgezogen,

er wusste, dies gehörte nicht mehr der Welt der Worte.


Korar hob die Hände.

Ihre Finger glitten über den Wind,

zogen Kreise, die sich zu einer Spirale verbanden,

dann legte sie eine Hand über ihr Herz,

die andere über die Erde.

Sha-nú: Es ist Zeit.


Talee atmete flach.

Sie spürte, was kommen würde,

noch bevor Korar die Bewegungen

fortsetzte.


Korar ließ beide Hände aufsteigen,

die Handflächen nach außen,

dann senkte sie sie vor Talee.

Ihre Finger formten Linien,

weich, wie Wasser, das Erinnerung trägt.

Sha-nú: Du trägst das Land. Nicht als Herrin. Als Herz.


Talee zögerte.

Sie wollte den Kopf schütteln,

doch Korar fasste sanft ihre Handgelenke,

führte sie in eine neue Bewegung,

eine Spirale, die in der Mitte ruht.

Sha-nú: Königin ist, wer bewahrt.


Dann nahm sie etwas aus dem Stoff an ihrer Seite –

zwei schmale Kettchen,

geflochten aus Metall und Muschelfäden,

alt, abgenutzt,

doch jede Gliederung leuchtete im Morgenlicht.

Sie kniete,

legte sie um Talees Füße,

die Berührung fest, fast rituell.


Sha-nú: Deine Mutter hat sie getragen. Nun tragen sie dich.


Talee senkte den Blick.

Ihre Hände bewegten sich kaum sichtbar,

die Finger berührten kurz den Boden.

Sha-nú: Ich danke.


Korar erhob sich.

Dann wandte sie sich zu Azrael.

Ihre Haltung wurde stiller,

die Bewegungen langsamer, konzentrierter.

Sie hob die rechte Hand,

legte zwei Finger an die Stirn,

zog sie über die Luft,

als würde sie etwas Unsichtbares öffnen.

Sha-nú: Du siehst die Welt in Linien. Behalte sie.


Aus dem Stoff an ihrer Seite nahm sie ein kleines Buch.

Die Seiten waren unbeschrieben,

gebunden mit Fäden aus Pflanzen und Schuppenstaub.

Korar reichte es Azrael,

ihre Hände berührten sich nur kurz.


Sha-nú: Schreib, was das Land dir zeigt. Nicht, was du erwartest.


Azrael hielt das Buch,

als wäre es zu leicht für die

Bedeutung, die es trug.

Ihre Finger bewegten sich unsicher,

die Zeichen scharf, gebrochen.

Sha-nú: Ich werde es versuchen.


Korar nickte.

Dann legte sie ihre Hände auf beide –

eine auf Talees Schulter, eine auf Azraels.

Der Wind drehte.

Das Meer hinter ihnen begann zu rauschen,

nicht laut, sondern tief, wie Herzschlag unter Wasser.


Korar formte eine letzte Bewegung.

Beide Arme weit geöffnet,

die Handflächen nach oben,

die Finger gespreizt,

dann ein Kreuz über der Brust,

ein Senken des Kopfes.

Sha-nú: Ich gehe kämpfen. Gegen den, der die Stille verhöhnt.


Talee wollte etwas erwidern,

doch Korar schüttelte kaum merklich den Kopf,

hob eine Hand,

ließ sie in den Wind gleiten.

Sha-nú: Wenn ich falle, sollt ihr bleiben. Ihr bewahrt Nehásh.


Keiner sprach.

Nur das Meer antwortete,

eine lange, rollende Welle,

die an den Felsen brach und das Licht mit sich nahm.


Dann trat Korar zurück,

nicht verschwunden,

nicht göttlich entrückt –

nur ein Körper unter vielen,

doch jeder wusste:

Wenn sie geht,

wird das Land atmen,

aber anders.


Azrael öffnete das Buch.

Die Seiten waren leer,

doch sie sah darin Bewegung –

Hände aus Licht,

Wellen aus Zeichen.


Und Talee, die Königin ohne Krone,

stand still,

die Kettchen kühl um ihre Knöhel,

der Wind zog an ihrem Haar,

und sie wusste,

dass der Sturm, den Korar meinte,

nicht draußen begann,

sondern in ihnen.


Kapitel 29 – Das Erwachen des Landes


Die Ebene lag still. Kein Feuer brannte, kein Laut drang aus den Zelten.

Nur der Wind bewegte sich, tastete über das Gras wie eine Hand, die etwas sucht.


Korar stand auf der Anhöhe über dem Lager.

Unter ihr sammelten sich die Völker von Nehásh:

Elben in Federn und Fell, Schleime in schimmernden Formen, Tierwesen mit flackernden Augen,

Lichtgestalten, die halb aus Nebel bestanden.

Alle bewegten sich in derselben Stille.

Alle atmeten denselben Atem.


Korar hob die Hände.

Ihre Finger zeichneten weite Kreise über den Himmel,

ließen das Licht brechen wie durch Wasser.

Sha-nú: Kommt. Es ist Zeit.


Sie warteten nicht auf Worte.

Jedes Wesen verstand Bewegung,

jede Bewegung war Bedeutung.

Der Kreis schloss sich – kein

Zentrum, kein Rand,

nur der Atem des Landes.


Talee und Azrael traten in die Mitte.

Talee barfuß, das Haar offen, die Kettchen leise klingend.

Azrael mit dem Notizbuch, das Korar ihr gegeben hatte,

die Finger leicht verschmutzt vom Schreiben im Sand.


Korar blickte auf beide.

Ihre Hände begannen zu sprechen –

eine Abfolge aus Wellen, Spiralen, Linien.

Sha-nú: Nehásh lebt durch

Erinnerung und Herz. Wenn eines fällt, bricht das Gleichgewicht.


Die Schleime zitterten, ihre Körper reflektierten das Licht wie Wasser.

Elben senkten ihre Köpfe,

Tierwesen legten sich in den Sand,

ihre Gesten folgten Korars Händen –

eine Antwort aus hundert Arten, doch eine Sprache.


Korar wandte sich Talee zu.

Ihre Bewegung war weich, langsam,

eine Öffnung der Arme, ein Kreis über der Brust.

Sha-nú: Du bist Herz. Du trägst das

Land, wenn ich gehe.


Talee antwortete,

ihre Hände bebten, doch sie fanden den Rhythmus.

Sha-nú: Ich halte. Ich werde atmen, wenn du nicht mehr atmest.


Dann wandte sich Korar an Azrael.

Ihre Hände wurden präziser, kantiger,

die Bewegungen erinnerten an Runen,

an geschriebene Gedanken, die zu Leben wurden.

Sha-nú: Du bist Erinnerung. Du bewahrst, was wir verlieren

werden.


Azrael neigte den Kopf.

Ihre Hände zögerten, dann folgten sie,

nicht aus Nachahmung, sondern aus Verständnis.

Sha-nú: Ich erinnere. Ich schreibe das Atmen der Welt.


Korar trat einen Schritt zurück.

Die Luft vibrierte.

Die Schleime glühten,

die Elben sangen leise mit ihren Bewegungen,

die Tierwesen brummten tief, fast rhythmisch.

Alles verschmolz.

Sha-nú: Von heute an hat Nehásh zwei Stimmen. Zwei Königinnen. Zwei Atemzüge.


Wind ging durch den Kreis.

Sand und Blüten stiegen auf,

trugen die Bewegungen in die Höhe,

wo sie sich zu einer Welle aus Licht verbanden.


Korar hob die Arme zum Meer hin.

Sha-nú: Ich gehe nicht fort. Ich gehe kämpfen. Damit ihr weiterlebt.


Talee und Azrael antworteten

gemeinsam,

ihre Hände vereint,

ihre Bewegungen spiegelten sich im Wind.

Sha-nú: Wir bleiben. Wir atmen dich weiter.


Dann senkte Korar die Arme.

Das Meer hinter ihr antwortete mit einem tiefen, langsamen Atemzug.

Der Boden bebte.

Aber niemand wich zurück.


Korar blickte in den Kreis.

Sha-nú: Wenn ich falle, lebt das Land. Denn ihr seid es.


Die Menge antwortete.

Hunderte Hände, Gesten, Beegungen,

eine einzige Sprache aus Licht und Stille.

Nehásh sprach.

Und Korar lächelte.


Kapitel 30 – Der letzte Atem der Mutter

Das Meer atmete.

Langsam, schwer, wie ein Lebewesen, das weiß, dass jede Bewegung eine Erinnerung ist.

Der Himmel war grau, die Wolken tief.

Salz hing in der Luft, so dicht, dass selbst das Licht stillstand.


Korar stand am Ufer.

Hinter ihr Azrael und Talee, barfuß, das Haar vom Wind bewegt.

Drei Gestalten – drei Linien eines Atems:

Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft.


Der Sand vibrierte, als Korar die Hände hob.

Ihre Finger zeichneten Kreise, groß, weit, öffnend.

DGS: Beide Hände heben sich seitlich über den Kopf, Kreise ziehen nach vorn, Handflächen nach außen – Ich rufe euch.


Die Schleime im Wasser leuchteten, als würden sie antworten.

Korar senkte die Hände.

DGS: Linke Hand aufs Herz, rechte nach vorn offen, Finger zittern – Das Gleichgewicht ruft. Ich muss gehen.


Talee trat näher, das Meer umspülte ihre Füße.

DGS: Beide Hände vor die Brust, Finger geschlossen, sanft nach vorn stoßen – Bleib.


Korar antwortete.

DGS: Hände an den Brustkorb, Atem heben, dann nach außen gleiten – Ich bleibe in eurem Atem.


Sie wandte sich zu Azrael.

Das Licht spiegelte sich in ihren Augen, golden und rot.

DGS: Zeigefinger beider Hände auf Azrael, dann auf den Himmel, dann

Herzzeichen ziehen – Kind meines Kindes. Ich sah dich, bevor du warst.


Azrael antwortete langsam, bemüht um Präzision.

DGS: Eine Hand aufs Herz, die andere nach vorn öffnen, Kopf neigen – Ich erinnere dich, Großmutter.


Korar trat näher, berührte Azraels Stirn.

Ihre Finger zeichneten ein altes Symbol: zwei überkreuzte Bögen.

DGS: Handflächen nach oben, Kreise ineinander, Finger schnellen

auseinander – Bewahre das, was ich vergesse.


Dann wandte sie sich Talee zu.

Ihre Bewegungen wurden rund wie Wellen, weich, rhythmisch.

DGS: Beide Hände öffnen sich von der Brust nach außen, eine Spirale zeichnen – Tochter, die ich fand, nicht gebar. Hüte, was lebt.


Talee antwortete mit zitternden Händen.

DGS: Hände auf Herzhöhe, Daumen berühren sich, nach oben ziehen, dann Atembewegung nach außen – Ich halte das Leben.


Korar hob den Blick zum Himmel.

DGS: Arme heben, Handflächen nach außen, Kreise über den Kopf – Ihr seid mein Atem, mein Erbe.


Dann legte sie beide Hände aufs Herz,

zog sie auseinander, bis der Wind zwischen ihren Fingern flackerte.

DGS: Finger öffnen nach außen, Atem ausstoßen – Atmet in meinem Namen.


Sie ging ins Meer.

Das Wasser wich nicht, es öffnete sich.

Mit jedem Schritt glitt sie tiefer in das Licht.


Das Meer bebte, doch es sang.

Eine tiefe Bewegung, die über den Körper ging, nicht über den Kopf.


Talee hob die Hände.

DGS: Hände am Herz, Finger nach außen öffnen – Mutter, atme durch uns.


Azrael folgt ihr, gleiche Bewegung.

DGS: Langsam, ruhig – Großmutter, ich erinnere dich.


Das Meer antwortete mit einem

einzigen, langen Atemzug.

Wellen hoben sich, sank


en wieder.

Und wo Korar gestanden hatte, glomm nur noch Licht.


Kapitel 31 – Der Sturm erwacht


Der Himmel veränderte die Farbe zuerst.

Das Blau wurde zu Eisen, das Licht zu Staub.

Aus Osten kam Wind, trocken, brennend, als atmete die Welt gegen sich selbst.


Velramis


In den Kathedralen läuteten die Glocken.

Die Priester sangen in Latein:

“Sanctum bellum, lux purificet

mundum.”

(„Heiliger Krieg, das Licht soll die Welt reinigen.“)


Adam stand still, die Uniform frisch, die Stiefel glänzend.

Hinter ihm standen Reihen von Männern, Gesichter grau, Hände fest um ihre Gewehre.

Metatron trat vor die Menge, die Stimme wie Metall.


“Dominus vult. Purgate terram ab impuris.”

(„Der Herr will es. Reinigt das Land von den Unreinen.“)


Niemand sprach.

Ein Mann hob die Fahne, das goldene Kreuz auf weißem Grund.

Der Krieg hatte begonnen, ohne dass jemand es verstand.


Sol Veritas


Im Süden brannte das Licht anders.

Luzifer stand auf der Plattform der oberen Werft.

Unter ihm flackerten Werkhallen, dampfende Schornsteine, Magiekreise aus Kupfer und Glas.

Der Boden vibrierte im Rhythmus der Maschinen.


Lilith kam aus dem Schatten der Leitern.

„He said it, didn’t he?“

(„Er hat es gesagt, oder?“)


Luzifer antwortete ruhig:

„Then we answer, not with faith — with truth.“

(„Dann antworten wir, nicht mit Glauben – mit Wahrheit.“)


Zwischen ihnen liefen Frauen mit Werkzeugen, Runen, Karten.

Energie brummte, Licht zitterte.

Das Reich rüstete, ohne zu schreien.


Ahnamara


An den Fjorden stampften Boote gegen Eis.

Runenpriester ritzten Zeichen in Holz.

Eine Schildmaid hob das Messer, Blut tropfte in Schnee – ein Opfer für Schutz.


„For the flame,“ rief jemand in Alt-Nordisch,

(„Für die Flamme.“)

und das Echo verschwand im Wind.


Aus den Bergen kam Rauch.

Die Stämme sammelten sich.

Ihre Runen glühten in der Dunkelheit wie Augen.


Nehásh


Weit entfernt, hinter Nebel, lag das Land der Stille.

Korar stand am Ufer.

Das Meer bewegte sich kaum; nur seine Oberfläche atmete.


DGS (Sha-nú):

Rechte Hand über Herz, linke Hand öffnet sich langsam nach oben – die Geste eines Grußes an die Ferne.

Beide Arme heben sich, dann sinken, Handflächen nach unten –

das Zeichen für Schutz durch Schweigen.


Das Wasser antwortete mit einem Laut, der kein Donner war.

Ein einziger, tiefer Ton – alt wie der Anfang.



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In dieser Nacht leuchteten drei Himmel.

Velramis betete.

Sol Veritas arbeitete.

Ahnamara sang.

Und Nehásh schwieg.


Niemand wusste, dass dies nicht der Beginn eines Sieges war,

sondern das Erwachen eines Sturms,

der alles verschlingen würde,

auch jene, die ihn entfesselten

Kapitel 32 – Feuer über Valgrun


Die Hölle brannte nicht unten, sondern über den Wolken.


Von der Kommandoebene der Lucent Dawn aus sah Luzifer den Himmel in Schichten aus Licht zerreißen. Seine Luftflotte – modernste Konstruktionen des Jahres 2039, angetrieben von Fusionskernen und Gravitionsfeldern – bewegte sich wie eine metallische Wand. Jede Maschine war eine Kathedrale aus Stahl, gesteuert von Frauen, die er

ausgebildet hatte, um präziser zu denken als zu beten.


Trotz aller Berechnung bebte der Himmel.


Denn dort oben warteten sie – Gottes Engel, weiß wie Magnesium, jede Bewegung von einem übernatürlichen Licht getragen. Ihre Flügel bestanden aus Energie, ihre Waffen aus Klang und Strahl. Sie waren die Luftherrschaft, die seit Jahrtausenden niemand herausgefordert hatte.


An ihrer Spitze flog Erzengel

Michael.

Sein Schild war pures Plasma, sein Schwert eine Linie aus Licht, die Raum schnitt.


Ein Funksignal flackerte.

„Visual on primary target,“ sagte eine Pilotin.

(„Ziel erfasst.“)


Luzifer sah die Silhouette auf dem Schirm – eine Formation aus dreihundert Engeln, die sich in perfekter Symmetrie bewegte. Keine Maschinen, kein Metall. Nur Wille.


Lilith stand neben ihm, ihre Stimme flach:

„He leads them himself.“

(„Er führt sie selbst an.“)


„Then we meet him in his element,“ antwortete Luzifer.

(„Dann begegnen wir ihm in seinem eigenen Element.“)



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Die Befehle liefen durch die Ebenen.

Phase Eins: Ionensperre.

Phase Zwei: Schallbruch.

Phase Drei: Direkte Projektion.


Im selben Moment entfalteten sich die Engelsformationen. Michael schwang das Schwert – und der Himmel selbst teilte sich. Eine Druckwelle, kein Feuer, kein Donner, nur Vakuum. Zwei Schiffe der vordersten Linie zerrissen lautlos.


„Counter with vector shields!“

(„Vektorschilde aktivieren!“)


Die Pilotinnen arbeiteten ruhig, präzise.

Doch gegen die Engel war jeder

Treffer ein Tausch.

Energie gegen Gnade.

Technik gegen Instinkt.


„They move like algorithms,“ murmelte eine Technikerin.

(„Sie bewegen sich wie Algorithmen.“)


„No,“ sagte Luzifer. „They move like faith.“

(„Nein. Sie bewegen sich wie Glaube.“)



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Über Valgrun brannte die Luft.

Ein Strahl aus göttlicher Energie schlug in die linke Flanke.

Ein Schiff fiel wie ein gebrochener Komet.


„Losses: twelve percent,“ meldete Lilith.

(„Verluste: zwölf Prozent.“)


„Maintain altitude,“ befahl Luzifer. „We adapt or we die.“

(„Haltet die Höhe. Wir passen uns an – oder sterben.“)


Er warf den Blick auf das Meer aus Daten.

Seine Waffen waren stärker, moderner, logischer – und trotzdem begann er zu verstehen, dass Logik im Angesicht von Glauben nur die halbe Wahrheit war.


Michael stieg höher, das Schwert leuchtete wie eine zweite Sonne.

„Metatron calls this holy fire,“ sagte Lilith.

(„Metatron nennt das heiliges Feuer.“)


„It’s radiation,“ erwiderte Luzifer.

(„Es ist Strahlung.“)


Doch Strahlung oder Segen – der

Effekt war derselbe: seine Schiffe verbrannten.



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Er befahl den Einsatz der Aether-Sperren – magnetische Felder, die den Raum selbst verformten.

Die erste Linie aus Engeln kollidierte mit unsichtbarer Materie, ihre Flügel barsten, Lichtscherben fielen wie Regen.


„Impact confirmed,“ sagte eine Offizierin.

(„Treffer bestätigt.“)


Michael fiel nicht.

Er stürzte, bremste, fing sich, und das Licht seiner Gestalt verdichtete sich zu einem Strahl, der alles unter ihm blendete.


„Sir,“ flüsterte jemand, „if he reaches the core—“

(„Sir, wenn er den Kern erreicht—“)


„He won’t,“ unterbrach Luzifer. „Fire sequence nine.“

(„Er wird es nicht. Feuermodus neun.“)


Die Lucent Dawn öffnete ihr Herz.

Ein Geschütz aus verdichteter Energie entlud sich – kein Projektil, sondern ein Raumriss, kurz, gezielt, mathematisch präzise. Der Himmel knickte.


Als das Licht erlosch, waren dreißig Engel verschwunden.

Michael jedoch blieb.


Er stand im Zentrum des Leuchtens, Flügel verbrannt, Schild zerbrochen – und trotzdem noch da.

Er blickte nach unten, und für einen Moment glaubte Luzifer, den Blick seines Bruders zu spüren. Kein Hass, nur das, was früher

Verstehen gewesen war.


Dann zog Michael sich zurück.

Die Engel formierten sich neu, verschwanden in der Höhe, wo die Luft zu dünn für Maschinen war.



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Stunden später, als die Gefechte abflauten, herrschte Stille in der Kommandohalle.

Die Verluste waren hoch – fünf Flotteneinheiten zerstört, zwölf beschädigt, über dreitausend Tote.

Aber Valgrun war gefallen.


Luzifer stand allein am Fenster.

Der Himmel war grau, kein Stern sichtbar.

Er wusste, der Krieg war nicht gewonnen, nur verschoben.


Lilith trat hinter ihn.

„He will come again.“

(„Er wird wiederkommen.“)


„Yes,“ antwortete Luzifer. „Next time he’ll bring heaven itself.“

(„Ja. Beim nächsten Mal bringt er den Himmel selbst mit.“)


Sie schwieg.

Er sah hinaus.

Über den Ruinen von Valgrun glühte noch immer ein einziges Licht – das Schwert Michaels, abgestürzt, halb versunken in Stein.

Selbst besiegt leuchtete es noch.


Luzifer wandte sich ab.

Seine Waffen mochten aus der Zukunft stammen.

Aber der


Krieg, den er führte, war uralt – älter als Technik, älter als Vernunft.

Er wusste, dass dieser Sieg nur eine neue Schuld war.


Kapitel 33 — Das Werk bei Valgrun

Der Regen hatte aufgehört; die Luft roch schwer von kalter Erde und nassem Metall. Rowe trat durch die gebrochene Eingangstür, und ihre Soldatinnen folgten, die Stiefel einsinkend in Salz und Staub. Die Brücke zum Inneren war ein Gang aus gedämpftem Surren: abgeschaltete Pumpen, Kabel, Schläuche, Bildschirme, die nur noch Rausch zeigten.


Sie öffneten eine weitere Tür. Dahinter: Reihen. Metallgestelle, Kammern, Schränke — sauber

angeordnet, als habe man dort eine Maschine für Produktion geparkt. Auf den Arbeitsflächen lagen Karten, Notizen, Seriennummern. Monitore zeigten Protokolle: Zykluszeiten, Parameter, „Yield“-Kennzahlen. Alles sachlich, organisiert, technisch.


Und zwischen den Geräten lagen Menschen. Reihen von leblosen Körpern — nebeneinander, auf Matten, unter dünnen Decken. Kein Aufruhr, kein Blut, nur die Stille eines Raums, der jede Stimme geschluckt hatte. Tags hingen an Stoffstücken, Nummern, Daten. Die

Frauen sahen aus, als seien sie hineingelegt worden wie geordnete Proben; die Gesichter regungs- und ausdruckslos. Die Luft roch modrig, nach kaltem Exitus und alter Desinfektion.


Rowes Stimme war flach, als sie über das Funkgerät meldete: „We found a production facility. Multiple deceased. Systematic. Metatron protocols recorded.“

(„Wir haben eine Produktionsanlage gefunden. Mehrere Tote. Systematisch. Metatron-Protokolle aufgezeichnet.“)


Die Einheit durchsuchte Terminals. Ein Vermerk trug den Begriff „Mater Sancta Protocol“. Auf einer logischen Liste stand: Specimen intake — maternal cycle — containment — yield verification. Es las sich wie eine Fabrikanweisung, als handle es sich nicht um Menschen, sondern um Einheiten.


Rowe schaltete die Anzeigen ab und trat zur Tür. Ihre Hände zitterten so wenig, dass es kaum auffiel. „They called it holy,“ („Sie nannten es heilig,“) murmelte sie, mehr zu

sich selbst als in den Helm.


Die Nachricht erreichte Luzifer in Sol Veritas noch am Abend. Er saß nicht in wütender Überreaktion; er saß mit den Händen auf dem Tisch, die Stirn in Falten, und hörte zu, wie Rowe berichtet wurde — sachlich, präzise, so wie man in seiner Welt meldete: Daten, Orte, Protokolle. Keine Dramen. Nur Fakten.


„No nukes,“ („Keine Atombomben,“) sagte Luzifer leise, ohne die Frage abzuwarten, als hätte er die Entscheidung bereits abgewogen.

„We will not erase what they tried to make of themselves. That would be their victory and our defeat.“

(„Keine Atomwaffen. Wir werden nicht auslöschen, was sie aus sich gemacht haben. Das wäre ihr Sieg und unsere Niederlage.“)


Er dachte an die Bilder, die er nicht gesehen hatte, und an das, was die Bilder bedeuteten: ein System, das Menschen zu funktionalen Einheiten herabgewürdigt hatte, organisiert durch bürokratische Kälte. Atomwaffen hätten das Gelände ausgebrannt, die Spuren verwischt — aber auch jede

Aussicht auf Verurteilung, auf Erinnerung, auf juristische und moralische Verantwortung. Luzifer sah es als Falle der Vergessenmachung: Auslöschung als Lösung der Schande.


„We expose them. We document. We bring witnesses,“ („Wir machen es öffentlich. Wir dokumentieren. Wir bringen Zeugen,“) fuhr er fort. „Not annihilation. Not obliteration. Let the world see what hides under holiness.“

(„Nicht Vernichtung. Nicht Auslöschung. Die Welt soll sehen, was sich unter Heiligkeit verbirgt.“)


Rowes Report wurde in Protokollen eingepflegt, Fotografien und Daten gesichert. Teams wurden angewiesen, Identitäten zu sichern, Namen zu notieren. Rettungs- und Bergungsgruppen kamen, um das Gelände zu sichern; Ärzte bestätigten den Tod, forensische Einheiten bereiteten Überstellungen vor. Keine heroischen Gesten — nur die nüchterne Arbeit, die nach einem System verlangt, das man nicht mehr zulassen würde.


Am nächsten Morgen stand Luzifer

allein am Fenster seiner Privatgalerie und sah über die Stadt. Die Entscheidung stand: nicht mit Feuer antworten, sondern mit Licht. Öffentlichmachen, Anklagen, Mobilisierung — das waren seine Waffen in diesem Moment. Es war ein Pakt mit der Wahrheit, kein Pakt mit der Auslöschung.


Und trotzdem: die Bilder und der Geruch verfolgten ihn. Nicht als Reiz zur Rache, sondern als Mahnung. Der Krieg veränderte seine Methodik; er würde härter, aber er würde nicht so enden, dass

die Mörder in Flammen als gereinigt gegolten hätten. Die Welt sollte Zeuge sein — und Richter.


Kapitel 34 — Ziel: Licht auf die Kammern

Die Karte auf dem Tisch war ein Netz aus Punkten und Linien. Namen, Orte, Koordinaten, Zeitstempel. Jede Markierung war kein abstraktes Zeichen, sondern ein Ort, an dem Menschen aufhören sollten, Lebende zu sein. Luzifer ließ den Finger langsam über die Fassung gleiten, so, als könne seine Hand den Schmerz wegstricheln. Seine Stimme blieb ruhig — eine Stimme, die Anweisungen zur Rettung geben musste, nicht zum Rachefeldzug.


„We will not erase them with fire,“ (Wir werden sie nicht mit Feuer auslöschen,) sagte er, die Worte sachlich, streng wie ein Befehl im Operationssaal einer Maschine. „We will go in. We will secure. We will save. We will show.“

(„Wir gehen hinein. Wir sichern. Wir retten. Wir zeigen.“)


Er legte ein Protokoll vor: Witness Protocol—Operation Lumen: Priorität A — direkte Eingriffe in Einrichtungen mit noch lebenden Insassen; Priorität B — Standorte mit lebloser Lagerung zur forensischen Bergung; Priorität C —

Archivierung von Dokumenten und digitalen Protokollen. Unter jeder Priorität stand ein Bündel aus Teams: Bergung, Forensik, Medizin, Rechtsbeistand, Dokumentation, Zeugenschutz.


„No bombs. No cover-ups. Only proof.“ (Keine Bomben. Keine Vertuschungen. Nur Beweise.) Die Wiederholung klang wie ein Gebet in einem Raum, dessen Wände aus Technik bestanden.


Er rief die Feldkommandeure zusammen. Es waren Frauen in grauen Jacken, Uniformen ohne

Prunk, ihre Augen hart von Nächten der Vorbereitung. Er ordnete an, was jedes Team mitführen musste: mobile Sterilisationsgeräte, Transportboxen für Beweismittel, Forensikkits, Dolmetscher, psychologische Betreuer, temporäre Unterkünfte für Zeugen. Fotografen, Archivare, Juristen — Zeugen einer Welt, die wissen sollte.


„You go in with lights and names, not with fire and silence. Record everything. Identify everything. Bring the living out. Protect them. Then we bring the records out.“

(„Ihr geht hinein mit Licht und Namen, nicht mit Feuer und Schweigen. Zeichnet alles auf. Identifiziert alles. Holt die Lebenden heraus. Beschützt sie. Dann bringen wir die Akten heraus.“)


Die operative Planung war kalt. Die Ausführung würde es nicht sein. Luzifer wusste das. Er wusste, dass Rettung Arbeit war, und Arbeit hieß Entscheidungen, Abwägung, Prioritätensetzung. Manche Orte konnten nicht gleichzeitig geräumt und dokumentiert werden. Manche Zeugen konnten nur gerettet

werden, wenn man andere Opfer zurückließ — ein moralisches Dilemma, das kein taktisches Dokument glätten konnte.


Er ordnete an, dass jede Befreiung filmen, chronologisch dokumentieren und mit unabhängigen Zeugen bestätigt werden musste — Ärzten aus neutralen Regionen, Angehörigen der Inselallianz, internationalen Beobachtern aus Ahnamara und Sol Veritas. Jeder Film, jedes Protokoll, jede Liste von Namen sollte vom Feld verschlüsselt und sofort an zentrale Archive übertragen

werden. Öffentlichkeitsarbeit war Teil der Rettung; die Welt musste sehen, was geschehen war, damit das Gesetz greifen konnte.


Auf dem Tisch lag ein Satz Briefe für die Kommandeure. Luzifer schrieb nicht viele Worte; er schrieb Instruktionen und eine Bitte, die wie ein Befehl klang: „Bring them light. Let the world look.“(„Bring ihnen Licht. Lass die Welt hinschauen.“)


In der ersten Welle rollten seine Schiffe in neutralen Häfen zusammen. Schnellboote, schwere

Transporter, mobile Hubschrauber — alles technisch moderner Ausrüstung, die Sol Veritas zur Verfügung stellen konnte, ohne Atomwaffen zu nutzen. Teams wurden in kleinen Gruppen abgesetzt, nicht als Besatzer, sondern als Retter mit klaren Regeln: keine exzessive Gewalt, gezielte Festnahmen nur bei unmittelbarer Fluchtgefahr, Priorität auf medizinische Soforthilfe.


Die ersten Einsätze waren hart und pragmatisch. Vor den Toren einer Anlage fanden die Teams Verstecke,

unter denen Menschen lebten, schwach, traumatisiert, manche bei Bewusstsein, viele in einem Zustand, in dem Sprache kaum möglich war. Sanitäter reichten Infusionen, Dolmetscher übersetzten kurze Anweisungen, Juristen notierten Namen. Die Szenen waren nicht filmreif; sie waren Routine: Vorsicht, Aufklärung, Verladung, Transport. Und immer wieder: Dokumentation — Fotos, Fingerabdrücke, Fragebögen, Aussagen.


In einem Fall verweigerte eine lokale Miliz die Herausgabe eines

Gebäudes. Luzifer sandte eine Notiz: „Force if necessary, but document the refusal. Record the chain of command. We prosecute those who obstruct rescue.“ („Gewalt nur wenn nötig, aber dokumentiert die Weigerung. Zeichnet die Befehlskette auf. Wir verfolgen diejenigen, die Rettung behindern.“) Die Drohung war juristisch, nicht rachsüchtig: Strafe durch Recht.


Was Luzifer nicht wollte, war Vergessen. Sein Plan ging tiefer: Zusätzlich zu den Rettungsaktionen gründete er ein Netzwerk von

Archiven — physisch, digital und magisch. Archive, die nicht nur Namen aufbewahrten, sondern Stimmen. Kapseln, die Aussagen konservierten, Kristalle, die Erinnerungen stabil hielten. Er setzte Techniker aus Sol Veritas und Runenexperten aus Ahnamara zusammen, um Zeugnisse so zu konservieren, dass selbst wenn Gebäude brannten, die Wahrheit weiterexistierte.


„Memory is a weapon against erasure,“ (Erinnerung ist eine Waffe gegen Auslöschung,) sagte er einmal in der Sitzung. Seine Hand

glitt wieder über die Karte. „We will make their names permanent.“

(„Wir machen ihre Namen dauerhaft.“)


Es gab Widerstände. Metatron meldete rasch Befürchtungen aus Velramis: Propaganda würde die Berichte als „Luzifers Rachefantasie“ abtun. Einige neutrale Staaten fürchteten politische Eskalation. Doch Luzifer bestand: Die Wahl stand zwischen Auslöschung und Zeugenschaft. Er wählte Zeugenschaft. Er wusste, dass die Welt nicht sofort glaubte. Aber er setzte auf Dokumente, auf

Augenzeugen, auf die langsam wirkende Kraft von Beweisen.


Die Tage vergingen in konzentrierter, routinierter Hektik. Manche Teams brachten Überlebende in sichere Einrichtungen; andere eilten weiter, folgten den Markierungen auf der Karte. Frauen in medizinischen Kitteln registrierten, rehabilitierten, gaben Lebensmittel, Zelte, Decken. Psychologen begannen die ersten Gespräche; Juristen sicherten Aussagen für spätere Prozesse. Mitarbeiter der Sol-Veritas-Archive begannen mit

der Katalogisierung.


Vor der Kamera, in Protokollen, in Schrifttafeln: Namen. Namen, die zuvor nur Nummern gewesen waren. Kleine Gesten der Menschlichkeit — eine Decke, ein Fußbad, das Anzünden einer Kerze — wurden ins Protokoll notiert. Weil Licht, so Luzifer, auch in der einfachsten Form Widerstand bedeutete.


Als die erste Woche zu Ende ging, kehrte Luzifer an den Tisch zurück. Die Karte war verbrannter an den Kanten, unter Notizen von

Berichten, unter Photos und Zeugenlisten. Er ließ die Dokumente an sich vorüberziehen. „We acted as surgeons,“ (Wir handelten wie Chirurgen,) sagte er leise, seine Stimme nun von Erschöpfung durchzogen. „We cut away what infected the body, but we keep the tissue for study. We must learn, then change the world so this cannot be built again.“

(„Wir schnitten, was den Körper infizierte, weg, aber wir behalten das Gewebe zum Studium. Wir müssen lernen und die Welt verändern, damit so etwas nicht wieder gebaut werden kann.“)


Als eine Operation misslang — zu viele Menschen waren tot, die Infrastruktur zerstört, Zeugnisse verbrannt — erlaubte er sich keinen Zorn. Stattdessen ordnete er an, die Fehler zu dokumentieren. Fehler wurden Protokolle, Protokolle wurden Lehren.


Er wusste, dass das, was er tat, eine politische Wette war: die Wahrheit gegen die Macht des Schweigens. Es war eine Wette, die auf Recht und Zeugenschaft setzte statt auf Feuer. Und es war eine Wette auf Zeit — auf Geschichte, nicht nur auf den

Moment.


In den Wochen, die folgten, veränderte die Nachricht die Welt. Einige reagierten mit Verachtung, andere mit Schock. Die Kameras, die Luzifers Teams mitbrachten, liefen. Namen wurden gehört. Schritte zur juristischen Ahndung begannen. Und am Rand dieser nüchternen Leichen- und Rettungsarbeit wuchs etwas anderes: ein Mandat, das nicht von einem Mann, sondern von geteiltem Zeugnis herrührte. Luzifer hatte dasWort angeführt; die Welt begann, zuzuhören.


Kapitel 35 — Die Aufzeichnung

Der Palast von Velramis lag still.

Rauch stand in den Hallen wie kalter Atem.

Papier, Film, Metall – alles roch nach verbrannter Erinnerung.


Jehova saß auf dem steinernen Thron,

Metatron las vor, die Stimme hart wie Stahl.


„Kol ha-edut yisarfu,“ (Alle Zeugnisse sollen verbrannt werden.)


Soldaten trugen Kisten heran:

Fotos, Notizen, Bänder, Glasplatten.

Sie öffneten die Öfen, und das Feuer fraß Gesichter, Zahlen, Worte.


Maria stand am Rand.

Das graue Kleid hing schwer, die Krone war nur eine Form.

Neben ihr Eva, alt wie Adam,

die erste Frau und doch nur eine Zuschauerin.


Niemand sah sie.

Für die Männer im Saal waren sie Teil der Architektur.


Eva flüsterte:

„Imi… hem sorfim et ha-olam.“ (Mutter… sie verbrennen die Welt.)


Maria antwortete:

„Shetikah hi magen.“ (Schweigen ist ein Schild.)


In der Nacht, als die Öfen erloschen,

gingen sie durch die Gänge.

Der Boden war schwarz vom Staub der Geschichte.


Zwischen den Resten lag eine Glasplatte,

halb geschmolzen, mit dem Abdruck

eines Gesichts.

Maria hob sie auf, wickelte sie in Tuch.

„Or lo nida‘kh,“ (Licht geht nicht verloren,) sagte sie.


Sie sammelten weiter:

Filmstücke, Bänder, beschriebene Seiten.

Eva schrieb mit Kohle auf Stoff:

„Emet.“ (Wahrheit.)


Sie versteckten alles im alten Gebetsraum,

unter dem Altar, wo niemand mehr sprach.

Jehova ging dort nie hin.

Er betete nicht.


Am Morgen kam er mit Metatron.

Sie sprachen Latein, das die Frauen nicht verstanden.

Er blickte auf die leeren Regale,

sah die Asche und war zufrieden.


„Shikchah hi geulah.“ (Vergessen ist Erlösung.)


Er ging weiter.


Maria blieb still,

Eva sah ihm nach und legte die Hand auf den warmen Steinboden.

„Ha-zikaron yisha’er.“ (Die

Erinnerung wird bleiben.)


Und zwischen Asche und Schweigen

entstand das, was stärker war als jedes Gebet:

Gedächtnis.

Kapitel 36 — Der Krieg

Der Palast von Velramis war still.

Das Licht fiel durch die hohen Fenster auf den Tisch aus schwarzem Stein.

Darauf: Karten, Linien, Zahlen.

Jehova stand davor, unbewegt.


„Michael,“ sagte er, „procedes ad septentrionem.“ (Du marschierst nach Norden.)

Der Erzengel verneigte sich, goldene Flügel, kalte Augen.


„Gabriel,“ fuhr Jehova fort, „dele testimonia.“ (Zerstöre die Beweise.)

Seine Stimme klang ruhig, fast sanft.

Metatron schrieb mit schwarzer Tinte, ohne aufzusehen.


Die Luft roch nach Metall, nach Öl, nach Rauch.

Im Hof standen Lastwagen, beladen mit Akten, Filmrollen, Geräten.

Jehova blickte hinaus.


„Ignis purificat.“ (Feuer reinigt.)


Befehle gingen hinaus.

Züge fuhren, Kolonnen bewegten sich,

und Engel flogen über Städte, in

deren Schatten sich Lager befanden.


Er wusste, was dort lag.

Aber er nannte es „notwendig“.


In den Kathedralen sprach er zu den Menschen:

„Pax Dei est victoria.“ (Der Friede Gottes ist der Sieg.)

Und während sie niederknieten,

ließen seine Engel Flammen aufsteigen.


Maria stand am Rand des Saales,

schweigend, in ein graues Gewand gehüllt.

Neben ihr Eva, alt, unbeachtet.

Jehova sah sie, aber nur wie man zwei Statuen sieht.


„Mulier taceat in ecclesia.“ (Die Frau soll in der Kirche schweigen.)


Er wandte sich ab, und der Rauch zog durch die Hallen.

Metatron kam näher.

„Dominus,“ sagte er leise, „reliquiae manent.“ (Herr, es bleiben Reste.)


Jehova antwortete:

„Omnia peribunt.“ (Alles wird vergehen.)


Er sandte Michael aus,

ließ die Lager dem Erdboden gleichmachen,

die Erde salzen, die Wände sprengen.

Kein Stein sollte bleiben.


Doch unter der Asche,

in einem halb zerstörten Keller,

blieb eine Rolle Film unversehrt,

ein Stück Tonband,

eine Liste mit Namen.


Jehova sah nicht dorthin.

Er glaubte, alles sei gelöscht.


„Silentium est puritas.“ (Schweigen ist Reinheit.)

Und während er sprach,

fiel draußen Schnee auf die verbrannte Erde.


Maria blickte aus dem Fenster,

Eva neben ihr, beide unbewegt.

Sie wussten, was er nicht sah.


„Memoria manet.“ (Die Erinnerung bleibt.)


Und in diesem Schweigen began das,

was stärker war als Feuer:

Wissen, das nicht sterben konnte.


Kapitel 37 — Der Tag ohne Sieg

Der Schnee fiel in Asche.

Die Erde roch nach Metall und Blut.

Zwischen zerborstenen Mauern standen sie —

die letzten fünftausend Walküren.


Ihre Flügel waren zerrissen,

ihre Rüstungen von Rauch geschwärzt,

aber ihre Augen brannten noch.


Viktorias Banner hing in Fetzen über den Panzern Luzifers.

Die Himmel waren grau,

doch über ihnen, wie ein zweites

Firmament,

zogen die Engel Jehovas — lautlos, geordnet, endlos.


Skara, die Kommandantin, hob das Schwert.

„Við eigum enn hjörtu.“ (Wir haben noch Herzen.)

Die anderen antworteten:

„Ok blóð.“ (Und Blut.)


Dann kam das Feuer.

Bomben aus Licht,

nicht aus Eisen.

Jede, die fiel, sang wie eine Glocke.

Und jede, die traf, ließ den Boden schreien.


Die Walküren rannten — nicht fort,

sondern in das Licht hinein.

Ihre Stimmen hallten wie Kriegsgesänge.


„Fyrir frjálsar konur!“ (Für die freien Frauen!)

„Fyrir jörð ok himinn!“ (Für Erde und Himmel!)


Die Engel sprachen kein Wort.

Sie schossen, präzise, ohne Hass,

ohne Gefühl.

Jehova hatte ihnen befohlen:

„Purga mundum.“ (Reinigt die Welt.)


Als der Rauch sich senkte,

standen nur noch wenige.

Zwischen ihnen Skara, das Schwert gebrochen,

die Flügel in Fetzen.

Sie sah hinauf,

auf den hellen Himmel,

wo die Engel in Reihen zogen.


„Þetta er ekki endir.“ (Das ist nicht das Ende.)


Sie fiel auf die Knie,

legte die Hand auf die Erde,

die unter ihr bebte.


Asche mischte sich mit Schnee.

Über den Hügeln sah man die brennenden Städte —

Ahnamar, Velramis.


Die Sonne ging nicht unter.

Sie versteckte sich.


Von fünftausend kehrten dreihundert zurück.

Und selbst sie sprachen kein Wort mehr.


Nur ihre Augen erzählten:

von Feuer, von Licht,

und davon,

dass selbst Götter sterblich sind,

wenn Frauen weiterträumen.

Kapitel 38 – Die Wiederherstellung des Himmels

Der Himmel war weiß vor Licht.

Michael flog an der Spitze seiner Legion,

die Flügel aufgespannt, die Schwerter hell wie gebündelter Stahl.

Unter ihnen lag die Erde – zerrissen, blutig, rauchend.


Er sprach keine Befehle mehr.

Die Engel kannten den Rhythmus des Krieges.

Jeder Schlag, jeder Flug war Berechnung.


> „Samael delendus est.“

(Samael muss vernichtet werden.)




Er sagte den Namen nicht wie den eines Bruders,

sondern wie den eines Fehlers,

der aus der Schöpfung gelöscht werden musste.


Die Legion stürzte herab.

Feuerlinien schnitten durch die Wolken.

Die Erde glühte, als die Engel aufschlugen.

Es gab kein Geräusch von Explosionen,

nur das Dröhnen reiner Energie –

ein Ton, der alles Leben zerschnitt.


Michael sah das Feuer in den Tälern,

sah die Schatten der brennenden Maschinen,

sah die Soldatinnen Luzifers,

die versuchten, sich zu sammeln.

Er fühlte nichts.


> „In nomine Dei,“ murmelte er.

(Im Namen Gottes.)




Ein Schlag mit dem Schwert,

und der Boden wurde zu Glas.

Ein zweiter –

und die Luft fiel still.


Er schritt zwischen den Körpern hindurch,

durch Rauch, durch Asche.

Ein Kind lag dort, halb verbrannt,

die Hand ausgestreckt.

Er blieb stehen,

dann trat er weiter.


> „Hoc est opus Dei.“

(Das ist das Werk Gottes.)




Der Himmel über ihm flackerte.

Die Flügel der Engel warfen Schatten,

so dicht, dass das Licht darunter dunkel wurde.

Gabriel meldete über Funk:


> „Linea occidentalis fracta.“

(Westfront gebrochen.)




Michael nickte.


> „Gloria in excelsis Deo.“

(Ehre sei Gott in der Höhe.)




Seine Stimme blieb ruhig,

aber in seinem Blick lag etwas anderes –

kein Sieg, nur Berechnung.


Der Vormarsch dauerte bis zur Nacht.

Engel landeten in Reihen,

säuberten die Ruinen,

löschten Namen, brannten Akten.


Jehova wollte keine Spuren.

Keine Erinnerung.


Michael stand zuletzt auf einer verbrannten Anhöhe.

Unter ihm ein Meer aus Licht und Tod.

Er sprach leise, fast wie ein Gebet:


> „Si hoc est caelum... quis vult videre infernum?“

(Wenn das der Himmel ist... wer will


dann die Hölle sehen?)




Dann schloss er die Flügel,

und die Welt unter ihm war still.

Kapitel 39 – Der Notrat von Sol Veritas

Die Stadt war still. Kein Motor, kein Flügelrauschen, nur das monotone Summen der Rechner.

Luzifers Maschinen arbeiteten weiter, obwohl niemand mehr Befehle gab.

Zahlen liefen über die Glaswände – Wahrscheinlichkeiten, Projektionen, rote Linien.

Das System berechnete die Zukunft mit einer Stimme ohne Gefühl:


> „Probability of victory: ten percent.“

(„Wahrscheinlichkeit des Sieges:

zehn Prozent.“)




Luzifer stand davor.

Er sah nicht wütend aus, nur leer.

Sein Schatten fiel über die blinkenden Symbole, als hätte selbst das Licht Angst, ihn zu berühren.


Die weiblichen Engel hielten Abstand.

Ihre Flügel waren rußgeschwärzt, ihre Rüstungen zerkratzt.

Niemand sprach – bis eine von ihnen leise sagte:


> „Samael… the machines have spoken.“

(„Samael … die Maschinen haben gesprochen.“)




Er hob langsam den Kopf.

„Don’t call me that,“ sagte er. („Nennt mich nicht so.“)

Doch sie wiederholte es, leiser, fast wie ein Gebet:


> „Samael … we need you to decide.“

(„Samael … wir brauchen deine

Entscheidung.“)




Er schloss die Augen.

„Decide what? How we die?“ („Was entscheiden? Wie wir sterben?“)


Auf den Bildschirmen glühten Karten – rot überzogen, die Frontlinien zerrissen.

Ahnamara war verloren, die Engel Gottes im Vormarsch.

Nur Nehásh blieb neutral, verschlossen wie ein Traum hinter Nebel.


Eine zweite Stimme:


> „We still have the atomic arsenal.“

(„Wir haben immer noch das Atomarsenal.“)




Er wandte sich um.

„No,“ sagte er. („Nein.“)

„Not now, not in a million years.“ („Nicht jetzt, nicht in einer Million Jahren.“)


Die Rechner summten weiter.

Projektion : totaler Sieg Gottes in

vier Monaten.

Opferzahl: neun Milliarden.


Luzifer legte die Hand auf das kalte Metall.

„Ten percent,“ flüsterte er. („Zehn Prozent.“)

„And still we fight.“ („Und trotzdem kämpfen wir.“)


Die Engel sahen ihn an.

Einige verneigten sich, andere wandten sich ab.

Er wirkte alt – älter als der Krieg selbst.


„Call the council,“ sagte er. („Ruft

den Rat ein.“)

„If the world ends, it ends with witnesses.“ („Wenn die Welt endet, dann mit Zeugen.“)


Lilith trat aus dem Schatten.

Sie trug keine Rüstung mehr, nur noch Asche auf der Haut.

„They still call you Samael,“ sagte sie. („Sie nennen dich immer noch Samael.“)


Er nickte kaum merklich.

„Then let the fallen lead the fallen.“ („Dann sollen die Gefallenen die Gefallenen führen.“)


Er sah zum Fenster hinaus – über Sol Veritas,

über das Licht, das langsam erlosch.

Kein Gebet, kein Befehl.

Nur ein leises:


> „We are the last light, Lilith.


And it’s fading.“

(„Wir sind das letzte Licht, Lilith. Und es verblasst.“)




Kapitel 40 – Der Notrat

Der Himmel über Sol Veritas war grau wie Metall.

Die Stadt, die einmal das Herz von Luzifers Reich gewesen war, atmete schwer.

Maschinen pulsierten in gleichmäßigen Intervallen, berechneten den Untergang in Zahlen,

die niemand mehr verstehen wollte.


Auf der großen Glaswand lief die Projektion:

rote Linien, blinkende Punkte, Frontbewegungen.

Das Ergebnis stand am oberen Rand – kalt, mathematisch:


> „Probability of victory: 10 percent.“

(Wahrscheinlichkeit des Sieges: zehn Prozent.)




Luzifer starrte darauf.

Er hatte die Hände auf den Tisch gelegt, die Finger zitterten.

Hinter ihm standen seine weiblichen Engel, die Flügel rußgeschwärzt,

die Gesichter leer.

Niemand sprach.


Schließlich sagte er leise:


> “Ten percent… that’s all that’s left of us.”

(Zehn Prozent … das ist alles, was von uns bleibt.)




Eine von ihnen antwortete vorsichtig:


> “Samael… maybe it’s enough.”

(Samael … vielleicht reicht das.)




Er sah sie an – ein kurzer, harter Blick.


> “Don’t call me that.”

(Nennt mich nicht so.)




Wieder Schweigen.

Dann Lilith:


> “We can still surrender.”

(Wir können immer noch kapitulieren.)




Luzifer lachte leise, aber es klang gebrochen.


> “Surrender to what? To faith? To madness?”

(Kapitulation? Wovor? Vor dem Glauben? Vor dem Wahnsinn?)




Er trat ans Fenster.

Die Stadt darunter war schwarz vor Asche.

Kein Gesang, keine Flügel. Nur Rauch.


„They’re gone,“ sagte er. („Sie sind fort.“)

„All of them.“ („Alle.“)


Dann bebte der Boden.

Eine Sirene ertönte – zuerst schwach, dann schrill.

Die Glaswand flackerte.


> “Incoming anomaly,” meldete eine Stimme.

(Anomales Signal nähert sich.)




Ein weißes Licht füllte den Raum,

so hell, dass selbst Engel die Augen schlossen.

Auf der Projektion erschien eine Gestalt –

nicht göttlich, nicht maschinell.

Ein Körper aus Wasser und Licht.

Die Haare wie fließendes Silber,

die Haut durchsichtig wie die Oberfläche eines Sees.

Sie stand auf dem Meer selbst, barfuß,

und der Wind bewegte sich mit ihr,

als gehorche er.


Niemand sprach.

Nur das Summen der Maschinen blieb.


> “Identify,” sagte Luzifer.

(Identifiziert es.)




„Unknown entity,“ antwortete die Maschine. („Unbekannte Entität.“)


Lilith trat einen Schritt vor.


> “It looks… human.”

(Sie sieht … menschlich aus.)




> “No,” flüsterte Luzifer. “Not

human. Never was.”

(Nein. Nicht menschlich. War sie nie.)




Auf der Leinwand hob das Wesen die Hand.

Eine Welle formte sich hinter ihr –

höher als jedes Schiff, breiter als jede Stadt.

Als sie fiel,

traf sie das Land Gottes.

Nicht als Zerstörung,

sondern als Reinigung –

eine einzige Bewegung,

die Staub, Feuer und Blut

fortwusch.


Dann sprach die Valküre, die an der Tür stand, in ihrer Sprache:


> “Hún er hafið sjálft.”

Die Übersetzung kam flüsternd,

fast wie aus einem Traum:

“She is the sea itself.”

(Sie ist das Meer selbst.)




Lilith starrte auf die Projektion.


> “The legends were true?”

(Die Legenden waren wahr?)




Luzifer nickte langsam.

„Korar,“ sagte er.

Der Name hing in der Luft wie ein uralter Atemzug.


Niemand außer ihm wusste, was er bedeutete.

In den ältesten Aufzeichnungen war sie nur erwähnt als

„the first movement of the world“ –

die Hand, die alles zum Schwingen brachte.


Luzifer trat näher an die Leinwand.

Sein Gesicht war blass,

aber seine Stimme hatte zum ersten Mal seit Jahren wieder Gewicht.


> “Cancel surrender.”

(Kapitulation abbrechen.)

“Reinforce every surviving front.

If the sea remembers, so must we.”

(Verstärkt jede überlebende Front.

Wenn das Meer sich erinnert, dann müssen wir es auch.)




Die Engel nickten.

Nicht aus Glauben –

aus etwas, das tiefer lag:

dem Gefühl,

dass Hoffnung manchmal aussieht wie eine Frau aus Wasser.


Die Projektion erlosch.

Stille blieb.


Lilith sagte leise:


> “Maybe she came because even the sea got tired of gods.”

(Vielleicht kam sie, weil selbst das Meer genug von Göttern hat.)






Luzifer antwortete nicht.

Er stand da,

sah in den schwarzen Himmel über Sol Veritas

und flüsterte:


> “Then let the tide decide.”

(Dann soll die Flut entscheiden.)


Kapitel 41 – Der Atem der Schöpfung


Die Welt hielt den Atem an.

Der Himmel über Velramis färbte sich golden,

und das Licht formte eine Gestalt.

Ein Mann, aus Fleisch und Flamme zugleich,

umgeben von Flügeln, so vielen, dass sie den Horizont verdeckten.

Wo er trat, verdampfte der Tau,

und die Luft selbst begann, Gesetze zu sprechen.


Gott war gekommen.

Nicht als Herrscher, sondern als

Schöpfung,

aus demselben Stoff wie der Rest der Welt.

Doch die Ordnung lag in jedem seiner Schritte.


Vor ihm stand Korar – barfuß, ruhig, das Haar feucht vom Meerwind.

Ihr Körper war leicht geneigt,

als lausche sie etwas, das tiefer klang als Worte.

Die Erde vibrierte.


> „Cur me iterum provocas, mater aquarum?“

(Warum forderst du mich erneut

heraus, Mutter des Wassers?)




> „Non provocare venio, sed monere.“

(Ich komme nicht, um herauszufordern, sondern zu erinnern.)




Sein Blick war starr.

Er hob die Hände, und Licht strömte von seinen Flügeln,

reines Gesetz, reine Form.

Korar stand still.

Ihre Magie hob sich wie Nebel –

Wasser, Wind, Erde, Feuer –

doch als sie ihn berührte,

zersplitterte sie wie Glas.


Er blieb unbewegt.

Sein Wesen war außerhalb des Kreislaufs;

ihn konnte nichts aus der Balance reißen.

Er war nicht stärker als sie –

nur anders.


> „Non tangis me,“ sagte er.

(Du kannst mich nicht berühren.)




> „Nec tu me,“ erwiderte sie.

(Und du mich auch nicht.)




Ein Moment der Erkenntnis lag zwischen ihnen.

Zwei Mächte, gleich in Ursprung, verschieden in Ziel.

Um sie herum ruhten die Engel,

bewusstlos, aber friedlich,

gefangen in einem Traum aus Wasser und Licht.


Korar trat näher.

Der Boden unter ihr wurde weich,

als atmete die Erde durch sie.


> „Ergo cur pugnas?“

(Warum kämpfst du dann?)




Gott schwieg.

Seine Flügel zitterten,

ein Licht flackerte zwischen ihnen –

Zorn oder Schmerz, es war nicht zu unterscheiden.


> „Quia ordinem timeo amittere.“

(Weil ich fürchte, die Ordnung zu verlieren.)




> „Et ego quia vitam.“

(Und ich fürchte um das Leben.)




Ihre Worte trafen sich in der Mitte.

Das Meer hinter Korar stieg kurz an,

dann fiel es in sich zusammen –

wie ein Herzschlag,

der beide trug.


Und n dieser Stille standen sie –

nicht als Feinde,

sondern als Spiegel derselben Schöpfung.


Kapitel 42 – Der Sturm des Kindes

Velramis bebte.

Die Mauern der himmlischen Stadt splitterten wie Glas.

Aus den Türmen stiegen Flammen,

und das Licht der Sonne brach in tausend Richtungen.


Gott erhob sich über die Trümmer,

seine Gestalt menschlich, doch von Flügeln umwoben,

so viele, dass sie den Himmel verdunkelten.

Seine Stimme hallte durch Stein, durch Wasser, durch die Zeit selbst.


> „Sile! Non est locus tuus hic!“

(Schweig! Dies ist nicht dein Ort!)




Ein Schlag aus reinem Licht fuhr von seinen Händen –

eine Druckwelle, heiß wie ein Stern.

Tempel zerfielen, Säulen kippten.

Das Pflaster unter Korars Füßen schmolz,

doch sie stand barfuß inmitten des Feuers,

und das Meer antwortete.


Sie hob die Hand.

Das Wasser der fernen Küsten kam als Nebel heran,

als Welle, als Atem.

Kein Zorn, kein Hass –

nur Spiegelung.


Das Licht Gottes traf sie –

und rollte zurück,

weich, lautlos,

bis es ihn selbst umhüllte.


> „Non resistas mihi!“

(Widersteh mir nicht!)




> „Tu pugnas cum imagine tua.“

(Du kämpfst gegen dein eigenes Spiegelbild.)




Er stürzte auf sie zu,

tausend Flügel wie Messer aus Licht.

Jeder Schlag zerschnitt Mauern,

ließ Gestein zu Staub werden.

Die Stadt fiel in sich zusammen,

ihre Türme wie brennende Knochen.


Korar wich nicht.

Mit jeder Bewegung lenkte sie die Kraft um –

nicht zerstörend, sondern umlenkend.

Jeder Strahl, jeder Funken,

kehrte zu seinem Ursprung zurück.


Das Licht, das er schleuderte,

trug seine Signatur, seine Schöpfung,

und so brannte es ihn selbst.


Er fiel auf ein Knie,

Flügel gespreizt,

das Licht um ihn gebrochen, flackernd.


Korar stand über ihm,

Wasser tropfte von ihren Händen.


> „Vide quid facis, puer.“

(Sieh, was du tust, Kind.)




> „Non sum puer!“

(Ich bin kein Kind!)




Der Himmel donnerte,

doch das Meer blieb ruhig.


Sie beugte sich zu ihm,

ihre Stimme kaum hörbar:


> „Tunc disce crescere.“

(Dann lerne zu wachsen.)




Und als sie sprach,

zog das Meer sich zurück,

nahm den Rauch, das Feuer, den Staub –

und ließ nur Stille.


Die Stadt Velramis war verwüstet,

doch lebte.

Gott kniete,

und über ihm wehten seine Flügel,

zerrissen,

aber nict gebrochen.


Korar drehte sich um,

ging barfuß durch die Asche,

bis das Meer sie wieder aufnahm.


Kapitel 43 – Der Sturz des Lichts

Die Welt hielt den Atem an.

Velramis war nur noch Asche und Schweigen.

Inmitten der rauchenden Ebenen stand Gott,

seine Flügel verbrannt, das Licht matt.

Korar kam aus der Ferne, barfuß,

ihre Schritte hallten wie Wellen in einem leeren Meer.


> „Cur rediisti?“

(Warum bist du zurückgekehrt?)




> „Ut te finiam.“

(Um dich zu vollenden.)




Er hob die Hand, ein letzter Rest von Strahlung flammte auf.

Seine Macht war erschöpft,

doch sein Wille ungebrochen.


> „Non sum tuus discipulus.“

(Ich bin nicht dein Schüler.)




Korar stand still.

Der Wind um sie flackerte,

das Meer hinter ihr schimmerte silbern,

und am Horizont erschien ein Licht —

nicht göttlich, sondern menschengemacht.

Eine ferne Sonne aus Metall,

die Luzifers Reich entfesselt hatte,

die Energie einer ganzen Zeit in einem einzigen Atem.


Korar hob den Arm.

Das Licht formte sich in ihrer Hand,

keine Bombe, keine Waffe —

eine Welle aus verdichtetem Raum.

Sie führte sie mit sanfter Bewegung über Gott hinweg.


Kein Schrei,

kein Feuer.

Nur Druck,

so gewaltig, dass der Himmel selbst erzitterte.


Er stürzte,

Flügel breiteten sich wie Blätter im Sturm,

und das Licht seiner Gestalt zersplitterte in Millionen Funken.

Die Erde bebte,

die Luft glühte,

und dann war Stille.


Gott lag am Boden.

Nicht tot — bewusstlos,

sein Herz schlug langsam, schwer,

wie der Rhythmus eines müden Kindes.


Korar trat näher,

beugte sich hinunter,

und legte ihre Hand an seine Stirn.


> „Regnare non est opus tuum.“

(Herrschen ist nicht deine Aufgabe.)




> „Creare est.“

(Erschaffen ist es.)




Sie sah in sein Gesicht,

das nun fast menschlich wirkte.

Kein Zorn mehr, kein Stolz,

nur Erschöpfung.


> „Meminisse debes quod es.“

(Erinnere dich, was du bist.)




Dann richtete sie sich auf,

und das Meer antwortete ihr mit

einem sanften Ton.

Die Wellen zogen sich zurück,

nahmen Feuer, Rauch und Staub mit sich,

bis die Erde wieder atmen konnte.


Über dem Schlachtfeld stieg der Dampf dr Welt auf,

und Korar ging in das Licht,

das kein Feuer und kein Gott geschaffen hatte.


Kapitel 44 – Nach dem Sturm

Velramis war still.

Nichts brannte mehr. Kein Gesang, kein Donner.

Nur das leise Knistern von Staub,

der über den Boden trieb,

wo einst eine Stadt aus Licht gestanden hatte.


Zwischen den Trümmern lag Gott,

bewusstlos, die unzähligen Flügel geöffnet wie zerfetzte Schleier.

Kein Glanz blieb, nur das Atmen eines Wesens,

das endlich schwer geworden war.


Jesus stand neben ihm, stumm,

die Hände gefaltet.

Adam kniete, das Gesicht im Schatten.

Keiner sprach.


Dann kam Luzifer.

Er ging langsam,

jeder Schritt ein Widerhall auf dem verbrannten Stein.

Seine Flügel waren schwarz vor Ruß,

doch in seinen Augen lag kein Hass mehr.

Nur Erschöpfung.


Er blieb vor Gott stehen.

Zwischen seinen Füßen lag etwas Helles –

eine Feder, durchscheinend,

schimmernd wie Wasser im Mondlicht.

Er hob sie auf.


Korar.


Ein Hauch Wind strich über seine Haut.

Für einen Atemzug hörte er das Meer,

fern, ruhig, als würde es ihn beobachten.


Dann beugte er sich über seinen

Vater.

Gott öffnete langsam die Augen,

blinzelte gegen das Licht.


> „Samahel… filius meus…“

(Samael… mein Sohn…)




Seine Stimme war brüchig,

keine Macht mehr, nur Müdigkeit.


> „Cur me servasti?“

(Warum hast du mich gerettet?)




Luzifer antwortete in derselben Sprache, ruhig,

ohne Stolz, ohne Zorn:


> „Quia vivere debes, Pater. Non ut regnes, sed ut memineris.“

(Weil du leben musst, Vater. Nicht um zu herrschen, sondern um dich zu erinnern.)




Ein leises Zittern ging durch den Boden.

Gott schloss die Augen,

seine Hände sanken.


> „Non sum rex amplius.“

(Ich bin kein König mehr.)




> „Pater esse volo.“

(Ich will ein Vater sein.)




Luzifer sah ihn lange an,

dann legte er ihm die Hand auf die Stirn.


> „Tunc disce amare.“

(Dann lerne zu lieben.)




Jesus trat vor, legte Gott den Mantel um.

Adam half ihm aufzustehen.

Gemeinsam standen sie zwischen den Ruinen.

Der Himmel über ihnen war farblos,

doch klar.


Luzifer öffnete seine Hand.

Die Feder Korars schimmerte schwach.

Er legte sie an sein Herz.


> „In aqua memoria est,“ flüsterte

er.

(Im Wasser bleibt Erinnerung.)




> „Et fortasse venia.“

(Und vielleicht Vergebung.)




Ein Windzug ging durch die Stille,

hob den Staub,

ließ ihn über das Feld tanzen.


Fern über dem Meer stand eine Gestalt,

barfuß, still,

und hob die Hand zum Gruß.

Dann vershwand sie im Licht.


Luzifer sah ihr nach,

und zum ersten Mal seit der Schöpfung

war kein Krieg mehr in ihm.


Epilog – Die Insel der alten Götter

Der Nebel lag wie ein Atem über dem Meer.

Zwischen Felsen, die nach Salz und Eisen rochen, erhob sich eine Insel –

verloren in der Zeit,

bewohnt nur von Stille, Stein und Erinnerung.


Hier war der Ort, an dem die alten Götter ruhten.

Kein Blut mehr, keine Gebete,

nur die Echos vergessener Namen.


Korar stand barfuß am Rand der

Klippe.

Ihr Haar wehte wie Wasser im Wind,

die Hände offen, als hielte sie etwas Unsichtbares.


Vor ihr saß Odin, der Allvater,

sein Auge trüb, aber wach.

Er lehnte den Speer gegen den Felsen,

sah sie an, lange, schweigend.


> „Þú ert komin aftur, vatnsmóðir.“

(Du bist zurückgekehrt, Wassermutter.)




Korar nickte leicht.

Ihre Stimme war ruhig, doch müde.


> „Já, Allföðr. Heimurinn andar enn,

en hann er veikur.“

(Ja, Allvater. Die Welt atmet noch,

aber sie ist schwach.)




Der Wind zog über die Steine.

Ein alter Wolf heulte in der Ferne,

und das Meer antwortete wie eine Stimme aus der Tiefe.


> „Þú barðist við ljósið sjálft,“

sagte Odin leise.

(Du hast gegen das Licht selbst gekämpft.)

„Hví ert þú enn hér?“

(Warum bist du noch hier?)




Korar blickte hinaus aufs Meer.

Die Wellen glitten wie Atemzüge.


> „Ég veit ekki enn hvort ég gerði rétt,“

flüsterte sie.

(Ich weiß noch nicht, ob ich das Richtige getan habe.)

„Ég hlífði honum. Hann lifir.“

(Ich habe ihn verschont. Er lebt.)




Odin nickte kaum merklich.


> „Jehova, guð hinna nýju manna.“

(Jehova, der Gott der neuen Menschen.)




> „Já,“ sagte Korar.

„Barn sem ólst án móður,

og lærði aðeins að stjórna.“

(Ein Kind, das ohne Mutter

aufwuchs

und nur das Herrschen lernte.)




Sie schwieg, dann legte sie die Hand auf das Gestein unter sich.

Magie schimmerte leise zwischen ihren Fingern.


> „Hér sofa guðirnir þínir, ekki satt?“

(Hier schlafen deine Götter, nicht wahr?)




> „Já,“ antwortete Odin.

„Þeir bíða mínu merki.

En ég hef ekki kallað þá lengi.“

(Sie warten auf mein Zeichen.

Aber ich habe sie lange nicht mehr gerufen.)




Korar sah ihn an, ernst, wie eine Lehrerin.


> „Kannski ætti ég að vekja þá,“

sagte sie.

(Vielleicht sollte ich sie wecken.)




Odin runzelte die Stirn.


> „Til hvers?“

(Wozu?)




Korar schwieg,

dann sprach sie mit jener Tiefe,

die Wasser haben, wenn sie schweigen:


> „Til að sjá hvort þeir enn geta elskað heiminn.

Ekki berjast, ekki ráða — bara elska.“

(Um zu sehen, ob sie die Welt noch lieben können.

Nicht kämpfen, nicht herrschen — nur lieben.)




Odin senkte den Blick.

Ein Tropfen fiel vom Himmel,

traf seinen Speer,

zischte.


> „Ef þú vekur þá,“ sagte er leise,

(Wenn du sie weckst,)

„breytist heimurinn aftur.“

(wird die Welt sich wieder verändern.)




> „Kannski þarf hún það.“

(Vielleicht braucht sie das.)




Sie trat an den Rand der Klippe,

hob die Hand,

und das Meer begann zu leuchten.

Unter der Oberfläche bewegten sich Schatten —

die alten Götter, schlafend in den Tiefen.


Odin sah sie an.


> „Þú munt bera ábyrgð á því, sem kemur.“

(Du wirst die Verantwortung tragen für das, was kommt.)




> „Ég bar hana alltaf,“

antwortete sie.

(Ich habe sie immer getragen.)




Der Himmel öffnete sich.

Ein Licht stieg aus dem Meer,

alt und doch neu,

und die Luft vibrierte wie Atem.


Odin legte die Hand über sein Auge.


> „Veröldin mun aldrei sofna aftur.“

(Die Welt wird niemals wieder schlafen.)




Korar lächelte schwach,

ließ das Licht in die Wolken steigen

und flüsterte:


> „Svo verði það.“

(So sei es.)




Dann verschwand sie.

Nur das Meer blieb,

heller als je zuvor.

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Über den Autor

yumiko
Ich bin ein junge Schreiberin mit LRS (Lese recht scheib schwache) und möchte meine Gedanken zu Papier Bingen möchte
was schwer ist und des halb danke ich allen dir helfen meine Worte zu Papier zu Bingen.

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