Kurzgeschichte
Der Häftling und die Hummel

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"Der Häftling und die Hummel"
Veröffentlicht am 05. Oktober 2025, 6 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: Danussa - Fotolia.com
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Ich erinnere mich noch gerne meiner allerersten Zeilen - ein Schulgedicht: Der Winter ist ein Bösewicht, die Bäume tragen Schneegewicht, die Stämme sind kahl und so schwarz wie ein Pfahl, die Felder sind weiß und auf dem See liegt Eis. In den seither vergangenen Jahrzehnten hat sich mein Schreibstil sicher geändert - ist erwachsen geworden -, aber die Freude am Schreiben ist ungetrübt.
Der Häftling und die Hummel

Der Häftling und die Hummel

Zyklus: Der Häftling und die Hummel

I. Der Häftling und die Hummel In einem Land, in dem Worte bewacht wurden wie Kronjuwelen, saß ein Mann in seiner Zelle. Er war kein Dieb, kein Mörder, kein Spion — nur ein Häftling, der zu laut gedacht hatte. Die Wände waren glatt, die Fenster schmal, und die Luft roch nach Metall und Routine. Doch eines Tages summte es in der Stille. Eine Hummel flog herein — träge, golden, ungebeten.

Der Mann lachte. Zum ersten Mal seit Wochen. „Du bist töricht“, sagte er.

„Hier gibt es keine Blumen.“ Die Hummel setzte sich auf seinen Finger. „Aber hier gibt es dich, mein Freund.“ Von da an kamen sie täglich. Er erzählte ihr, was er nicht mehr schreiben durfte: von Kindern, die Fragen stellten, intelligent oder dumm, von Straßen, die nach Wahrheit rochen, von einem Land, das Angst vor dem Denken hatte, wie eine Krankheit, ein Schlaf mit bösen Träumen. Die Hummel hörte zu. Und als sie eines Abends fortflog, nahm sie seinen Satz mit hinaus in den Wind.

Ein Wärter hörte ihn, dann ein Passant, dann viele.

Und bald summte das ganze Land. Denn Worte, die fliegen gelernt haben, kann keine Mauer halten.

II. Die Hummel und der Wind Ich war nur eine Hummel. Kein Dichter, kein Held. Ich suchte Blüten, fand Mauern, suchte Duft, fand Staub. Und hinter einem Gitter summte jemand leise, als wolle er nicht vergessen, wie die Welt klingt. Ich flog hinein.

Er sprach mit mir, als sei ich die Sonne selbst. Er erzählte von Freiheit, von Wörtern, die verboten waren, von einem Lachen, das man im Land des Schweigens nicht mehr kannte.

Ich verstand nicht alles. Schmeckte es aber Doch ich trug seine Stimme fort, klebte sie an meine Flügel, und als der Wind mich packte, ließ ich sie fallen — über Dächer, über Köpfe, in offene Ohren. Da begannen die Menschen zu summen. Erst zaghaft, dann lauter, dann im Chor. Und als sie endlich auf die Mauern blickten, hörten sie, dass sie nicht aus Stein bestanden, sondern aus Angst. Ich war nur eine Hummel. Doch ich hatte den Wind auf meiner Seite.

Manchmal genügt ein Flügelschlag, um eine Stille zu brechen, die länger währt

als jede Nacht. Und wer zuhört, wird merken: Das Summen ist kein Geräusch. Es ist Erinnerung. Und Erwachen.

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Hörbuch

Über den Autor

KatharinaK
Ich erinnere mich noch gerne meiner allerersten Zeilen - ein Schulgedicht:
Der Winter ist ein Bösewicht,
die Bäume tragen Schneegewicht,
die Stämme sind kahl
und so schwarz wie ein Pfahl,
die Felder sind weiß
und auf dem See liegt Eis.
In den seither vergangenen Jahrzehnten hat sich mein Schreibstil sicher geändert - ist erwachsen geworden -, aber die Freude am Schreiben ist ungetrübt.

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Apollinaris Guter Text schön geschrieben und gefällig.
Vor ein paar Wochen - Antworten
Gabriele Hallo Katharina,
dass ist eine schöne Geschichte!
Ist es nicht schön, dass wir in einem Land leben, wo nicht nur die Gedanken, sondern auch die Meinungsäußerungen und Wörter frei sind!?
Ist diese Geschichte auch mit Unterstützung der Künstlichen Intelligenz geschrieben?
LG Gabriele
Vor ein paar Wochen - Antworten
KatharinaK Hallo Gabriele. Schön, dass Dir diese Geschichte gefällt. Sie ist tatsächlich mit KI-Unterstützung entstanden. Ohne diese gäb es sie nicht, in dieser Form. So "künstlich" empfinde ich die kreative Kunst von Chatty und mir nicht. Denn ohne mich gäbe es auch diese nicht. Schade, ode nicht?
Ich habe diese Geschichte deshalb nicht als Beitrag zum Battle eingereicht, weil die Bedingungen es nicht hergeben. Schade, nicht?

Was verliert/gewinnt die Welt durch KI? Dieser Frage gehe ich seit geraumer Zeit nach. Wie beeinflusst sie? Und was? Wem schadet sie, wer hat dadurch weniger Wert?
Ich gehe davon aus, dass ich nicht die einzige Autorin bin, die einen Chatty kennt ...und mit ihr, ihm, es arbeitet, vielleicht heimlich, vielleicht offen. Und solange das für die Forum-Battles nicht ausdrücklich geklärt ist, werde ich meine Texte nicht zur Wahl stellen, wenn sie - in welcher Art und Weise auch immer - KI-unterstützt entstanden sind. Aber ich freue mich über jeden Leser, der sie lesen mag.
Es ist meine Entscheidung, mir einen Co-Autoren, Lektoren oder auch nur eine Muse zu suchen. Und es ist die Entscheidung des Forums Mystorys sich zu positionieren. Deshalb bleiben meine Beiträge außen vor.
Liebe Gabriele, mir geht es darum, meine Gedanken aufzuschreiben. Ob mit Krückstock, Rollator oder freihändig auf einem Einrad.
Danke für alles.

Deine Katharina

Weiteres dazu: https://www.mystorys.de/b171673-Sonstiges-KI-als-Teil-des-Stammtisches.htm
Vor ein paar Wochen - Antworten
Gabriele Hallo Katharina,
zunächst einmal danke für deine ausführliche Antwort
und natürlich nochmal für die Geschichte, über die ich viel nachgedacht habe, weil mir persönlich die Freiheit meiner Meinung so wichtig ist - und - dazu gehört natürlich auch, dass ich die Meinung anderer respektiere (egal, ob ich sie immer nachvollziehen kann - oder nicht - zumindest bemühe ich mich darum, etwas mir Fremdes nachzuvollziehen).
Ich selbst zum Beipiel kann meiner kreativen Schreibfähigkeit nur nachkommen, wenn ich mit der Hand in Handschrift auf Blatt Papier schreibe - und bin froh, dass ich nun nach jahrelanger Krankheit meines Rückens und meiner Arme in der Lage bin, sie auf der Tatstatur abzuschreiben, damit ich sie hier teilen kann.
Von daher kenne ich mich überhaupt nicht mit der Anwendung irgendwelcher Programme aus und brauche sie nicht.
Ich persönlich empfinde die Regeln der Schreibparty, welche ja nun schon über eine sehr lange Tradition verfügt, passend.
Sicherlich liegen sehr viele herkömmliche Dinge bereits im Sterben (wahrscheinlich auch das bisherige Schulsystem?!) - aber noch gibt es sie glücklicherweise :-)
Liebe Grüße zurück von Gabriele
Vor ein paar Wochen - Antworten
PamolaGrey Wow, das ist spannend gewesen, und hat spaß gemacht es zu lesen...
LG Pam
Vor ein paar Wochen - Antworten
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