Kurzgeschichte
Faktotum

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"Faktotum"
Veröffentlicht am 25. September 2025, 6 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: Elena Okhremenko - Fotolia.com
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Ich erinnere mich noch gerne meiner allerersten Zeilen - ein Schulgedicht: Der Winter ist ein Bösewicht, die Bäume tragen Schneegewicht, die Stämme sind kahl und so schwarz wie ein Pfahl, die Felder sind weiß und auf dem See liegt Eis. In den seither vergangenen Jahrzehnten hat sich mein Schreibstil sicher geändert - ist erwachsen geworden -, aber die Freude am Schreiben ist ungetrübt.
Faktotum

Faktotum

Das Faktotum … im neuen Frack

Wie jede Nacht seit Menschengedenken sah das Faktotum im Hotel nach dem Rechten. Niemand hatte ihn gerufen, niemand erwartete ihn. Seine Schicht war vor Jahren beendet worden, seine Personalakte verstaubte längst im Kellerarchiv. Und doch schritt er durch die Flure, unbeirrt, als liefe er einem unsichtbaren Plan nach, den nur er kannte. Er hatte als Küchenjunge begonnen, den kalten Steinboden mit fettigen Händen geschrubbt. Etage um Etage hatte er sich

hochgedient, bis man ihn Butler nannte, der unermüdliche Wächter der Honeymoon-Suite. Damals hatte er geglänzt in seiner Uniform, wie eine Statue aus Stoff und Stärke. Heute trug er einen neuen Frack. Doch er saß zu glatt, zu makellos – als wäre er ihm auf die Haut genäht. Er fühlte sich darin nicht gekleidet, sondern eingesargt. Die Wandelhalle lag in mondloser Stille. Kein Wind regte sich, kein Geräusch vibrierte in den schweren Teppichen, die den Boden wie Graberde dämpften. Unter der dunklen Täfelung summte ein kaum vernehmliches Wispern, so leise, dass es mehr in seinem Kopf zu leben schien als

in der Luft. Die Küche, die tagsüber wie ein Organ des Hauses pulsierte, schwieg nun wie ein toter Körper. Er stolperte fast über eine Teppichkante – immer an derselben Stelle, immer vor dem Bild. Das Gemälde zeigte die große Feuersbrunst, die einst die Stadt verschlungen hatte. Er erschrak jedes Mal, als würden die Flammen im Augenwinkel aufflackern. Menschen schrien darin stumm, gefangen in einem endlosen Augenblick des Untergangs. Wer länger hinsah, konnte schwören, sie bewegten sich – als rührten sie sich leise, flackerten auf, wie Schatten im

Rauch. Das Klavier stand verlassen in der Ecke. Kein Finger hatte es seit Jahren berührt, und doch schien es ihn zu erwarten. Sein Lack glänzte dunkel, als hätte man ihn poliert, obwohl niemand das tat. „Immer dasselbe“, krächzte er, und seine Stimme hallte, als hätte sie keinen Körper mehr. Er legte die Hand auf das Instrument, streichelte über die Tasten, die sich kühl anfühlten, fast wie Marmor. Er öffnete die Klappe, pfiff eine Melodie. Spiel mir das Lied vom Tod. Zunächst war es nur sein Pfeifen, brüchig, wie von weither. Dann jedoch klang es zurück – das

Klavier antwortete, sachte, kaum hörbar, als atmete es den Ton in die Halle hinaus. Das Faktotum lächelte. Und in diesem Augenblick war nicht zu sagen, ob er noch lebte – oder ob das Hotel längst ihn spielte, wie es einst das Klavier gespielt hatte.

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Hörbuch

Über den Autor

KatharinaK
Ich erinnere mich noch gerne meiner allerersten Zeilen - ein Schulgedicht:
Der Winter ist ein Bösewicht,
die Bäume tragen Schneegewicht,
die Stämme sind kahl
und so schwarz wie ein Pfahl,
die Felder sind weiß
und auf dem See liegt Eis.
In den seither vergangenen Jahrzehnten hat sich mein Schreibstil sicher geändert - ist erwachsen geworden -, aber die Freude am Schreiben ist ungetrübt.

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