Leuchten
Das Dorf lag im Dunkeln.
An vielen Häusern waren Rollläden herunter gelassen.
Es gab aber auch zahlreiche Fenster, in denen man entweder einen Lichtschein wahrnehmen konnte, oder stille hölzerne Wächter hinter den Glasscheiben sah.
Manche Fenster jedoch reflektierten einfach nur schwarz.
Jan schritt mitten in der Nacht geräuschlos an all diesen stummen dunklen Zeitzeugen des kleinen Eifeldorfes vorbei,
um zum größten Gebäude gegenüber dem kleinen Fluss zu gelangen:
Der mittelalterlichen Kirche.
Dort würde er in der Lage sein, seinen Augen das Geschenk einer vielfältigen Farbenpracht zu präsentieren.
Er wusste mit absoluter Sicherheit, dass seine Sinnesorgane beim Anblick von Licht und Farben ihre spontane Freude direkt mit dem Herzen teilen würden.
Denn Freude – das war es, was sein Herz gerade in dieser Nacht so dringend benötigte!
Deshalb hatte Jan sich auf den bedrückenden Weg durch die Nacht
gemacht, um zu den bunten Mosaikfenstern der Kirche zu kommen, welche ihm die Möglichkeit schenken würden, seine Augen mit leuchtenden Farben zu erfreuen.
Seine Zuversicht motivierte Jan trotz der Ängste, welche seinen Körper und seine Sinne zu betäuben schienen.
Bis hierhin hatte er es geschafft; nun war es nur noch ein kurzes Stück.
Er konnte es kaum erwarten; es fühlte sich gerade so an, als wenn er mitten in der Wüste am Verdursten wäre.
Als Jan durch die schwere doppelflügige Türe in das große alte Gebäude eingetreten war,
drehte er sich um, um nach der aus bunten Glasstücken bestehenden Fensterrose über dem Eingangsportal zu schauen. Sie ließ schimmerndes Mondlicht in den großen kalten Raum fallen. Aber leider war das Licht nicht stark genug, um die Farben zum Leuchten zu bringen.
Enttäuscht, aber nicht entmutigt, lief Jan sachten Schrittes zum Seitenschiff der Kirche, wo sich über dem breiten Ständer für die Opferkerzen die bunten Fenster mit Erzengeln befanden.
Doch auch hier war das Licht der Nacht zu schwach für Farbenspiel.
Genau damit hatte Jan gerechnet und deshalb eine Menge Kleingeld in die Hosentaschen gesteckt, damit er mit Hilfe der Opferkerzen Licht in das Dunkel der Kirche zaubern könnte.
Er warf hastig das gesamte Kleingeld in die Box und entzündete betend eine Kerze nach der Anderen. Nach einer Weile war der breite Ständer voll mit brennenden Opferlichtern.
Es leuchtete hell hier im Seitenschiff.
Langsam hob Jan seinen Kopf, um zu den Erzengel Fenstern hoch zu schauen.
Seine Augen blieben bei Erzengel Gabriel hängen,
dessen Gewand in einem kräftigen Rot und dessen Krone und Aura in tiefem Blau strahlten.
Die bunten Ornamente am Kleid und entlang des Fensterrahmens funkelten in Blau, Grün, Rot und Gelb.
Jan genoss den Anblick.
Seine Augen strahlten.
Sein Herz hüpfte vor Freude –
und Jan spürte, wie Leben
seinen Körper durchflutete.
Er spürte sich selbst wieder.
Seine innere Mitte.
Sein Herz.
Seine Freude.
Die Trostlosigkeit wich
und machte Platz
für Zuversicht.