Kinderbücher
Wiktor - Begegnung, SB 109

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"Wiktor - Begegnung, SB 109"
Veröffentlicht am 08. April 2025, 20 Seiten
Kategorie Kinderbücher
© Umschlag Bildmaterial: fireflamenco - Fotolia.com
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Ich erinnere mich noch gerne meiner allerersten Zeilen - ein Schulgedicht: Der Winter ist ein Bösewicht, die Bäume tragen Schneegewicht, die Stämme sind kahl und so schwarz wie ein Pfahl, die Felder sind weiß und auf dem See liegt Eis. In den seither vergangenen Jahrzehnten hat sich mein Schreibstil sicher geändert - ist erwachsen geworden -, aber die Freude am Schreiben ist ungetrübt.
Wiktor - Begegnung, SB 109

Wiktor - Begegnung, SB 109

Vorgaben


Wald

Hand

Strom

Sommer

Wandlung

Lich

Frost

Tiere

Wiktor

Die Sonne schien von einem blassblauen Himmel. Es wollte Frühling werden, aber warm war es leider noch nicht wirklich. Nur wenige Wolken zogen Schäfchen dahin, und die Sonne strahlt mit Wiktor um die Wette. Wiktor war ein alter Braunbär mit schwarzen Knopfaugen, um die sich erste grauen Strähnen zeigten. Er trug einen roten Schal um seinen Hals, weil er sich gerade erst von eine schwere Grippe erholte. Doch noch wärmte die Sonne nur die Seele, die sich der eisigen Hand des vergangenen Winters erwehrte. Heute morgen war er spontan aufgebrochen, immer seiner

dicken schwarz glänzenden Nase nach, während er mit wie wachen Augen in die Welt schaute. Im Herzen war er jung geblieben, nur sein Körper blieb leider hinter seinen Erwartungen zurück. Es zwickte und zwackte schon gewaltig. Und manchmal schien er auch geistig nicht mehr so beweglich wie früher, stellte er leicht resigniert fest. Seine Verfassung war also nicht allein der überstandenen Grippe geschuldet. Er stapfte, fest entschlossen den Tag zu genießen, über einen schmalen holprigen Weg an noch nackten Feldern und Wiesen vorbei; am Horizont wartete ein lichter hoher Wald auf ihn. Wie schön es hier ist! dachte Wiktor bei sich und schaute

schmunzelnd den ersten Insekten nach, die sich an den ersten Blüten labten. Da waren Hummeln, ein paar Bienen und Schmetterlinge sowie allerhand Geschöpfe, deren Namen ihm gerade nicht einfiel. Ihr Zirpen, Flattern und Surren erfüllte die Luft. Darauf hatte er so lange gewartet. Und jetzt konnte er sich nicht sattsehen an der Wandlung von Winter zu Frühling und nicht zuletzt dem Sommer entgegen. Seinem letzten?

"Na Ihr fleißigen Tierchen. Ist es hier nicht schön?“

„Herrlich! Super!“, schallte es ihm vielstimmig entgegen. 

Wiktor winkte ihnen noch einmal, dann setzte er seinen Weg

fort. Als die Sonne schon hoch am Himmel stand, macht er unter einem Baum Rast. Er gähnte. Noch war er nicht wieder der Alte. Der Frost lag ihm in den Knochen. Seine Höhle war war einfach nicht der richtige Ort für den Winterschlaf gewesen: viel zu groß und zugig. Und dann hatte es nicht genug geschneit; sein Bett war ständig naß geworden, wenn der eisige Regen in die Höhle hineingerauscht war. Da mußte man sich ja den Tod holen! Ein toter Bär in einer feuchten Höhle, das wäre jedoch kein schöner Anblick gewesen. So war er froh, diesem Schicksal entkommen zu sein. 

Seit er am Morgen aufgebrochen war, war ihm kaum jemand begegnet. Nur wenige Hasen und Rehe hatte er auf den noch kargen Wiesen gesehen, und ein paar Bussarde hatten ihre weiten lautlosen Kreise gezogen. Schade, dachte er. Wie gern hätte er seine Freude mit jemandem geteilt. Nur ungern dachte er an die Wochen zurück, in denen er allein in seiner Höhle gelegen und sich fiebernd unter seiner Decke verkrochen hatte. Doch nun sollte es Frühling werden. Er wollte nichts Anderes.

Nur wenig später führte sein Weg durch einen Wald im zarte Grün. Wiktor lauschte. Ein vielstimmiges Zwitschern und Rascheln war über ihm in den

Wipfeln. Dort ein einzelnes Piep, piep, tock, tock! Ihm war, als riefen sie jedesmal: Wiktor, Wiktor. Und dazwischen immer wieder das Pfeifen unsichtbarer Zeitgenossen. Unterdessen folgte er dem Weg immer tiefer in den Wald. Wohin es mich wohl verschlägt, dachte Wiktor. Nicht, daß er Angst hätte, schließlich war er ein Bär, den andere Zeitgenossen fürchteten. Aber irgendwie war ihm dieser Wald fremd. Und dazu wurde ihm vor Hunger ganz flau im Magen. Und Durst hat er auch. Wenn ich doch nur ein Bächlein fände, oder gleich einen reißenden Strom! Hier war doch immer ein Bach gewesen, oder? Und vielleicht ein paar saftige Larven, meint

er halblaut zu sich selbst.

„He, du. Wo kommst du denn her?“, drang es plötzlich aus dem Unterholz. Wer war das wohl? Wiktor sah sich unsicher um. Ganz wohl war ihm nicht. Er wußte gern, mit wem er es zu tun hatte; einem unsichtbaren Feind gegenüber fühlt er sich im Nachteil. Er stellte sich kerzengerade auf die Hinterpfoten, um noch ein wenig größer zu scheinen – und dabei knurrte sein Magen fast lauter als er selbst. Seine Knie schlotterten und sein Nackenhaar stellte sich auf. „Zeige dich, wenn du keine Angst hast!“ „Du brauchst dich gar nicht so aufzuplustern, Großer. Niemand tut dir

was.“ Eine kleine graue Maus trat aus dem Dickicht auf den Weg. „Was führt dich hierher, Bär? Hast du auch einen Namen? Ich bin Felix.“ Die Maus hielt ihre kleine Pfote Wiktor entgegen. „Na, Du machst mir Spaß. Ich heiße Wiktor, mit W“, fügte Wiktor hinzu, bückte sich und ergriff die kleine, braune Pfote, so sanft, daß er es fast nicht spürte. Aber er wollte der Maus auch nicht weh tun. „Aha, und ganz offensichtlich bist du ein besonderes Exemplar Bär. Ich habe noch nie so einen Hasenfuß wie dich erlebt. Plusterst dich auf wie sonst was, nur weil du angesprochen wirst. Du bist mir ein feiner Bär!“ Felix rümpfte die kleine

spitze Nase und verschwand geradewegs ins Unterholz. „Bleibe, Felix. Ich habe schon lange nicht mehr mit irgendwem gesprochen.“ Wiktor fand die Maus zwar recht keck, aber vielleicht könnten sie ja so was wie Freunde werden. „Was macht eine Maus wie du hier im Wald. Ich dachte immer, ihr lebt nur auf den Feldern und Wiesen. Kennst du hier einen Bach, aus dem ich trinken kann? Ich habe so einen entsetzlichen Durst.“

„So gefällst du mir schon besser.“ Die Maus wandte sich um. „Hunger hast du wahrscheinlich auch, wenn ich dich so anschaue. Aber zurück zu deiner Frage: Natürlich leben Mäuse auf dem Feld,

schließlich sind es Feldmäuse. Doch ich bin eine Waldmaus. Und wir leben im Wald. Da haben wir alles, was wir brauchen. Außerdem sind Feldmäuse keine richtigen Mäuse!“ "Ach, und was sollen sie stattdessen sein?" fragte Wktor irritiert. "Wie soll ich das erklären? Ach ja, die ersten Mäuse gab es im Wald. Da ist schon lange her. Doch der Platz unter den Bäumen reichte nicht aus. Da haben meine Vorfahren entschieden, daß ein Wettbewerb ausgerichtet werden sollte: jeder gegen jeden. Der Sieger durfte bleiben, der Verlierer mußte aufs Feld hinaus." Felix krabbelte auf Wiktors Schoß. "Das Ende vom Lied war, das die

Waldmäuse bis heute glauben, sie seien etwas besseres. Feldmäuse nicht angesehen. Waldmäuse sind einfach was Besseres." "Und das soll ich dir glauben, du kleiner Hosenscheißer? Hochmut kommt vor dem Fall, hat mein Großvater gesagt." "Naja, ganz so ist es ja nicht. Meine Eltern haben auch Freunde am Waldrand. Die kriegen immer mal was leckeres vom Feld mitgebracht. Gebratenen Mais, zum Beispiel. Hmmmm!" "Na, siehste." Wiktor nahm Felix hoch und erhob sich vorsichtig. "Es gibt immer zwei Seiten." "Ich finde Feldmäuse auch nett, besondes eine." Felix Augen bekamen einen

besonderen Glanz. „Du brauchst eine anständige Mahlzeit, du bist ja nur noch ein Schatten deinerselbst. Komm, Wiktor, ich habe da was für dich.“ Felix führte ihn durch das dichte Unterholz. „Du warst wohl krank, Wiktor?“ „Ja, es hatte mich ganz ordentlich erwischt. Erst seit wenigen Tagen traue ich mich wieder aus meinem Bau heraus.“ „Ja, ja, das ist immer das gleiche. Doch eine Grippe kommt und geht auch wieder. Ich habe schon Fälle gesehen, die gingen nicht so glimpflich aus.“ „Das mag sein. Aber mein eigenes Hemd sitzt mir näher als das eines anderen“, brummte Wiktor. „Ist es noch weit bis zu

dem Bach?“ Da habe ich mir ja was Feines eingebrockt, stöhnte Felix innerlich. Statt geruhsam irgendwo ein Nickerchen zu machen, laufe ich mit einem hungrigen Bären durch den Wald. Ich habe wohl ein zu großes Herz, dachte er, und mußte über sich selbst schmunzeln. Trotzdem hatte er seine Freude daran, denn irgendwie schien dieser große Bär unbeholfen und hilfebedürftig zu sein. Sei es drum, dachte Felix, Wiktor braucht mich. Und ich habe gerade nichts Besseres vor. Er führte den Bären durch den Wald auf eine Lichtung zu, durch die ein kleines Rinnsal kristallklares Wasser lief. "Da sind wir schon."

Wiktor beugte sich über das Wasser und trank. Das tat gut! "Wie kann ich dir das danken? Ohne dich wäre ich glatt verdurstet."

Wiktor nahm Felix in seine großen Tatzen und hob ihn hoch, damit er ihn anschauen konnte. "Du siehst aber niedlich aus! Und ein wenig frech zu mir altem Bären. Trotzdem, danke." "Naja, ich kann schlecht Nein sagen. Du hast so ein jammervolles Bild abgegeben. Da konte ich doch nicht wegsehen. Geht es dir jetzt wieder besser?" "Aber sicher." Wiktor setzte die Maus vorsichtig wieder zurück auf den Boden. "Nur mein Bauch knurrt noch. Doch auch dafür hast du sicher eine Lösung,

Felix?" "Laß mich nachdenken." Felix sah zu Wiktor auf. "Hast du Lust auf Honig?" "Dagegen ist wahrlich nichts einzuwenden." "Dann komm mit. Äh, es wäre schön, du würdest mich tragen, dann zeige ich dir den Weg - und ich brauche nicht hinter dir her zu stolpern." "Aber klar doch. Und nun?" "Nun gehen wir zu mir, essen was Feines. Da geht es lang." "Darauf freue ich mich." Wiktor setzte eine Fuß vor den anderen, und auf seiner Pranke thronte Felix. Hoffentlich lasse ich meine neuen kleinen Freund nicht fallen, dachte er noch, während er Felix

Fingerzeig folgte. Wiktor hatte für heute seinen Frieden gefunden.

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KatharinaK
Ich erinnere mich noch gerne meiner allerersten Zeilen - ein Schulgedicht:
Der Winter ist ein Bösewicht,
die Bäume tragen Schneegewicht,
die Stämme sind kahl
und so schwarz wie ein Pfahl,
die Felder sind weiß
und auf dem See liegt Eis.
In den seither vergangenen Jahrzehnten hat sich mein Schreibstil sicher geändert - ist erwachsen geworden -, aber die Freude am Schreiben ist ungetrübt.

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