Fauler Zauber
Der Zauberkünstler Alfons Höselmann, linste durch den Spalt des Bühnenvorhangs um die Stimmung im Publikum abzuchecken. Positiv, eindeutig positiv.
Leider war das nicht immer so gewesen. Oft hatte er ein Kaninchen aus dem Zylinder ziehen wollen, es aber nicht mehr gefunden - futsch, nicht mehr auffindbar.
Auch zahllosen Tauben, die in Innentaschen seines Fracks vor sich hindämmerten und von ihrem großen Auftritt träumten verschwanden spurlos.
Vielleicht lag es daran, dass er auf
Federn und Tierhaare allergisch reagierte und die Viecher deshalb immer weit weggewünscht hatte. An Amanda, die schwebende Jungfrau, dachte er sehr ungern. Sie war eine Zeit lang seine Assistentin gewesen. Amanda war heiß wie Frittenfett, was er zuerst richtig geil fand. Doch bald ging sie ihm gewaltig auf den Keks. Egal wo, wann und warum, immer wollte sie. Das störte auf Dauer seine magischen Kreise. Die Allergie verschlimmerte sich. Höselmann wünschte sie zum Kuckuck oder besser direkt an den Nordpol, wo sie in Ruhe abkühlen konnte.
Dann kam es zur Katastrophe: Amanda mimte die schwebende Jungfrau. Mit
wenig Stoff am Körper lag sie vor ihm und grinste ihn lüstern an. Schnell bedeckte er sie mit einem großen schwarzen Seidentuch, murmelte den üblichen Zauberspruch, kam aber mit der Konzentration nicht richtig klar. Als er das schwarze Tuch wegzog, war sie verschwunden. Er hatte, zwischen Verblüffung und Erleichterung schwankend, das Tuch fallen lassen und sich suchend umgeschaut. Die Deppen im Publikum glaubten an einen Gag, sie applaudierte heftig.
Alfons wusste es besser, denn Hasen, Tauben, die schwebende Amanda und in einem Fall ein kleines schwarzes, ihm sehr unsympathisches
Hängebauchschwein tauchten nie wieder auf. Er zweifelte plötzlich an seinen magischen Fähigkeiten, verfiel in eine Depression.
Dies war seine letzte Chance.
„Erleben Sie den Meister die Magie“, ertönte es lautstark.
Höselmann war wieder in der Gegenwart angekommen. Mit elastischen Schritten betrat er die Bühne, lüpfte den Zylinder. Setzte ihn mit gekonntem Schwung auf seinem Zaubertisch ab, murmelte eine Zauberformel, griff zögernd hinein. Doch es gab keinen Grund zur Sorge. Seine Finger schlossen sich um ein Paar Löffel und schon zog er den verdutzten Hasen
aus dem Hut. Ein paar weiße Tauben flatterten hinterher.
Applaus brandete auf. Höselmann wippte entschlossen auf den Zehenspitzen. „Wertes Publikum“, begann er, während im Hintergrund ein Trommelwirbel seine Ansage untermalte. „Heute werden sie eine Premiere erleben. Vor ihren Augen steige ich gefesselt in eine Kiste, die anschließend in einem Wasserbecken versenkt wird. Keine Sorge, es wird mir ohne Mühe gelingen mich mit Hilfe meiner magischen Fähigkeiten zu befreien.“ So geschah es, Höselmann wurde gefesselt, in die Kiste gesperrt und versenkt. Luftblasen blubberten, während die Kiste langsam nach unten
trudelte, sanft auf Grund stieß. Ein schwarzes Tuch senkte sich über das Bassin.
Sekunden, Minuten, eine Viertelstunde passierte nichts. Dann hob sich das Tuch mit einem Ruck. Dem staunenden Publikum offenbarte sich ein leeres Wasserbecken. Erst vereinzelt, dann immer heftiger brandete der Beifall auf. „Unglaublich!“ „Sagenhaft!“ „Unvorstellbar!“, erklang es begeistert aus dem Zuschauerraum. Einige Minuten später betrat ein betretener Conférencier die Bühne. „Meine Damen und Herren“, begann er zögernd. „Das war der Meister der Magie. Sein Verschwinden wird uns ein ewiges Rätsel sein. Wir fahren in
wenigen Minuten mit dem Programm fort.“
„Verdammter Dilettant! Hast du es endlich geschafft dich selbst hier hin zu befördern?“, ertönte Amandas missgelaunte Stimme.
Alfons sah sich verwirrt um. Er saß pudelnass mitten in einer weißen Einöde und fror gewaltig. Die Kiste lag zerschmettert neben ihm in einer riesigen Wasserpfütze, die eben dabei war, sich in eine eisige Rutschbahn zu verwandeln.
Amanda, von Kopf bis Fuß in Kaninchenfell gewickelt, näherte sich ihn drohend. An ihrem Gürtel baumelte ein großes Messer.
„Mir wäre es lieber, du hättest wieder ein Hängebauchschwein oder wenigstens ein Karnickel hergezaubert. Der ewige Fisch hängt mir zum Hals raus.“ Sie taxierte ihn, lächelte lüstern, während sie das Messer zückte. „Du hast eine ordentliche Speckschwarte bekommen, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe ...“