Kurzgeschichte
Der Fluch

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"Der Fluch"
Veröffentlicht am 29. März 2024, 48 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: Ulrich Seegschütz/Pixabay
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Der Fluch

Der Fluch



Inhalt


Der Student Sven liebt die bildschöne, fast 17jährige Roxana. Als Roxana ihre wunderschönen Augen schließt und die Lippen leicht zum Kuss öffnet, lehnt sich selbst Gott, der nun wirklich schon einiges gesehen hat, interessiert vor und staunt. Und ergriffen von der Reinheit dieser beiden Seelen ruft Gott seinen Sekretär und lässt ihn einen Vermerk schreiben, dass diese beiden besonders zu beobachten seien. Ach, wie dringend die beiden dieser Hilfe doch bedürfen!

Denn ihrer Liebe entgegen stemmt sich mit aller Macht Roxanas Vater, ein Zigeuner rumänischer Herkunft. Ein Bollwerk Jahrhunderte alter Traditionen und in seiner Liste möglicher Verehrer für seine Tochter steht nicht einmal auf der letzten Seite, ganz unten im Kleingedruckten, ein deutscher Chemie-Student! Und jedes Mal, wenn er an den „Weißkäse“, wie er Sven nennt, denkt, blickt er verstockt zum Himmel und ruft: „Niemals! Hörst Du? Niemals!“

Kapitel 1




Geschickt bahnte sich das kleine Mädchen auf Rollerblades seinen Weg durch den überfüllten Bahnhof. Es war Winter und Hauptreisezeit. Schließlich stoppte es vor einer Bank, auf der ein blonder, junger Mann saß. „Das soll ich Ihnen geben“, krähte das Kind und reichte dem Mann ein Päckchen. „Das ist für mich?“, überrascht blickte Sven auf das Kind. „Hmm.“, nickte das Mädchen. „Wer hat dir das denn gegeben?“ „So’n Mann“. „Und wie hat der Mann ausge-sehen?“ „Wie’n Mann“. „Aha. Na, dann

Dankeschön!“, schmunzelte Sven. „Der Mann hat gesagt, dass du mir fünf Euro gibst“. Das Mädchen streckte die flache Hand aus. „Oh, ja, natürlich – hier, bitte“. Das Mädchen verstaute die Münzen sorgfältig in seiner Jacke und zog den Reißverschluss zu. Mit den Worten: „Hat er gar nicht gesagt, ätsch! Hat er mir schon gegeben!“, rollte die Kleine davon.


Sven Altmann, Student aus Berlin, der gerade von einer Beerdigung in München gekommen war und wegen des Schnee-chaos’ in Süddeutschland einen längeren Aufenthalt hatte, packte neugierig das Päckchen aus und hielt schließlich ein

dünnes, schwarzes Lederbuch in den Händen. Während sich seine Gedanken hauptsächlich um die Frage nach dem Absender drehten, da ihn niemand hier kannte, öffnete er gespannt das Buch, begann zu lesen und erstarrte gleich bei den ersten Zeilen:



Geschickt bahnte sich das kleine Mädchen auf Rollerblades seinen Weg durch den überfüllten Bahnhof. Es war Sommer und Hauptreisezeit. Schließlich stoppte es vor einer Bank, auf der ein blonder, junger Mann saß. „Das soll ich Ihnen geben“, krähte das Kind und reichte dem Mann ein Päckchen. „Das ist

für mich?“, überrascht blickte Sven auf das Kind. „Hmm.“, nickte das Mädchen. „Wer hat dir das denn gegeben?“„So’n Mann“. „Und wie hat der Mann ausgesehen?“ „Wie’n Mann“. „Aha. Na, dann Dankeschön!“, schmunzelte Sven.„Der Mann hat gesagt, dass du mir fünf Euro gibst“. Das Mädchen streckte die flache Hand aus. „Oh, ja, natürlich – hier, bitte“. Das Mädchen verstaute die Münzen sorgfältig in seiner Jacke und zog den Reißverschluss zu. Mit den Worten: „Hat er gar nicht gesagt, ätsch! Hat er mir schon gegeben!“, rollte die Kleine davon.


Verwirrt und ein wenig erschrocken,

klappte der Student das Buch an dieser Stelle wieder zu und sah sich um. Wie konnte das, was gerade erst geschehen war, gedruckt in einem Buch stehen? Und wer hatte es ihm geschickt? Und: warum? Und stand dort auch etwas über Ereignisse, die erst noch stattfinden würden? Da er auf diese Fragen keine Antworten hatte, schlug Sven das Buch schnell wieder auf und blätterte hastig, bis er die richtige Stelle fand: Während Sven anf dem Bahnsteig stand und auf den ICE nach Berlin wartete, fiel ihm eine Mutter auf, die offenbar mit der Bändigung ihrer drei Kinder überfordert war. Der Zug lief gerade in den Bahnhof ein, als eines der Kinder schrie: „Ich

WILL aber nicht!“, sich los riss und der Bahnsteigkante so bedrohlich nahe kam, dass Sven beherzt hinzusprang und den kleinen Jungen gerade noch greifen und vor einem Sturz auf die Gleise bewahren konnte. Dabei kam er allerdings durch seinen eigenen Schwung ins Stolpern und stürzte direkt vor den einlaufenden Zug. Entsetzt wandten sich die Passagiere ab, als der junge Mann von dem ICE überrollt und mitgeschleift wurde. Sven schluckte und schloss das Buch wieder. Etwas über seinen eigenen Tod zu lesen war nicht leicht zu verdauen! In diesem Moment lief der ICE nach Berlin ein und Sven wusste nicht so recht, wie er sich verhalten sollte. Mit den Augen suchte er

nach der Mutter mit den drei Kindern. Als er sie tatsächlich ausmachte, beruhigte er sich mit dem Gedanken, dass das nichts Außergewöhnliches und noch längst kein Beweis für die Behauptungen in dem Buch war.

Gewissermaßen probeweise trat er hinter die Familie. Er hielt vor Spannung einige Sekunden lang die Luft an. Würde das Kind „Ich WILL aber nicht!“ rufen und sich von seiner Mutter los reißen? Als es dann wirklich geschah, war Sven zwar vorbereitet, trotzdem traf es ihn mit voller Wucht und das Schreien des Kindes gellte ihm in den Ohren wie ein Paukenschlag! Sven schob sich ein Stück zwischen die

Familie und der Bahnsteigkante und fing den Jungen auf, bevor etwas passieren konnte. Die Mutter bedanke sich bei Sven, fasste den Widerspenstigen fest an der Hand und ließ Sven beim Einstieg den Vortritt. Nachdem der Student seinen reservierten Platz gefunden hatte, ließ er sich erleichtert fallen und atmete erst einmal tief durch. Bei dem ganzen Durcheinander war das ominöse Buch wohl heruntergefallen. Jedenfalls blieb es unauffindbar.







Kapitel 2





Es war ruhig geworden in dem kleinen Schlafzimmer. Roxana lag dicht an Sven gekuschelt. Das Gefühl, sich an „ihren Mann“ zu schmiegen, war ihr so vertraut, als ob sie dort schon seit Anbeginn der Zeit ruhte. Ihre langen, gelockten schwarzen Haare, von denen etliche nun verschwitzt waren, flossen wie gemalte Wellen über ihre hellen Schultern und Brüste. Roxana musste ein bisschen lächeln, als sie bemerkte, dass ihre linke

Brustwarze sich einen Weg durch die Haare gebahnt hatte, wohl um sich die Sonne, die neugierig durch das kleine Dachfenster blickte, einmal selber anzusehen. Vielleicht aber auch, weil sie sich wunderte, dass sie auf einmal nicht mehr liebkost wurde. Wer weiß schon, was Brustwarzen denken? An dieser Stelle musste Roxana kichern und Sven sah sie lächelnd und fragend an. „Es ist nichts“, wich sie aus und bemühte sich, die romantische Stimmung noch ein bisschen auszukosten. Wohl wissend, dass Sven mit Sicherheit gerade nicht bei ihr, sondern auf dem Bahnhof in München war. „Ich weiß, wie verrückt das klingen muss, Roxy, aber ich schwör’

dir: genau so ist es passiert!“ Roxana richtete sich auf und blickte Sven, der auf dem Rücken lag, lange und ernst an. „Ja, natürlich klingt es verrückt. Aber ich glaube dir. Du würdest mich nie anlügen“. Svens Augen blitzten erfreut auf. Weil sein linker Arm „einge-schlafen“ war, nachdem seine Freundin so lange darauf gelegen hatte, strich er mit der rechten Hand das Haar aus Roxanas Gesicht und streichelte zärtlich ihr Gesicht. Das bedeutete in ihrer Geheimsprache: Ich liebe dich. Und wenn er sie nicht streichelte, bedeutete es auch: Ich liebe dich. „Außerdem“, fuhr Roxana fort, „wie in allen Sinti und Roma steckt auch in mir noch ein

bisschen von den uralten Traditionen. Du weißt schon: ein tief sitzendes Miss-trauen gegen die Obrigkeit, die Wut über die vielen Vertreibungen, der Zusammen-halt der Familie, bzw. des Clans, Flüche, Weissagungen, usw. Übrigens: Es gibt ziemliche viele Sinti und Roma in Europa. Es kennt natürlich nicht jeder jeden, aber der Zusammenhalt ist verblüffend! Und da muss wohl auch sehr viel Geld in diesen vernetzten Familien-Clans stecken. In dem „System“, wenn du so willst. Meine Tante zum Beispiel war vor einigen Jahren gestürzt und brauchte dringend einen Rollstuhl. Da hat man sich nicht lange mit der Krankenkasse herum geärgert – bereits

am nächsten Tag stand ein nagelneuer Rollstuhl in der Wohnung! Am NÄCHSTEN Tag! Wahnsinn. Und das, obwohl wir selbst wenig Geld hatten. Irgendjemand muss den nachts gebracht haben!“ „Cool!“, entfuhr es Sven überrascht. „Und was Flüche und dergleichen betrifft“, fuhr Roxana fort: „Es gibt da eine Geschichte von meinem Großvater, der in einem Konzentra-tionslager der Nazis war. Einer der Aufseher muss ein ziemlich sadistisches Schwein gewesen sein. Und da soll mein Opa eine Puppe aus Textilien und Schnürsenkeln gebastelt haben, in die er immer wieder eine Zigarette ausgedrückt haben soll. Einige Tage später soll der

Aufseher am ganzen Körper eitrige Pusteln bekommen haben und daran auch gestorben sein!“ „Krass! Aber das mit der Puppe – ist das nicht Voodoo?“, neugierig sah Sven seine schöne Freundin an. Roxana schlug ihm spielerisch auf die Schulter. „He! Ich erzähl die Geschichte nur! Und wer weiß – vielleicht hat er einen Fortbildungskurs in der Karibik gemacht!“, lachte das Mädchen. „Pass lieber auf, dass mein Vater DICH nicht verflucht“, lächelte sie, „weil du mich so glücklich machst“. „Kann dein Vater so etwas?“, fragte Sven neugierig und dachte an den merkwürdigen Vorfall in München. „Weiß ich nicht. Echt nicht. Aber solange er

kein Foto von dir macht oder eine Puppe anfertigt, hast du nichts zu befürchten“. „Aber er hat ein Foto von mir gemacht!“















Kapitel 3





„Ganz am Anfang unserer Beziehung“, erklärte Sven. „Ich wollte dich sprechen, dein Vater verschwand im Wohnzimmer, so dass ich dachte, er wollte dich holen. Stattdessen kam er mit so einer alten Polaroid-Kamera, knipste mich und faselte irgendetwas von „Verführung Minderjähriger“ und so. Aber das war Blödsinn, Du warst da schon sechzehn.“ „Hm“, grübelte Roxana. „Ich werd’ Mama fragen, ob sie etwas weiß“. „Ja, mach das. Und schau bitte mal, ob du das

Foto findest. Und schreib mir doch mal alles auf, was dir über deinen Vater einfällt. Jede Kleinigkeit. Das in München war kein Spaß, ich hätte tot sein können. Und wenn er dahinter steckt, muss ich etwas unternehmen“. Roxana nickte, warf einen Blick auf die Uhr und begann, sich anzuziehen. „Ich muss zurück zur Schule, bevor jemand etwas merkt. Die zwei Stunden Sport sind schon wieder vorbei“. „Ich bring dich hin“, erwiderte Sven und griff nach seinen Sachen. „Übrigens hab ich nie verstanden, was dein Vater eigentlich gegen mich hat. Noch zwei Semester, dann bin ich fertig und die Fühler in die freie Wirtschaft hab’ ich auch schon

ausgestreckt. Ich werde mal ziemlich gut verdienen, so dass ich nicht nur eine Frau sondern auch ihre bildschönen Töchter ernähren kann!“ Er lächelte. Roxana blickte etwas ernster. „Du darfst da keine deutschen Maßstäbe anlegen. Du bist halt ein Außenstehender. Denk an das was ich über den Zusammenhalt der Familien-Clans erzählt habe: Das ganze System funktioniert, weil eben KEINE Außenstehenden da hinein kommen. Jedenfalls nicht so ohne weiteres“. „Ich verstehe“, nickte Sven. „Und jetzt ab dafür, sonst sperrt er dich wieder zwei Wochen weg“.




Kapitel 4




Am nächsten Morgen war Sven gerade auf dem Sprung zur nächsten Vorlesung, als es klingelte. Er hatte die Wohnungs-tür kaum geöffnet, als Roxana ihm in die Arme flog und zwischen zwei Küssen erzählte, dass ihr Vater beim Zahnarzt wäre und ihre Mutter ihr eine Ent-schuldigung für die Schule geschrieben habe. „Wir haben den ganzen Vormittag, Schatz!“, strahlte Roxana und zog Sven ins Bett.


Etwas später bastelten die beiden Ver-liebten in der Kochnische ein schnelles Frühstück und krochen anschließend wieder in das noch warme Bett. „Den Zettel mit den Infos über meinen Vater hab ich auf den Tisch gelegt. Ich hoffe, du kannst damit etwas anfangen“. Roxana schob sich langsam auf Sven, zog die Bettdecke über sich beide und bewegte ihren Schoss. „Ah!“, triumphierte sie nach einer Weile, als sie merkte, wie Svens Körper reagierte. Sven grinste und half etwas nach. „Beweg dich nicht“, flüsterte Roxana. „Ich will dich nur in mir spüren“. Sanft legte sie ihren Kopf auf seine Brust und schloss die Augen. Sven kniff die Po-Backen

zusammen, und Roxana, die die Bewegung seines Körpers in sich spürte, flüsterte: „Hmmm. Schöööön“ und fühlte, dass sie müde wurde. Bevor sie einschlief, murmelte sie: „Ich liebe dich“.












Kapitel 5



Sven brauchte mit dem Fahrrad etwas mehr als eine halbe Stunde von der Humboldt-Universität bis zu der Plattenbau-Siedlung in Marzahn, in der Roxanas Elternwohnung lag. Er überlegte kurz, sein Fahrrad draußen abzustellen, nahm es dann aber doch lieber mit ins Haus.

Der alte Fahrstuhl ruckelte nach ein paar Minuten herunter und Sven fuhr in den dreizehnten Stock. Auf sein Klingeln hin öffnete der Hausherr persönlich. Breitbeinig, massig, die Arme vor der

Brust verschränkt, klemmte er im Türrahmen und sah Sven überrascht an. „Was du wollen?“ „Sie haben mich verflucht und ich will, dass Sie den Fluch zurücknehmen!“ Sven streckte entschlossen das Kinn vor. „WAS!?“, prustete das sprechende Kantholz. „Ich dich verflucht? Machst du Witze?“ Immer noch dröhnend lachend, schlug Rudicec Cermik seine Riesenpranke auf Svens Schulter. Doch Sven wusste durch Roxana von diesem Dominanz-Verhalten und war auf den Schulterklopfer vorbereitet. Irritiert rieb sich Rudicec die rechte Hand und wunderte sich, dass Sven nicht in die Knie gegangen war. „Also, was du wollen?“ „Ich will, dass

Sie den Fluch zurücknehmen. Jetzt!“ „Komm, Jungä, geh nach Hause. Und lass meine Tochter in Ruhe.“ Sein Gesicht bekam einen gemeinen Ausdruck. Mit einem teuflischen Grinsen beugte er sich vor und setzte hinzu: „Weißt du was, JUNGÄ? Nach Schulabschluss ich schicke Roxana nach Rumänien zu Verwandten. Dann du sie nie mehr wiedersiehst!“ „Ich warne Sie! Wenn Sie den Fluch nicht zurücknehmen, dann, dann........ „ „Was dann, häh? Was willst du machen, Jungä, häh?“ „Dann verfluche ich Sie auch!“ In das schal-lende Gelächter seines Gegenübers hinein flüsterte Sven mit geschlossenen Augen einige Beschwörungsformeln, die

ihm gerade einfielen und fuchtelte mit den Händen herum. „Du vollkommen verrückt!“, lachte Rudicec und stieß Sven weg, um die Wohnungstür zu schließen. Dann öffnete er sie noch einmal und rief Sven hinterher. „Eh! Weißkäse! – Nimmst du Aufzug, ja? Geht schneller!“, er lachte erneut und verschwand endgültig in seinem Bau. Nachdenklich schritt Sven zum Aufzug, der noch auf seiner Etage war. Er hatte die Tür gerade ein paar Zentimeter geöffnet, als sie von innen wieder zugezogen wurde. Er zerrte noch mal mit ganzer Kraft, aber die Tür blieb verschlossen. Sven zuckte mit den Schultern und benutzte die Treppe, und

als er unten gerade sein Fahrradschloss öffnete, hörte er ihm Aufzugschacht einen peitschenden Knall, Poltern und Pfeifen! Mit hohem Tempo sauste der Fahrstuhl im freien Fall nach unten und prallte im Keller mit voller Wucht auf den zementierten Boden! Eine dicke Staubwolke quoll von unten herauf und Sven beeilte sich, nach draußen zu kommen. Hustend nestelte er nach seinem Handy und setzte einen Notruf ab.





Kapitel 6




Zwei Tage später - Roxana hatte sich noch nicht wieder gemeldet - suchte Sven ihren Vater erneut auf. Wegen der Fahrstuhl-Reparatur herrschte rege Betriebsamkeit im Treppenhaus. Seufzend nahm Sven die dreizehn Stockwerke in Angriff und obwohl er körperlich recht fit war, fühlten sich oben angekommen seine Beine wie Mühlsteine an. Roxanas Mutter öffnete die Tür. Mit einem Taschentuch tupfte sie an ihren

Augen herum. Als Sven nach ihrem Mann fragte, deutete sie schluchzend auf ein Zimmer, in dem Sven den Widersacher auf der Couch liegend vorfand. Rudicec krümmte sich vor Schmerzen und blickte Sven mit blutunterlaufenen Augen entgegen. „Oh, tut dem bösen Mann das Bauchi weh?“. Mit gespieltem Mitleid beugte sich Sven herab und stützte seine Hände auf die Knie. „Was du wollen hier, du Schweinehund? Verschwinde!“ Sven starrte den Zigeuner noch eine Weile an und bewegte dabei den Kopf von links nach rechts. „Oh, armer böser Mann“. Sven lachte höhnisch. Dann wurde er wieder ernst,

brachte seinen Mund an Rudicecs Ohr und flüsterte: „Morgen wird es noch schlimmer! Du wirst Blut spucken und deine Eingeweide rausscheißen! Nimm den Fluch zurück! Sonst bist du übermorgen tot!“ Sven stand auf, verließ den Raum und blickte kurz zu Roxanas Zimmertür, die vermutlich wieder verschlossen war.


Am frühen Abend hielt Rudicec es nicht mehr aus und ließ seine Frau den Notarzt rufen. Die Fahrt zum Medizinischen Versorgungszentrum Vivantes in Marzahn dauerte nur wenige Minuten. Eine Magenspiegelung endete mit dem Befund einer entzündeten Magenschleimhaut, die

mit Medikamenten behandelt wurde. Die Urin-Untersuchung ergab eine leicht erhöhte Anzahl von Leukozyten, was bei einer Entzündung aber normal war. Die Standard-Blutuntersuchung wies keine Auffälligkeiten auf.













Kapitel 7




Ganz früh am nächsten Morgen klingelte Roxana Sturm bei Sven. „Meinem Vater geht es schlechter. Er ist jetzt auf der Intensiv-Station. Hier – ich soll dir dieses Foto geben und ausrichten, dass du gewonnen hast!“ Sven führte seine aufgeregte Freundin zu einem Stuhl und nahm das Foto an sich. „Beruhige dich – deinem Vater geschieht nichts“. Roxana sah ihn mit großen Augen an und fragte: „Was ist denn hier los? WAS hast du

gewonnen?“ „Das erklär’ ich dir alles später. Nun lass uns schnell ins Krankenhaus fahren“. Sven schnappte sich seine dicke Jacke und sah auf die Uhr. „In zehn Minuten geht ein Bus“. Bevor die beiden die Intensivstation betreten durften, mussten sie sich die Hände desinfizieren, weiße Kittel anziehen und einen Mundschutz überstreifen. Roxanas Vater sah schrecklich aus. In der Nacht hatte er, wie von Sven vorhergesagt, Blut gespuckt und schlimme Krämpfe im Magen-Darmtrakt bekommen. Schwach winkte er Sven zu sich heran. „Du hast gewonnen, du Schweinehund! Ich hab Fluch zurückgenommen. Nun nimm du

auch Fluch zurück!“ „Was ist mit Roxana?“, flüsterte Sven. „Nimm sie! Heirate sie! Mach Kinder! Mach, was du willst, aber nimm den Fluch weg!“ Zu Roxana sagte Sven leise: „Stell dich neben mich. Die sollen nicht sehen, was ich mache“. Er ergriff Rudicecs Hand, schloss die Augen und murmelte etwas, das sich anhörte wie: „Umbala dum laba varunga“ usw. „So!“, sprach er anschließend zu dem Kranken. „Es ist jetzt von dir genommen. Die werden bald kommen und dich vieles fragen, aber du wirst nichts sagen! Hörst du? Nichts! Sonst kommt es doppelt auf dich zurück!“ Svens mahnenden Worte verfehlte nicht ihre Wirkung. „Ich werde

nichts sagen! Ich schwöre!“ Rudicec war sichtlich eingeschüchtert.

















Kapitel 8




„Milzbrand!“, grinste Sven. „Auch Anthrax genannt“. Nachdem die beiden auf dem Rückweg eine Weile auf den Bus hatten warten müssen und wegen der Kältewelle in Deutschland völlig durch-gefroren waren, hatten sie sich ins Bett verzogen, da der kleine Heizkörper im Schlafzimmer völlig überfordert war. „Du wolltest meinen Vater vergiften!?“, ungläubig starrte Roxana ihren Freund an. „Nein, Schatz, ich weiß doch, dass du deinen Vater trotz allem liebst. Es war

eine abgeschwächte Form von Milzbrand. Einer meiner Profs hat eine starke Affinität zu biologischen Waffen. Dem hab ich Interesse vorgeheuchelt und er hat mir bereitwillig sein Labor gezeigt. Da hab’ ich einfach aus einer Serie, die gegen Null ging, eine mittlere Probe gemopst! Das ging viel einfacher, als ich gedacht hatte“. „Und wie hast du ihm das Zeug ….. wie sagt man….. verpasst?“ „Das hat er selbst getan!“, grinste Sven wieder. „Häh?“ „Nun, du hattest mir doch in deinem Info-Zettel über deinen Vater aufgeschrieben, dass er dazu neigt, seinem Gegenüber auf die Schulter zu klopfen; besonders, wenn er guter Dinge

ist. Also hab ich einfach eine Reiß-zwecke durch meine Jacke gestoßen und den Dorn vorsichtig mit Anthrax-Erregern kontaminiert. Die Erreger sind so hartnäckig, dass denen nicht einmal die Kälte da draußen etwas ausgemacht hat. Das macht Milzbrand ja so gefähr-lich. Und als er mir tatsächlich auf die Schulter schlug, hat er sich infiziert“. „Hat er nichts von dem Stich gemerkt?“, wollte Roxana wissen. „Er hat sich kurz die Hand gerieben, aber er war so in Fahrt, dass er dem weiter keine Bedeutung beigemessen hat.“ „Und wenn er dir nicht auf die Schulter geklopft hätte?“ „Ach, dann hätte ich mir etwas anderes ausgedacht. Vielleicht einen

Ring mit einem Dorn, und dann hätte ich mich am nächsten Tag mit einem Hand-schlag bei ihm entschuldigt. Übrigens, ich muss gestehen, dass es trotz der abgeschwächten Form nicht ganz ungefährlich war, weil man bisher nur Versuche mit Mäusen und Affen gemacht hat. Aber du musst auch sehen, dass ich zweimal beinahe gestorben wäre“, gab Sven zu bedenken und erzählte Roxana von dem Vorfall mit dem Fahrstuhl. „Und du bist sicher, dass mein Vater, bzw. sein „Fluch“ damit zu tun hatte?“, Roxana tat sich immer noch schwer damit, es auszu-sprechen. „Ja, auf jeden Fall! Nach seiner Bemerkung mit dem Fahrstuhl bin ich da ganz sicher“. „Und wer hat die

Tür des Aufzugs festgehalten?“ „Das weiß ich nicht. Vielleicht irgendeine Himmelsmacht, oder so. Genau wie bei der Sache mit dem seltsamen Buch am Bahnhof“. Sven zuckte ratlos mit den Schultern. „Und was hast du geglaubt, sollte mein Vater über deinen „Fluch“ denken? Warum sollte ein deutscher Student über die Möglichkeit verfügen, jemanden zu verfluchen?“ Roxana sah ihren Freund neugierig an. „Das gehörte zum Plan! Ich hätte ihm irgendetwas erzählen können von einer Tante aus Südamerika, die über Voodoo-Kenntnisse verfügt, etc., aber ich fand es besser, dass er völlig verwirrt blieb. Ich hatte nur ein paar Tage Zeit,

sonst hätte mein Plan nicht funktioniert. Als dein Vater auf die Intensivstation verlegt wurde, lief mir echt die Zeit davon. Denn die machen dort natürlich weiterführende Blutuntersuchungen. Also musste ich deinen Vater bluffen, unter Druck setzen und möglichst verwirren! Stell dir mal vor, wie das in seinem Gehirn gerattert hat! Wie er in seiner Selbstherrlichkeit erschüttert wurde!“, Sven lachte. „Er weiß ja nicht, dass ich Chemie studiere“. Grinsend fuhr er fort: „Und deshalb hab’ ich heute auch dieses Theater abgezogen und den Fluch zurückgenommen. Er hatte ja gedroht, dich nach Rumänien zu schicken. Je länger er von meiner „Macht“ überzeugt

ist, desto länger haben wir Ruhe vor ihm!“ Roxana sah Sven nachdenklich und ein bisschen bewundernd an. „Du bist ganz schön clever!“ „Na ja“, entgegnete Sven. „Ich lebe halt gerne und hatte große Angst, dich zu verlieren“. Sven wurde plötzlich ernst, schwang sich aus dem Bett, ging auf die Knie und kramte einen schlichten, silbernen Ring aus einer Schublade der Nachttischkommode hervor. Überrascht setzte sich Roxana auf und starrte auf den Ring. In ihre Verwunderung hinein begann Sven zu reden. „Willst du, Roxana Cermik, wenn du volljährig bist, mich heiraten und lieben und achten, solange wir beide leben?“ Die junge Frau kniete

sich ebenfalls hin, legte den Kopf schief, musterte Sven eine Weile und flüsterte dann ernst und ein bisschen ergriffen: „Ja, ich will.“















Irgendwo hinter Gott war ein gerührtes Schluchzen zu hören. Er drehte sich um und entdeckte erstaunt Hunderte von Engeln, die sich um Ihn geschart und verzückt die Szene auf der Erde beob-achtet hatten. Der Sekretär schob sich an Seine Seite und meinte: „Das haben wir gut hinbekommen, Chef!“

Erbost ob dieser plumpen Vertraulichkeit runzelte Gott die Stirn und fauchte ihn an: „Fehlt es dir an Arbeit?“ „Oh! Nein!“. Katzbuckelnd entfernte sich der Sekretär. Und Gott sah wieder zu Roxana und Sven hinunter und lächelte: „Ja. Das haben wir wirklich gut hinbekommen“.


© Ulrich Seegschütz Jan|2019

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