Sonstiges
Mausschubser

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"Mausschubser"
Veröffentlicht am 11. September 2023, 78 Seiten
Kategorie Sonstiges
© Umschlag Bildmaterial: Ulrich Seegschütz/Pixabay
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Mausschubser

Mausschubser


Sie heißt nicht ohne Grund

Maria Theresia“


Ein heftiger Spätsommerregen betracht-ete mich hämisch aus Tausenden von Tröpfchen-Augen und ergötzte sich an meinem grimmigen Gesichtsausdruck. Mein Lieferwagen rumpelte und pump-elte über einen schmalen Feldweg, der eigentlich nur aus zwei Furchen bestand und sich bogenförmig zum Haus meiner nächsten Kundin zog. Der Boden war extrem rutschig und es war nur der Anti-Schlupf-Regelung zu verdanken, dass ich überhaupt vorankam. Ich schimpfte auf das Wetter, den Feldweg, die Kundin,

weil sie so weit außerhalb wohnte und auf den Tag, an dem ich den Job als Paketfahrer angenommen hatte; was aber immer noch besser war, als zuhause zu sitzen und Bilder zu malen, die kein Mensch kaufte.

Grummelig war ich immer, wenn ich hierher musste, wegen des Zeitauf-wandes. Doch wie üblich verflog mein Ärger, als ich mich dem schmucken Holzhäuschen näherte. Wildromantisch am Waldrand gelegen, reckte es sich stolz und seiner Schönheit bewusst dem Betrachter entgegen, duckte sich jedoch gleichzeitig respektvoll unter den riesigen Fichten, deren Stämme bis in den Himmel zu wachsen schienen. Und

wie jedes Mal, nahm ich mir vor, in meiner Freizeit meine Staffelei hier aufzubauen, um diesen Anblick für alle Zeit auf Leinwand zu bannen. Irgendwann einmal .........


Mit Öffnen der Schiebetür schlug mir das gewohnte Gemaule der Pakete entgegen: "Beeil dich! Du hast keine Zeit!"

"Ich will ins Industriegebiet!"

"Ich muss bis zur Mittagspause in Elkes Backstube sein!"

"Ich bin ein Gefahrgut-Paket! Ich sollte ganz vorne liegen!"

Nur ein kleines, graues Päckchen, das etwas abseits lag, schluchzte: "Ich will nach Hause!"

Ich schüttelte den Kopf, klaubte das Paket, das mich hierher geführt hatte, von der Ladefläche und warf die Tür ins Schloss.


Während ich darauf wartete, dass die Haustür sich auf mein Klingeln hin öffnete, schaute ich mir das Paket näher an und zog überrascht die Augenbrauen hoch: ein Laptop. "Da will wohl jemand ins Internet", dachte ich amüsiert und rief mir das Bild einer schlanken Haus-frau, Mitte 30, ins Gedächtnis: Brille, die Haare streng nach hinten gekämmt, grauer Rock, weiße Bluse; früher hätte man gesagt: verhuscht. Auch der Vor-name passte zu ihr: Maria Theresia.

Die Tür öffnete sich und das Bild wurde real. Ich sagte mein Sprüchlein auf, zog den Scanner über den Strichcode, hielt ihr das Gerät hin und wartete auf ihre Unterschrift. Wie üblich murmelte sie ein kaum hörbares "Guten Morgen", griff mit der linken Hand umständlich nach dem Scanner, ängstlich darum bemüht, meine Hand nicht zu berühren und kritzelte mit der Rechten ihren Namen auf das Dis-play.

Als Paketfahrer willst du nur deine Unterschrift und wieder weg; die Touren sind im Allgemeinen so gehalten, dass du nicht mal Zeit hast, zwischendurch anzu-halten, um etwas zu essen. In der Regel kniest du dich acht bis zehn Stunden lang

voll rein und vertilgst beim Fahren den einen oder anderen Schokoriegel.

Und so war ich etwas ungehalten, als meine Hausfrau statt "auf Wiedersehen" mit leiser Stimme sagte: "Ich habe mir einen Computer bestellt; habe aber über-haupt keine Ahnung davon."

Ein verlegenes Lächeln flog über ihr Gesicht. Ich hoffte noch, mit einem Gemeinplatz davonzukommen:

"Ja, ohne Computer geht heute nichts mehr“, lächelte ich zurück.

"Verstehen Sie etwas davon?" Man sah ihr an, dass ihr die Frage unangenehm war, bzw. die Tatsache, dass sie über-haupt ein Gespräch angefangen hatte. Nun machte ich meinen ersten Fehler:

"Ist ein Hobby von mir - und absolut faszinierend", platzte es spontan aus mir heraus.

"Oh! Hätten Sie vielleicht etwas Zeit, um mir zu zeigen, wie ich ins Internet kom-me?"

Ihre Augen, die sonst so leer und traurig wirkten, vergrößerten sich etwas, sofern man das durch die Brillengläser sehen konnte. Mein zweiter Fehler folgte um-gehend: "Während der Arbeit nicht, aber ich könnte am Wochenende mal vorbei-kommen." Ich konnte nicht glauben, dass ich das gesagt hatte! Das Lächeln auf ihrem Gesicht, ihre offensichtliche Freude über meine Antwort, beschämten mich jedoch

gleich darauf und ich beschloss, mir wirklich Zeit für sie zu nehmen.

Wir vereinbarten einen Termin und ich verabschiedete mich eilig. Wieder im Auto, das vertraute Motorgeräusch in den Ohren, seufzte ich einerseits, weil ich am Wochenende eigentlich Papierkram hatte erledigen wollen, andererseits überlegte ich auch schon, wie ich ihren Computer, respektive die Festplatte, einrichten würde. Ich war zwar kein PC-Freak, beschäftigte mich aber gerne mit allem, was mit der Computerei zu tun hatte; und so lächelte ich spontan vor mich hin, als mir ein Wort einfiel, das wir für Anfäng-er wie Threschen hatten: Mausschubser!



Bei der Frage, wie ich denn nun die verlorene Zeit wieder aufholen könnte, verging mir allerdings das Lachen. Um es kurz zu machen: Es wurde sehr spät an diesem Tag, und als ich endlich nach Hause kam, wollte ich nur noch unter die Dusche und anschließend ins Bett. Ob ich von Threschen träumte? Wohl kaum.









Kann das Ende einer Woche der Anfang von etwas sein?



Wochenende. Die gesamte Zeit über hatte ich an Threschen (bzw. ihren Laptop) gedacht. Eines war sicher: Einem An-fänger den Computer einzurichten und mit dem Betriebssystem vertraut zu machen, würde Zeit kosten. Viel Zeit. Trotzdem: Irgendwie war ich auch neugierig auf die Frau, die hinter dem grauen Outfit steckte. Sicher, sie war ein paar Jahre älter als ich und so gar nicht mein Typ, aber ich war schon geraume Zeit Single und überdies war ich lange nicht ausgegangen. Schon deswegen,

weil der Job sehr anstrengend war und ich in meiner Freizeit gerne Dinge er-ledigte, die unter der Woche zu kurz kamen, z.B. den Haushalt. Auffallend war, dass ich an dem bewussten Tag besondere Sorgfalt auf Körperhygiene und Kleidung legte. Was, zum Teufel, erwarte ich eigentlich?

Ich schüttelte derlei Gedanken kurzer-hand ab, setzte mich ins Auto und fuhr los.

Bereits nach zwanzig Minuten erreichte ich mein Ziel, parkte den Wagen aber in einiger Entfernung vom Rüttel-Schüttel-Feldweg. Nicht, dass ich eine besondere Affinität zu meinem Unterbodenschutz gehabt hätte, aber man muss ja sein Auto

nicht mit Gewalt in eine knatternde Rost-laube verwandeln - denn den Auspuff hätte es auf der Holperstrecke sicher auch weggerissen. Mein Lieferwagen hatte da schon etwas mehr Bodenfreiheit. Und so suchte ich mir zu Fuß einen Weg querfeldein und klingelte einige Minuten später bei Threschen. Sie öffnete über-raschend schnell; gerade so, als ob sie am Fenster gestanden und meine Ankunft beobachtet hätte.

"Schön, dass Sie da sind!" Sie strahlte mich an und freute sich sichtlich, dass ich wirklich gekommen war. "Irgendwann muss ich die Zufahrt mal machen lassen. Aber ich bekomme so selten Besuch - eigentlich lohnt es sich nicht und ich

selbst habe kein Auto."

"Ach“, erwiderte ich, "ich sitze so viel bei der Arbeit oder am Computer - ich laufe ganz gerne mal ein paar Meter."

Sie bat mich herein und während ich meine Jacke auszog, sah ich mich neu-gierig um. Das schummerige Licht in dem winzigen Flur und im angrenzenden Wohnzimmer rührte sicher von den kleinen Holzrahmen-Fenstern her. Der Geruch, der mir gleich beim Betreten der Wohnung in die Nase stieg, war unde-finierbar, aber nicht unangenehm. Ich war nicht überrascht, dass überall Bücher herumlagen und dass das Wohnzimmer voller Bücherregale stand. Die anderen Türen waren verschlossen.

Ich folgte Maria Theresia ins Wohnzim-mer, nahm ihr Kaffee-Angebot dankend an und fragte, ob ich rauchen dürfte. Nachdem sie mit einem Tablett Kaffee und Aschenbecher gebracht hatte und ich ein Kompliment wegen des gemütlichen Raumes losgeworden war, das sie mit einem erfreuten Nicken zur Kenntnis nahm, machte ich es mir an einem riesigen, altmodischen Schreibtisch mit tausend Schubladen und Fächern bequem und warf einen ersten Blick auf den Laptop, den sie zwar ausgepackt, aber noch nicht angeschlossen hatte. Sie hatte nicht gespart! Ich musste zugeben, dass ich so einen Hochleistungs-Rechner auch gerne gehabt hätte! Um so mehr Spaß

machte es mir in den folgenden Stunden, die Festplatte zu partitionieren, über-flüssige Programme ins Nirwana zu schicken und Threschen zu zeigen, dass sie nun eine Partition mit dem Betriebs-system und eine freie Partition zum Ab-speichern von Dateien hatte.

"In erster Linie möchte ich Texte bearbeiten und speichern, sowie endlich einen Internetzugang", klärte sie mich auf. Ich nickte verstehend und fuhr fort, ein Anti-Viren-Programm und einige vorläufige Programme zu installieren, die dann später per Update übers Internet auf den neuesten Stand gebracht wurden. Anschließend erklärte ich ihr in groben Zügen die Funktionsweise von

Comp-utern, unterwies sie im Umgang mit dem Touchpad und sprach die Grundlagen ihres Betriebssystems an. Da sie eine rasche Auffassungsgabe besaß, machte das Ganze sogar Spaß, und der Nach-mittag verging wie im Flug. Wir waren uns nicht wirklich nähergekommen; ich wusste kaum mehr über sie, als vorher. Mir war nur positiv aufgefallen, dass sie sehr gut roch, eine angenehme, nicht zu hohe Stimme besaß, sowie ein hübsches Profil.

Einmal, als sie mit dem Finger fragend auf den Bildschirm zeigte und sich dabei vorbeugte, streifte ihr Busen meinen Arm. Zufällig.


Es dämmerte bereits, als ich mich, angestrengt vom langen Sitzen und dem Starren auf den Bildschirm, ausgiebig reckte und gähnte. Sie erschrak förmlich und rief: "Ach! Sie armer Kerl! Sie müssen ja völlig erschöpft sein! Genug für heute! Ich hab' Sie schon viel zu lange in Anspruch genommen!"

"Kein Problem“, winkte ich ab. "Ich hätte mir nur zwischendurch mal die Beine vertreten sollen. Aber das ist ganz typisch für die Arbeit am PC: Man kommt einfach nicht davon los!" Ich seufzte spielerisch und lachte.

Sie lächelte zurück. "Dafür verwöhne ich Sie morgen mit Kaffee und Kuchen, ja?

Oder Sie kommen zum Mittagessen." Sie erschrak wieder, weil sie das Gefühl hatte, sich zu weit aus dem Fenster gelehnt zu haben. "Falls Sie morgen noch einmal Zeit haben und wiederkommen möchten", fügte sie hastig hinzu.

Ich sah ihr offen in die Augen und lächelte: "Ich komme sehr gerne morgen wieder. Ich bringe auch noch ein paar Programme mit, die Sie unbedingt brauchen." Ihre Augen strahlten mich an und von ihren Lippen löste sich ein: "Schön!" Dabei legte sie den Kopf etwas schief und sah mich so komisch an. Irgendwie schien ihr Lächeln von ihrem gesamten Körper auszugehen.


Hm. Sehr merkwürdig


Später, als ich zuhause unter der Dusche stand und den Tag Revue passieren ließ, fiel mir die Berührung ihres Busens wieder ein. An diesem Abend brauchte ich etwas länger, bis ich den Wasser-strahl abwürgte.

Anschließend fiel ich gleichermaßen erschöpft und erfrischt ins Bett und war auch fast sofort eingeschlafen.


Ob ich von Threschen träumte? Es könnte sein.........




Helden werden sonntags geboren


Irgendetwas weckte mich. Ob ich tatsächlich von Resi geträumt hatte? (Aha! Aus Threschen war über Nacht die "Resi" geworden!) Jedenfalls bemerkte ich, dass ich versonnen vor mich hin-lächelte. Ich zuckte mit dem Schultern, sprang aus dem Bett und warf im Vorbei-gehen einen Blick auf den Wecker Er sah mich beleidigt an, weil ich vor dem Klingeln wachgeworden war.

Im Badezimmerspiegel wieder dieses blöde Grinsen im Gesicht. Hm. In der Küche die nächste Erstaunlichkeit: Ich begrüßte freudig den trüben,

wolken-verhangenen Morgen, der mich durch das kleine Fenster anknurrte. Ich war sehr albern und das Grinsen war auch noch da. Hm. Alles sehr, sehr merkwürdig......


Die nächsten Stunden vergingen mit Frühstück, Hausarbeit und dem Aus-suchen von Programmen, die ich mit-nehmen wollte. Ich ertappte mich immer wieder dabei, wie ich zur Uhr schaute. Gegen 11 machte ich mich auf den Weg.


Als Resi mir lächelnd die Tür öffnete, fiel mir gleich auf, dass sie sich ver-ändert hatte: Die Kleidung war nicht mehr so altbacken und sie trug ihr

dunkelblondes Haar nun offen. Dass mein Blick in ihrem Ausschnitt etwas länger verweilte, quittierte sie mit einer leichten Rötung ihrer Wangen.

"Es gibt Schmorbraten“, plapperte sie drauf los. (Keine Spur mehr von "verhuscht!") "Ich war extra noch ein-kaufen gestern." "Ich liebe Schmorbraten", erwiderte ich wahrheitsgemäß und schnupperte. "Riechen tut's schon mal toll!" Sie lächelte erfreut und dirigierte mich zu einem Stuhl in der winzigen, aber gemütlichen Küche.


Während des Essens unterhielten wir uns über Gott und die Welt und stellten dabei

einige Gemeinsamkeiten im Bereich Politik, Kunst und Literatur fest.

Als ich später beim Tisch abräumen helfen wollte, protestierte sie energisch, schickte mich ins Wohnzimmer und brachte bald darauf frisch aufgebrühten Kaffee. Nur zu gerne machte ich es mir auf der Couch bequem und sah interes-siert ihrer schlanken Gestalt nach, als sie in der Küche verschwand.

Um es vorweg zu nehmen: Der Computer blieb an diesem Tag kalt.


Nachdem Resi das Geschirr in der Küche sauber- , trocken- und weggeklappert hatte, saßen wir im Wohnzimmer noch eine Weile zusammen, tranken Kaffee

und unterhielten uns angeregt. Das Schweigen zwischen den Themen war nicht unangenehm. Wenn wir uns an-sahen, lächelten wir. Wegen des mittler-weile ausgesprochen schönen Wetters - strahlender Sonnenschein, wolkenloser Himmel, nicht zu warm - beschlossen wir, spazieren zu gehen, und Resi zeigte mir die Gegend und ihre Lieblingsplätze im Wald.

Wir schlenderten nebeneinander her. Zwischendurch immer wieder Neugier-lächel-Blicke. Es war wunderschön. Ihre Nähe, ihre angenehme Stimme, ihr auf-merksames Zuhören, wenn ich sprach, ihr Lachen, wenn ich etwas Lustiges sagte, ihr Lächeln, wenn wir schwiegen und uns

einen Blick zuwarfen.

Einmal, als sie stolperte, fing ich sie auf und hielt sie etwas länger als nötig im Arm.

Kein Lächeln.

Kein Wort.

Wir sahen uns nur an, und unsere Augen sprachen miteinander; fragend, abwäg-end, zweifelnd, wissend.

Das Schweigen auf dem Rückweg wurde nur durch Banalitäten unterbrochen.


Resi blieb in der offenen Tür stehen, die Hände hinterm Rücken verschränkt, an den Türrahmen gelehnt. Sie beobachtete mich, als ich zur Garderobe ging und meine Jacke anzog. Wir wussten beide,

dass ich nun gehen musste. Und wieder: kein Lächeln. Kein Wort. Sie sah mich nur an. Ich ging zu ihr, blieb vor ihr stehen und schaute sie ebenfalls an. Nach einer Weile schloss sie die Augen und öffnete die Lippen etwas. Langsam beugte ich mich vor, fasste ihren Kopf mit beiden Händen und mein Mund erzählte ihren Lippen die uralte Geschichte von Nervenzittern, Seelentaumel, Herzzerspringen und geistigem Wegtreten.


Ihre Lippen hörten aufmerksam zu. Sehr aufmerksam.



Und auf einmal ist alles anders


An die Rückfahrt kann ich mich nicht erinnern. Als ich meine Wohnung betrat und den Schlüssel gewohnheitsmäßig von innen ins Schloss steckte, stellte ich fest, dass mein Zuhause nicht mehr mein Zu-hause war. Der kleine Flur war nur ein dunkles Loch, das Badezimmer nur ein Ort, an dem man duschte und sich rasierte, und in dessen Spiegel ich nicht mehr mich sah, sondern nur noch Resi. Mein Schlafzimmer sagte mir überhaupt nichts mehr. Selbst meine geliebte Couch war nur noch kaltes Leder, das mich frösteln ließ.

An diesem Abend lag ich lange wach.

Meine Matratze ächzte und stöhnte böse, weil ich mich so oft herumwälzte, statt endlich zur Ruhe zu kommen.

Ich versuchte, Ordnung in meine Ge-danken zu bekommen. Sicher, verknallt war ich schön öfters gewesen, doch stand für gewöhnlich das Körperliche im Vordergrund und war so schwer von den Gefühlen, die man für jemanden empfand, zu trennen. Resi hingegen war in meinem Kopf. Ständig und überall. Nicht, dass ich sie nicht begehrte - ich konnte das "erste Mal" kaum erwarten - doch vor allem wollte ich bei ihr sein, ihre Gesellschaft ge-nießen, ihre Nähe fühlen, ihr Lachen in mich aufsaugen und jedes ihrer Worte in

demjenigen Teil meines Gehirns ab-speichern, der für bestimmte Momente reserviert war: Weihnachten, Geburts-tage, der erste Kuss, etc. Wie Millionen vor mir, stellte ich mir die Frage: Ist das Liebe?

Über diesen Gedanken schlief ich ein.



Ob ich von Resi träumte? Ich brauchte nicht von ihr zu träumen, ich war sie, und sie war ich.







Wenn das Leben auf höchsten Niveau vor sich hinplätschert


In der Folgezeit sahen wir uns so oft wie nur irgend möglich. Ich schlief bei ihr, ich schlief mit ihr und sie mit mir. Wir frühstückten gemeinsam, dachten den ganzen Tag aneinander, und wenn ich von der Arbeit kam, lief sie mir lachend entgegen, fiel mir in die Arme und küsste mich. Alles wie im Film. Lediglich morgens der Abschiedskuss fiel etwas anders aus, als in Babelsberg, Bolly- oder Hollywood üblich: Leidenschaftlicher - er musste schließlich den ganzen Tag vorhalten. Es

war eine wunderschöne Zeit, wie ich sie nie vorher erlebt hatte. Wir wurden uns nie zu viel - und selbst, als die Routine in den Alltag einkehrte, verloren wir nicht etwas, sondern gewannen an Zuneigung und Vertrauen. Wir verließen uns aufeinander, fühlten uns sicher und geborgen. Mit zunehmender Vertrautheit veränderte sich auch der Sex. Ich erkannte, wie wichtig es ist, sich auf den Partner einzulassen und sich selbst etwas zurückzunehmen. Wir lachten viel dabei, und ich war fasziniert davon, ihr bei allem, was ich tat, in die Augen zu schauen und zu beobachten, wie sie auf mich reagierte. Mit einer Frau zu schlafen, die man liebt, ist mit dem

anderen Kram überhaupt nicht zu vergleichen!


Und so vergingen die Monate. Längst hatte ich meine Wohnung aufgegeben. Der Winter hatte uns nun voll im Griff. Die Äste der riesigen Fichten bogen sich unter der Last von Schnee und Eis, die Furchen meines Rüttel-Schüttel-Feld-weges waren zu gefrorenen Autokillern mutiert und die kleinen Öl-Öfen im Haus arbeiteten wie blöde, um der grimmigen Kälte Herr zu werden, die durch tausend Ritzen ins Haus drang. Es war die Zeit, in der man dazu neigte, es sich in der Freizeit so gemütlich wie möglich zu machen. Sicher, wir gingen bei schönem

Wetter auch mal raus und alberten im Schnee herum - doch sind mir besonders die Stunden, die wir gemeinsam kusch-elnd auf der Couch verbrachten, im Gedächtnis haften geblieben.

Bei Kerzenschein in flauschige, gelbe Decken gehüllt, die farblich so schön zu der dunklen Couch passten, tranken wir Wein, Kaffee oder Kakao, unterhielten uns oder schwiegen gemeinsam und beobachteten die flackernden Schatten, die die Kerzen wegen der Zugluft an die Decke warfen.

Ob ich nachts noch von Resi träumte? Nein. Wir LEBTEN unseren Traum. Und jeder hoffte, dass er nie, nie, nie aufwachen würde

Stell dir vor, es ist Weihnachten und Bill Gates klopft an die Tür


Während der ersten Sturm- und Drang-Wochen unserer Beziehung hatte der Computer kaum eine Rolle gespielt. Resi, die von einer üppigen Witwenrente sorgenfrei leben konnte, fuhr den Laptop in meiner Abwesenheit gelegentlich hoch und archivierte ihre enorme Büchersam-mlung. Anfang November machte ich sie mit einer Internet Community bekannt, in der ich mich selbst vor einigen Jahren einmal hatte registrieren lassen. Ich hoffte, Resi dadurch etwas Ablenkung zu verschaffen, während ich arbeitete. Wegen der schlechten Witterung war ich

nun länger unterwegs, und ich fand es eine gute Idee, dass sie im Internet nette Leute kennenlernte. Gemeinsam legten wir ihr "Profil" an, und aus Resi wurde "Waldfee." Ich zeigte ihr, wie man Bilder hoch lud, Gästebucheinträge machte und Videos einstellte. Zunächst skeptisch, dann recht interessiert, klickte sich Resi durch verschiedene Profile und zeigte sich überrascht, wie oft von Sex die Rede war.

"Ja“, erklärte ich ihr bedauernd, "das gehört leider auch dazu. Viele Leute nutzen die Anonymität des Internets, um ihre Fantasien auszuleben oder um mal richtig auf den Putz zu hauen, um mal "jemand“ zu sein oder ihrem einsamen

Leben eine Zeitlang zu entfliehen." Ich klärte sie über die Blockfunktion auf und riet ihr, sich auf gar keine Dialoge ein-zulassen, die schon "komisch" anfingen. "Mit der Zeit bekommst du einen Blick dafür, wer nur wegen Sex dort ist, und wer neue Leute kennenlernen will, um sich einfach nur gepflegt zu unterhalten, etc.“, beruhigte ich sie. "Schau es dir einfach eine Weile an, ob es etwas für dich ist - und wenn nicht, dann kannst du dein Profil ja wieder löschen. Und, noch etwas: Glaub nicht immer unbedingt das, was du auf Profilen an Bildern oder Selbstbeschreibungen liest - viele stellen uralte Fotos von sich ein oder führen Lieblings-Autoren an, von denen sie

höchstens mal im Fernsehen gehört haben! Man darf das alles nicht so an sich heranlassen, Maus - es ist halt das Internet! Okay?" Ich sah sie lächelnd an. "Ja! Chef! Ich werde mich hüten, etwas anderes an mich heranzulassen als dich!" Sie salutierte lachend, und wir fielen uns in die Arme. Resi hatte sich wieder dem Bildschirm zugewandt und ich betracht-ete sie nachdenklich von der Seite. Sie war so lieb und gutgläubig - ob die Community eventuell doch nicht das Richtige für sie war? "Ach, was! Sie macht das schon", beruhigte ich mich. "Sie ist ein erwachsener, rationaler Mensch, der durchaus imstande ist, zwischen Gut und

Böse zu unterscheiden." Aber insgeheim beschloss ich, so oft wie möglich mit ihr gemeinsam ins Netz zu gehen.

Dieser Vorsatz löste sich allerdings in Luft auf, da ein Kollege ausfiel und wir übrigen Fahrer noch mehr ausgebeutet wurden, als ohnehin schon. Und so war ich einigermaßen überrascht, als ich eines Abends nach Hause kam und Resi mir stolz ihre Freundesliste präsentierte: Über zweihundert Leute tummelten sich dort! Viele davon ohne Profilbild.

"Wow! du nimmst wohl jede Anfrage an, was?" Ich lachte. Ihre Augenbrauen schnellten nach oben. "Sollte ich lieber nicht?" "Ne, ne, Schatz! Mach du mal. Solange

es dich nicht nervt, ständig angechattet zu werden." "Kein Problem, Hase! Es macht doch Spaß!" Sie wendete sich wieder dem Bildschirm zu. Offensichtlich gab es an diesem Tag keinen Begrüßungskuss.



Einige Zeit später.

Noch zwei Wochen bis Weihnachten.,

Ich lag ausgelaugt von der Arbeit auf der Couch, trank Kaffee, rauchte und ver-folgte uninteressiert eine dieser Boule-vard-Sendungen im Fernseher. Brangelina wollten endlich heiraten! Der Fernseher sprang vor Freude ein Stück

hoch und stellte sich von alleine lauter. "Sag mal, Maus!“, rief ich Resi zu, die seit Stunden Gästebuch-Einträge kom-mentierte, "sollen wir nicht langsam mal für Weihnachtsstimmung hier sorgen? Adventskranz oder so etwas?" "Ach, ja!" Sie warf mir über die Schulter einen kurzen Blick zu. "Kannst du nach der Arbeit aus der Stadt etwas mit-bringen?" Und schon war sie wieder in ihre "Arbeit" vertieft. Ich fing an, mir Sorgen zu machen. Doch ich war an diesem Tag viel zu erledigt, um mir ernsthaft Ge-danken zu machen. So kurz vor Weihnachten verschickten die Leute wie verrückt Pakete und ich fiel abends nur

noch erschöpft auf die Couch. Ob des-wegen der Sex in letzter Zeit ausfiel, oder weil Resi nur noch am Laptop hockte - ich wusste es nicht.


Ein paar Tage vor Weihnachten.

Ich war von der Arbeit total „ange-fressen“ und wollte nur noch liegen. Resi schimpfte gerade, weil wohl ein längerer Gästebucheintrag, den sie vorbereitet hatte, plötzlich verschwunden war und sie nicht zwischengespeichert hatte. Ich sah besorgt zu ihr hinüber. Keine Frage: sie hatte sich verändert. Ihre Weichheit, ihre Fröhlichkeit und Gelassenheit waren einer Verbissenheit gewichen, wie ich sie mir bei ihr nicht hatte vorstellen können.

Ich ging zu ihr, griff nach ihren Händen, hielt sie fest und sah ihr in die Augen. "Maus, mach Schluss für heute, bitte! Du sitzt ja nur noch vor der Kiste!" Ihr anfänglicher Ärger über die Unterbrechung verflog, als sie in meinen Augen echte Sorge las. "Ja, Schatz“, lächelte sie, "es reicht für heute." Sie nahm meinen Kopf in beide Hände und küsste mich. Anfangs zärtlich, dann leidenschaftlicher. "Duhu.....", flüsterte sie mir ins Ohr, "gehen wir rüber?" Im schwachen Licht der Kerzen und des Displays leuchteten ihre Augen, und ihre Zähne schimmerten noch weißer als sonst. Sie sah so verdammt hübsch aus in

diesem Moment!

Hand in Hand eilten wir ins Schlaf-zimmer, zogen uns hastig aus, ich schubste sie lächelnd ins Bett, und dann kuschelten wir uns in die kalten Feder-betten. Meine Müdigkeit war verflogen. Beide merkten wir wohl erst jetzt, wie ausgehungert wir waren. Wir liebten uns. Es war unglaublich intensiv und wahn-sinnig schön.

Und es war das letzte Mal.







War's das?


Das Fest der Liebe war lieblos vorbei-gegangen. Sicher, beide hatten wir heim-lich Geschenke gekauft, verpackt und neugierig auf die Reaktion des anderen gewartet, ob es ihm gefiel, doch war zwischen uns kein Zauber mehr, kein Prickeln, keine Verbundenheit und warme Nähe. Selbst Heiligabend saß Resi den ganzen Vormittag über am Computer. Besonders Heiligabend - mussten doch sämtliche "Freunde" mit Gästebuch-einträgen, Kommentaren und virtuellen Geschenken zum Fest bedacht werden. Schon vor Wochen hatte ich das Kochen und die Hausarbeit übernommen;

jeden-falls an den Wochenenden. Und so war ich gerade mitten im Kochstress, als mich ein spitzer Schrei aus dem Wohn-zimmer erschreckte. Ich spurtete hinüber. Resi war aufgesprungen, sah böse auf den Monitor und schimpfte: "Wieso hat der mich jetzt von der Freundesliste gekickt? Ich hab' doch gar nichts gemacht!" Sie nahm mich gar nicht wahr. "Hm“, grübelte sie laut, "ich hab aller-dings seine letzte Mail nicht beantwortet. Aber deswegen gleich jemanden von der Freundesliste zu entfernen! Ich glaub's ja nicht!" Sie setzte sich wieder und starrte fassungslos auf den Bildschirm.

Stumm kehrte ich in die Küche zurück.

Natürlich hatte ich im Verlauf der letzten Wochen bemerkt, wie sehr sich bei Resi mittlerweile alles um dem Computer drehte, wie sehr die Community ihren Alltag dominierte, doch war ich zum einen viel zu erschöpft von der vielen Arbeit, gerade vor Weihnachten. (Was übrigens nach den Feiertagen nicht besser wurde, weil viele ihre Geschenke umtauschten.) Und zum anderen war Resi bei einer heftigen Diskussion, die wir einmal über das Thema geführt hat-ten, derart böse geworden, dass ich rasch eingelenkt und ihr nur zu verstehen gegeben hatte, dass die viele Zeit, die sie in der Community verbrachte, unsere Beziehung gefährdete. Statt zu

antworten, hatte sie mir mit den Augen ein paar Blitze zugeschleudert und sich wieder dem Laptop zugewandt.


Es war vorbei.

Das Ende zog sich zwar noch ein paar Wochen hin, aber dann, Anfang Februar, kam es erneut zu einem heftigen Streit. Threschen war mittlerweile dazu übergegangen, mit ihren virtuellen Freunden nicht mehr nur zu mailen und zu chatten, sondern sogar zu tele-fonieren. Stundenlang konnte sie sich die Beziehungsprobleme fremder Leute an-hören; es gefiel ihr, dass sie um Rat ge-fragt wurde. Sie genoss es, im Mittel-punkt zu stehen, in den sie sich selbst

immer mehr rückte, indem sie Infos über ihre Kontaktpartner sammelte, vertrau-liche Chats kopierte, viele Fragen stellte, usw. Bei Bedarf ließ sie hier eine Be-merkung fallen, stellte dort jemanden bloß, oder brachte zwei, die sich im Chat näher kennengelernt hatten und sich sympathisch waren, auseinander. Einfach, weil sie es konnte. All das, und wie Resi es befriedigte, aufgrund ihres hübschen Profilfotos angehimmelt zu werden, und wie sie selbst von den Eindrücken und Gefühlen dieser für sie relativ neuen Welt überrannt wurde, erfuhr ich aber erst später. Als die Telefonate – übrigens mit Männern und Frauen gleichermaßen – überhand

nahmen und sogar nachts kein Ende fanden, beschloss ich zu gehen. Meine Ratschläge, sich professionelle Hilfe zu suchen, waren allesamt auf Unverständ-nis gestoßen, und ich war mit meiner Weisheit am Ende.

Nach dem letzten großen Streit packte ich meine Koffer und ging traurig zu Resi, um mich zu verabschieden. „Ich geh dann mal.“ Maria Theresia sprang aus ihrem Schreibtischstuhl, umarmte mich und flüsterte: „Verlass mich doch bitte nicht!“ Einen Moment lang blieben wir so stehen. Dann fasste ich ihre Arme, löste sie von mir und schubste meine große

Liebe stumm auf den Stuhl zurück. Es war alles gesagt.


Auf dem Weg zum Auto schritt ich ein letztes Mal den Rüttel-Schüttel-Feldweg entlang und blickte mich noch einmal um.


Das Haus lag zusammengekauert da und blickte mir dumpf und traurig aus allein gelassenen Fenstern nach. "Ja“, dachte ich, "sie sollte die Zufahrt wirklich mal machen lassen."





TEIL 2


Wer mag schon angeknabberte Brötchen?

"Tu das nicht!" Mein Kumpel sah mich über die Tasse Cappuccino, an der er seine Hände wärmte, hinweg an. "Sieh mal, dir geht's doch gut! Du verdienst nicht schlecht, hast keine Schulden und siehst ganz passabel aus. Bind dir doch nicht diese Psycho-Tante ans Bein! " Er nippte an seinem Cappuccino. Ich war vom Frühstücks-tisch aufgestanden, hatte mich mit verschränkten Armen ans Fensterbrett

gelehnt und erwiderte: "Du weißt nicht, wie das ist. Ich muss ständig an sie denken." "Weil du nie ausgehst! Steck doch deine Feder mal wieder in ein Glas Tinte, dann kommst du auf andere Gedanken!"

Er grinste. "Also nach anderen Frauen steht mir im Moment wirklich nicht der Sinn!"

Ich schüttelte energisch den Kopf. "Na klar, weil du ne doofe Schwuchtel bist!" "Mistkerl!" "Arschloch!" Wir lachten. Dieses Necken mit deftigen Schimpfworten war ein altes Spiel zwischen

uns. Wir waren zusammen im Heim aufge-wachsen und mir kam dieses Gebaren manchmal vor, wie das Lecken im Gesicht bei Hunden und Wölfen, um die sozialen Bande zu festigen; was bei uns nicht nötig war. Wir hatten im Heim viel zu viel gemeinsam durchgemacht und würden unser Leben lang Freunde sein.


Seit meinem Auszug aus Resis Haus waren sechs Monate vergangen. In den ersten Wochen hatten wir viel telefoniert. Rosi hatte gelacht, geweint, geflirtet, geschimpft oder einfach aufgelegt. Und ich – ich war langsam an meine Grenzen gestoßen. Das Verständnis für sie war

zwar vorhanden gewesen – Liebe sonder-barerweise sowieso – aber die scheinbare Unlösbarkeit unserer Probleme und meine Hilflosigkeit hatten mich mit der Zeit zermürbt. Irgendwann wollte ich ihr nicht mehr zuhören. Nicht mehr auf sie einreden. Und so hatte ich mir eine neue Telefonnummer besorgt und versucht, Resi zu vergessen. Jeder, der das schon einmal erlebt hat, weiß, wie schwer das war. Meinen Job als Paketsklave hatte ich indes aufgegeben, und ich lenkte nun für eine Kleingutspedition einen 7.5-Tonner. Lag das Ziel im Ausland, übernachtete ich auch schon mal im Lastwagen. Um eine neue Wohnung hatte ich mich noch nicht gekümmert. Ich

beteiligte mich an der Miete meines Kumpels und wir unternahmen viel, wenn ich denn mal Zeit hatte.

Beim Frühstück an diesem Tag hatte ich erwähnt, dass ich Resi am liebsten ein-mal besuchen oder anrufen würde, um zu erfahren, wie es ihr ging. "Hat sie eigentlich inzwischen eine Therapie oder etwas Ähnliches wegen ihrer Internetsucht gemacht?"

Mein Freund schnappte sich schnell das letzte Brötchen und sah mich fragend an. "Ich habe keine Ahnung. Das würde mich eben auch interessieren." "Ich hab' das Ganze sowieso nie richtig verstanden, aber wir haben das so oft durchgekaut, - ich mag nicht mehr

drüber reden." Er warf das angebissene Brötchen angewidert auf seinen Teller. "Und essen mag ich auch nicht mehr. - Willst du es haben?" "Und mir von deinem Sabber die Krätze zu holen?", lachte ich. "Besser, als umgekehrt! Dann bekäme ich bestimmt Aids von deiner Tunten-Spucke!" Er grinste vor Vorfreude, weil er auf eine gepfefferte Antwort wartete. "Halt die Klappe, Du Nasenbär!" konterte ich. "Selber Nasenbär!" Er grinste nun übers ganze Gesicht. Wir lachten.

Ich drehte mich um und sah nachdenklich

aus dem Fenster ins Leere. Meine Augen suchten ein schmuckes, kleines Holz-häuschen, das sich stolz und seiner Schönheit bewusst dem Betrachter entgegen reckte....

In der Fensterscheibe sah ich mich lächeln, als ich an meinen Rüttel-Schüttel-Feldweg dachte. Die Frage stand indes immer noch im Raum.

Ich hauchte auf die Scheibe und malte ein Fragezeichen darauf.


Was sollte ich tun?






Wenn du dich nicht entscheiden kannst, triff eine Entscheidung und leb damit


Während der nächsten Tage war ich beruflich so eingespannt und abgelenkt, dass ich zwar sehr oft über ein Treffen mit Resi nachdachte, aber nicht zu einem Entschluss kam, ob ich sie nun anrufen sollte oder nicht. Und so empfand ich es wie eine Art Fingerzeig des Himmels, als mich die Disposition am Donnerstag darüber informierte, dass die für den nächsten Tag geplante Tour ins Wasser fiel, und ich nach meiner Rückkehr ins Wochenende gehen könnte. Ich steuerte

den nächsten Autobahn-Rastplatz an, suchte mir einen freien Stellplatz und drehte den Zündschlüssel nach links. Laut zischend entwich die Luft aus dem Kompressor, als ich die Handbremse anzog. Ich steckte mir noch eine Zigarette an und brachte es hinter mich.

"Ja, bitte?" Sie musste ihr Handy direkt neben sich gelegen haben. Ihre Stimme jubelte meinen Puls bis hinauf in die Strato-sphäre. "Ich bin's." Ich räusperte mich. "Oh!" Hörte ich sie am anderen Ende schlucken? "Ja..... ähm .....ich musste gerade an dich denken.....",

verlegen brach ich ab. "Schön!" Da war es wieder! Dieses "schön", das mich schon einmal so aus der Fassung gebracht hatte. Ihr Lächeln kroch durchs Telefon in mein Ohr, raste in mein Herz und krallte sich dort fest. "Hör zu, ich rufe von unterwegs an - ich stecke gerade zwischen Köln und Kre-feld. Weswegen ich anrufe: Ich möchte dich gerne wiedersehen. Bis du am Wochenende zuhause?" Ich fieberte ihrer Antwort entgegen. Würde sie zögern? Würde sie nachdenken müssen? - So lange wie ich darüber nachgedacht hatte? Erleichtert vernahm ich ihre rasche Antwort: "Ich würde mich sehr freuen! Ich glaube,

du weißt das auch, nicht wahr?" "Ich hab's gehofft“, lächelte ich. "Ich hab' ein verlängertes Wochenende - ist es okay für dich, wenn ich morgen Nach-mittag komme?" "Sehr okay!" Ich konnte ihr Lächeln fast sehen. Dann, nach einer kurzen Pause, hörte ich sie leise fragen: "Bist du aufgeregt?" "Das weißt du doch“, entgegnete ich und hoffte, sie könnte mein Lächeln ebenfalls fast sehen. "Bis morgen." Wieder Pause. "Ich freu mich!" "Ich mich auch! Bis morgen!"

Eine Zeitlang starrte ich noch auf das

ausgeschaltete Telefon in meiner Hand. Dann legte ich es weg, zündete mir eine Zigarette an und bemerkte überrascht, dass noch eine im Aschenbecher vor sich hin kokelte. Kopfschüttelnd drückte ich sie aus, drehte sanft den Zündschlüssel, legte behutsam den ersten Gang ein und setzte lächelnd meine Fahrt zurück zur Firma fort. Doch es war nun kein Rückweg mehr - ich war auf dem Weg zu ihr!








Wenn man schlafende Hunde weckt, sollte man auch mit ihnen schlafen


Zum Glück fand ich die Wohnung leer vor, als ich nach Hause kam. Die Versuche meines Freundes, mir das Treffen auszureden, hätten mich nur genervt. Unter der Dusche zog ich überrascht die Augenbrauen hoch, als ich mich dabei ertappte, dass ich irgendeine Melodie vor mich hin pfiff! Offensichtlich wollte mein Unterbewus-stsein sich mit mir unterhalten. So in der Art: "Bist gut drauf, was? Warum hast du sie dann nicht schon viel früher angerufen? Verschenkte

Zeit!" "Du hättest dich ja auch eher zu Wort melden können!" entgegnete ich barsch. "Und nun schweig still, sonst drehe ich das kalte Wasser an!" "Das machst du ja sowieso nicht, du Weichei!" Ich lachte laut und sagte zu mir selbst:" Stimmt! Ich bin ja nicht bescheuert!"

Immer noch lachend, schlüpfte ich zum Trockenwerden in meinen flauschigen Bademantel, floh aus dem Bad ins Schlafzimmer und kuschelte mich glücklich in meine gemütliche Bett-wäsche. Ich konnte es nicht sehen, aber ich glaube, meine Augen glänzten verträumt, während ich so da lag, zur

Decke starrte und nachdachte. In wenigen Stunden würde ich Resi wiedersehen! Bestimmt könnte ich vor Aufregung gar nicht einschlafen.

Aber dann war ich doch plötzlich weg.


"He, du Sack! Kein Bock auf Arbeit heute?" Ich blinzelte verschlafen und sah meinen Kumpel, wie er den Kopf durch die halboffene Tür steckte und mich fragend ansah. "Hab frei heute, du dreimal um den Kirchturm gewickelter Hühnerembryo mit Schwanzbeleuchtung!" "Oh! Ein neuer Spruch! Wo hast du den

denn her?" Er schien echt überrascht. "Nicht neu“, murmelte ich, "nur so alt, dass den keiner mehr kennt."


"Okay, dann schlaf weiter, du Penner." Das tat ich auch, nachdem der Wecker auf meinen fragenden Blick hin ge-flüstert hatte:" 5 Uhr 30."


Gegen Mittag fing mein Kopf an zu piepen. Verwundert schlug ich die Augen auf. Ich brauchte einen Moment, um klar zu werden - dann fiel mir ein, dass mein Kopf selten piepte. Es musste also eine andere Ursache dafür geben. Ich lächelte in dem Moment, als mir klar wurde, dass Resi wahrscheinlich gerade zu mir

ge-sprochen hatte. Ich griff zum Handy - immer noch lächelnd - drückte ein paar Tasten und las ihr "Ich freu mich." "Dito! Kusssss!" tippte ich kurzerhand und legte das Handy zärtlich auf den Nachttisch zurück. Und wie ich mich freute! Ich sprang förmlich aus dem Bett, verschwand kurz im Bad und machte es mir kurz darauf mit einem Cappuccino in der Küche gemütlich. Mein Kumpel war schon fort zur Arbeit, und so kam ich wieder um das sicher unangenehme Gespräch herum. Und irgendwann war es endlich soweit! Ich setzte mich, duftend wie eine Parfümabteilung im Kaufhaus, ins Auto und fuhr los. Das frisch ge-waschene und gebügelte Oberhemd

kratzte etwas, doch das war mir im Moment schnuppe. Ich malte mir aus, wie mir Resi um den Hals fallen und mich küssen würde. Wie ich sie an mich drücken und streicheln würde. Wie ich ihr in die Augen....

Schließlich, endlich, war ich da. Ich parkte auf meinem üblichen Platz und betrachtete kurz darauf verzückt meinen Rüttel-Schüttel-Feldweg! Ich ging schneller. Kaum hatte ich den Klingel-knopf gedrückt, sprang auch schon die Tür auf; Ich sah nur kurz ein paar Farben und einen Haarschopf, da fiel sie mir auch schon um den Hals.

Von nun an ging alles sehr schnell. Ich

hatte eigentlich angenommen, dass wir uns behutsam wieder annähern würden; zunächst erstmal Kaffee trinken und uns artig gegenüber sitzen würden..... Vielleicht ist "Gleich-ins-Bett-Hüpfen" auch nicht die optimale Begrüßungsform, wenn man sich lange nicht gesehen hat, aber es ist auf jeden Fall die schönste!!! Jedenfalls wurde aus dem freudigen Begrüßungs- rasch ein stürmischer und inniger Leidenschafts-Kuss, in dem alles lag, was uns emotional bewegte. Und eigentlich hüpften wir auch nicht gleich in die Kiste, sondern fanden uns nackt neben dem Bett gegenüberstehend wieder.

Schweigend sahen wir uns in die Augen.

Ich streichelte ihr Gesicht. Ihre Hände lagen auf meinen Hüften. Etwas stieß gegen ihren Unterbauch; Resi lächelte und ich spürte, wie ihre Hand nach unten glitt. Ich hielt sie fest. Diese paar Minuten, in denen wir uns gegenüber standen, vor Erregung und Beherrschung zitternd, das zärtliche Streicheln im Gesicht, an den Ohren, am Hals, das sanfte Küssen auf Augenlider und Nasenspitze, waren der pure Wahn-sinn! Und unglaublich schön!


Dann hüpften wir in die Kiste.




Warum Blumen in unserem Leben eine so wichtige Rolle spielen


In den nächsten Tagen redeten wir viel; über meinen neuen Job, meinen Kumpel, über ihren Therapeuten, der ihr geraten hatte, ihr Online-Profil nicht zu löschen, sondern dort offen über ihre Internetsucht zu schreiben, und wie sie den Weg aus der Dunkelheit zurück ins Licht gefunden hatte. Und ich erfuhr, dass es den Begriff „Internetsucht“ so gar nicht gab, weil es sich nicht um eine „stoffgebundene Abhängigkeit“ handelte, sondern dass die Fachwelt es „Störung der Impulskontrolle“ nannte. Wir redeten, lachten und wir liebten uns. In

jedweder Hinsicht........so oft es ging....... Und heute sind wir schon seit Jahren verheiratet. Kinder haben wir nicht. Wir haben mit uns selber genug zu tun. Mein Kumpel kommt oft zu Besuch.

Der Computer wird endlich "normal" benutzt - wie ein Bügeleisen, zu dem man auch nur greift, wenn man es braucht. Und ich habe wieder mit dem Malen angefangen! Wer mein Lieblingsmotiv ist, muss ich wohl nicht erwähnen.......Ich liege faul auf der Veranda im Liegestuhl. Es ist Sommer. Ich habe Urlaub, und manchmal schaue ich vom Schreiben auf und beobachte Resi im Garten. Sie bückt sich gerade, um Blumen für die Wohnung zu pflücken.

Ihr runder Po zeichnet sich dabei straff unter dem engen, weißen Rock ab, und ich überlege kurz, ob ich – nein - ich bin zu faul für Sex; und sie läuft mir ja nicht weg. Nach allem, was wir durchgemacht haben, werden wir unser Leben lang verheiratet sein. Ich habe keine Lust mehr zu schreiben, klappe den Laptop zu, greife zu Cappuccino und Zigarette und betrachte interessiert Resis schlanke Gestalt. Irgendwann lullen mich die warmen Strahlen der Sonne ein, und ich döse weg. Lächelnd, weil ich weiß, dass mich jemand mit einem zärtlichen Kuss weckt, wenn mein Lieblingsessen, Schmorbraten, fertig ist.



















Zu schön, um wahr zu sein?

Oh, du Ungläubiger! Möge Allah dir eitrige Pickel am Hintern wachsen lassen und dein Gesicht mit stinkenden Warzen übersäen! So fahr doch selber hin zu dem am Waldrand gelegenen Holzhäuschen und sieh selbst, wie es sich dir stolz und seiner Schönheit bewusst entgegen reckt! Aber, Ungläubiger, den Rüttel-Schüttel-Feldweg wirst du vergebens suchen; Dein Blick wird nun auf eine nigelnagelneue Auffahrt mit weißem Kies fallen. Und durch das riesige, schmiedeeiserne Tor kannst du vielleicht mit eigenen Augen beobachten, wie meine Maus und ich fröhlich im Garten herumalbern, oder uns leidenschaftlich küssen, oder uns

einfach nur umarmen und auf das Summen unserer Seelen lauschen. Tz! Immer diese Ungläubigen! © Ulrich Seegschütz 2011

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