Kurzgeschichte
Viktor und Johannes - Die Geschichte eines alleinerziehenden Vaters

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"Viktor und Johannes - Die Geschichte eines alleinerziehenden Vaters"
Veröffentlicht am 22. Februar 2009, 10 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Wie das leben kommt, so wird es angenommen
Viktor und Johannes - Die Geschichte eines alleinerziehenden Vaters

Viktor und Johannes - Die Geschichte eines alleinerziehenden Vaters

1. Teil viktor und Johannes

Strahlender Sonnenschein, blauer Himmel und einzelne weiße Wolken, ein Postkartenbild, so recht nach Johannes Geschmack. Stundenlang konnte er auf seiner weichen Decke liegen und in den Himmel sehen.
Er sah vieles. Den meisten Menschen blieb es verborgen, weil sie achtlos an der Schönheit vorüber gehen. So nicht Johannes.
Wenn sich die Wolken veränderten sah man ein Verstehen auf seinem Gesicht, doch wenn sie nur etwas dunkler wurden stieß er unwillige Laute aus, dann kam sein Vater und drehte die Liege ein wenig, bis es wieder weiße Wolken waren.
Johannes war stark behindert. Er konnte sich nicht sprachlich verständigen und seine Motorik hatte er nicht im Griff. So konnte er zum Beispiel manchmal nichts festhalten und wenn es doch einmal klappte, ließ er nicht mehr los.
Bei seiner Geburt war er zu lange im Geburtenkanal und so wurde sein Hirn nur mit wenig Sauerstoff versorgt. Es war eine sehr schwere Geburt bei der seine Mutter starb.
Viktor, seinem Vater brachten die Ärzte es schonend bei. Seitdem war er ein gebrochener Mann. Er hätte nie im Leben an so einen Schicksalsschlag geglaubt. Betty freute sich auf ihr Baby. Die Ärzte wussten schon, dass es groß war. Sie hätten es leicht durch einen Kaiserschnitt holen können.
Aber dann war es zu spät. Betty hatte vierzehn Tage vor dem errechneten Termin starke Schmerzen, doch sie dachte nicht daran, deswegen zum Arzt zu gehen. In der Nacht merkte sie, dass ihr Bett nass war, das Fruchtwasser war abgegangen. Sie weckte Viktor und eilends fuhren sie ins Klinikum nach Worms.
Betty schrie, sie konnte die Presswehen nicht mehr zurückhalten. Sofort kam sie in den OP, aber da war es für das Kind fast zu spät, bei der nächsten Presswehe kam dann der kleine Johannes zur Welt. Kurz danach starb seine Mutter an zu hohem Blutverlust.
Viktor wurde bald wahnsinnig. Zuerst hasste er den kleinen Wurm, „Du bist schuld, dass Deine Mutter hat sterben müssen."
Doch bald sah er seinen Fehler ein. Keiner hatte Schuld, das Schicksal wollte es so. Schon bald merkten die Ärzte, dass mit Johannes nicht alles stimmte. Er hatte andere Reflexe als die anderen Neugeborenen. Viktor musste auch mit dieser höheren Fügung abfinden.
Als Johannes noch klein war hatte er eine Pflegerin und später kam das nicht mehr für ihn in Frage. Wenn er sah wie der Junge seinen Kopf verdrehte nur um ihm nachzusehen, spätestens da wusste er, dass er gebraucht wurde. So blieb er zu Hause.
Am Anfang war es sehr ungewohnt für ihn einen Dreijährigen zu wickeln und zu füttern. Stunden brauchte er dafür. Doch mit der Zeit spielte sich das ein. Er sah in seinem Kind keine Behinderung, er konnte sich halt nicht so verständlich machen wie andere.
Wenn er sah, dass der Junge wach war, hob er ihn hoch und versuchte ihm das Stehen bei zu bringen. Nach einem halben Jahr war es so weit, Johannes stand am Stuhl und wackelte. Aber er stand. Er konnte sich nicht festhalten, das musste erst gelernt werden. Seine Plüschtiere waren da eine große Hilfe. Und mit der Zeit war auch das geschafft. Ich will es kurz machen Johannes lernte laufen und auch einen Löffel halten.
Oft lagen die beiden draußen im Garten auf einer Decke und kuschelten. Viktor brachte ihm auch bei, wie er heiße „ Papa", und deutete auf sich. Als Johannes wieder mal allein im Garten lag, aufstehen konnte er nicht alleine, rief er ganz laut und deutlich
„Papa." Und als sich niemand regte noch einmal. Der kam natürlich sofort angerannt und nahm den kleinen Zappelphilipp in den Arm und weinte. „Du hast mir ein Geschenk gemacht, kleiner Mann. Aber ich habe auch eines für dich, schau das ist Lilly." Es war eine Labradorhündin.
Zuerst wich Johannes vor dem Fremden zurück. Der Hund kannte sich anscheinend aus mit Kindern, er wartete.
Zögerlich drehte Johannes den Kopf nach ihm. Der Fremde war immer noch da. Viktor sagte „Lilly" und deutete auf das Tier. Der wedelte mit dem Schwanz als er gestreichelt wurde. Johannes streckte seine mageren Ärmchen aus und der Hund kroch zu ihm. Nun fühlte das Kind die Wärme und den Atem. Unverwandt schaute Lilly ihr Herrchen an und dann leckte er ihm über die Hand.
Da jauchzte auf einmal der Junge. So schnell kann ein Tier einen Menschen verändern. Von nun an war Lilly nur neben dem Kind. Was soll ich sagen, er lernte auch seinen Namen, denn wenn er ihn nicht gleich sah, rief er panikartig „Lilly".
Viktor war etwas ruhiger geworden, er sah die Bilder seiner Frau durch und zeigte sie Johannes mit dem Worten „das ist deine Mama," nur einmal sprach er dieses Wort aus und sofort plapperte es der Junge nach. Die Sperre schien gelöst. So besuchten sie auch ihr Grab. Viktor deutete auf den Grabstein und sagte, „hier liegt deine Mama." Heftig schüttelte Johannes den Kopf, „ Mama, Haus."
Mit sechs setzte ihn sein Vater auf die Toilette, dann ließ er den Wasserhahn laufen und richtig, es floss auch bei dem Kind. Seitdem deutet er immer auf den Wasserhahn wenn er muss. Oft haben beide Glück, wenn dabei auch hinten was rauskommt. Dann lachen alle beide und halten sich die Nase zu. Wenn er dann zu seinem Vater kommt und sich die Nase zu hält weiß der schon Bescheid.
Jetzt war Johannes sechzehn Jahre. Widerwillig ließ er sich rasieren. So, dachte Viktor, dann eben nicht. Eine ganze Woche ließ er ihm den Bart, er war dunkelhaarig und dem entsprechend wuchs er auch. Sein Vater beobachtete ihn manchmal und fragte sich, was er wohl denkt. Oft strich er mit der Hand über seinen Kopf und dann über sein Gesicht. Er musste die Veränderung merken. Viktor hielt ihm einen Spiegel hin und sagte, "na du fremder Mann." Johannes erschrak furchtbar und schrie, er erkannte sich nicht. „Siehst du Junge, darum müssen wir uns rasieren." Dann holte er das Rasierzeug bei und zeigte wie schön glatt man danach ist. Voller Misstrauen hielt er nun seinem Vater die Wange hin. Als die erste Seite fertig war, gab er ihm wieder den Spiegel und lachte, na du Clown, was ist schöner? Sofort deutete der Junge auf die glatte Seite. Seitdem geht morgens nicht mehr, ohne vorher die Rasur.
Sie gehen auch zusammen einkaufen. Die Leute im Dorf kenne sie schon .Von weitem ruft er ihnen zu "ich Hannes" und dann strahlen seine braunen Augen. Sie sind so abgrundtief, wer einmal hineingeschaut kann sich nicht mehr davon lösen.
So eine Verschwendung, was hätte der Junge manches Mädchenherz geknickt.
Seine schwarzen Haare wuchsen viel zu schnell, es fiel in Wellen bis an das Kinn. Sein Vater musste es selber schneiden, denn er ließ niemand an sich. Einmal musste er zum Zahnarzt, zwecklos. Viktor wiegte ihn auf seinem Schoss. Gut, damals war er erst zehn, dabei verpasste ihm der Arzt eine Spritze und als er eingeschlafen war konnte man nachsehen. Gott sei Dank kam das nicht allzu oft vor.
Nun konnte er sich einigermaßen verständlich machen und seine Hygiene hatte er (fast) auch im Griff, so hätte alles gut sein können, wenn der Hund nicht eines Tages verschwunden wäre. Man suchte alles ab, nichts! Er trug ein Halsband mit Namen und wohin er gehöre. Lilly war verschwunden. Läufig konnte sie nicht werden denn sie war sterilisiert. Johannes lief den ganzen Tag rastlos hin und her er fand keine Ruhe. Immer wieder rief er den Namen. Lilly blieb verschwunden.
Aber nach einer Woche war sie wieder da, eines Morgens lag sie abgemagert zu einem Skelett vor der Haustür. Ihre linke Hinterpfote war nicht mehr da. Sie war in eine Fuchsfalle geraten welche die Jäger aufgestellt hatten. Viktor und Johannes fuhren sie sofort zum Tierarzt. Das war das erste Mal, dass Johannes ohne Angst zu einem Weißkittel ging. Sein Vater ließ ihn bewusst dabei.
Als er sah, dass der Arzt ihm eine Spritze gab, stöhnte er, aber Viktor meinte nur, auch du wirst das einmal brauchen. Heftig schüttelte er den Kopf und wollte den Hund vom Tisch nehmen, aber der war schon eingeschlafen, nun konnte der Doktor die Wunde untersuchen. „Er hat schon gelernt ohne Pfote zu laufen, sonst wäre er nicht daheim." Dann wurde alles verbunden und sie nahmen ihren Hund wieder mit nach hause. Johannes war sichtlich beeindruckt von der Arbeit des Tierarztes.
Denn er deutete auf sich und sagte, Doktor. Ja mein Junge, du wirst auch einmal Doktor.
Fortsetzung folgt
 
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TONI
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MarianneK Johannes ... - Habe angefangen und konnte nicht mehr aufhören zu lesen, denn diese Geschichte hat mich gefesselt und tief berührt. Bin auf die Fortsetzung gespannt.

Ganz lieben Gruß Marianne

Vor langer Zeit - Antworten
Edlistrate Da ich selber einmal - mit behinderten Kindern gearbeitet hab, fresse ich solche Geschichten.
Sie haben etwas Bedrückendes und etwas sehr tröstliches.
Du hast das Leben der drei auch sehr anschaulich geschildert.
LG .... Gerlinde
Vor langer Zeit - Antworten
Boris sehr viel Gefühl - in der Geschichte...

LG Boris
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