Biografien & Erinnerungen
Markus von Bühlow - Blick auf eine Tragödie - Kapitel 5

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"Die Lebensgeschichte eines Mannes mit Parallelen zu realen Ereignissen des 18./19. Jhd. "
Veröffentlicht am 29. Mai 2023, 12 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Über den Autor:

Die Pflicht des Menschen ist seine stetige Vervollkommnung. Ich versuche dies jeden Tag ein klein bisschen, zumindest wenn es durch Bücher geschieht.
Die Lebensgeschichte eines Mannes mit Parallelen zu realen Ereignissen des 18./19. Jhd.

Markus von Bühlow - Blick auf eine Tragödie - Kapitel 5

Kapitel 5

Nach dem Ende der Zeit an der Universität folgten zwei Jahre als Assessor am Kammergericht Berlin. Mein Freund Ludwig Tornow folgte mir bei diesem Schritt. Neben dem Schreiben von Urteilsentwürfen, der Begleitung der Richter in Sitzungen, war es immer wieder Ludwig, der mich dazu anstachelte, etwas zu Papier zu bringen. Reimann, den Verleger, verloren wir auch in dieser Zeit nicht aus den Augen. Es war auch Tornow, der mich immer wieder in die offenen Häuser mitnahm. Zwar sah das meine Gastmutter nicht gern, aber da ich nicht ihr Kind war, konnte sie mir dies auch nicht verbieten. Es gab eine Beobachtung, die wir beide in den Gesprächen in den Häusern machen konnten. Obwohl die Gastgeberinnen Jüdinnen waren,

traten auch Menschen ein, die erkennbar, auch in ihren Publikationen, sich gegen Juden und eine mögliche Gleichberechtigung äußerten. Man unterhielt sich also mit Personen, die eigentlich der Feind waren. So etwas konnte man natürlich nicht in den dortigen Kreisen besprechen. Ludwig führte mich eines Tages in seine Familie ein, nachdem ich dessen Vater zunächst während der Zusammentreffen schon kennengelernt hatte. Dieser Vater, Abraham Tornow, war Geschäftsführer einer Tuchfabrik in der Stadt. Mit Zahlen jonglierte dieser, als hätte er dies mit der Muttermilch aufgesogen. Aus diesem Können entsprang seine Leidenschaft für die philosophische Logik, die ebenfalls sehr mathematisch geprägt war. Deshalb besuchte er auch die offenen Häuser, in denen viel und vornehmlich philosophische Themen verhandelt wurden und manchmal auch

Philosophen dort verkehrten. Abraham Tornow war in Gesprächen oft sehr lange sehr still. Er beobachtete, hörte zu und gab irgendwann wieder, was seine Gedanken hierzu waren. Und oft fielen diese wie ein Kanonendonner in die Diskussion hinein. Dann schwiegen die anderen Diskutanten, weil das Wort Abrahams förmlich alle erschlug und nachdenklich stimmte. Diese Strategie wandte er auch bei den normalen Gesprächen am familiären Essenstisch an, was für eine nicht eingeweihte Person sicherlich schwer zu deuten war. Zentrum der abendlichen Unterhaltungen war allerdings die Frau des Hauses. Ludwigs Mutter, Luise, eigentlich hieß sie Brendel, gab sich bei der Konversion aber diesen Namen in Verehrung für eine bekannte und in diesen Landen viel verehrte deutsche Prinzessin. Sie war die Tochter eines Rabbiners aus dem Elsaß. Der geneigte Leser kann sich einen warmen Wind

vorstellen, der Blätter durch die Gegend trägt. Dieser Einschub erscheint mir auch nach einigem Nachdenken das beste Bild zu sein, welches diese Frau beschreibt. Immer habe ich sie vergnügt und zum Spaßen aufgelegt erlebt, auch wenn ich in den späteren Jahren die Familie besuchte. Luise leitete nebenher, ganz natürlich, Gespräche ein und trug diese immer weiter. Angeregte Unterhaltungen eröffneten sich so an jedem geselligen Abend. Unterhaltungen, die der ruhige Vater dann und wann mit geistreichen Einwürfen bereicherte. Ich hatte sie bereits bei einem der ersten Besuche für mich eingenommen, als ich offenbarte, dass ich der französischen Sprache ebenfalls mächtig war, die sie immer wieder in ihren Wortfluss einfließen ließ. Vervollständigt wurden die munteren Runden durch die beiden älteren Schwestern meines Freundes, Henriette und Miriam. Obwohl die

Beiden zwei Jahre trennten, hätte man sie für Zwillinge halten können. Manchmal machten sie sich sogar den Spaß und trugen identische Kleidung auf, sodass sie für den ungeübten Beobachter nicht zu unterscheiden waren. Henriette hatte sich als Kleinkind eine Verbrühung an der linken Hand zugezogen, von der eine kleine Pigmentstörung auf dem Handrücken noch heute sichtbar ist. Diesen Unterschied bedeutete mir mein Freund schon vor dem ersten Treffen, sodass ich die Schwestern niemals verwechselte, außer wenn diese feine Seidenhandschuhe bei den Besuchen im Theater oder in der Oper trugen. Wie sich der Leser denken kann, waren auch die beiden jungen Damen keinesfalls zurückhaltend, sondern standen in Witz und Schlagfertigkeit ihrer Mutter im nichts nach. Es war mir dann, als hätte man Sophie verdoppelt und an diesen Tisch gesetzt, denn wie die Tochter meiner Gastfamilie waren auch Henriette und Miriam

sehr bewandert in Literatur und anderer Kunst. Henriette hatte ein besonderes Interesse an griechischen Tragödien und spielte Geige, wohingegen Miriam ein großes Interesse an der neusten Literatur hatte, ohne hierbei aber eine spezielle Zielrichtung zu verfolgen, außer wenn die Romane von Frauen verfasst waren. In einem der Bücherregale befand sich eine Ausgabe der Fräuleins von Sternheim von Sophie von La Roche, um mal eines der auch in deutschen Landen bekannteren Werke zu benennen. Wenn ich es ermöglichen konnte, dann fand ich mich zu Abenden bei der Familie Tornow ein, die mich bald wie einen zweiten Sohn behandelte. Unangenehm war mir dies nicht, denn anstelle der recht schweigsamen Abende in meiner Gastfamilie, waren die hier geführten Diskussionen wahrlich dazu angetan, den eigenen Horizont zu erweitern. Aber natürlich

ließ ich meine Lektionen in Französisch bei Sophie nicht ausfallen. Unvermeidlich war es, dass wir bei unseren Betrachtungen eines Tages auch auf die rechtliche Stellung der Juden in den deutschen Territorien kommen mussten, denn trotz der schon damals seit einigen Jahren veröffentlichten Schrift Über die bürgerliche Verbesserung der Juden war diese bis heute nicht eingetreten. Dass dieses Problem besonderer Natur war bemerkte ich schon aus dem Grunde, dass, anders als bei jedem anderen Thema bei Tisch, Abraham Tornow der Wortgeber war. Er sprach an diesem Abend mehr, als an vielen vorherigen zusammen genommen. Der Hausherr hatte sich sehr tiefe Gedanken gemacht und trug diese ruhig und geordnet vor. Hiernach steuerten damals nur Ludwig und dann auch ich ein paar Anmerkungen bei, die dankend aufgenommen

wurden. An das ernste Gespräch schlossen sich zwei Szenen an, die mir noch heute ganz genau vor Augen stehen und die ich schildern muss, weil es mich hierzu gerade drängt, wenn ich an diese Stunden zurückdenke. „Vater, Markus lernte ich als einen Feind der Antisemiten kennen und ich denke er wird bei Reimann einen Text veröffentlichen“, platzte es förmlich aus meinem Freund heraus. „Stimmt das, Markus?“, fragte mich Herr Tornow. Dieser Blick von ihm, ich glaubte damals ein Funkeln in den Augen erkennen zu können, was ich für einen Hoffnungsschimmer hielt. Da ich in den letzten Jahren hierüber noch oft nachgesonnen habe, so bin ich von dieser Meinung nie abgerückt. „Ich…ich besitze Skizzen, Entwürfe. Immer wieder drängte Ludwig, aber…ich habe noch keinen ganzen Text verfassen

können…verzeiht.“ „Entschuldige dich nicht, wenn es keinen Grund hierzu gibt. Glaubst du etwa, dass Kant seine Kritik der reinen Vernunft einfach so zu Papier gebracht hat? Wenn du noch Zeit brauchst, lass dich von meinem dickköpfigen Sohn nicht drängen. Wie heißt es in der Schrift? Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit.“ Er nickte mir aufmunternd zu. Im Anschluss hieran bedeutete mir Frau Tornow, ihr zu folgen. Etwas verwirrt blickte ich zu den anderen Anwesenden, die mir bedeuteten, dass ich ruhig mitgehen solle. Sie führte mich zu einem kleinen Nebenraum, den sie mit einem kleinen Schlüssel entriegelte. Sodann entzündete sie die Kerzen auf dem Kerzenleuchter, den sie in der anderen Hand hielt. „Wenn du wissen willst, was uns dies alles gebracht hat, sieh‘ bitte in diesen Raum.“ Wir traten ein und das Licht fiel in eine kleine

fensterlose Abstellkammer. Hierin befanden sich Kultgegenstände von Juden. Ich erkannte eine Chanukkia, Gebetsriemen und Tallit sowie mehrere kleine Mesusa-Kapseln. Und das waren nur die Dinge, die ich benennen konnte und die mir heute noch in Erinnerung sind. „Alors, alles ist jetzt hier. Mon père…an Schabbat hat er den Wein, das Brot, uns Kinder gesegnet, wir haben feierlich gesungen. Maman konnte so schön singen…“ Im Kerzenschein erkannte ich, dass sich ihre Augen mit Tränen gefüllt hatten. Das war das erste und Einzige mal, dass ich dies bei der sonst so fröhlichen Frau gesehen habe. „Deshalb, Ludwig, deshalb musst du schreiben.“ Sie blickte auf die große Standuhr, als sie den Raum wieder abgeschlossen hatte. Es war ein Freitagabend. „Schabbat Schalom!“, wünschte sie mir mit einem Lächeln. Ich erwiderte den Segenswunsch.

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RogerWright
Die Pflicht des Menschen ist seine stetige Vervollkommnung. Ich versuche dies jeden Tag ein klein bisschen, zumindest wenn es durch Bücher geschieht.

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