Wärme strömte Kellvians Arm hinauf, vertrieb den dumpfen Schmerz, der sich darin eingenistet hatte. Dann kam er zurück, wie Zähne, die sich ein sein Fleisch gruben, als Knochen sich verschoben und zusammenfügten. Er biss die Zähne zusammen, versuchte keinen laut von sich zu geben, aber Tyrus musste wohl doch etwas gemerkt haben. Der Magier zog die Hand zurück, die eben noch auf Kellvians Arm geruht hatte. „Das sollte reichen. Ein paar Tage ruhe und ihr kommt wieder in Ordnung. Wir
wollen ja nicht das ihr wie ich endet.“ Der Magier lächelte, aber es wirkte falsch. „Verzeiht, aber… wenn ihr solche Wunden heilen könnt…“ Kellvian nickte in Richtung von Tyrus fehlendem Arm. „Magie kann sehr viele Dinge tun, Kell. Aber nicht alles. Ein Zauberer kann sich nicht selbst heilen. Wie auch. Unsere Kraft kommt aus uns selbst. En unvorsichtiger oder ungebildeter Magier oder einer, der sich zu stark belastet, verzehrt seinen eigenen Körper. Eine eigene Wunde zu heilen, ist wie ein Leck zu stopfen in dem man weiteres Holz aus dem eigenen Boot schlägt. Es funktioniert schlicht nicht.“ Er lächelte,
aber es wirkte falsch. „Ein einzelner Magier ist genauso verwundbar wie jeder Sterbliche. Nun vielleicht nicht wie jeder Sterbliche… Aber eine Kugel tötet uns genauso wie jeden Menschen. Und was wie Heilung aussehen mag ist letztlich nur das Teilen von Schmerz und Wunden.“ „Teilen…“ Sie hatten sich am Flusslauf niedergelassen, im Schutz eines noch stehenden Zelts. „Sagen wir einfach Kellvian, ich bin sehr froh das der Arm schon fehlt. Ein kleiner Vorteil für ein großes Opfer. Ich habe in meinem Leben zu viele Magier getroffen, die dachten, das sei es Wert. Man könnte
glauben diese Macht wäre genug für jeden Menschen. Aber für manche ist es eher wie eine Sucht. Fängt es einmal an… Nun reden wir heute nicht darüber. Ihr habt euch gut geschlagen, egal was geschehen ist.“ Er nickte in Richtung des brennenden Dorfes. Nach wie vor durchkämmten die Männer der kaiserlichen Garde die noch stehenden Gebäude und Zelte, aber mittlerweile war es bis auf das Knistern der Feuer still geworden. Wer von den Verteidigern überlebt hatte, hatte sich entweder ergeben oder war ins Umland geflohen. „Gehen wir zurück. Hier draußen wird es nicht lange sicher bleiben, wenn diese
Bastarde ihren Mut wiederfinden. Und ich bezweifle das ich sie nochmal alle in Brand stecken kann. Nicht heute jedenfalls.“ Kellvian stand auf und bot dem alten Magier seine Hand an um ihm auf die Beine zu helfen. „Danke.“ , meinte er. „Es ist eine Weile her das ich mich derart verausgaben musste. Ich muss zugeben, ich dachte einen Augenblick lang wirklich ich hätte euch verloren. Als mir klar wurde, dass niemand dem Feind in den Rücken fällt, wusste ich das etwas schief gegangen sein musste. Immerhin bin ich rechtzeitig da gewesen bevor sie ihre Geschütze laden
konnten.“ „Was das angeht… ihr habt uns davor gerettet. Ich dachte nicht das ein Magier alleine eine ganze Reihe Kanonen abwehren kann.“ Tyrus hielt inne. „Das… kann er auch nicht. Nicht einmal ich. Ich habe sie lediglich in Brand gesetzt. Deutlich weniger kompliziert und anstrengend.“ Wieder dieses dünne, müde lächeln das nicht echt wirkte.“ Eine Gruppe mächtiger Ordensmagier vielleicht aber es würde ihnen einiges abverlangen. Ich habe von Artefakten gehört die so etwas vollbringen können. Talismane des alten Volkes oder uralte Verzauberungen des Ordens. Aber immer nur für den Träger
selbst. Die meisten davon liegen sicher in den Archiven des Ordens oder in den Waffenkammern der fliegenden Stadt. Wovon redet ihr Kellvian?“ „Der Schild… Ich dachte wir wären tot und dann hat irgendetwas die Kugeln abgewehrt. Alle von ihnen.“ Der alte Magier sah mit einem Mal finster drein. Kellvian konnte es ihm nicht verübeln. Wenn er es nicht war dann blieben zwei Möglichkeiten. Irgendjemand in diesem Dorf trug ein Artefakt von unvorstellbarer Macht mit sich… oder eine Gruppe Magier trieb sich in der Nähe herum. Magier, die nicht zum Orden gehören konnten. Die Zauberer in ihren türkisfarbenen Roben
bekamen selten die Erlaubnis einfach durch die Gegend zu ziehen. Meist blieben sie unter sich, in ihrer Festung hoch in den Bergen im Norden oder in ihren Enklaven in den Städten des Kaiserreichs. Einmal um sie vor den Menschen zu schützen… und auch andersherum. Aberglaube konnte zu unschönen Situationen führen. Keine der zwei Möglichkeiten war besonders beruhigend. „Erzählt mir alles.“ Und das tat Kellvian, angefangen von ihrem vergeblichen Versuch in das Dorf zu reiten, den Kanonen und Erdwällen. Den Männern einer kaiserlichen Garnison, viele von ihnen scheinbar
verwundet aber frei und bereit sie zu bekämpfen. Ihr Rückzug. Das Gefühl nicht ganz da zu sein. Dann das Licht. Und schließlich Tyrus Ankunft. Als er die Geschichte beendet hatte, sah der Magier nicht unbedingt glücklicher aus. Wenn überhaupt wirkte er noch müder und älter. „Das kann nicht. Aber Konstantin würde niemals… Er hätte es mir erzählt.“ Tyrus hielt inne. „Ich muss sicher gehen. Kellvian. Folgt mir. Sofort.“ Tyrus sprang auf und energischer als es seine vorherige Erschöpfung zulassen sollte, lief er den Fluss entlang. Fort von der brennenden Siedlung und in Richtung Wald, immer dem Wasser
folgend. Kellvian hatte kaum eine andere Wahl als ihm zu folgen. „Ihr wisst also was vor sich geht?“, fragte er. „Nicht jetzt.“ Die Stimme des Magiers klang angespannt, beinahe panisch. Wann hatte er je erlebt das etwas Tyrus… Angst machen konnte? Er hatte nicht die geringste Idee was vor sich ging. „Bitte. Ich muss erst sicher gehen.“ Also folgte Kellvian ihm stumm. Das Licht des Dorfes blieb hinter ihnen zurück, bis sie den Waldrand erreicht hatten und immer noch hielt Tyrus nicht an, führte sie weiter weg, am Wasser entlang und ins Zwielicht der
Morgendämmerung. Unter den Bäumen war es nach wie vor fast Nachtschwarz und Kellvian konnte kaum die Hand vor Augen sehen. Tyrus machte eine Geste mit der Hand und ein kleines Geisterlicht erschien über seinen ausgestreckten Fingern, hell genug um den Weg zu beleuchten. Sie gingen weiter bis sie eine kleine Anhöhe erreichten. Der Fluss lag hier tiefer, am Boden einer kleinen Klippe und das Rauschen des Wassers übertönte das Geräusch ihrer Schritte auf dem dichten Nadelteppich. „Ist das weit genug?“ Langsam wurde Kellvian selber nervös. “Was machen wir hier draußen?“ Ihr habt selbst gesagt es
könnte gefährlich werden, wenn sich noch Rebellen hier draußen befinden.“ „Nicht so gefährlich wie das hier.“ Tyrus blieb schließlich stehen, jedoch ohne sich zu Kellvian umzudrehen. „Verzeiht mir. Aber ich muss sicher gehen. Wenn ich falsch liege werde ich alles erklären. Fürs erste jedoch: Das könnte etwas wehtun.“ Bevor Kellvian noch etwas sagen konnte, wurde er von den Füßen gehoben. Er versuchte sich zu winden, seine Füße strampelten lediglich in der Luft. Er war hilflos, festgehalten, genau wo er war. „Ich verstehe gar nichts mehr. Was tut…“ „So ist es auch besser. Und ich hoffe es bleibt so.“ , erwiderte Tyrus ohne ihn
aussprechen zu lassen. Tyrus hatte sich umgedreht und der Anblick aus Sorge und… Schmerz auf dem Gesicht des Zauberers war beinahe unerträglich. Wenn Kellvian je so etwas wie nackte Angst gesehen hatte, dann in diesem einen Moment. „Lasst mich sehen.“ „Was sehe…“ bevor Kellvian den Satz beenden konnte schrie er auf. Oder wollte schreien aber seine Lungen schienen ihm nicht zu gehorchen. Alles was er Zustande brachte war ein Dumpfes keuchen. Schmerz. Als hätte jemand flüssiges Blei in seine Venen gegossen. In seine Brust, seinen Schädel. Als würde etwas an seinen Knochen
ziehen, versuchen sich zu… bewegen? Irgendwie hatte er es geschafft eine Hand zu heben, ohne jede Kontrolle darüber, ohne es überhaupt zu merken. Der Schmerz ließ nach aber nur einen Augenblick. „Es ist also wie ich befürchtet habe.“ Kellvian konnte sich nach wie vor nicht befreien, hing nun wieder regungslos in der Luft. „Es tut mir leid.“ Feuer loderte in der Hand des Ordensmeisters auf. „Aber ich habe eine Pflicht zu erfüllen. Dem Orden gegenüber, dem Kaiserreich… und euch Kellvian. Bitte glaubt mir, wenn es einen anderen Weg gäbe, wenn ich auch nur von einem wüsste…“ Die Aufrichtigkeit und die
Verletztheit in Tyrus Stimme waren echt, dachte Kellvian. Das war kein böser Trick, kein Verrat es war… schlimmer. „Er muss es doch gewusst haben. Konstantin muss gewusst haben was ihr seid. Und er hat mir nichts gesagt. All diese Jahre lang nicht. Wir hätten vielleicht eine Lösung gefunden irgendetwas das besser wäre als… das hier. Hat er geglaubt ich würde es nicht herausfinden? Hat er es euch je erzählt?“ „Was… erzählt…?“ Kellvian konnte kaum atmen, jedes Wort bereitete Mühe. „Was ihr seid!“ Tyrus schrie nun fast, scheinbar genau so verzweifelt wie Kellvian. Mit dem Unterschied, dass dieser nach wie vor keine Ahnung hatte
was vor sich ging. „Es spielt keine Rolle mehr. Es ist zu spät irgendetwas zu riskieren.“ Die Flammen in Tyrus Hand loderten heller, weißglühend das Kellvian die Hitze selbst auf die Entfernung spüren könnte. „Es wird sofort vorbei sein. Es tut mir so leid. Ich habe euch wie einen Sohn geliebt Kellvian. Das habe ich wirklich… Und er hat euch getötet. Weil er mir nicht vertraut hat?“ Kellvian versuchte irgendetwas zu sagen. Ein Wort, ein Laut. Er konnte hören wie Verzweifelt ja Verletzte Tyrus klang. Nicht hieran bereitete dem Mann Freude oder schien geplant. Aber was tat er dann? Warum? Er wollte es verstehen,
wollte eine Erklärung mehr noch als nicht sterben. Und dann ging alles ganz schnell. Eine Bewegung in der Dunkelheit. Magisches Licht, das von kaltem Stahl reflektiert wurde. Ein Messer, das sich in Tyrus gesunde Schulter bohrte. Der Magier schrie auf, der Griff um Kellvian ließ augenblicklich nach und er fiel zu Boden. „Das ist für meine Heimat, du verdammtes Monster.“ Tyrus war auf die Knie gesunken. Im verlöschenden magischen Licht konnte Kellvian unscharf eine Gestalt. Grüne Augen die im Halbdunkel leuchteten, graues Fell. „Ihr konntet uns nicht in Ruhe lassen
oder? Ihr oder die Clans. Irgendjemand musste kommen und alles ruinieren.“ Tyrus bewegte sich unvorstellbar schnell für einen verletzten alten Mann. Er wirbelte herum, ignorierte das Messer in seiner Schulter scheinbar vollständig. Ein dumpfer Knall , Flammen und die Gestalt hinter ihm wurde zur Seite geschleudert, traf einen Zweig, der krachend entzweibrach … dann taumelte sie über die Klippen und war verschwunden. Der verwundete Magier kam langsam wieder auf die Füße. Blut rann über seine Schulter, durchnässte seine Roben. Er sah zu Kellvian. Tränen in den Augen ob vor Schmerz oder
Trauer. Er machte einen Schritt nach vorne. Kellvian einen zurück. Offenbar hatte sein letzter Zauber die Wunde nur weiter aufgerissen. Sein guter Arm hing nun ebenfalls nutzlos herab. Ob er so noch Zauber wirken konnte, wusste Kellvian nicht zu sagen. „Kommt nicht näher.“ Kellvian dachte daran das Schwert zu ziehen aber… egal was hier vor sich ging er wollte Tyrus nicht verletzen. Nicht bevor er zumindest eine Erklärung erhielt. Der Magier kam weiter auf ihn zu, Entschlossenheit und Schmerz, sowohl real als auch mental, schienen sich auf seiner Mine
abzuwechseln. Wo konnte er hin? Kellvian sah sich nach einem Fluchtweg um aber… zurück zu den Männern? Was wenn sie Teil des Wahnsinns waren der scheinbar von Tyrus besitz ergriffen hatte? Wenn es Tyrus gegen ihn wenden konnte, dann… was war mit dem Rest? Er kannte diesen Mann seit Jahrzehnten und doch hatte er vor ihn zu töten… Ein weiterer Schritt und sein Fuß trat ins Leere. Die Welt kippte zur Seite. Ein letzter Blick auf Tyrus. Bestürzt und scheinbar erleichtert zugleich. Er konnte das Glitzern der Morgensonne auf dem Wasser unter sich sehen, schien einen Augenblick zu schweben… Dann schlug
er im Wasser auf. Die Kälte ließ ihn nach Luft schnappen, er sog lediglich Wasser ein. Erneut konnte er nicht atmen. Versuchte, sich an die Oberfläche zu kämpfen. Alles drehte sich, er wurde gegen einen Felsen geschleudert, Er versuchte sich festzuhalten, nur um erneut von der Strömung weggerissen zu werden. Die scharfen Kanten des Felsens rissen die Haut an seinen Fingern auf. Dann wurde alles schwarz.
Schreib mir was!