SPURLOS VERSCHWUNDEN
Teil drei
Alfi weiß Rat
Ich hatte schlecht geschlafen. Kein Wunder. Der gestrige Tag war mir
gehörig auf ́s Gemüt geschlagen. All das hohle Geschwätz vom
harmonischen Leben einer Vorzeigefamilie in der sauberen Vorstadt hatte
mir das Hirn verkleistert. Ich kochte
Kaffee und gönnte mir eine kurze
Dusche. Bewaffnet mit einem dampfenden Becher und einer ebensolchen
Zigarette hockte ich mich an meinen zerkratzten Couchtisch, öffnete
meinen Laptop und ließ ihn hochfahren. Meine Handy summte. Eine
Nachricht aus dem Hause Specht. Der Herr Specht gibt sich die Ehre.
Trotz äußerst wichtiger Gespräche die eigentlich keinen Aufschub duldeten
war es ihm ein dringenderes Bedürfnis mit mir über das Verschwinden
seines vermissten Sohnes zu sprechen. Was für ein Opfer, dachte ich, der
arme Mann musste seine geschäftlichen
Interessen als Konzernchef hinten
anstellen. Er könne mich morgen zwischen zehn und zehn Uhr dreißig
empfangen. Na, was für ein Glück ich doch hatte.
Und da ich das Smartphone in der Hand hielt, rief ich Alfi im Dezernat an
und lud ihn für heute Abend zum Essen bei unserem Lieblingsitaliener ein.
Er sagte zu.
Es blieb noch reichlich Zeit für das stöbern im Internet. Ich schaute mir so
einiges an was es so alles von der Familie Specht berichtenswertes gab.Vor
allem die unsäglichen Klatschpresse – Seiten im Netz boten da so einiges.
Vor allem möglichst unverfänglich
Oberflächliches wurde angeboten. Hier
eine Spendengala für Waisenkinder, Fam. Specht beim Pferderennen, beim
Skifahren in der Schweiz und fröhliche Urlaubsbilder von den Bahamas.
Alles obszön teure Freizeitvergnügen. Die vor allem mit vielen bunten
Bildern daher kamen um die armen Leute zu beeindrucken. Wenig Text,
wenn Text, dann möglichst Nichtssagendes. Ich schaute mir die Bilder
ganz genau an. Nette Familie, so auf den ersten Blick. Doch irgendwie
wirkte alles nicht so ganz astrein; alles wie gestellt, inszeniert. Steif und
wie gezwungen wirkten die Figuren.
Eben typisch Boulevard – Format.
Besonders Otto, der auf allen Bildern anwesend war. Er, der Abgängige,
mit seiner Birnenförmigen Figur, dem blonden Haar das sich merklich
lichtete und dem verkniffenen Mund. Beim Hals verteilen war er
offensichtlich nicht da, und einem verschlagen – arroganten Blick aus
blass - blauen Augen, die unmissverständlich verrieten das er liebend gern
ein Anderer gewesen wäre. Ein König oder Kaiser, zum Beispiel. Darunter
machte er es nicht. Einfach gesagt: Er passte so gar nicht ins Bild. Ich hatte
schon früher mit einigermaßen reichen
Kunden zu tun, und sie schienen
alle das Gleiche zu verwechseln. Nämlich das wollen und das brauchen.
Bei dem hier war ich mir sicher, dass er nie genug bekam. Von was auch
immer. Der wirkte so als wenn er nie zufrieden wäre. Auf jeden Fall kam
mir der Typ seeeeehr komisch vor.
Ich suchte mal die Firma des Herrn Papa.
Spechte gab es viele. Doch die meisten waren ohne Firma. Endlich hatte
ich ihn.
Specht Marine Systems inc
Es gab nur spärliche Informationen. Aber soweit ich verstand handelte es
sich um eine Waffenschmiede die höchst tödliche Torpedos
produzierte.
Alles sehr verschwiegen, sehr geheim. Keine Bilder von den Anlagen, aus
der Produktion oder von Mitarbeitern. Nur ein Foto von Vadder Specht, ein
versierter Maschinenbau – Ingenieur, der eine Handvoll Patente in der
Sparte Kriegswaffen am laufen hatte. Aha, vielleicht lag hier die Lösung
versteckt. Hatten die großen Skrupel den Otto erwischt? Hatte das
immense Vermögen, das aus dem flotten Verkauf von fiesen Kriegswaffen
herrührte, sein Gewissen geweckt? Es gab geringere Gründe um aus den
fahrenden Zug auszusteigen
Doch so recht konnte ich nicht daran
glauben. Der Anblick dieses
Burschen vermittelte mir einen ganz anderen Eindruck.
Ich stöberte weiter im famosen Netz. In den sogenannten sozialen
Netzwerken hatte ich keinen Erfolg. Das war wohl zu asozial für die
betuchten Spechts, oder sie schotteten sich bewusst ab. Reiche Menschen
machen das ja gerne, so wie die organisierte Kriminalität, die Angst vor
unerwünschten Ermittlungen, Entführung und Erpressung hatten.
Die Zeit war zäh verlaufen wie aufgetaute Butter.
Ich sollte mich langsam vorbereiten auf das Treffen mit Alfi. Ich zog
mir
Hose und ein frisches Hemd an, die Krawatte blieb auf der Couch um das
einzige Kissen zu bewachen. Ich holte meine Jacke vom Haken.
Und Hoppla.
Da war ja noch der Umschlag von gestern. Den hatte ich doch glatt
vergessen. Ich schaute rein. Bargeld war drin. Und nicht gerade wenig.
Zehntausend Euronen, immerhin, meine Diskretion war ihnen was wert.
Und ich musste mir keine Gedanken machen, woher ich die nächste Miete
hernahm. Nur verdienen musste ich den Zaster noch. Ich musste den
Verschwundenen wiederbeschaffen. Alfi
musste helfen.
Ich ließ den Wagen stehen und machte mich zu Fuß auf den Weg. Es war
nicht sehr weit und ein kleiner Spaziergang an der frischen Luft konnte mir
die Birne frei pusten. Erst links, über einen verwaschenen Zebrastreifen,
dann nach rechts, nach vierhundert Metern war ich schon in unserer
Innenstadt. Einkaufsmeile runter. Obwohl, zum Einkaufen gab es hier
nicht mehr viel. Jeder zweite Laden stand leer, in den übrigen hatten sich
Nagelstudios und Handy – Geschäfte eingenistet. Dazu noch reichlich
Apotheken. Das konnte ich
nachvollziehen. Wir sind schließlich alle
krank. Oder werden es gerade.
Am Fluss entlang ging es weiter. Hier roch es leicht nach Schiffsdiesel und
penetrant nach Hundescheiße. Ein Penner lümmelte auf einer Bank, eine
Flasche Billigwein in Reichweite. Ängstlich blickte er mich an als ich
vorüber ging. Ich hatte es nicht mehr weit. Nur noch einmal nach links,
dann die Straße runter. Die Gegend hier war genauso herunter gekommen
wie der Rest unseres Stückchens Heimat das wir gezwungen sind zu
bewohnen. Vom sauren Regen gebleichte Fassaden, bröckeliger Putz, ein
paar gesprungene Fenster, dahinter das
ewige Geflimmer der TV – Geräte.
Bei Rocco gab es zum Glück keine Fernseher. Nur die beste Pasta der
Stadt. Als ich eintrat wartete Alfi schon an einem Tisch am Fenster. Er
rauchte eine Selbstgedrehte und nippte an seinem Orangensaft.
„Moin Alfi.“
„Moin Alter.“
„Schon bestellt?“
„Nö.“
Und schon erschien der Chef.
„Habt Ihr schon entschieden was es sein darf?“
Alfi hatte Lust auf eine Calzone, und ich nahm die Linguine mit Lachs.
Dazu eine Flasche Roten. Dem
Guten.
„Geht klar,“ sagte Rocco, und schob ab.
Ich hatte früher in meiner Bullenzeit öfters mit ihm zu tun gehabt. Er war
mehr als nur ein zwielichtiger Pizzabäcker. Doch es war ihm nie etwas
Beweisfestes nachzuweisen. Außer das die Pasta wirklich Klasse war.
„Was gibt ́s neues?“ Fragte Alfi.
„Bin an dieser komischen Specht – Sache dran. Ihr Sohn ist spurlos
verschwunden, ich soll ihn wiederbeschaffen. Ich dachte du wüsstest es.
Die Specht hat mich aufgrund einer Empfehlung angeheuert. Und ich
dachte gleich das die von dir kommen
würde.“
„Falsch gedacht. Von mir hat keiner was in der Art gekriegt. Ich würde
mich hüten. Die muss von jemandem kommen, der immer noch nicht gut
auf dich zu sprechen ist.“
„Ach was?“
„Ich könnt mir schon denken wer das gewesen ist. Ein gemeinsamer
Bekannter. Sitzt zwei Etagen über mir im Präsidium. Der ist eindeutig
nicht dein Freund und wenn er dir eins auswischen kann, dann ist er
dabei.“
„Warum auswischen?“
„Aber das weiß doch auch jeder. Mit der Familie Specht ist nicht
gut
Kirschen essen. Oder Pasta. Die sind mit Vorsicht zu genießen. Wenn
irgendwer nicht nach denen ihrer Pfeife tanzt, dann gibt ́s Zunder, aber
kräftig. Mit denen legt sich keiner gerne an. Die haben kostbare
Verbindungen, kennen ne Menge wichtiger Leute mit Einfluss. Die können
einem Kerl so richtig die Hölle heißmachen. Das erkennt man daran das
sie ne sonderbare Sonderkommission bei uns eingerichtet haben. Sehr
sonderbar und sehr verschwiegen. Kein Ton an die Presse, Öffentlichkeit,
oder Kollegen. Da gibt ́s auch kein Geplauder. Da ist jeder so
richtig
eingenordet worden. Kannst ́e den Job nicht absagen?“
„Hab schon n Vorschuss kassiert. Außerdem... was sollte da schon schief
laufen? Ich soll lediglich Sohnemann wieder ran schaffen. Ich will ja nicht
deren Steuern prüfen, oder die Leichen aus deren Keller holen.“
„Das wäre auch ne Lebensaufgabe, nach allem was man so hört.“
„So so.“
Unsere dampfenden Teller kamen an. Dazu der Rote. Wir hielten die
Klappe um unser Essen zu genießen.
Nachdem wir alles verputzt hatten sagte
ich:
„Hab morgen n Termin mit dem ollen Specht. Privataudienz in seiner
Torpedoklitsche. Kennst Du den Ollen?“
„Nee, nie direkt gesehen. Nur das übliche vom Hörensagen. Kann n ganz
übles Aas werden wenn ́s nicht nach seinem Willen geht. Und mit seinen
guten Freunden im Hintergrund kann er mehr als einen guten Kerl für
immer ruinieren.“
„Dann pass ich mal besser auf. Gerade jetzt kann ich mir keinen Ruin
leisten. Obwohl ́s kein großer Unterschied wäre.“
„Denk an meine Worte. Wenn ́s Probleme gibt, dann ruf an. Ich kann
dein
Probleme nicht lösen, hab aber immer n sauberes Taschentuch. Für alle
Fälle.“
Wir tauschten noch schnell den neuesten Tratsch aus dem Präsidium aus.
Dann Verabschiedeten wir uns, und gingen auseinander. Er nach links, ich
nach rechts. Ich nahm den selben Weg den ich gekommen war. Kurz vor
meinem heimeligen Heim wurde ich höchst unfreundlich angesprochen.
„Ey Alter, biste Stolz n Deutscher zu sein?“
„Sieg Heil, Alter!“
Sie waren zu dritt, standen in einer Bushaltestelle, und versoffen
den
kläglichen Rest ihres Verstands. An dem ansehnlichen Haufen Scherben in
einer Ecke konnte man absehen das sie schon eine Weile an der Arbeit
waren. Es waren Skinheads, und zwar so richtige Nazi – Skins. Komplett
mit Bomberjacke, DocMartens, Hosenträger und dämlichen Visagen mit
Segelohren.
Ich dachte diese Art von dumpfen Herrenmenschen wären längst
ausgestorben. Die heutzutage tätigen Nationalisten und Faschisten tarnen
sich ja gerne als bürgerlich – beliebte Normal – Figuren. Kaum noch zu
unterscheiden von den ANTIFA – Leuten.
Doch diese drei Witzfiguren da
hatten offensichtlich die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt.
„Biste nu Deutsch, oder was?“
Die Ansage wurde deutlich aggressiv. Die suchten wohl Streit; suchten n
Opfer. Ich hätte es gut sein lassen können, hätte sie einfach ignorieren
können, aber der letzte Tag mit seinen unergiebigen Fragen und Antworten
hatte mich ansehnlich frustriert. Wenn Ärger, dann aber richtig, sagte ich
mir. Dann ging ich rüber zu ihnen.
Die drei sauberen Jammergestalten grinsten blöde als sie mich kommen
sahen. Sie warfen sich in Pose, machten sich breit und bereit
einem
arglosen Passanten mal ordentlich die Scheiße aus dem Leib zu prügeln.
Man kann ja so einiges über mich sagen. Doch arglos war ich nie, und
werde ich nie werden, dafür hatte ich genug gesehen und erlebt. Und aus
eben diesen Gründen hatte ich so einige Überraschungen parat.
Der erste dieser Clowns machte einen Schritt und hob drohend seine Faust.
„Ey, willst ́e Ärger Alter?“ Fragte er noch.
Ich kickte ihm die Beine weg und gab ihm einen kräftigen Stoß. Er landete
mit seiner hässlichen Visage direkt in dem Scherbenhaufen. Er schrie
wie
ein Kind das sich die Finger in der Keksdose eingeklemmt hat. Ich hatte
den Schlagring aus fein poliertem Messing längst aus meiner Jackentasche
gefischt, als der zweite Blödmann langsam realisierte das er der nächste
auf meiner Liste war. Ich machte keine großen Umstände. Er versuchte
noch seine Arme zu heben, Deckung zu suchen, als ich ihm schon zwei
mal hart und direkt auf seine fettigen Lippen schlug. Ich hörte seine Zähne
knacken, ich hörte seinen verdutzten Schrei. Dann war er schon auf seinen
Knien, spuckte Blut, Speichel und Stücke seiner Zähne. Seine
Lippen
hingen in Fetzen. Der andere wackelte mit seinem bluttriefenden Schädel
und redete wirres Zeug. Er hatte jede Menge Schnittwunden, aber nichts
ernstes. Er würde in der Zukunft nur noch hässlicher aussehen.
Der dritte Herrenmensch machte die Flatter, flink wie ein Wiesel rannte er
um sein stolzes - deutsches Leben. Er rief mir noch etwas zu das ich nicht
verstand, und schon war er zu weit entfernt um ihm nach zu laufen.
„Hu miefes wein...!“ Kam von dem Typen der noch immer sein Blut
auskotzte.
„... ihr riegen disch
nong.“
„Geht klar.“ Sagte ich. „Aber jetzt verzieht ihr euch in eure Buden und
denkt mal über euer beschissenes Leben nach. Mit dem anpöbeln und
Randale machen ist jetzt Schluss. Sucht euch n anderes Hobby. Sonst
komm ich wieder, und ich finde euch. Darauf kannste einen lassen!“
Damit ging ich wieder meiner Wege. Meine Hand war blutig und etwas
verschrammt. Ich müsste noch eine Dusche nehmen. Aber diese kleine
Balgerei hatte mir gut getan. Mein Kopf fühlte sich frisch und frei an,
jeglicher Frust über den gestrigen Tag hatte sich
verflüchtigt.
Und morgen würde ich dem ollen Specht schon noch zeigen wo der
Hammer hängt. Schluss mit dem nichtssagendem Gefasel.
Wird fortgesetzt
Text: harryaltona (2023)
Cover: Pixabay