1.051.920 Minuten
Eine Liebe zwischen uns
1.051.920. Die Anzahl der Minuten, in denen er ihr Herz eingenommen und sich rücksichtslos dort ausgebreitet hatte. Und nun verblieb nur der Rest dessen, was er hinterlassen hatte. Ein schwarzes Nichts. Die Blutspuren des grausamen Kampfes ihres Inneren. Und sie blieben als Narbe zurück.
Sie schloss die Augen, presste die zitternden Fingerspitzen aneinander.
Ich kann ihn kaum ansehen, schrie eine Stimme in ihr. Doch eine andere, noch lautere Stimme sehnte sich danach. Nach
seinen dunklen Augen, dem Lächeln, dass ihr Herz so lange hat höherschlagen lassen. Nun brachte der Gedanke sie ins Wanken, ließ sie wimmernd zurück. Die Fingerspitzen bohrten sich weiter in die nackte Haut. „Ellie“. Die tiefe, raunende Stimme schoss durch ihre Glieder, wie ein Fegefeuer und verbrannte alles mit sich. Vollkommen dehydriert schnappte sie nach Luft und öffnete die Augen. Sein Blick traf ihren. „Ellie“, raunte er ein weiteres Mal, doch es war noch eindringlicher. „Ich liebe dich“, entfloh es seinen Lippen, fast lautlos. Tränen liefen die Wangen hinunter, doch er erstickte sie sofort mit dem Handrücken. „Es tut mir so leid“. Dann verstummte er wieder.
Es tut mir so leid.
Die gebrochenen Worte halten in ihren Gedanken wieder. Sie versuchte rational zu reagieren, doch konnte sie ihren Schmerz kaum zurückhalten. Sie liebte ihn. Wenn sie ausdrücken sollte, wie Liebe sich anzufühlen vermag, dann durch ihn. Sie kannte ihn schon so lange. 1.051.920 Minuten, rann es durch ihre Gedanken. So lange schlug ihr Herz schon für ihn. Sollte nun alles der Vergangenheit angehören?
Sie wagte es kaum, öffnete sie doch die Augen und suchte nach seinem Blick. Er kam ihr plötzlich so fremd vor. Die
dunklen Schatten unter den Augen, das
krause Haar. Ein Seufzer entfloh ihr.„
Ich kann nicht…“,doch bevor sie weitersprechen konnte, entglitt ihr die Stimme. Sie senkte den Kopf, die Augen noch immer geschlossen.
„Bitte siehe mich an“. Das Zittern in seiner Stimme war unverkennbar. Er war kurz vor den Tränen. Für einen Moment wollte sie seine Bitte überhören, aus dieser Situation fliehen. Es tat einfach zu sehr weh. Doch sie folgte der inneren Stimme und sah auf.
Seine Hand wanderte vorsichtig in ihre Richtung und strich eine lose Strähne ihres welligen Haares hinter das Ohr. Sie wendete den Blick ab. Doch das ließ ihn
nicht zurückschrecken. Sein Gesicht näherte sich ihrem, näher und näher – bis nur noch wenige Millimeter die Lippen voneinander trennten. Ihre Atmung war schnell, der Puls stieg.
„Was tust du da?“. Sie war verwirrt, schmerzerfüllt und sehnsüchtig nach seiner Zuneigung. Doch sie durfte nicht schwach werden. Mit all der Vernunft, die sie sich noch zutrug, wich sie nach hinten aus, die Lippen entfernten sich wieder voneinander.
„Du hast mich gebrochen“. Die lauteste Stimme in ihr schrie, wehrte sich gegen das, was aus ihr heraustrat. Doch sie wusste, dass es das Richtige war. „Du hast uns zerbrochen. Und die Narben
bleiben ewig.“
Sie wendete sich von ihm ab, mied seinen suchenden Blick. Und sie drehte sich nicht mehr zu ihm um.
Die Minuten des Lebens sind nicht verloren, dachte sie. Nicht verloren, nur weil sie einmal vergangen sind. Sie bleiben ein Teil dessen, was ich sein werde.
©Ellen_Austen