Ich bin sauer, echt!
Nur wegen meiner zwei Nichten muss ich mich heute, am Heiligen Abend durch die Innenstadt quälen.
Bisher hatte ich ihnen zu Weihnachten immer einen Schein in die Hand gedrückt. Jetzt plötzlich meint meine Schwester, dass die Kinder so den Sinn des Weihnachtsfestes nicht verstehen würden.
Was für ein Quatsch!
Hat das Weihnachtsfest denn überhaupt einen Sinn? Außer, dass man ein paar freie Tage hat, sich diese aber dadurch versaut, dass man sich vorher auf die Geschenkejagd begibt und anschließend alle Verwandte sieht, die man nicht
ausstehen kann?
Egal – jetzt jedenfalls bin ich dabei, für jedes Kind eine schwangere Barbie zu kaufen, die haben sie sich gewünscht. Mal nebenbei: Sind Barbiepuppen sinnvoll? Ich habe nie mit den Dingern gespielt, sonst würde ich wohl immer noch auf meinen Ken warten.
Statt zu warten habe ich lieber Karriere gemacht. Sicherlich habe ich einige Kens gehabt und fast alle wollten sie irgendwann Kinder. Aber nur auf meine Kosten: Mein Haus, mein Auto, meine (Haus)Frau, meine (Ken)Kinder. Nee, wirklich nicht, auch nicht mit Erziehungsurlaub für den Vater. Der wäre sowieso abgehauen, weil Windeln mit
Kinderkacke machen depressiv, jedenfalls die Männer, die ich kenne.
Wenigstens finde ich die Barbies problemlos. Ich kaufe für jede noch einen Ken, wegen der Männerquote. Übrigens gibt es dann keine Fragen wegen der Vaterschaft.
Das lässt mich an meinen derzeitigen Ken denken. Er ist eigentlich ein süßer Kerl, sogar ziemlich unkompliziert. Seltsam, der Gedanke an ihn holt mich aus meinem Tief heraus. Ich fahre einigermaßen ausgeglichen nach Hause.
Ein Glück, die Hektik habe ich hinter mir. Ich lege die eingepackten Nichten Geschenke beiseite, nippe an meinem
Matetee und genieße die Ruhe.
Es klingelt an meiner Eingangstür.
Oh nein!
Ich fluche, bemühe mich jedoch um ein freundliches Gesicht und öffne. Mein Nachbar mit Migrationshintergrund steht vor der Tür: „Du allein? Du komm doch zu uns. Wir machen alle zusammen Bescherung“, stammelt er.
Ich nehme seine Hand von meinem Arm und kläre auf: „Nix Bescherung, du Moslem, ist Beschneidung. Das will ich nicht sehen.“
Er schüttelt verwirrt den Kopf. „Moslem? Schneiden? Heute Bescherung. Ich nix Moslem! Ich Kopte. Christ ist geboren.“ Er schielt an mir vorbei. „Du
keinen Weihnachtsbaum?“
„Nein, kein Weihnachtsbaum. Ich heute Ruhe brauchen. Viel Ruhe. Ich jetzt schlafen.“ Mit diesen Worten ziehe ich meine Tür zu.
Durch den Spion sehe ich, dass der Nachbar zurück in seine Wohnung geht. Was soll das denn! Ich feiere prinzipiell nicht, weil der Kalender mir das vorschreibt. Ich kann auch ohne Vorgabe feiern.
Meinen aktuellen Ken habe ich auch auf einer spontanen Fete kennengelernt. Er hat den ganzen Abend zu Schmusemusik mit mir getanzt, ganz eng, gleich von Anfang an. Und ich wusste sofort, dass er der Richtige ist. Hey, ich kriege ganz
feuchte Augen. Ich habe wohl was ins Auge bekommen.
Es klingelt.
Nicht schon wieder der pseudo christliche Nachbar!
Ich reiße entrüstet die Wohnungstür auf ... und werde von meinen Nichten überrannt.
„Überraschung!!!“
Schwester und Schwager folgen etwas langsamer. Hinter ihnen schlendert mein Ken in die Wohnung. Er haucht mir einen Kuss auf die Lippen, wortlos aber mit Gefühl.
Meine schwer bepackte Schwester verschwindet gleich in der Küche. „Wir haben alles dabei“, ruft sie, „du brauchst
dir keine Gedanken machen.“
Die Nichten streiten, wie immer. “Meine Barbie hat bestimmt längere Haare!”
“Nö, meine!”
“Aber mein hat viel Geld, wie unsere Tante!”
“Jetzt hört mal auf!” Mein Schwager lacht und drückt uns Champagnergläser in die Hände. „Wir machen jetzt eine spontane Fete und keine traditionelle Weihnachtsfeier“, sagt er.
“Ohne ‚Oh du Fröhliche’ “, wispere ich.
Ken knuddelt mich. “Ohne, versprochen.”
Ich bin plötzlich unglaublich glücklich. „Ich klingele mal eben bei den Nachbarn. Vielleicht wollen sie mit uns feiern.“
Nachtrag: Die Nachbarn haben sich uns angeschlossen und es ist eine tolle Spontanfete geworden. Irgendwie weihnachtlich und dann wieder auch nicht. Wir haben uns richtig gut amüsiert.
Übrigens: mein Ken heißt Tim und ich Jana. Wir haben uns an diesem denkwürdigen Tag verlobt und in drei Monaten sind wir zu dritt. Aber Weihnachten feiern wir nicht. Wir machen am Heiligen Abend lieber eine Spontanfete!