Kurzgeschichte
Zweite Chance

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"Vorbestraften wird das Leben nicht gerade leicht gemacht. Ich hatte teilweise Glück."
Veröffentlicht am 15. August 2021, 14 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Vorbestraften wird das Leben nicht gerade leicht gemacht. Ich hatte teilweise Glück.

Zweite Chance

Titel

Hey, er ist vielleicht eigenbrötlerisch, aber er hat mich bei sich aufgenommen, als ich nicht wusste wohin; trotz meiner aufbrausenden Art. „Du lässt dir nichts gefallen.“, hatte er gesagt, „Das gefällt mir. Ich wünschte, ich wäre ein wenig, wie du und nicht so ein Feigling, der ich bin.“ Später hatte er mir gestanden, das er mich als Beschützerin sah und das der eigentliche Grund war, warum er mir angeboten hatte, bei ihm zu wohnen, bis ich was eigenes gefunden hatte. Das ist jetzt auch schon zwei Jahre her. Es ist ja nicht so, das ich mich nicht bemühe. Der

Grund , warum ich immer noch bei ihm lebe, ist, das meine Vita nicht die Beste ist. Ein paar Jahre habe ich im Knast verbracht. Einmal wegen schwerer Körperverletzung und einmal wegen versuchten Mordes. Dabei habe ich den Pisser gar nicht versucht umzubringen. Er kam mir zu Nahe. Trotz meiner Drohungen wollte er nicht von mir lassen. Und da kam eines zum anderen. In meinen Augen war es eindeutig Notwehr. Sein Anwalt sah es anders. Und da ich schon mehrfach vorbestraft war…Meine Anwältin hatte ihr Bestes versucht. Ich habe mich nicht unter Kontrolle. Raste schneller aus, als man Piep sagen

kann. Deshalb gerate ich immer wieder in solche Konflikte. Liegt wahrscheinlich an meinem Vater. Er war genauso. Ein paar Mal hatte er versucht sich Hilfe zu besorgen. Vor allem meinetwegen. Er wollte ein guter Vater sein und das ich stolz bin, seine Tochter zu sein. Auch für meine Mutter wollte er sich ändern. Mehrfach hatte er ihr weh getan. Hinterher hatte es ihm schrecklich leid getan. Sie wusste, wie sehr er sie eigentlich liebte und unterstützte ihn, so gut sie konnte. Eines Abends war es dann passiert. Seine Kumpels hatten ihn dazu überredet, mit in die Kneipe zu gehen. Er hatte mich noch zu Bett gebracht. Zu meiner Mutter hatte er gesagt, das er

sicherheitshalber bei einem seiner Kumpel übernachten wird. Das war das letzte Mal, das ich ihn lebend gesehen habe. Was genau geschehen war, habe ich nie erfahren. Es soll eine Messerstecherei gegeben haben und dabei wurde mein Vater lebensgefährlich verletzt. Noch ehe der Krankenwagen kam, soll er an den Wunden verstorben sein. Danach fiel ich in eine lange, depressive Phase. Obwohl er auch mir gegenüber handgreiflich geworden war, hatte ich ihn sehr geliebt, weil ich wusste, das er es nicht absichtlich tat und es ihm hinterher dreckig ging. Wenigstens war er kein Junkie und auch kein Alkoholiker. Man kann es an einer

Hand abzählen, wie oft er ihm Jahr was getrunken hatte. Und es kam nie von ihm. Auf die Idee, mir Hilfe zu suchen, um nicht so zu enden, wie mein Vater, bin ich nie gekommen. Dabei hätte es mich vielleicht vor dem Knast bewahrt. Jetzt bin ich gebrandmarkt. Es gestaltet sich als fast unmöglich, ein normales Leben zu beginnen. Mehrfach hatte ich schon überlegt, ob ich mich mit jemanden anlege, vielleicht jemanden umbringe, um wieder in den Bau zu kommen. Dort hatte ich ein geregeltes Leben. Aber ich hatte mir fest vorgenommen ein besserer Mensch zu werden. Leider finde ich kaum Unterstützung, bis auf ihn. Sobald

jemand erfährt, das ich saß, sind meine Chancen gleich null. Ich wollte den Teil ausradieren. Aber sind wir mal ehrlich; die Arbeitgeber, heutzutage, sind mit allen Wassern gewaschen. Die durchforsten das Internet und haben Beziehungen. Wenn die was herausfinden wollen, finden sie es raus. Vielleicht denke ich auch zu pessimistisch. Davon abgesehen, finde ich es besser, gleich mit offenen Karten zu spielen. Ich dachte, ich tu ihm mal was Gutes. Zeige ihm, wie dankbar ich bin, das er mich bei sich aufgenommen hat und immer noch behält, obwohl ich ihm auch schon mehrfach aggressiv gegenübergestanden bin. Nicht nur

einmal hatte er meinen Handabdruck auf seinem Gesicht gehabt. Ich, an seiner Stelle, hätte mich angezeigt und rausgeschmissen. Er beließ es dabei, mir aus dem Weg zu gehen und nicht mit mir zu reden. Mein Reizlevel ist in den letzten zwei Jahren gesunken. Wenn wir Zeit dazu finden, meditieren wir einmal am Tag. Es hilft ungemein, Stress abzubauen und zur innerlichen Ruhe zu kommen. Am Anfang hielt ich es für Humbug. Aber ich habe gesehen, das es bei ihm funktioniert, also habe ich es selbst ausprobiert. Die ersten Male waren enttäuschend und ich wollte wieder aufgeben, denn ich bin auch ungeduldig.

Doch eines Tages habe ich es doch noch gespürt. Seit dem versuche ich es regelmäßig durchzuführen. Mir ist nichts eingefallen, was ich ihm Gutes tun könnte. Finanziell bin ich immer am Ende und irgendwie von ihm abhängig – spätestens ab Mitte des Monats. Ich habe keine Ahnung, wohin das Geld fließt. Kochen, kann ich nicht. Ich habe es versucht. Die Küche stank noch Tage danach, trotz intensiven Lüftens. Und im Haushalt fällt kaum was an, da wir minimalistisch leben. Mich ihm hingeben, fällt flach. Mein Körper ist heilig. Niemand fasst mich ungestraft an. Ich spiele offiziell seine Freundin, damit

ihm die anderen in Ruhe lassen. Wie gesagt, er ist eigenbrötlerisch. Er steht auf Frauen. Oft genug habe ich ihn dabei beobachtet, wie er Frauen anstarrt. Schlank müssen sie sein und Vorbau haben und jung müssen sie sein. Anfang bis Mitte zwanzig. Aber eine Beziehung will er nicht. Warum, das weiß er selber nicht. Seine Familie will nicht verstehen, das er keine Lust auf Beziehung hat. Daher spiele ich die Freundin. Er ist glücklich, seine Familie ist glücklich und mir tuts nicht weh. Küssen vor anderen? Dafür genieren wir uns. Händchenhalten? Aus dem Alter sind wir raus. Wir sind schließlich erwachsen und keine zwölf mehr.

Kinder? Dafür fühlen wir uns beide noch nicht bereit. Wir sollten uns schämen, was wir seiner Familie für Lügen auftischen. So gesehen, zeige ich ihm meine Dankbarkeit. Besser kann man es nicht ausdrücken, als das eigene Blut zu täuschen. Hey, sie wollen es nicht anders. Der Grund, warum ich nicht zu meiner Familie bin, als ich aus dem Gefängnis kam, ist, das meine Mutter am großen K gestorben ist, noch bevor ich wegen versuchten Mordes weggesperrt wurde. Meine Großeltern, mütterlicherseits, verstarben, als ich noch klein war. Die anderen habe ich nie kennengelernt. Zum Rest der Familie bestand kaum Kontakt,

da sie in aller Winde verstreut leben. Der Bruder, meines Vaters, hat sich vor Jahren in die Staaten abgeseilt. Mein Vater und er hatten nie das beste Verhältnis zueinander gehabt. Schon als Kinder nicht. So weit ich erfahren habe, musste sich mein Vater immer alles hart erkämpfen, während sein Bruder alles in den Arsch geschoben bekam. Sie waren Konkurrenten und mein Vater meist der Verlierer. Er durfte studieren und mein Vater musste beizeiten hart arbeiten gehen. Ihm lagen die Mädchen reihenweise zu Füßen. Mein Vater hatte keine Zeit für Frauengeschichten. Er musste Geld heranschaffen, damit sich seine Eltern das Studium ihres geliebten

Sohnes leisten konnten. Nach und nach hatte mein Vater von sich preis gegeben. Es fiel ihm sichtlich schwer, über sich zu reden. Auch wenn ich damals noch klein gewesen war, hatte ich Verstand genug, es zu bemerken. Ich kann meinen Vater verstehen, warum er so viele Aggressionen in sich getragen hatte. Wie es bei mir dazu kam, das ich schnell ausflippte, weiß ich nicht. Ich glaube, ich will es auch gar nicht erfahren. Wer weiß, was ich zu Tage fördern würde. Manches sollte ganz unten begraben liegen bleiben. Und was ihn betrifft – ich spiele weiterhin seine Freundin und zeige ihm damit, wie dankbar ich ihm für alles bin.

Das er mich trotz allem nicht auf die Straße gesetzt hat. Er weiß von meiner Vergangenheit und weswegen ich saß. Er war geschockt gewesen, als er das von mir hörte. Wollte mir zu erst nicht glauben. Dann sagte er: “Es zählt nicht, wer du warst, sondern wie du bist.“ Ein Zitat aus dem Nahen Osten, wie ich später erfuhr. Niemand ist fehlerfrei. Und jeder hat eine faire Chance verdient, sich und andere zu beweisen. Ich habe die Chance bekommen und werde alles daran setzen, sie nicht zu vergeigen.

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