Normalität
Wir wachen auf.
Stehen auf, trinken unseren Morgenkaffee, unseren Tee.
Frühstücken im immer gleichen Ritual - oder auch nicht.
Wir stehen auf und gehen unseren gewohnten Weg oder auch nicht.
Immer gleiche Vorgehensweisen. Gleichgültig laufen wir vorbei an Grausamkeiten, die sich hier und dort zugetragen haben, noch zutragen werden - Oder auch nicht.
Ein weinroter Fleck auf den Stufen der Rolltreppe am Bahnhof wird flüchtig wahrgenommen,
wenn überhaupt. Hingenommen. "Ist halt so",
"kann man nichts machen". Eine Sekunde unserer Gedanken. Oder auch nicht.
Wir starren aufs Handy, hören unsere Lieblingsmusik, ein Hörbuch
oder sehen die neuste Folge von "Berlin Tag und Nacht "
während wir Tag und Nacht Berlin nicht sehen.
Oder vielleicht sehen wir es, aber es interessiert uns nicht mehr.
Wir flüchten uns in eine Realität, die wir selbst auf kleinen flackernden Bildschirmen erschaffen.
Wir verlieren uns selbst und unsere Menschlichkeit;
zumindest für den Moment in dem wir uns nicht mit unseren Liebsten umgeben.
Wir rennen mit Scheuklappen durch die Stadt und wenn etwas passiert,
dann ist Helfen nur selten eine Option.
Da ist Angst. Angst selbst Opfer zu werden.
Das schlimmste daran ist, dass diese Angst berechtigt ist. Ein Teufelskreis.
All das wird mir bewusst, jetzt in dem Moment,in dem ich bei Gewitter in der
Ringbahn sitze und mich über eine Frau ärgere, die den aktuellen Mindestabstand nicht einhält.
Es beschleicht mich der Gedanke, dass wir Menschen egoistische Monster sind.
Allesamt. Mich eingeschlossen.
Und dann fällt mir ein, dass meine wundervolle Frau zuhause auf mich wartet,
dass ich eine Familie habe, die zwar nicht perfekt ist, aber bereit an sich zu arbeiten
und es macht sich ein Gefühl in meiner Magengrube breit.
Ein warmes,wohliges Gefühl: Dankbarkeit
Vielleicht sind wir Menschen ja doch nicht so schlimm.
Vielleicht.
