Kurzgeschichte
Allein

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"Allein"
Veröffentlicht am 06. Mai 2021, 10 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Allein

Allein

Allein

Es regnet in Strömen. Seit Tagen hat es nicht mehr aufgehört. Die Erde versinkt in Pfützen, die immer größer werden, zusammenfließen und ganze Seen aus Regenwasser bilden. Alles wirkt trostlos, grau und schmutzig. Es ist schwer, das Haus noch ohne Gummistiefel und eine Hose zum Wechseln zu verlassen. Eigentlich ist es schwer, das Haus überhaupt zu verlassen. Eigentlich gehen die Tage nahtlos ineinander über. Jeden Tag dasselbe eintönige Grau, dasselbe eintönige Plätschern des Regens, jeden Tag dieselbe Kälte und Nässe, die mich mit einer heißen Tasse Tee vor dem Fenster stehen lässt, eine warme,

kuschelige Decke um die Schultern gelegt mit glasigen, leeren Augen nach draußen schauend. Manchmal für Minuten, ganze Stunden. Irgendwie beruhigt es mich, einfach nur dazustehen, und irgendwie lähmt es mich, hypnotisiert mich, lässt mich zur Salzsäule gefrieren. Trostlos, grau und schmutzig. Immer wieder aufs Neue. Ich fühle mich wie ein Automat, eine Maschine, die jeden Tag dieselben Wege geht, dieselben Dinge sieht, dieselben Gedanken denkt. Immer wieder aufs Neue. Gefangen in einer endlosen Schleife aus neuen Wiederholungen von bekannten Momenten.

Heute Nachmittag stehe ich, wie an so

vielen Nachmittagen, vor meinem Fenster, meinen dampfenden Tee in der Hand und die Plüschdecke um die Schultern geschlungen. Meine Gedanken schleichen langsam im Kreis, hinterlassen graue Schlieren in meinem Kopf und mir fällt es schwer meine Augen offen zu halten. Draußen im Garten sieht man nur noch wenig vom Rasen, nur noch Pfützen, die Büsche am Rand lassen traurig die Äste hängen und die Schatten zwischen den Bäumen am Ende des Grundstücks werden immer lebendiger und beängstigender, je weiter der Nachmittag voranschreitet. Der Regen fällt weiter vom Himmel, ohne Punkt und Komma, wie lange Bindfäden,

die den Himmel mit der Erde verbinden und keine Möglichkeit lassen, sich zwischen ihnen hindurchzubewegen, ohne sich in einem heillosen Chaos zu verwirren. Mich schüttelt es. Nein, in diese Trostlosigkeit möchte wirklich niemand hinaus. Ich seufze, verharre noch kurz, einen letzten Blick auf die Eintönigkeit werfend, und wende mich dann langsam ab.

Doch da verharre ich plötzlich in der Bewegung. Etwas Kleines, Rotes huscht in meinem Augenwinkel vorbei. Rot? Wirklich Rot? Weiß ich eigentlich noch wie rot aussieht? Woher weiß ich, dass das wirklich rot ist? Es wird ganz still in mir, stocksteif stehe ich da, mitten in der

Drehung erstarrt. Nur mein Blick huscht unruhig hin und her. Der Rest meines Körpers kann sich nicht bewegen, steht so unter Spannung, dass er gar nicht weiß, was zu tun ist.

Rot. Klein. Huschen. Nein, das kann doch gar nicht sein. Es gibt doch nichts Rotes mehr in dieser Welt, nichts Farbiges. Das habe ich genau beobachtet in den letzten Monaten, Jahren. Es ist immer eintöniger geworden, bis alle Farben verblasst waren und es nur noch verschiedene Graustufen in der Welt gab. Nichts anderes. Nur noch Regen und Grau. Und jetzt das.

Mein Körper beginnt zu Zittern vor lauter Aufregung. Habe ich mir das nur

eingebildet? Unsicher drehe ich mich wieder zum Fenster. Und ja, dort ist er immer noch, dieser kleine, rote Punkt, der flink durch meinen Garten läuft, von einer Pfütze in die nächste hüpft. hin und her. Meine müden Augen haben Schwierigkeiten den schnellen Bewegungen zu folgen. Manchmal sehe ich nur noch einen farbigen, wuselnden Streifen.

Wie in Trance tragen mich meine Beine zur Tür, die in den Garten führt. Meine Füße gleiten in die Schuhe, die dort schon sehr lange stehen. Meine Hände ziehen den Reißverschluss meiner Jacke nach oben und greifen dann nach der Türklinke. Ich halte inne. Ein Schauer

durchläuft meinen Körper, diesmal ein Warmer, Wohliger. Ich atme noch einmal tief durch, bevor ich die Tür vorsichtig öffne, langsam einen Fuß vor den anderen setze, immer weiter und weiter. Der Regen prasselt auf meinen Kopf, mein Gesicht, meine Arme und Beine. Meine Füße versinken in den Pfützen. Doch das ist mir egal. Ich spüre ein Lodern, ein Brennen in meinem Körper, ich spüre meinen Körper. Ich spüre die Kälte auf meinen Wangen, die einzelnen Tropfen, die Nässe, die meine Hosenbeine hinaufkriecht. Ich spüre. Die Euphorie breitet sich aus, strömt hinauf in meinen Kopf. Ich jauchze, grinse, weine. Breite die Arme aus, drehe mich

im Kreis, hüpfe auf und ab.

.

.

Ich halte inne.

Schaue mich um.

Und merke, dass ich allein in meinem Garten stehe.

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Neoni

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