Kurzgeschichte
WEM GEHÖRT DIE NACHT?

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"Kurti ´s (vorerst) letzter Auftritt."
Veröffentlicht am 26. Februar 2021, 10 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über mich gibt es nichts interessantes. Aber jetzt auch mit schönen bunten Bildern.
Kurti ´s (vorerst) letzter Auftritt.

WEM GEHÖRT DIE NACHT?

WEM GEHÖRT DIE NACHT?

Mitte März, und der Morgen graut. Kurti ist auf dem Weg zu seiner Behausung. Links vorbei an der Kirche auf deren Stufen ein Junkie sitzt und seinen letzten Lebenswillen auskotzt. Fette Ratten spielen mit einem ausgeschlagenen Zahn. Der ehemalige Besitzer desselben liegt zwei Meter weiter, schnarchend und sabbernd, in einer Pfütze aus Blut und Pisse. Eine leere Brieftasche schmückt

diesen Leib, signalisiert allen dessen Wertlosigkeit.

Kurti manövriert seinen hageren Körper durch diese Hinterlassenschaften der Nacht. Er kennt das: Immer bleibt etwas liegen: Ein Lachen, ein Lied,  eine Liebe, ein Zahn, ein Leben, oder zwei. Der Nacht ist es egal.

Kurti stemmt die Eingangstür auf. Im Hausflur stinkt es nach dem Essen des gestrigen Tages, nach billigem Parfüm und Haushaltsreiniger. Flink schwingt er sich die zwei Stockwerke zu seiner gemieteten Wohnung hinauf. Schlüssel in ´s Schloss. Auf, und schnell wieder zu. Sorgfältig abschließen, die Riegel nicht vergessen.

Kurti ist „Daheim.“

Zwei Zimmer, Küche, Bad. Spartanisch möbliert. Ein Tisch, oben drauf ein Laptop, davor ein Stuhl, rechts eine fleckige Ledercouch. Die gegenüber liegende Wand voller Bücher. Sauber gestapelt. Von A. Artaud bis I. Welsh ist so ziemlich alles lesenswerte dabei. Die Fenster hinter schweren Vorhängen versteckt. Keine Chance für ´s Tageslicht.

Die Küche, sauber wie in der Pathologie. Hochwertige Kaffeemaschine, Töpfe, eine Bratpfanne. Nur das nötigste an Besteck und Tellern. Kurti ist definitiv nicht auf Besuch eingestellt.

Er geht ins Bad, wäscht seine Hände, schaut in den Spiegel, wo er schwach sein Gesicht erkennt, die schweren Schatten unter den Augen, die blassen Lippen unter der etwas zu spitzen Nase. Kurti langweilt sich bei seinem Anblick. Gerne hätte er ein spannenderes Gesicht gehabt. So eines wie Belmondo, Lino Ventura oder Jean Gabin. Interessante Gesichter; Gesichter mit Erinnerungswert.

Kurti bewegt sich in ´s letzte Zimmer. Hier ist ein kleiner Schrank gefangen, ein schmales Matratzenlager, noch ein Stuhl, ein winziger Tisch, die Fenster ebenfalls verhüllt. Du lebst mittlerweile wie so ein verkackter Vampir, sagt er in

Gedanken zu sich selbst. Aber das ist vollkommen in Ordnung, du saugst ja kein Blut. Du brauchst etwas anderes, etwas flüchtigeres als Blut. Etwas noch Unbekanntes...  Geheimnisvolles... schwer zu fassen... es in Worte zu zwingen...

Was er nicht braucht ist klar: Einen geregelten Tagesablauf, geregelte Arbeit, überhaupt ein geregeltes Leben. Tagesgeschäft. Fremdbestimmt. Verplant. Gesteuert. Ge. - und verkauft. Das alles hatte er in seiner Vergangenheit erlebt, und es hatte ihm nicht gefallen. Bei der ersten Gelegenheit hatte er damit Schluss gemacht. Konsequent, schnell, und mit Hilfe einer kleinen Erbschaft ordnete er

seine Prioritäten neu.

Jetzt ist er ein Nachtwandler.

Ein Wanderer der durch dunkle Straßen streunt, durch Bars, Kaschemmen und traurige Stehausschänke. Immer auf der Suche nach Unbekanntem. Tatsächlich trifft er Nachts auf Orte und Menschen, die er bei Tageslicht glatt übersehen hätte; gelegentlich unheimliche Orte, bevölkert von unheimlichen Menschen mit ebensolchen Weisheiten und Botschaften. Er trifft auf bizarre Menschen mit ebensolchen bizarren Sehnsüchten und Gelüsten, die Triebe und die Getriebenen. Und er kennt die Menschen die diese Bedürfnisse befriedigen. Es wird ge – und verkauft.

Nächtliche Dienstleister, die noch die absurdesten Wünsche erfüllen.

In diesem Punkt ähneln sie ihren Vertretern von der Tagesschicht.

Doch sonst ist alles ganz anders. Dunkel. Verschwiegen. Dem Blick verborgen, dem Zeugen entzogen. Es sei denn man wird – wie Kurti – ein Teil dieser Nacht. Einer der da hin gehört. Und mehr will der Kurti auch nicht sein. Die Geschäfte überlässt er anderen. Er sammelt lediglich die Reste auf.

Doch damit ist erst mal Schluss. Ein winziger Virus hat sich eingeschlichen. Zuerst nicht richtig ernst genommen, hat er nun nach einem Jahr seiner nachgewiesenen Existenz und

erbarmungsloser Mordlust  die Macht über alles Leben erobert. Nichts geht mehr ohne strikte Vorsichtsmaßnahmen. Lockdown! Die Nacht mit all ihren Versuchungen, Sehnsüchten und Träumen ist praktisch abgeschlossen. Kurti legt sich hin, und schläft. Allein mit seinem eigenen Traum. Mehr gibt es nicht zu tun.



Text: harryaltona(2021)

Cover: Pixabay


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Über mich gibt es nichts interessantes. Aber jetzt auch mit schönen bunten Bildern.

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Gast Wem gehört die Nacht?
Na in erster Linie Kurti, denn der kennt sich bestens aus im Hamburger Milieu und keiner kann es besser zu Papier bringen, als HARRYALTONA...
Ich freue mich, Dich wieder in einer Super-Kurti-Geschichte zu lesen... ...smile*
Ich glaube übrigens, es ist noch viel zu früh, Kurti jetzt schon in Pension zu schicken!...
LG zu Dir an die platte Nordseeküste, aus dem kaltsonnigen Berlin... ..smile*
Louis :-)
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Freut mich auch mal wieder von dir zu hören, du Gast. Besser wär ´s mal was neues von dir zu lesen.
Und Kurti geht noch lange nicht in Rente.
Tausend Dank, Louis!!!
lg.... harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
strandgigant Moin!

Sind wir hier mittels Kurti nicht Zeugen eines fantastischen Drehbuchs, das derart geschrieben ist, dass es selbst zur Wahrheit wird? So wie A. Artaud es sich vielleicht dachte, als er das Geschehen auf der Bühne mit dem Attribut der (in sich eigenen) Wirklichkeit versah.

Toll geschrieben.
Danke!

Detlef
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Durchaus. In diesen digitalen Zeiten und ihren Spielzeugen sind wir doch alle Autoren, Darsteller und für Regie in unseren eigenen kleinen Dramen, Komödien usw. Was ist denn da noch das wahre Leben?
Tausend Dank, Detlef!!!
lg... harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
KaraList Ach ja, Kurti ... :-) ... immer noch auf der von ihm gewählten Schattenseite des Lebens. Sie ist noch dunkler geworden, da die Lichter seiner nächtlichen Zufluchtsorte ausgegangen sind. Wieder eine ganz tolle Szenebeschreibung von Dir, Harry.
Ich mag Deine "Schreibe"! :-)
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Ja... wohin soll man gehen? Körperlich und geistig fremdbestimmt von einem lächerlich winzigen Virus. Wer dafür die Verantwortung trägt, lacht sich sicher kaputt.
Tausend Dank, Kara!!!
lg... harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
cassandra2010 
Dass Kurti u.a. Artaud liest, zeigt in meinen Augen , dass er wie AA die Welt in ihrer Kaleidoskophaftigkeit und die Atomisierung des Menschlichen mit klarem Blick zu erfassen vermag. Ein unkaputtbarer Typus, der Kurti...

BTW, hast du dir schon mal Fotos von Artaud genau angeschaut? Er hat ne frappierend Ähnlichkeit mit ... Kalle Lauterbach!

LG
Cassy
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Das Theater der Grausamkeiten ist eben überall, sogar dort wo man es nicht vermutet.
Und die Beiden mögen sich ja körperlich ähnlich sehen, doch wer von beiden hat wohl die größere Macke?
Tausend Dank, Cassy!!!!
lg... harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
derdilettant Coole Story. Kurti ist genau richtig kaputt. Nicht zu viel - das Leben eben.

LG

D.
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Eben. Bisschen kaputt kann ja durchaus liebenswert sein.
Tausend Dank, Alan!!!
lg... harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
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