Es war Freitag, kurz nach 17:00 Uhr, als das Telefon klingelte.
Der Computer war schon aus und ich auf dem Weg zur Tür. Einen Moment zögerte ich, dann kehrte ich noch mal um zum Schreibtisch.
Eine Nummer mit schwedischer Vorwahl im Display: Jan-Peter .....
Ich hatte Jan-Peter vor ca. 3 Monaten in München auf der Messe kennen gelernt. Er ist Geschäftsführer eines mittelständigen Unternehmens in Stockholm und interessierte sich für unsere neuen elektronischen Steuerungen, die wir auf der IFAT
präsentierten. Nach einem recht
informativen Gespräch kam von ihm die Frage, ob er unser Vertriebspartner in Schweden und Skandinavien werden könne.
Etwa 2 Wochen später schickten wir einen Vorvertrag nach Stockholm – und eine Steuerung, damit Jan-Peter sich mit dem Gerät vertraut machen konnte.
Seit dem verging fast kein Tag mehr, ohne das ich einen Anruf von ihm bekam und er Fragen zur Technik hatte.
Seufzend nahm ich den Hörer ab: „Hallo Jan-Peter – bin schon im Wochenende!!“
„Hi, Alan. Stopp, nicht so schnell. Du
weist doch, dass wir nächste Woche hier
in Stockholm die Messe haben, wo ich auch eure Steuerungen präsentieren will.
Skandinavien wartet auf diese Innovation!“
„Ja, und was kann ich am Freitag noch für dich tun?“, ich war etwas genervt, denn ich hatte Angie versprochen, sie zum Italiener auszuführen. Und meistens dauerten die Gespräche mit Jan-Peter länger.
„Hör mal, Alan, du hattest doch angeboten, mich auf der Messe zu unterstützen.“
„Ja, was du dankend abgelehnt hast!“
„Mmh“, Jan-Peter klang unsicher, „wäre vielleicht doch nicht so schlecht, wenn
du nächste Woche von Dienstag bis
...“
Das ging noch eine Weile so, bis ich schließlich zustimmte.
Einen Flug hatte Jan-Peter schon für mich ausgesucht, nur mit einem Hotel würde es schwierig werden.
„Hey – du kannst die 3 Nächte bei mir übernachten. Wir haben ein großes Haus mit Gästezimmern. Und es kommt öfter vor, dass Geschäftspartner bei mir übernachten.“
Sollte ich das jetzt wirklich machen? Aber warum auch nicht, so konnte man abends noch mal über Vertriebsstrategien,
Distributionsvertrag,
Zahlungskonditionen und ähnliches diskutieren.
„Also gut, wir sehen uns Montag Abend in Stockholm – schönes Wochenende!“, damit legte ich auf und verließ nachdenklich das Büro.
Am Montag Abend landete ich kurz vor 22:00 Uhr in Stockholm.
Jan-Peter kam auf mich zugestürzt, nahm mich in den Arm und deutete einen Kuss auf die Wange an – was mich etwas irritierte. Denn eigentlich kennen wir uns kaum.
„Hey, Jan-Peter, nicht ganz so
stürmisch.“
„God kväll, Alan – hattest Du einen
guten Flug?“
„Alles gut – jetzt muss ich bloß noch ein wenig Geld wechseln und dann ein paar nette Blumen für deine Frau kaufen. Wo ich doch schließlich bei euch ....“
„Na, Geld wechseln kannst du auch noch morgen“, Jan-Peter winkte ab, „ja, und mit den Blumen ...“
Er zögerte etwas.
„Also, ich lebe allein. Ich habe mich vor etwa 6 Wochen getrennt!“
Jan-Peter sah mein fragendes Gesicht und fuhr rasch fort: „ ... aber alles in Ordnung“
„Oh, tut mir leid. Wenn ich gewusst hätte
– ich will keine Umstände machen“, jetzt war ich schon etwas
ratlos.
„Ach, Quatsch, klappt schon!“, Jan-Peter legte einen Arm um mich und schob mich Richtung Ausgang.
Es dauerte ca. 40 Minuten mit seinem Volvo, bis wir vor einem wirklich schönen, großen Haus in einem Vorort von Stockholm hielten.
Das bescheidene Heim erwies sich schon fast als Villa, großer Wohnbereich, rustikal eingerichtete Küche mit einem riesigen Esstisch, Bürobereich und Kaminzimmer im Erdgeschoß, Schlafzimmer, Gästezimmer und 2 Bäder
im ersten
Stock.
Nachdem ich mich in einem Gästezimmer eingerichtet hatte, trafen wir uns im Kaminzimmer.
„Hast Du Lust, noch etwas zu trinken? Zwei Straßen weiter ist eine nette Bar mit netten Leuten. Allerdings fast nur Männer!“, Jan-Peter hatte den Kopf etwas zum Boden gesenkt, schaute mich aber jetzt kurz und verlegen an.
„Oh – du meinst eine Schwulenbar?“; platzte es aus mir raus.
Jan-Peter wurde etwas rot und hielt den Kopf gesenkt.
„Hey, ich habe nichts gegen Schwule –
Entschuldigung, gegen Homosexuelle“,
ich merkte, dass ich da bei Jan-Peter grade in ein Fettnäpfchen getreten war.
„Ehrlich nicht! Jeder sollte so leben, wie er fühlt und denkt und wie er möchte. Ich stehe auf Frauen – aber ich respektiere und akzeptiere genauso Männer, die halt Männer lieben!“, ich versuchte, mich zu erklären, „aber für heute sollten wir doch hier bleiben. Es ist schon ziemlich spät und ich kaputt vom langen Tag.“
Jan-Peter nickte.
Er ging zum Barschrank, holte ein Flasche Bulleit Bourbon Whisky heraus, stellte zwei Gläser hin und schenkte uns ziemlich kräftig ein.
„OK, dann Prost – vielleicht können wir
in den nächsten Tagen ja mal
‚rübergehn.“, mein schwedischer Geschäftspartner hob sein Glas und kippte sich den Triple-Whisky mit einem Zug runter.
Ich hatte mich in das große, bequeme Sofa gesetzt und nippte auch an meinem Whisky.
Jan-Peter war sichtlich nervös, erzählte über belanglose Sachen, vom Kauf und der Einrichtung seines Hauses, schüttete uns immer wieder ein und setzte sich immer wieder für einen Moment kurz neben mich.
Dabei berührte sein Bein wie zufällig meins – und beim Aufstehen stützte er
sich kurz auf mein
Knie.
Nach einiger Zeit und einer fast leeren Whiskyflasche war seine Aussprache dann nicht mehr so klar: „uu dann hab ich gedacht, jezz ist das Leben wirklich suuper – unn dann verläst mich Frederik ganz plö...“.
Hier kam auch Jan-Peter ganz plötzlich ins Stocken!
„Ja,“, ich nickte, „ich hab jetzt verstanden.“
Jan-Peter schaute ziemlich panisch.
„Aber das ist doch OK für mich!“, ich bemühte mich, den jetzt wirklich hektisch atmenden Schweden zu beruhigen, „wir sollten vielleicht morgen
in aller Ruhe über das Thema sprechen.
Es ist verdammt spät, ich bin müde, der Whisky ist leer und die Messe fängt früh morgens an!“
Jan-Peter nickte, starrte mich an, trank seinen Whisky aus, drehte sich ohne ein Wort um und schwankte aus dem Raum.
Ich ging hoch ins Gästezimmer, legte mich ins Bett und grübelte noch kurz über das Geschehene. Aber auch bei mir wirkte der Whisky und so schlief ich nach kurzer Zeit ein.
Irgendetwas weckte mich einige Zeit später. Ich weiß nicht, ob es ein Geräusch oder nur ein Gefühl
war.
Ich drehte mich im Bett um – und sah im
Vollmondlicht eine nackte Gestalt vor meinem Bett. Nackt, männlich – und ziemlich erregt, wie man selbst im Mondlicht sehen konnte.
Brüllend fuhr ich auf, griff zum Lichtschalter, fluchte und schrie auf Deutsch und deutete zur Tür.
Jan-Peter, jetzt nicht mehr so ganz erreget, hob die Hände zu einer fragenden Geste und ging rückwärts auf die offene Tür zu. Ich brüllte noch immer, sprang aus dem Bett auf Jan-Peter zu und stieß ihn aus dem Zimmer.
Das Knallen der von mir zugeschlagenen Tür und das Klatschen des nackten
Körpers auf die Fliesen kamen
zeitgleich.
So rasch ich konnte, zog ich mich an, stopfte meine Anzüge und gebügelten Hemden in den Koffer, raffte meinen Aktenkoffer mit dem Computer und Unterlagen zusammen und verlies fluchtartig das Haus.
Nach einigen hundert Metern lies ich mich auf eine Bank an einer Bushaltestelle fallen.
Ich zitterte noch immer vor Wut und Aufregung am ganzen Körper.
Tief durchatmend überlegte ich, was ich tun konnte.
Ich wusste nicht, wo ich in Stockholm
war, hatte keine Kronen in der Tasche,
kein Zimmer, kein...
‚Jetzt beruhige dich – und überleg’, so langsam spielte mein Geist wieder mit. Smartphone raus und auf iMaps schaun, wo du bist.
Natürlich hatte ich am Abend schnapsbedudelt vergessen, das Gerät zu laden.
Jetzt hatte ich noch 7% Akkuladung.
So prägte ich mir die Richtung zum nächsten größeren Hotel ein und machte mich mit Aktenkoffer rechts und Trolly links auf den Weg.
Nach etwa 20 Minuten kam ich an eine größere Straße, wo auch mehr Verkehr
war.
Auf mein Winken hielt jedoch keins der
vorbeifahrenden Taxis, so schaute ich wieder auf’s Smatphone nach der Richtung – noch 4% Akku!!
So lief ich durch die Stockholmer Nacht, die Koffer wurden irgendwie immer schwerer und ein Ende war nicht abzusehen. Mein Smartphone hatte inzwischen den Geist aufgegeben, bis ich um etwa 4:00 Uhr in der Nacht das Merkur-Hotel entdeckte.
In der Hotellobby gab’s einen Geldautomaten und der Nachtportier gab mir eine Cola und rief ein Taxi zum Flughafen, ohne irgendwelche Fragen zu
stellen.
Selbst sein Blick war ziemlich neutral.
Am Flughafen bekam ich tatsächlich noch einen Flug nach Düsseldorf, über den Preis für das Ticket möchte ich lieber nicht sprechen.
Ein paar Tage später brachte der Paketdienst die Steuerung aus Schweden zurück – unfrei, Fracht zahlt Empfänger. Na, ja.
Ach, übrigens, von Jan-Peter habe ich nie wieder etwas gehört.
© Dilettant