ALARMSTUFE ROT
Kurz nach Schichtwechsel am Sonntag nahm der Diensthabende den ersten Notruf entgegen. Eine – der Stimme nach eine ältere - Mitbürgerin beschwerte sich über ungewöhnlich laute Geräusche in dem von ihr bewohnten Haus. Der Beamte notierte Pflichtbewusst Name und Adresse der Anruferin. Mit dem
Versprechen sich umgehend darum zu kümmern legte er auf. Kurz darauf folgte ein zweiter Anruf. Die selbe Adresse, wie ihm sofort auffiel, doch eine andere Stimme diesmal. Ängstlich, abgehackt, schon fast panisch:
„... und ein Gekreische kommt von da unten! Richtig gruselig. Ich trau mich schon gar nicht mehr vor die Tür! Auch weil da so viele fremde Personen rum lungern! Man weiß ja nie in solchen Zeiten... und ich als alte Frau... was da alles passieren kann...!“
Mit dem gleichen Versprechen drückte der Beamte auch sie weg. Kaum war die Leitung frei, klingelte es erneut. Ganz schön was los heute, dachte er, als eine
weitere Frauenstimme in seinem Ohr dröhnte:
„DIE SIND DA IN UNSEREM KELLER, MEIN GOTT! DIE SCHREIEN UND KREISCHEN UND MACHEN GERÄUSCHE ALS WENN SIE ABGESTOCHEN WERDEN! ALSO ICH GEH DA NICH RUNTER, WER WEIß WAS DA ALLES SCHRECKLICHES PASSIERT! SCHICKEN SIE MAL GLEICH SO N ÜBERFALLKOMMANDO! ABER SCHNELL, WENN ´S GEHT!“
Jetzt wurde dem Beamten selbst etwas mulmig. Könnte sich durchaus um etwas sehr ernstes handeln, schätzte er. Also verständigte er nicht nur zwei
Streifenwagenbesatzungen die sich in der Gegend aufhielten, nein, Sicherheitshalber alarmierte er gleich noch den Revierchef und setzte ein SEK – Team in Bewegung.
Zehn Minuten später brauste eine kleine Armee die stille Geschäftsstraße entlang. Blaulicht erhellte die schattigen Fassaden, Sirenen rissen Rentner aus ihrem Mittagsschlaf. Bremsen quietschten, Befehle wurden gebrüllt, die Straße wurde abgeriegelt, auf die Schnelle ein Kommandoposten eingerichtet, auf den umliegenden Dächern bezogen Scharfschützen Stellung. Ein Hubschrauber rotierte über den Uniformierten.
Eine krumme verhutzelte alte Frau schaute dieser Aktion – die sie schmerzvoll an die letzten Kriegstage erinnerte – sichtbar verängstigt zu.
Ein schneidiger Mittfünfziger mit Schnurrbart, Kampfstiefeln und tief hängendem Holster schnauzte die Oma kurzerhand an:
„Haben Sie uns gerufen?“ Fragte seine tönende Befehlsstimme.
Die Alte konnte nur stumm nicken, ihre arthritische Kralle deutete auf den Hauseingang hinter ihr.
„Sie sind da unten!“ Presste sie angestrengt zwischen ihren rissigen Lippen hervor.
Weitere Befehle wurden gebrüllt. Die
Oma in Sicherheit gebracht. Gaffer wurden verscheucht. Eine schwer bewaffnete Einheit formierte sich vor besagter Tür. Eine spannungsgeladene Stille senkte sich über die Szene.
Der Einsatzleiter gab ein knappes Zeichen zu seinen Männern.
Ohne Furcht um ihr eigenen Leib und das Leben anderer stürmten diese ohne Umschweife durch die Tür. Ein großer kräftiger Kerl mit einem schweren Stahldingens rammte die Kellertür auf. Einer hinter dem anderen tobten sie, unmenschlich brüllend und mit gezogener Waffe die schmale dunkle Treppe hinab.
„Licht! Wir brauchen Licht!“ Verlangte
ein Schreihals.
Der letzte in der Schlange hieb zu allem entschlossen auf den Schalter.
Und es wurde hell.
Mit vor Anspannung roten Gesichtern sahen sie sich an. Niemand war zu erkennen. Kein Terrorist, kein heimtückischer Mörder, kein Staatsfeindlicher Bombenleger stellte sich ihnen ungesetzlich in den Weg.
Sie wollten schon wieder abziehen, als ein besonders begabter Beamter, der schon öfters durch seinen überaus guten Gehörsinn negativ aufgefallen war, seine Hand hob und um Ruhe bat.
Stille.
Dann hörten sie es alle.
Ein Raunen, ein Gemurmel, ein Grunzen. Es kam zaghaft aus dem hintersten Kellerraum. Sofort stürmten sie wieder los. Mit Gebrüll und allem anderen. Die Tür flog mit lautem Gepolter auf.
Einschüchterndes Geschrei wurde angestimmt.
Doch statt Terroristen, Bombenlegern oder Mördern, sahen sich die Beamten Aug in Aug mit einer Meute verzweifelter Hausfrauen mit schlimmen Frisuren, die sie trotzig anglotzten. Keine der circa zwanzig anwesenden Damen trug eine dieser drolligen Mund – Nasen – Abdeckungen und der angeratene Abstand wurde auf keinen Fall eingehalten. An der hinteren Wand
kauerte verängstigt ein schmaler Mann mit roten Haaren und nur dürftig mit einem Kittel bekleidet. Sein Bein war mit einer zwei Meter langen Kette an ein Heizungsrohr gekettet, und er sah aus als würde er gleich in Tränen ausbrechen. Der Boden war mit abgeschnittenen Haarbüscheln übersät, auf einem kleinen Tischchen lagen Scheren, Kämme, Bürsten, ein Fön und verschiedene Tinkturen. Leere Prosecco Flaschen mit einigen Gläsern.
Sofort ging der Trubel los: Heftiges Gekeife setzte ein:
„Verpisst euch!“
„Wir tun das nur um euch zu gefallen!“
„Ihr wisst ja nicht wie das ist!“
„Hier gibt ´s nichts zu gucken!“
„Ja, haut einfach wieder ab!“
Das ganze wurde von heftigem Schluchzen und sehr bösen Blicken begleitet.
„Alle raus!“ Befahl der Chef. „Alle festnehmen!“
Nach der ersten Aufregung und den ersten Befragungen stellte sich heraus, dass die Damen gemeinsam den Stadtbekannten Friseur „Udo die Walze“ gekidnappt hatten, ihn in dem Keller der Rädelsführerin angekettet, und ihn mit üblen Drohungen dazu genötigt hatten sie zu frisieren.
Nach Aufnahme aller Personalien erging
gegen zwei der langhaarigen Damen ein Haftbefehl, der Rest von ihnen musste mit einem saftigen Bußgeld rechnen. Der Friseur wurde nach Hause gebracht, wo er umgehend seine noch feuchte Unterhose wechselte.
„Sie wissen ja gar nicht wie verzweifelt man ist in diesen Pandemie – Zeiten wo alle im Lockdown sind, selbst die lebensnotwendigsten Dinge werden einem versagt!“
Ein Verbrechen aus Leidenschaft. Sozusagen.
(So ähnlich hat es sich am letzten
Wochenende im beschaulichen Velbert, NRW, zugetragen. Natürlich sind die dramatischen "Straftaten" von mir frei erfunden.)
Text: harryaltona 2021
Cover: Pixabay