Kurzgeschichte
Der Spatz

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"Der Spatz"
Veröffentlicht am 16. Januar 2021, 8 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Der Spatz

Der Spatz

Von der Arbeit müde und überdrüssig ließ sich Johannes auf eine Bank zur Ruhe nieder. Wie er so in die helle Sonne blinzelte und von seinem dunklen Brote biss, dachte er, wäre er doch nicht nur ein kleiner Buchhalter, sondern einer von den ganz großen Herren, denen das Volke durch ehrfürchtige Beachtung glanzvolle Würde schenke. Dann könne er abends statt mit Sorge in fröhlicher Zuversicht in den Schlaf finden.

Ein Spatz schenkte ihm Gesellschaft. Er riss Johannes mit einem gar lustigen Tanz aus seinen Tagträumen. Ihm gefiel, wie der kleine Gesell lebhaft, einem Gewitter gleich, umhersprang um die

fallenden Brotkrumen mit seinem Schnabel zu fangen. Er war ein Meister seines Faches.

Als kein Krümel des Brotes mehr übrig war, starrte der Spatz Johannes an und rührte sich nicht vom Fleck. "Nun flieg weiter lustiger Gesell, sicher findest du noch viele Krumen an anderen Orten. Wer fleißig Krumen sammle, dem wird großer Reichtum zuteil. Zumindest ist es bei Spatzen so. Du musst deinen Lohn sicher nicht mit einer fettenTaube teilen."

Der Spatz wich jedoch keinen Daumenbreit von seiner Stelle. "Los,

flieg weiter und treib keine schalen Schabernack. Der Tag zerrte schon genug an meinen Kräften." Johannes klatschte in die Hände. Als auch donnerndes Fußstampfen nicht half, wurde ihm der Atem ganz trocken. Vorsichtig erhob er sich von der Bank und ging ein paar Schritte.

Er drehte sich noch einmal zu seiner Rechten um. Der Spatz war verschwunden. Was für ein wunderlicher Kobold, dachte Johannes. Er ging drei Schritte weiter und stockte erneut. Ihm war noch immer unwohl. Als er seinen Kopf langsam nach links gedrehte hatte, stieß er einen beißenden Schrei aus.


Der Spatz saß auf seiner Schulter und starrte Johannes direkt in die Augen. Johannes spürte die Paukenschläge seines Herzens in jedem seiner Glieder. Da pickte ihm der Spatz keck geradewegs in die Nasenspitze, das sogar ein Tropfen Blut floss. Dann flog er davon um seinen Tanz vor einem kleinen Mädchen aufzuführen, das Kuchen aß.

Als Johannes das sah, schwoll ihm vor Zorn der Hals. "Du! Ruchloser! Unhold! Solange ich dir nutzte, warst du Freund. Doch als ich mit leeren Händen dastand, schlugest du mir mitten ins Gesicht und

bezirzt nun einen neuen Dummen. Der Teufel soll deinen Hals brechen, mit dir in die ewigen Abgründe fahren um dich dort in allen Ewigkeiten in den glühenden Kohlen qualvoll zu rösten", fluchte er und war ganz außer sich. Sein Kopf war feuerrot und die aufgequollenen Adern auf seiner Stirn pulsierten aufgeregt zum Schlag seines Herzens.

Da bemerkte Johannes, wie Menschen mit offenen Mündern um ihn standen und ihn vor Entsetzen wie festgewurzelt anstarrten. Da wurde er ganz still. Als er hörte, wie einer zum anderen murmelte, man solle den Dompfarrer zur Hilfe

herbeiholen, nahm er flugs die Beine in die Hand um nach Hause zu eilen.



Als er in seinem Bett lag, betete er zu Gott. Er möge ihm die Gnade erweisen, ihm und allen die ihn heute sahen, den Tag vergessen zu machen und ihm einen gesegneten Schlaf zu schenken, damit er morgen seinem Herren mit ganzer Kraft dienen kann um sich sein karges Brot zu verdienen.


(c) Florian Schreiter, 16.01.021, Magdeburg

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