Humor & Satire
Endlich Rentner

0
"Endlich Rentner"
Veröffentlicht am 13. Januar 2021, 14 Seiten
Kategorie Humor & Satire
http://www.mystorys.de
Endlich Rentner

Endlich Rentner

Geschafft.

Mein letzter Arbeitstag lag hinter mir. Endlich hatte ich als Rentner Zeit, all das zu machen, woran mich die vermaledeite Arbeit gehindert hatte. Meine to do Liste war ellenlang: Erst einmal wollte ich an jedem Tag ausschlafen. Frisch geduscht und gut gelaunt wollte ich mich dann an die Arbeit machen. - Die Tür des Gartenhauses musste dringend repariert werden. - Die Dachrinne wartete seit Jahren auf eine gründliche Reinigung. - Zudem lag Angie mir schon seit längerer Zeit damit in den Ohren, dass ich ihr ein neues Bücherregal bauen

sollte. - Ach ja, ein Vogelhaus wollte ich auch noch anfertigen - Und endlich meine seit Jahren geplante Eisenbahnanlage in Angriff nehmen. Ich würde stundenlange Spaziergänge mit dem Hund unternehmen und das Rentnerdasein richtig genießen. Auf dem Weg nach Hause traf ich meinen Nachbarn, der schon länger Rentner war. Er lief unrasiert in einem schlabberigen Jogginganzug herum und sah aus, wie eine Dogge auf Extasy. Wie konnte man sich nur so gehen lassen! Ich wusste, dass er schon am Nachmittag vor der Glotze saß. Nein! Das wäre nichts für

mich. Am nächsten Morgen machte ich mich gut gelaunt auf den Weg zum Hagebau, um Holz für das Bücherregal und das Vogelhaus zu kaufen und zuschneiden zu lassen. Im Baumarkt schlichen überall alte Säcke herum. Die wussten wohl gar nicht, was sie tun sollten. Oder hatten ihre Frauen sie rausgeschmissen, weil sie ihnen auf den Geist gingen? Dieser Gedanke ließ mich vor mich hin kichern, was mir einige befremdliche Blicke einbrachte. Aber das machte mir nichts aus, ich war einfach gut drauf. Wenn die Rentnerbrigade das nicht verstand, dann tat sie mir

leid. Vier Wochen später 

hatte ich das Gartenhaus neu gedeckt, komplett aufgeräumt und die Tür repariert. Die Dachrinne hatte ich gereinigt, das Bücherregal und ein Vogelhaus gebaut. Die Eisenbahnanlage stand aufgebaut im komplett aufgeräumten Hobbykeller. Nach dem Frühstück pfiff ich nach dem Hund, um einen schönen, langen Spaziergang mit ihm zu unternehmen, was die dämliche Töle dazu veranlasste, sich unter dem Bett zu verkriechen. Leider ließ der Köter sich nicht einmal mit einer dicken Scheibe Fleischwurst

dazu bewegen, herauszukommen. Scheinbar wollte er nicht spazieren gehen. Also aß ich die Wurst selbst und ging voller Elan zurück in die Küche, wo meine Angie herumwerkelte. Sie warf mir einen merkwürdigen Blick zu. Fast hätte man meinen können, sie wirke genervt. „Nein“, sagte sie energisch. „Ich will kein weiteres Bücherregal und zum Spazierengehen habe ich keine Zeit. Du brauchst mir auch keine Haushaltstipps zu geben. Übrigens: Heute Nachmittag bin ich unterwegs. Ulrike und ich machen eine Shoppingtour.“ „Schön. Ich begleite euch“, rief ich

spontan und enthusiastisch aus. „Nein!“ „Nein?“ „Warum baust du nicht noch ein Vogelhaus? Dann haben wir eins für Männchen und eines für Weibchen.“ Das war keine schlechte Idee. Gleich machte ich mich auf, um mir im Baumarkt Holz für das zweite Vogelhaus zuschneiden zu lassen. Nun war ich schon drei Monate Rentner. 

Irgendwie hatte ich das Bedürfnis, mich mit einem anderen Menschen zu unterhalten und ging deshalb zum Arzt. Im Wartezimmer traf ich auf einige Rentner, mit denen ich mich über die

verschiedensten Krankheiten austauschen konnte. Einer von ihnen erzählte von seinen Prostata Problemen. Damned – irgendwie fühlte ich mit ihm. Leider nahm sich der Arzt meiner Prostataprobleme nicht an. Wahrscheinlich meinte er, dass ich als Rentner genug Zeit zum Pinkeln hätte. Schade! Er stellte auch keine weiteren Krankheiten bei mir fest, so dass ich keine Veranlassung hatte, in Zukunft bei ihm, bzw. im Wartezimmer vorbeizuschauen. Auf dem Nachhauseweg fuhr ich an meiner alten Firma vorbei. Merkwürdig. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich den

40 km Umweg gemacht hatte. Weil ich sowieso schon hier war, hielt ich vor dem Gebäude an, stieg aus und streichelte die Eingangstür. Ein Jahr war vergangen. Ein Jahr, in dem ich die Vorzüge des Tragens von Jogginganzügen erkannt, das Haus und den Garten auf Vordermann gebracht und das gesamte Schienennetz der Deutschen Bundesbahn in Kleinformat im Hobbykeller aufgebaut hatte. Im Garten befanden sich inzwischen 18 Vogelhäuschen, für jede Vogelart eins. Das Sexleben zwischen Angie und mir

war praktisch zum Erliegen gekommen. Vor einiger Zeit hatte ich gelesen, dass 62 % der Männer über 65 Viagra nehmen. Allerdings würden sich 83 % von ihnen nach der Einnahme nicht mehr daran erinnern, warum sie die Tabletten genommen hatten. Angie, der ich das erzählt hatte meinte, dass wir etwas für uns, unsere Körper und unsere Erotik tuen müssten. Deshalb hatte sie uns ein Wellnesswochenende gebucht. Sie wollte die Seele baumeln lassen. Meinen Einwand, dass in unserem Alter sowieso alles baumeln würde, überhörte sie. Als ich kurz darauf in den Garten kann sah ich, dass sie mein Foto an die

Dartscheibe gepinnt hatte. Im linken Auge steckte ein Pfeil. Vorsichtshalber begleitete ich sie also zu dem gebuchten Wellnesstrip. Wir verbrachten das Wochenende in einem Aschram. Es gab vegetarisches Essen, Kräutertee und Klangschalen Yoga am frühen Morgen und am Abend. Leider bin ich nicht wirklich Yoga begabt. Die ‚halbe Heuschrecke‘ wollte mir nicht gelingen und so kreierte ich eine neue Figur. Nachdem ich ‚wie grille ich ein Spanferkel und esse es auf‘ vorgeführt hatte, wurde es mir angetragen, dem Yogakurs lieber fern zu bleiben, weil ich mit meinen negativen Schwingungen das

Raum Mantra stören würde. Angie war stock sauer und drohte mir mit der Scheidung. Sie sagte, dass sie keine Lust mehr habe, mit einem ständig Jogginganzug tragenden, besserwisserischen, unrasierten, ignoranten Ordnungsdeppen zusammenzuleben. Das saß! Wieder zu Hause angekommen nahm ich mein Foto von der Dartscheibe ab, verbrannte meinen Jogginganzug im Gartengrill und rasierte mich gründlich. Dabei kam mir eine verwegene, um nicht zu sagen verrückte Idee. Ich würde wieder arbeiten. Nicht nur das – ich würde eine Firma gründen.

Eine Geschäftsidee hatte ich schon: Ich würde Vogelhäuschen produzieren.

>

© Dilettant

0

Hörbuch

Über den Autor

derdilettant

Leser-Statistik
56

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
Bleistift 
"Endlich Rentner..."
Zufällig gefunden und nach dem Lesen sofort für super befunden... ...smile*
Nun, seit ich Rentner bin, gebe ich meinem Pegasus ordentlich die Sporen
und ich habe nebenher begriffen, dass nur ein wirklich guter Single Malt zur richtigen Zeit
den Geist beflügelt... ...smile*
LG
Louis :-)
Vor langer Zeit - Antworten
derdilettant that's the way it is - Single Malt ist immer gut.
Danke
Alan
Vor langer Zeit - Antworten
Nereus was man vor dem Rentnerzeiten liegen gelassen hat, pack man auch dann nicht an, wenn die Zeit dafür reif zu sein scheint, weil, alles ein wenig Übung und vor allem Erfahrung im Umgang damit benötigt.
Also das Wörtlein, wenn ich Rentner bin hol ich das nach, ist eine gern gebrauchte Floskel, die am Ende eine Ausrede für die vergangene Uninteressiertheit, oder gar Faulheit ist
dankend lieben Gruß
markus
Vor langer Zeit - Antworten
JurekP Die Geschichte habe ich sehr gern gelesen. Zeit dazu habe ich reichlich, als Rentner ;-)
Vor langer Zeit - Antworten
derdilettant Interesse an einer Geschäftsbeteiligung?
Saison für Vogelhäuschen ist immer ...
;o)))
Danke und LG
Alan
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR Immer wieder herrlich zu lesen!
LG fleur
Vor langer Zeit - Antworten
derdilettant Danke dir.
Ich muss mich ja nun bald auf das Rentnerdasein vorbereiten ...
LG
Alan
Vor langer Zeit - Antworten
Brigitte Ich habe mich kaputt gelacht und kann das alles was ich eben gelesen habe so gut nachvollziehen. Du hast eine herrlich trockene Gabe das alles
so plastisch rüber zu bringen, dass man denkt, man wäre dabei. Genieße dein Rentnerleben und wenn du ein Vogelhäuschen übrig hast, nehme ich es dir gerne ab. Ich habe ein anderes Problem. Ich habe das Malen entdeckt. Jetzt wird alles gemalt, was ich in die Finger kriege, Picasso, Modigliano, sämtliche Schauspieler . Und ich weiß nicht mehr wohin mit den Bildern. Vielleicht könnten wir ein Deal machen Vogelhäuschen gegen Bild. Danke für diesen Lesegenuß Liebe Grüße Brigitte
Vor langer Zeit - Antworten
derdilettant Liebe Brigitte -
wir machen das ganz anders. Wir schließen uns zusammen und wer ein Bild von Dir haben will, muss ein Vogelhäuschen dazu nehmen - und umgekehrt.
Danke dir für den tollen Kommentar.
LG
D.
Vor langer Zeit - Antworten
Brigitte Dann wirst du wohl auf deinen Vogelhäuschen sitzen bleiben. Es will ja keiner ein Bild. Sie winden sich alle und sagen keinen Platz dafür.
Dann lieber umgekehrt. Vogelhäuschen braucht man immer. Liebe Grüße Brigitte
Vor langer Zeit - Antworten
Zeige mehr Kommentare
10
32
0
Senden

166444
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung