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Das Medaillon

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Veröffentlicht am 06. Januar 2021, 64 Seiten
Kategorie Sonstiges
© Umschlag Bildmaterial: Lagadere
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Das Medaillon

Inhalt Die wohlhabende Diplomaten-Witwe Stefanie Simoni führt ein sorgloses Leben. Sie ist es gewohnt, dass man ihr alle unangenehmen Tätigkeiten abnimmt. Als sie im Frühling 2018 während einer Urlaubs-Reise in Paris ein antikes Medaillon erwirbt, ahnt sie noch nicht, dass sich dadurch ihr Leben dramatisch verändern wird. Anfangs ist die sensible Frau, die noch sehr in der Trauer um ihren verstorbenen Mann gefangen ist, mit der Situation völlig überfordert. Doch schließlich erkennt sie, dass sie

selber die Initiative ergreifen muss, um sich zu retten.

Eine grandiose Idee soll ihr dabei helfen.....



Kapitel 1



Stefanie Simoni. süße 66 Jahre alt, stützte sich auf dem Waschbecken ab und betrachtete sich aufmerksam im Badezimmer-Spiegel. Irgendetwas war anders als sonst.

Sie sah frischer aus. Jünger. Aber so sehr sie ihren Kopf auch drehte und neigte – sie fand die Ursache der Veränderung nicht. „Vielleicht habe ich einfach nur einen guten Tag erwischt“, dachte sie und wusch sich sorgfältig ihre Hände mit ihrer Lieblingsseife, die so gut roch, dass Stefanie Reststücke nicht wegwarf,

sondern in ihrem Kleiderschrank deponierte. Anschließend griff sie zu einer weißen Kunststoff-Dose, in der ihre Zahn-Teil-Prothese geschlafen hatte. Vorsichtig entnahm sie die Brücke dem Reinigungsbad und setzte sich die vier künstlichen Schneidezähne sorgfältig ein. Sie stellten eine tägliche Erinnerung an einen Auffahrunfall und das einzige Mal, als sie nicht angeschnallt Auto gefahren war, dar.

„Verdammt!“, fluchte Stefanie leise und verzog ihr Gesicht zu einer Grimasse. Sie hatte ihre Hände zuvor nicht gründlich gewaschen, weswegen die Prothese nun etwas nach Seife schmeckte. Stefanie spülte Hände und

Prothese erneut gründlich mit Wasser, und während sie sich die Hände abtrocknete, beugte sie sich vor, um zu überprüfen, ob sich die Anzahl grauer Haare erhöht hatte. Dabei schwang ihr Medaillon, das sie erst vor ein paar Tagen gekauft hatte, aus ihrem Nachthemd hervor und klirrte leise gegen den Wasserhahn. Das schwache Geräusch des Anhängers erinnerte sie daran, dass sie noch ihren Lieblingsjuwelier aufsuchen wollte, um das Schmuckstück schätzen zu lassen.


Als sie nach dem Frühstück das Berliner Luxushotel, in dem sie seit dem Tod ihres Mannes eine großzügige Suite

bewohnte, verließ, geschah etwas Merkwürdiges: Ungefähr auf halber Strecke zwischen dem Adlon Kempinski und dem nicht weit entfernten Brandenburger Tor,  stieß  plötzlich ein Bettler aus der Menge heraus, packte sie grob an beiden Oberarmen und fragte nach Geld. Stefanie erschrak fürchterlich und ihre Arme begannen zu schmerzen. „Tut mir leid – ich habe kein Kleingeld bei mir. Und lassen Sie mich bitte los! Sie tun mir weh!“ Sie hatte kaum ausgesprochen, als sich die Augen des Mannes überrascht weiteten. Der Ausdruck von Dummheit und Gewalt verschwand aus seinem Gesicht und wich blanker Furcht.

Mit einer Mischung aus Erleichterung und Verwunderung beobachtete Stefanie, wie der Mann sie los ließ, als hätte er sich die Hände verbrannt. Stefanie eilte weiter. Sie war froh, der Situation entkommen zu sein und drehte sich erst um, nachdem sie ein gutes Stück gelaufen war. Der seltsame Mann war verschwunden. Lediglich ein paar Passanten, die den Vorfall beobachtet hatten, sahen Stefanie nach.










Kapitel 2



Trotz des unangenehmen Vorfalls blieb Stefanie bei ihrem Vorhaben und betrat wenig später das noble Juwelier-Geschäft, dessen Inhaber, Gustav Ballhaus, sie schon sehr lange kannte. Der kam, als er sie entdeckte,  sofort mit ausgebreiteten Armen auf sie zu. „Liebste Stefanie! Bist du schon zurück aus deinem Urlaub?“ Die beiden umarmten sich, deuteten links und rechts Küsschen an und hielten sich noch eine

Weile an den Händen.

„Ja“, lächelte die Frau. „Seit Sonntag“. „Und du warst natürlich wieder in Paris, nicht wahr?“, schmunzelte der Juwelier. „Natürlich, Gustav. Du kennst ja die Geschichte“.

„Aber ja“, strahlte der kleine, ältere Mann zurück. „Dort hast du deinen Mann kennen gelernt und später auch geheiratet“.

„Und leider auch beerdigt“. Ein Schatten flog über das Gesicht der Witwe. Gustav lächelte aufmunternd, ließ ihre Hände nun los und schob seine Freundin, eine Hand sanft auf ihren Rücken gelegt, in sein Büro. „Komm, erzählt mir von deiner Reise. Hast du dich gut erholt?

Was für eine Frage!  Du siehst phantastisch aus!“

„Ja, ich fühl mich fabelhaft“, bestätigte Stefanie. „Gustav! Paris im Frühling ist einfach unbeschreiblich!“

Der alte Herr schloss die Tür, forderte Stefanie auf, es sich bequem zu machen und schenkte ihr und sich einen Cognac ein. „Ich danke dir, Gustav“, lächelte sie und langte mit den Händen nach hinten, um ihr Medaillon zu lösen. „Ich wollte Dich bitten, meine neueste Errungenschaft zu prüfen – nicht, dass man mich übers Ohr gehauen hat“.

„Ah! Ein sehr schönes Stück“, entfuhr es dem Juwelier, der das Schmuckstück vorsichtig an sich nahm, eine Lupe aus

seinem Anzug fingerte und sie mit geübten Griff in seine rechte Augenhöhle drückte. Er öffnete den fein ziselierten Deckel des goldenen Medaillons und lächelte, als er darin ein Foto von Stefanies verstorbenem Mann entdeckte. „Er sah schon verdammt gut aus!“.

„Oh, ja!“, nickte Stefanie zustimmend. „Und Richard wusste es auch. Er genoss es, wenn die Damen sich nach ihm umdrehten. – Aber geliebt hat er nur mich“. Stefanies Gesichtsausdruck nahm weiche, zärtliche Züge an.

„Ja. Das hat jeder bemerkt, der euch zusammen gesehen hat!“, erwiderte Gustav und meinte es ehrlich. Dann betrachtete er die Rückseite des

Schmuckstücks. Seine Mine verdüsterte sich. Hastig legte er den Anhänger samt Goldkettchen auf den Tisch, schob es von sich weg und ließ seine Lupe wieder verschwinden. „Wo hast du das gekauft?“ Seine Stimme klang ernst. Fast schon besorgt.

„Auf einem Antikmarkt in Saint-Germain. Warum fragst du? Ist es nicht echt?“

„Doch, doch“, entgegnete Gustav nachdenklich. „Es ist echt und sehr wertvoll. Aus dem 18. Jahrhundert.“ Der alte Herr schien einen Moment lang völlig abwesend. Plötzlich fragte er Stefanie: „Der Mann, der es dir verkauft hat, wenn es ein Mann war, war er groß

und hatte weiße Haare und einen mächtigen, weißen Bart?“

„Ja“, staunte Stefanie. „Du kennst ihn?“

Gustav überging ihre Frage, packte sie am Handgelenk und stieß hervor: „Stefanie. Bitte verkauf das Medaillon wieder! So schnell wie möglich!“ „Gustav! Du tust mir weh!“, rief Stefanie, woraufhin der Juwelier sie sofort los ließ.

„Verzeih, das habe ich nicht gewollt“. Seine Bestürzung klang echt.

„Schon gut, Gustav, so schlimm war es ja nicht. Es ist nur so, dass mich heute schon einmal jemand so hart angefasst hat“. Gustavs Augenbrauen schnellten nach oben und Stefanie erzählte ihm von

dem Intermezzo mit dem Bettler.

„Das bestätigt meine Vermutung!“, Gustavs Stimme wurde wieder eindringlich und mahnend: „Bitte verkauf das Medaillon wieder! – Ich will dir keine Angst machen, aber du weißt ja, dass ich mich als Juwelier auch mit Kunstgeschichte befasse, und meine Steckenpferde sind außerdem Mythen und Legenden, die sich um Kunstgegenstände ranken, und ich habe bei dem Medaillon ein ganz schlechtes Gefühl“. Gustav sah in die erschreckten Augen seiner alten Freundin und setzte beruhigend hinzu: „Das ist natürlich keine Wissenschaft mit nachweislichen Fakten und wahrscheinlich ist überhaupt

nichts an meinen Befürchtungen dran, aber trotzdem: Mir wäre wohler, wenn du dich von dem Schmuckstück wieder trennst“. Er rang sich ein Lächeln ab.

Stefanie lächelte zunächst zurück, wurde dann aber wieder ernst, legte den Kopf schief und fragte skeptisch: „Aber du willst es nicht kaufen oder in Kommission nehmen?“ „Nein, ich will das Ding nicht in meinem Haus haben!“ Stefanie nickte, weil sie seine Antwort erwartet hatte, sah ihn eine Weile stumm an, nahm den Schmuck wieder an sich und verabschiedete sich von dem alten Freund. „Ich werde in Ruhe darüber nachdenken und mich in den nächsten Tagen entscheiden, ja?“ „Ja, das ist gut.

Ich werde noch einige Nachforschungen über das Medaillon anstellen. Und nimm es einem alten Mann nicht übel, wenn er sich Sorgen macht, ja?“ Gustav lächelte nun wieder, führte Stefanie aus dem Büro, durch das Geschäft bis zum Ausgang und schloss die Tür hinter ihr. Langsam trottete er anschließend mit besorgtem Blick in sein Büro, ließ sich in seinen Sessel fallen und griff zu seinem Cognac-Schwenker, der noch nicht ganz leer war. Aber er trank nicht. Er saß nur da und starrte nachdenklich in das Glas.





Kapitel 3



Einigermaßen unentschlossen blieb Stefanie noch eine Weile vor dem Juweliergeschäft stehen. Sie warf einen Blick auf das Brandenburger Tor, vor dem sich eine Menge Touristen tummelten. Es war ein schöner Tag. Die Sonne lächelte auf gute Menschen und weniger gute gleichermaßen, und Stefanie, die an Paris denken musste,  griff  zärtlich nach dem Medaillon und dachte: „So kann das Wetter bleiben – von mir aus bis Oktober".

Das Medaillon wurde plötzlich so warm,

dass Stefanie ihre Hand zurückzog.


Später, viel später, als in ganz Europa bis tief in den Oktober hinein tatsächlich kaum ein Tropfen Regen gefallen und aus dem Lächeln der Sonne längst ein Stöhnen und Seufzen geworden war, machte sich Stefanie große Vorwürfe über ihren leichtfertig ausgesprochenen Wunsch.

Stefanie suchte sich einen freien Platz in einem Straßen-Café, bestellte sich einen Cappuccino und damit eine halbe Stunde Entschleunigung, die sie nutzte, um sich die Ereignisse des Tages noch einmal in aller Ruhe durch den Kopf gehen zu lassen. Nach einer Weile legte sie fünf

Euro auf den Tisch und brach auf, um ins Hotel zurückzukehren.

„He! Sie! Sie haben vergessen zu bezahlen!“, rief jemand hinter ihr. Obwohl sich Stefanie nicht angesprochen fühlte, drehte sie sich neugierig herum und sah erstaunt, dass ihr der Kellner, der eben noch so nett gewesen war, gefolgt war und nun mit grimmiger Miene vor ihr stand.

„Ich hab’ das Geld auf den Tisch gelegt, falls Sie mich meinen“, klärte sie den Mann auf.


„Da ist aber kein Geld. Ich bekomme noch 3,20 € von Ihnen!“, entgegnete er hartnäckig und musterte die gut

gekleidete, attraktive Dame von oben bis unten. Dann setzte er hinzu: „Zwingen Sie mich nicht, die Polizei zu rufen!“ Stefanie öffnete den Mund, doch bevor sie etwas sagen konnte, raste ein Fahrrad-Kurier heran, schlingerte plötzlich und kollidierte mit dem Kellner. Das Vorderrad des stabilen Gefährts bohrte sich tief in den Unterleib des Angestellten, der mit einem Schmerzensschrei zusammenklappte und sich anschließend auf den Bürgersteig erbrach. Der Kurier, der mit einigen Schürfwunden davongekommen war, rappelte sich hoch, sah kurz zu Stefanie, ob sie verletzt war und kümmerte sich dann um den Kellner. Jemand von den

Passanten musste Polizei und Krankenwagen verständigt haben, denn nach ein paar Minuten wimmelte es plötzlich von Uniformen, die aufgeregt durcheinander liefen. Stefanie machte ihre Aussage, gab ihre Personalien an und wurde entlassen. Erleichtert machte sie sich auf den Weg. Sie wollte nur noch nach Hause.

Kapitel 4



Als Stefanie am nächsten Morgen gewohnheitsmäßig in den Spiegel sah, waren die Veränderungen in ihrem Gesicht, an ihrem Körper nicht mehr zu leugnen: Kleinere Fältchen waren ganz verschwunden, tiefere hatten sich geglättet. Ihre Lippen waren weniger schmal und auch ihr Haar wirkte voller und nicht mehr so grau. Und später, als sie sich ihren BH überstreifte, stellte Stefanie überrascht fest, dass auch ihre Brüste fester geworden waren. Was ging hier vor? Eine Welle von gemischten Gefühlen zog beängstigend intensiv

durch ihren Körper. Die Furcht vor dem Unbekannten gewann schließlich die Oberhand über die Freude des biologischen Wunders der Verjüngung und so saß sie schon wenig später ihrem Hausarzt gegenüber. „Ich verstehe es nicht, Stefanie! Wir müssen die Labor-Ergebnisse noch abwarten, aber ich kann bisher nichts feststellen. Meiner Meinung nach bist du kerngesund“, der grauhaarige Doktor hatte die gleichen Fragezeichen im Gesicht wie Stefanie und fügte hinzu: „Ich habe so etwas noch nie erlebt. Und mir ist auch aus der Fachpresse kein solch drastischer Fall von Verjüngung bekannt“. Stefanie seufzte ergeben. Sie war aber auch

erleichtert, dass ihr offensichtlich nichts fehlte. „Was soll ich denn jetzt machen?“, sie machte eine hilflose Geste mit den Händen. „Du siehst phantastisch aus! Mein Rat für dich wäre: Genieß es! Nimm es als Geschenk vom lieben Gott, wenn du so willst, aber mach’ dir nicht so viele Gedanken. Es sind längst nicht alle biologischen Vorkommnisse im menschlichen Körper geklärt. Beobachte dich weiterhin. Mach jeden Tag ein Foto, und wenn der Verjüngungs-Prozess sich fortsetzt, kommst du wieder her, ja?“ Er stand auf, um Stefanie zu verabschieden. „Wegen der Labor-Ergebnisse rufe ich dich an, in Ordnung?“ Stefanie lächelte ihr Einverständnis und verließ den

Behandlungsraum. „Typisch!“, zischte ein anderer Patient, als er als an ihr vorbei ging. „Haben Sie etwas gesagt“, fragte Stefanie und starrte den Mann überrascht an. Der stieß das Wort „Privatpatient!“ hinaus, als hätte es ihm schon seit Stunden die Luftröhre versperrt. „Ich sitze schon seit acht Uhr hier, und Sie spazieren einfach hier rein und an allen vorbei!“ Kaum hatte er seinen Frust ausgespieen, als sein Gesicht jegliche Farbe verlor. Dafür liefen seine Lippen blau an und er keuchte: „Keine Luft! Hilfe!“. Aber Stefanie brauchte nichts zu unternehmen; Die Arzthelferin, die bereits aufmerksam geworden war, sprang hinzu und führte

den Mann eilig in den Behandlungsraum. Verwirrt trat Stefanie auf den Bürgersteig. All diese Vorfälle…… das konnten keine Zufälle mehr sein. So langsam bekam sie es mit der Angst zu tun.


Kapitel 5



Bereits vier Tage später war Stefanie ein nervliches Wrack. Der Verjüngungs-prozess schritt immer schneller voran. Gepackt von panischer Angst, die ihr den Magen zuschnürte, sah Stefanie im Spiegel das Bild einer ca. vierzigjährigen Frau! Stefanies Verstand konnte das

Geschehen nicht verarbeiten und ihre Seele drohte, ihr um die Ohren zu fliegen! Mit zitternden Fingern rief sie ihren Hausarzt an, dessen Praxis aber geschlossen war. Da er auch privat nicht zu erreichen war, trank sie einen Cognac, nahm kurz darauf Beruhigungstabletten und spülte sie mit einem weiteren Cognac hinunter. Etwas später brach Stefanie bewusstlos zusammen.


Nachdem sich ihre Ohnmacht in erholsamen Schlaf gewandelt hatte, versuchte ihr Gehirn, all die verworrenen Synapsen zu ordnen und die Dunkelheit des Nichtfassbaren mit dem heilenden Licht der Erkenntnis zu erhellen. Doch

etwas Böses schob sich bedrohlich über diese Versuche und formte sich schließlich zu einem Traum, der alles andere überlappte: Stefanie wurde von einer Gruppe Männer, die mit übergroßen Schwertern herumfuchtelten, durch Gassen gejagt, die immer enger wurden, so dass sie schließlich vor einer Mauer stand und nicht weiter konnte. Verzweifelt sah sie sich nach einem Ausweg um. Doch es gab keinen. Ihr fiel auf, dass sich einige alte, verhärmt aussehende Frauen aus Fenstern lehnten, Stefanie übelst beschimpften und sie mit altem Brot bewarfen, aus dem sich Maden schlängelten. Als die Meute erkannte, dass Stefanie gefangen war,

drosselte sie ihr Tempo. Langsam und drohend näherten sich die Männer der verängstigten Frau. Schließlich warf einer der Männer sein Schwert weg, das mit lautem Gepolter aufs Straßenpflaster schlug,  dann sprang der laut schreiende  Mann auf Stefanie zu. In größter Panik wollte die gehetzte Frau um Hilfe rufen, brachte jedoch keinen Ton hervor. Der Mann hatte sie nun erreicht. Mit einer höhnisch grinsenden Fratze, aus der übelster Mundgeruch strömte, legte er seine dreckigen Hände um Stefanies Hals und drückte zu. Gerade als sie dachte ersticken zu müssen, wachte sie auf. Verwirrt stellte sie fest, dass sie auf dem Badezimmer-Teppich lag. Ihr fiel wieder

ein, was geschehen war. Langsam zog sie sich am Waschbecken hoch. Als sie in den Spiegel blickte, entdeckte die entsetzte Frau dunkelrote Würgemale an ihrem Hals. Etwas später wankte Stefanie zu dem kleinen Sofa, auf dessen Beistell-Tischchen das Telefon stand, setzte sich, nahm den Apparat auf den Schoß und stand erst wieder auf, nachdem sie ihren Freund, den Juwelier, erreicht hatte. Er versprach, sie abends aufzusuchen.








Kapitel 6



Gustav kam viel früher als Stefanie gedacht hatte. „Oh Gott! Du siehst ja völlig verändert aus!“ Der Schrecken stand dem alten Herrn ins Gesicht geschrieben. „Komm erstmal herein, Gustav“, seufzte Stefanie. „Dann erzähl ich dir alles“.

Im Wohnzimmer schenkte sie ihrem Freund ein Glas Cognac ein und reichte es ihm.

Doch Gustav ergriff in einer plötzlichen Gefühlsaufwallung Stefanies Oberarme und rief: „Stefanie! Du bist in

ernsthaften Schwierigkeiten!“ Dass die Angesprochene dabei einen Teil des Branntweins über seinen Anzug verschüttete, bemerkte er gar nicht. „Ich habe Nachforschungen angestellt“, fuhr er hastig fort, „ich hab’ jetzt nicht die Zeit, dir alles zu erzählen. Ich treffe gleich einen Mann, der angeblich etwas Wichtiges über dein Medaillon weiß.“ Gustav bemerkte erst jetzt, wie fest er seine Freundin gepackt hatte, lockerte seinen Griff etwas und beruhigte sich. Mit eindringlicher Stimme mahnte er Stefanie: „Ich kann dir jetzt nur soviel sagen: Durch den Kauf  des Medaillons hast du es mit dem Bösen schlechthin zu tun! Aber du kannst es bekämpfen! Die

Lösung liegt in dir verborgen! DU entscheidest über dein Leben! Niemand sonst!“  Er löste seine Hände von Stefanie, und in ihre entsetzt aufgerissenen Augen setzte er hinzu: „Ich erkläre dir später alles. Ich muss gehen“. Und schon drehte er sich herum und eilte zur Tür. Im Türrahmen verharrte er, warf Stefanie über die Schulter einen letzten Blick zu und rief: „Vergiss nicht: DU entscheidest über dein Leben!“ Das Geräusch der ins Schloss fallenden Tür war wie ein akustisches Ausrufezeichen hinter Gustavs mahnenden Worten.


Zehn Minuten später, Stefanies

Verwunderung über das merkwürdige Gespräch befand sich gerade im Abklingen, klopfte erneut jemand an ihre Tür.

„Gustav!“, entfuhr es Stefanie überrascht. „Hast du etwas vergessen?“ „Bitte? Was meinst du? Was ist denn das für eine Begrüßung?“, entgegnete der Juwelier, nicht minder überrascht. „Begrüßung? Du warst doch erst von ein paar Minuten hier!“, stieß Stefanie hervor. Gustav trat verwundert ein und sah Stefanie an, als hätte sie ihm gerade erzählt, dass Friedrich Merz Annegret Kramp-Karrenbauer ermordet hätte. „Ich weiß nicht genau, was hier los ist, aber ich versichere dir, dass ich heute noch

nicht hier war“, entgegnete er zögernd.

Stefanie ließ sich auf die Wohnzimmer-Couch fallen und seufzte: „Also entweder bin ich jetzt vollständig durchgedreht, oder du hast einen Doppelgänger“.

Gustav entdeckte die beiden Gläser auf dem Tisch, griff nachdenklich zu einem neuen Glas und schenkte sich selber einen Weinbrand ein. „Was hat mein Doppelgänger gesagt?“ Bereitwillig erzählte ihm Stefanie von der Unterhaltung und sah ihren Freund anschließend fragend an. „Darüber reden wir noch“, erwiderte Gustav nach einer kleinen Pause. „Ich hab’ auch einiges zu berichten. Aber erzähl mir bitte vorher,

was sich bei dir in den letzten Tagen zugetragen hat“.

Dieser Aufforderung kam Stefanie gerne nach und endete schließlich mit den Worten: „Gustav! Ich hab’ furchtbare Angst! Was geschieht hier mit mir?“ Der Juwelier zog Stefanie zu sich herunter auf das Sofa, legte seine Hand auf ihren Unterarm und begann seinen Monolog mit den Worten: „Ich habe keine guten Nachrichten für dich. Tut mir leid“. Er blickte forschend in das Gesicht seiner verängstigten Freundin, die jedoch stumm blieb und ihn nur mit weiten Augen erwartungsvoll ansah. „Als du neulich bei mir im Geschäft warst, habe ich gleich erkannt, dass das Medaillon

früher Marie-Antoinette gehört hat“. Stefanie entfuhr ein überraschtes: „Oh!“ und Gustav fuhr fort: „Ich habe dir nichts gesagt, um dich nicht zu ängstigen. Alles, was du mir inzwischen erzählt hast und was ich herausgefunden habe, ergibt nun ein Bild. Als die französische Königin guillotiniert wurde, war sie 38 Jahre alt. Also ungefähr das Alter, dass du jetzt hast, man kann es ja nicht genau sagen. Das Medaillon hat sie bei ihrer Hinrichtung getragen, obwohl den Verurteilten damals eigentlich jeglicher Halsschmuck abgenommen wurde. Aber vielleicht, weil sie Königin war…. Jedenfalls hat man den Anhänger später aus dem Korb gefischt, in dem der

Kopf…..nun denn. Durch wie viele Hände es danach ging, weiß niemand. Es wird von vielen ungeklärten Todesfällen berichtet und, ehrlich gesagt, wundere ich mich, dass in deinem Umfeld noch niemand umgekommen ist“. „Ich war in den letzten Tagen ausschließlich im Hotel“, warf Stefanie ein. „Ich habe lediglich den Etagenkellner zu Gesicht bekommen“. „Ja, das erklärt es vielleicht. Um auf den weiteren Verlauf zurückzukommen: Stefanie, wir haben es hier mit dem „Bösen“ zu tun! Bereits zu Lebzeiten der Königin muss der Antichrist ein Auge auf sie geworfen haben. Ihr aufwendiger, teurer und lasterhafter Lebensstil, ihr schwieriger

Charakter, die Umstände, die sie auf den Thron gehoben haben – all das hat schon die Grundlage geschaffen, dass das Böse sie später umgab. Stefanie! Stell dir nur mal vor: Bereits im Alter von drei Jahren wurde das Kind gezwungen, ein Korsett zu tragen! Mit vierzehn dann die Hochzeit mit dem fünfzehnjährigen König! Und was du mir von deinem Traum erzählt hast, passt genau ins Bild! Die übergroßen Schwerter, das laute Geräusch, als eines davon auf die Straße schlug, das alte Brot mit den Maden darin – Stefanie, du bist dabei, dich in Marie-Antoinette zu verwandeln!“

Stefanie, dankbar für jede Information, die diese schreckliche Ungewissheit

abschwächte, beugte sich neugierig vor und fragte: „Was hat es mit diesen merkwürdigen Vorfällen auf sich: die panische Furcht des Bettlers und die „Unfälle“ der Personen, die mich tätlich oder verbal angegriffen haben?“ Gustav zögerte nicht lange: „Das Medaillon, das Böse, beschützt dich. Schon im eigenen Interesse“. Gustav machte eine kleine Pause und fuhr fort: „Die gute Nachricht ist, dass das Böse bekämpft werden kann. Ich weiß noch nicht, wie, aber ich hoffe, mir fällt etwas ein. Das Dumme ist, dass es kaum schriftliche Überlieferungen gibt. Alle Informationen, die ich bekomme, sind mündliche Überlieferungen, bei denen dann jeder

seine Meinung hinzufügt“. Stefanie seufzte laut. „Langsam verstehe ich das alles. Das Medaillon und ich leben also in einer Art symbiotischer Gemeinschaft?“ „Gewissermaßen. Das Medaillon – genauer gesagt: das Böse – benötigt dich für die Reinkarnation der Marie-Antoinette, und du profitierst, in dem du jünger wirst. Eigentlich eine tolle Sache, auch wenn Sie dir im Moment Angst macht. Viele würden morden, um ein paar Jahre länger zu leben!“

„Also wird der Verjüngungsprozess stoppen, wenn ich so alt bin wie die Königin, als sie starb?“ „Das vermute ich, ja. Ich befürchte allerdings auch,

dass sich deine Persönlichkeit noch verändern wird. Dass all die Wut und der Zorn der Marie-Antoinette über ihr Leben und ihren Tod, die sich über die Jahrhunderte aufgestaut haben, sich in dir als das zerstörerische, Rache nehmende Böse manifestiert“.

„Was können wir tun, Gustav?“ Hoffnungsvoll blickte Stefanie auf ihren Freund. „Einiges, Stefanie. Das Gute und das Böse sind seit ewigen Zeiten im Kampf miteinander, das heißt, man ist dem Bösen nicht wehrlos ausgeliefert. Denk nur mal  an Vampire und an die Möglichkeiten, sie mit christlichen Symbolen zu bekämpfen!

Und nun kommt mein Doppelgänger ins

Spiel. Mein erster Gedanke vorhin war, dass das Böse hinter seinem Erscheinen hier steckt. Aber das ergibt keinen Sinn. Ich glaube vielmehr, dass die Gegenseite uns helfen will. Das das „Gute“ einen Weg sucht, uns im Kampf gegen das Böse zur Seite zu stehen, ohne selbst in Erscheinung zu treten! So gesehen, könnte der Hinweis, dass DU über dein Leben entscheidest, der Weg sein, den wir beschreiten sollten.

Du liebst Richard doch immer noch, nicht wahr?“ Stefanie lächelte. „Ja, das tue ich. Er ist seit zwei Jahren tot, aber immer noch schreibe ich ihm kleine Briefe. Fast täglich. Zunächst war es nur Trauerbewältigung, aber mit der Zeit ist

es eine liebe Gewohnheit geworden, mit ihm zu „reden“, wenn du so willst. Das Buch,  das vielleicht auch eher ein Tagebuch ist, liegt dort auf dem kleinen Tischchen“. Gustav sprang interessiert auf und holte sich das Buch. Bevor er es öffnete, fragte er: „Darf ich?“ Stefanie nickte und räumte ein: „Es ist allerdings sehr persönlich“. „Aber es könnte uns helfen“ wandte Gustav ein, öffnete behutsam den dicken Band, blätterte darin herum und legte es schließlich mit den Worten: „Ja, das könnte uns helfen. Ich muss nur noch darüber nachdenken, wie“, wieder auf seinen Platz und verabschiedete sich dann von Stefanie. „Es ist noch so vieles zu bedenken. Ich

hoffe, mir fällt etwas ein, wie ich dir helfen kann“, er lächelte und fuhr fort: „Kopf hoch, Kleines! Das wird schon wieder!“ Stefanie umarmte ihn dankbar. Als sie sich wieder von ihm löste, fiel ihr Blick auf den immer noch feuchten Cognac-Fleck auf seiner Jacke. Bestürzt rief sie: „Das war kein Doppelgänger vorhin! Das warst du!“ Verdutzt ließ sich Gustav wieder aufs Sofa fallen und dachte nach. „Also ich kann mich erinnern, dass ich das Haus verließ und ins Auto eingestiegen bin. Und ich erinnere mich, wie ich hier wieder ausstieg. Aber an die Fahrt selbst kann ich mich nicht entsinnen“. „Was bedeutet das, Gustav?“, flüsterte Stefanie verängstigt.

„Nun, eigentlich das gleiche wie ich vorhin schon sagte: Man – ich glaube nach wie vor, das Gute – hat sich meiner bemächtigt um uns zu helfen“.



Gustav grübelte noch eine Weile, dann erhob er sich wieder und lächelte Stefanie an: „Ein gutes Zeichen! Wir sind nicht allein. – Mir brummt schon der Schädel vom vielen Nachdenken. Ich glaube, wir sind beide gut beraten, erst einmal eine Nacht darüber zu schlafen“. Stefanie lächelte zurück und verabschiedete sich von ihrem Freund, diesmal endgültig.



Kapitel 7



Während der folgenden Tage geschah nichts Besonderes. Stefanie blieb in ihrer Suite und hatte viel Zeit zum Nachdenken; über ihr Leben, ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Viel kam dabei nicht heraus, aber zu den bereits vorhandenen Gefühlen der Angst vor dem Ungewissen, der Ungewissheit und der Hilflosigkeit gegenüber dem, was da mit ihr geschah, gesellte sich ein neues: Widerwillen.

Am Morgen des vierten Tages nach dem

Treffen mit Gustav hatte Stefanie das Gefühl, dass der Verjüngungsprozess gestoppt hatte. Sie zog sich ihr Nachthemd über den Kopf und stellte sich nackt vor den großen Spiegel im Schlafzimmer. Sie betrachtete sich skeptisch von oben bis unten und stellte dabei überrascht fest, dass sie wieder ein Körpergefühl bekam; dass sie auf dem Weg war, sich so anzunehmen, wie sie war. Mit beiden Händen betastete sie ihren faltenlosen Hals, strich kurz über die Würgemale, die kaum noch zu sehen waren, ergriff ihre Brüste, die nun deutlich straffer und voller als früher waren, und fuhr mit den Händen langsam über den flachen Bauch und darüber

hinaus, bis ihre Finger ein Eigenleben entwickelten. Stefanies Gedanken und Gefühle gingen gerade in eine Richtung, die jede Frau kennt, als ihr etwas einfiel, woran sie überhaupt noch nicht gedacht hatte. Schnell eilte sie ins Bad, wusch sich ihre feuchten Hände und kehrte ins Schlafzimmer zurück, um sich anzuziehen. Als sie an dem großen Spiegel vorbei kam, errötete sie ein bisschen, öffnete dann aber entschlossen den Kleiderschrank.


Ein paar Minuten später saß sie an ihrem Sekretär und machte sich Notizen.

Während sie schrieb, innehielt, weiter- schrieb oder Passagen strich, fühlte

Stefanie ein erregendes Gefühl in sich aufsteigen. Die Idee, die ihr da gekommen war, konnte tatsächlich funktionieren! Aufgeregt lief sie im Zimmer auf und ab. Sie musste alle Eventualitäten in ihre Überlegungen einbeziehen. Überrascht stellte sie fest, dass die Existenz des „Bösen“ längst akzeptiert hatte. Daraus folgerte aber auch, dass es das „Gute“ gab. Und dass man das Eine dem Anderen entgegensetzen konnte – ja, musste, um nicht der ewigen Verdammnis zu verfallen, oder wie immer man das Böse in seiner letzten Konsequenz nennen mochte.

Und Stefanie dachte an die

beschwörenden Worte des vermeintlichen Doppelgängers:

„DU entscheidest über dein Leben!“


In den frühen Abendstunden stand ihr Plan fest.




Kapitel 8


„Kennst Du jemanden, der für Geld „alles“ besorgen kann?“, fragte Stefanie aufgeregt, kaum dass Gustav den Hörer abgenommen hatte. „Auf die Schnelle fällt mir da nur der Typ ein, der dir das Medaillon verkauft hat, Andrè Matisse.

Warum fragst du?“ Die Stimme des Juweliers klang überrascht.

"Ich muss ihn sprechen. Dringend! Lieber wäre mir, er käme hierher, aber notfalls fliege ich auch nach Paris. Sag ihm, dass es um viel Geld geht. Kannst

du das bitte für mich tun?“

„Ja, natürlich. Aber willst du mir nicht sagen, worum es geht?“

„Noch nicht, Gustav. Pass auf: Wenn er hier ist, soll er mich in der St. Matthäus-Kirche am Matthäikirchplatz treffen“, Stefanies Stimme wurde flehentlich, „und bitte, Gustav, gib dir Mühe – es ist sehr wichtig!“ Gustav beruhigte seine Freundin und versprach, sofort aktiv zu werden. „Ach, Gustav, noch etwas“,

fügte Stefanie hinzu, „ich bringe dir gleich meinen und Richards goldenen Ehering vorbei. Kannst du sie einschmelzen und daraus ein Kreuz gießen lassen?“ „Das ist kein Problem. Und eine gute Idee. Das Medaillon trägst du ja hoffentlich nicht mehr?“

„Nein“, lächelte Stefanie. „Seit dem Albtraum mit den Würgemalen liegt das in einer Kommode. Ich hatte kurz mit dem Gedanken gespielt, es in den nächsten Fluss zu werfen, war mir aber nicht sicher, ob wir es noch brauchen. Man weiß ja nicht genau, was falsch oder richtig ist“.

„Gut. Komm vorbei. Ich versuche inzwischen, diesen Matisse zu

erreichen“. Stefanie bedankte sich und atmete tief durch.



Kapitel 9


Sechs Wochen später.


Schneller als von Stefanie erwartet, war Matisse dem Geruch des Geldes gefolgt und nach Berlin gekommen. Nach einem langen Gespräch in der kleinen evangelischen Kirche, zu der das Böse keinen Zutritt hatte, waren Stefanie und der Franzose mit einem Handschlag auseinander gegangen. Nach einer für Stefanie quälend langen Zeit war es dann

Schlag auf Schlag gegangen. Stefanie hatte verblüfft festgestellt, wie leicht manche Türen sich mit Geld öffnen ließen. Und nun war es endlich soweit! Aufgeregt rief Stefanie Gustav an und bat ihn zu sich. Als Gustav seiner Freundin später gegenüber saß, kam er aus dem Staunen nicht heraus:  Stefanie hatte nie gesünder und lebendiger ausgesehen. Da war überhaupt keine Spur mehr von Angst und Unsicherheit! Sie strahlte über das ganze Gesicht, während sie ihrem alten Freund etwas zu trinken einschenkte und platzte schließlich heraus: „Es ist vorbei, Gustav! Der Albtraum hat ein Ende!“

„Dass da etwas im Gange war, hab ich ja

gemerkt. Aber du hast ja nie etwas gesagt, wenn ich angerufen habe – was ist passiert?“ Gustav rutschte neugierig auf der Couch hin und her.

„Das Medaillon ist fort. In der Schublade ist nur noch ein Abdruck, wo es gelegen hat. Wie eingebrannt. Und Veränderungen an meinem Körper hat es auch nicht mehr gegeben. Ich hab extra eine Weile gewartet, weil ich nicht genau wusste, ob ich wieder rasch älter werde, wenn mein Plan funktioniert hat“.

„Ach, ja, Dein Plan“, lächelte Gustav. „Das geheimnisvolle Treffen in der St. Matthäus-Kirche, das goldene Kreuz…..“ „Ach, das mit dem Kreuz war nur eine Art Zusatzversicherung“, winkte Stefanie

ab, „entscheidend war etwas anderes: Zum einen hast du gesagt, dass man dem Bösen etwas entgegensetzen muss. Und zum andern war da dieser Ausspruch von deinem vermeintlichen Doppelgänger, dass ICH über mein Leben bestimme. Nun – beides hab ich getan!“,

Stefanie machte eine dramatische Pause. Wohl wissend, dass Gustav vor Neugier fast platzte.

„Ich bin schwanger!“, grinste sie und fuhr fort: „Von einem Geistlichen!“ „Ach, was!“, entfuhr es Gustav, der mit allem gerechnet hatte, aber nicht damit. „Und das Böse selbst hat mir dazu die Gelegenheit gegeben“, triumphierte Stefanie. „Als mir klar wurde, dass ich

nun den Körper einer 38jährigen Frau habe, habe ich meinen Gynäkologen aufgesucht und mich untersuchen lassen. Als der grünes Licht gab für eine mögliche Schwangerschaft, bot ich Matisse fünfzigtausend Euro, wenn er mir das nötige Material besorgt…..du weißt schon, Sperma. Wie er das anstellte, war mir gleich; mit Prostituierten, Strichjungen oder sonst wie. Ich hatte nur zur Bedingung gemacht, dass niemand zu Schaden kommt. Ich hatte gedacht, ich müsse ihn überreden, aber seine spontane Antwort war: „Für fünfzigtausend Euro besorge ich Ihnen einen waschechten Geistlichen, der Ihnen jeden Morgen zum Frühstück

das Te Deum singt!“


Als das alles erledigt war und Matisse mir für weitere zehntausend Euro neue Papiere besorgt hatte, bin ich nach Holland gefahren und hab mich in einer Klinik befruchten lassen. Beim zweiten Versuch hat es geklappt. Ja – das war es eigentlich im Großen und Ganzen“. „Aber was ist mit den Behörden?“, wunderte sich Gustav, „willst du Stefanie Simoni so einfach verschwinden lassen?“ „Ach, das wird sich schon irgendwie regeln“, wischte sie seine Bedenken beiseite. „Klar, hier im Hotel werd’ ich nicht bleiben können. Das Kind bekomme ich im Ausland und dann sehen wir

weiter. Wichtig ist für mich nur, dass dieser Albtraum vorbei ist!“


Gustav nickte zustimmend. „Ich erkenne dich ja gar nicht wieder. Respekt!“ Stefanie wurde rot, bedankte sich für das Kompliment und schenkte ihm und sich nach. „Ohne dich wäre das alles nicht möglich gewesen, Gustav. Vielen, vielen Dank!“ Gustav hob das Glas: „Trinken wir auf dein neues Leben!“ Stefanie strich zärtlich über ihren Bauch. „Auf UNSER neues Leben!“ In ihr Lächeln hinein stieß Gustav gerührt mit ihr an und fühlte ein warmes Gefühl in sich aufsteigen, da nicht vom Cognac kam, sondern von ganz tief drinnen. Und es

war ein verdammt gutes Gefühl.

© Ulrich Seegschütz

  Jan|2019

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Feedre Hallo Uli, was für eine Geschichte....:-)))
Ich glaube fast, bald brauche ich auch so ein Zauber Medallion
warum gibt es die denn nicht im Supermarkt, sind ja damals in der französischen Revolution sehr viele guillotiert worden, da müßte doch irgendwo so ein Medaillon aufzutreiben sein...grins....coole Geschichte
guten Rutsch nachher...
Feedre
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Lagadere 
Guillotine geht zu schnell.....ich finde tot kitzeln cool!

Danke Dir!!!!

LG Uli
Heute - Antworten
Feedre ja, könnte man noch einmal herzhaft lachen...:-)))
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PamolaGrey Ich bin mal wieder hier gewesen, und musste das Buch noch mal lesen, ich habe es schon einmal gelesen.
Ich habe es lieber Gelesen als statt es mir anzuhören.
Ein guten Rutsch wünscht dir Pam

Gestern - Antworten
Lagadere 
Hallo Pam,
ach, das mit den "Hörbüchern" war mal so ein Notbehelf, weil eine Userin Probleme mit den Augen hatte; ich glaube, die hieß Gertrud.

Danke dir und komm gut rüber!

LG Uli

Heute - Antworten
AnneSchrettler 
Hey DU :)
Solche Geschichten sind zwar nicht ganz so meine Welt,
aber dennoch hab ich das Buch bis zum Ende gelesen,
da es spannend geschrieben ist.
Da wollte ich dann doch wissen, wie es ausgeht *g*

Kompliment, lieber Uli,
über eine Kurzgeschichte hinaus, hat meine Fantasie bisher noch nicht gereicht. Ich habe auch das Gefühl, dass hier so "dicke Bücher" gar nicht oder nur von ganz wenigen gelesen werden.

Liebe Grüße und einen schönen Abend,
Anne

Vor langer Zeit - Antworten
Lagadere He, cool! Hast Dich ja tapfer durch die 66 Seiten durchgewühlt!
Daumen hoch!
Für mich war das Genre auch neu; nach über 100 Geschichten gingen mir langsam die Ideen aus, lach.

Mach's Dir gemütlich!
LG Uli
Vor langer Zeit - Antworten
AnneSchrettler 
So viele Geschichten hast du schon geschrieben,
wow!
Da freue ich mich schon auf die nächste, die du veröffentlichst.

Schlaf gut :-)
Vor langer Zeit - Antworten
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