Als sie mich gestern Abend, auf der Straße, nach einer billigen Unterkunft fragte, bot ich ihr an bei mir zu übernachten. Sie zögerte erst, musterte mich von oben bis unten, dann nickte sie. Und so kam es, das sie nun in meinem Bett liegt, während ich ein kleines Frühstück vorbereite. Es ist jetzt ziemlich genau ein Jahr her, das jemand bei mir übernachtet hat. Ich denke fast jeden Tag an sie und frage mich, wo sie gerade ist, ob sie mich schon vergessen hat. Auch sie wird in wenigen Minuten das Weite suchen und nie wieder kommen. Nur mit dem
Unterschied, das ich mich nicht in sie verliebt habe. Zumindest glaube ich das. Sie ist hübsch. Sehr hübsch. Die halbe Nacht habe ich wachgelegen und mir ihr Gesicht angesehen. Der Mond hatte so hell ins Zimmer geschienen, das ich es mir problemlos betrachten konnte. Irgendwann war ich dabei eingeschlafen. Nur wenige Stunden später war ich wieder hellwach und stand sacht auf, um sie nicht zu wecken. Das Frühstück steht bereit. Ich trinke meinen Kaffee und schiele zu ihr rüber. Jetzt gehe ich zu ihr und lege mich vorsichtig neben sie. Ihr Körperduft steig mir in die Nase und ich spüre, wie ich dabei bin, mich in sie zu verlieben. Doch
ist mir das egal. Ich werde die Zeit, die sie noch hier ist, genießen. Sie rekelt sich, streckt sich, gähnt, sieht mich verschlafen an. Der Anflug eines Lächelns. Jetzt steht sie auf, streckt sich und steuert direkt auf meine Kochnische zu. „Kaffee. Genau das, was ich jetzt brauche.“, welch engelsgleiche Stimme. Schweigend sitzen wir uns gegenüber. Immer wieder schiele ich zu ihr und kann nicht glauben, das ein so hübsches Mädchen freiwillig die Nacht neben mir verbracht hat. Wie gern würde ich ihr sagen, wie schön ich sie finde und mir wünsche, das sie nicht geht. Aber ich schweige. Erstens, weil ich feige bin und
zweitens, um die Ruhe und Stille nicht zu zerstören. Ich bin kein Freund von, schon des Morgens zu plappern. Ich brauche meine Ruhe, sonst werde ich grantig. Und anscheinend geht es ihr genauso. Wie rhythmisch sich ihre Kaumuskeln bewegen. Es ist eine wahre Pracht, ihr beim Essen zuzusehen. Graziös hält sie das Essbesteck in ihrer Hand, als wäre es ein Präzisionsinstrument. Hoffentlich bemerkt sie nicht, das ich sie heimlich beobachte. Sie schaut auf ihre Uhr und stöhnt leise. „Ich mach mich dann mal auf den Weg. Danke nochmal, das ich bei dir übernachten durfte und ich mein
Geldbeutel nicht strapazieren musste.“ Was für ein Lächeln. Und diese Augen. „Jederzeit wieder. Ich geb’ dir mein Karte, falls mal wieder in der Nähe bist und ein Bett brauchen solltest. - Während du dich anziehst, mache ich dir ein Vesperpaket fertig.“ „Du bist ein netter Typ. Jeder andere hätte versucht sein Sperma bei mir abzuladen. Wundert mich, das du keine Freundin hast.“ „Bei dem Gesicht. Außerdem hat es auch seine Vorteile. Wenn ich eine Freundin gehabt hätte, hättest du nicht gratis bei mir übernachten können. Ich hatte mal Freundinnen gehabt. Die eine war so dreist und hat vor meinen Augen anderen
Typen ihre Telefonnummer gegeben. Im Schlafzimmer herrschte tote Hose. Allgemein durfte ich ihr nicht zu Nahe kommen. Warum sie mit mir was angefangen hatte, ist und bleibt mir ein Rätsel. Eine andere wollte nur ihren Kerl eifersüchtig machen. Das hatte auch eins a funktioniert. Und da gab es noch eine, die Männer nur ausnutzte. Emotional, wie finanziell. Wie du siehst, … Natürlich hatte ich versucht, eine Freundin zu finden, die mich nimmt, wie ich bin. Aber jedes mal, wenn ich preis gebe, das ich von Beruf Putze bin, ist das Interesse an mir dahin.“ „Das tut mir Leid. Muss furchtbar für dich sein. Dadurch hast du bestimmt ein
schlechtes Frauenbild. Aber glaub mir, wir sind nicht alle so fies und gemein…“ „Und eines Tages bla bla bla. Sorry, aber ich glaube nicht mehr daran. Und ich weiß, das nicht alle Frauen so sind. Es ist jetzt ziemlich genau ein Jahr her, als ich ein junges, hübschen Mädchen, wie du eine bist, bei mir übernachten ließ. Vom ersten Augenblick an war klar gewesen, das sie nach der Nacht für immer aus meinem Leben verschwindet. Ein paar Monate späte erhielt ich diese Karte.“ „Greetings. Mehr steht nicht drauf. Wusste wohl nicht, was sie schreiben sollte. Anscheinend hast du Eindruck auf sie hinterlassen. Vielleicht will sie dir
damit sagen, das sie eines Tages zu dir zurückkommt. Ich bin kein Psychologe, aber wer weiß.“ Ich reiche ihr das Vesperpaket, sie nimmt es dankbar an. „Wohin führt dich dein Weg?“, frage ich sie. „Erstmal Richtung Osten. Sibirien, um genau zu sein. Da wollte ich schon lange mal hin. Wenn du es genau wissen willst, es ist für mich eine Pilgerreise. Ich versuche zu mir selbst zu finden. Die öffentlichen Pilgerwege sind mir zu überlaufen. Also habe ich mir einen eigenen gesucht.“ Nachdenklich sehe ich sie an. Pilgern, daran hatte ich auch schon oft gedacht.
Aber mein Geldbeutel lässt es nicht zu. Von den paar Euros, die ich monatlich verdiene, komme ich gerade so über die Runden. Extraausgaben sind da nicht drin. Weder für Luxus, noch für Spirituelles. „Hey, hier Planet Erde. Ich würde dich ja gern mitnehmen. Aber wie schon gesagt, mache ich die Reise, um mich selbst zu finden. Da ist jeder zu viel.“ „Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Ich wünsche dir eine gute Reise und viel Erfolg. Pass auf dich auf. Und wenn du mal in der Nähe bist…“ „Melde ich mich bei dir. Versprochen.“ Ein zärtlicher Kuss auf meine fast keuschen Lippen. Es kribbelt angenehm
und macht den Abschied nur noch schwerer.
„Dann bis dann.“, sagt sie leise.
Langsam dreht sie sich um, geht zur Tür, winkt noch einmal, ohne sich dabei umzudrehen, geht durch die Tür und lässt eine unendlich schwere Leere zurück.