Kurzgeschichte
DER MANN IM ROTEN MANTEL

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"Mal wieder Zeit für ne kleine Weihnachtsgeschichte."
Veröffentlicht am 11. Dezember 2020, 8 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Über mich gibt es nichts interessantes. Aber jetzt auch mit schönen bunten Bildern.
Mal wieder Zeit für ne kleine Weihnachtsgeschichte.

DER MANN IM ROTEN MANTEL

DER MANN IM ROTEN MANTEL

Der alte Mann hockt zusammengekauert auf einem zerschlissenen Campingstuhl im Eingang eines verschlossenen Kaufhauses. Später Nachmittag, ein feiner Nieselregen fällt aus der anbrechenden Dämmerung. Die hübsch dekorierten Schaufenster bleiben dunkel.

Ein paar unmaskierte Jugendliche mit dünnen Lippen und leeren Augen

stolzieren vorüber, sie lachen, machen Witze über die traurige Gestalt da im Eingang.

Der alte Mann versucht sich hinter seinem verfilzten grau gewordenen Watte – Bart zu verstecken, verschließt fest seine stumpfen Augen. Sein feuchter verschlissener roter Mantel hat Flecken, eine Naht unter dem Arm ist gerissen. Der alte Mann seufzt, senkt den alten Kopf.

In den letzten zehn Jahren hatte das Kaufhaus ihn regelmäßig in der Adventszeit als Weihnachtsmann beschäftigt. Eine kleine Werbe – Attraktion für die werte Kundschaft.

Der alte Mann mochte diese Arbeit.

Es war ein netter Nebenverdienst zu seiner schmalen Rente, dazu das warme Essen zusammen mit den fest Angestellten in der Kantine. Von allen wurde er höflich gegrüßt, mit herzlichem Lächeln beschenkt.

Das fehlt ihm jetzt.

Das Kaufhaus ist Aufgrund der gültigen Pandemie – Regeln geschlossen, zusammen mit Restaurants, Kneipen, Bistros. Die Menschen bleiben daheim, erledigen dort ihre Geschäfte. Er wird nicht mehr gebraucht.

Mittlerweile ist es dunkel geworden, die Festbeleuchtung über dem nassen Asphalt blinkt verstohlen, eine einsame Taube sucht nach den Überresten menschlicher

Nahrung. Sie wird heute wohl hungrig einschlafen müssen.

Der alte Mann faltet seinen Stuhl zusammen und schlurft langsam Richtung Wohnung.

Seit Jahren lebt er allein in einer kleinen 2 – Zimmer – Bude am Rand der Innenstadt. Er kommt schlecht zurecht, so gerade eben hält er sich Monat für Monat über Wasser, lebt sparsam wie ein Mönch.

Nur an Weihnachten hat er sich mal etwas gegönnt: Ein gutes Essen, guter Wein, ein gutes Buch. Dazu seine Lieblingsmusik aus dem Radio. So saß er für gewöhnlich stundenlang in seiner warmen Stube. Er war zufrieden. Auch

mit dem Alleinsein hatte er sich endlich abgefunden.

Die ersten Jahre nach dem Tod seiner Frau hatte er kaum ausgehalten. Er hatte stundenlang geweint, geflucht, hatte sich die Haare gerauft und sehnlichst gewünscht das er vor ihr gegangen wäre.

Alles vergebens. Er vermisst sie noch immer, jeden Tag auf ´s neue. Doch im Moment auf seinem Heimweg vermisst er noch mehr. Es sind die Kinder die ihm fehlen; ihr Lachen, ihre großen erstaunten und unschuldigen Augen wenn sie ihn ansahen in seinem Kostüm. Sie hockten auf seinem Knie und flüsterten ihm ihre Wünsche ins Ohr, fragten nach den Wichteln, den

Rentieren, und ob es am Nordpol wirklich so kalt sei, während ihre Eltern dabei standen und sinnig lächelten.

Ja, das vermisst er am meisten.

Er öffnet seine Tür, schließt sie hinter sich und hängt den kaputten Mantel an die Garderobe. Dann schlurft er in die Küche, macht sich eine Dosensuppe warm, isst, spült seinen Teller ab.

Dann geht er ins Schlafzimmer, zieht sich aus und legt sich ins Bett und versucht sich in einen Traum zu flüchten. Mehr gibt es nicht zu tun.



Text: harryaltona 2020

Cover: Pixabay


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Über mich gibt es nichts interessantes. Aber jetzt auch mit schönen bunten Bildern.

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Kornblume Hallo Harry, ich hoffe Dir geht es gut und Du bist gesund. Deine melancholische Geschichte ist so anders, als die üblichen von Dir. Liegt es an Weihnachten,an Corona oder an den leeren Städten und Straßen, wo sich Menschen, wie der Mann im roten Mantel, nicht hinter Glitzerfassaden, Fressbuden auf Weihnachtsmärkten oder zwischen dahin eilenden Käufern verstecken können.
Das Lesen hat mich sehr traurig gestimmt, weil ich annehme, dass es ab Mittwoch noch viel schlimmer wird mit der Vereinsamung.
Es grüßt Dich herzlich die Kornblume
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Ja, ich kann auch Melancholisch. Ist wohl das fortschreitende Alter. - lach. Nee, im Ernst. Vereinsamung ist ja kein Problem von Weihnachten, Corona oder sonst was. Zu diesen Zeiten wird es nur sichtbarer. Es liegt wohl an dieser Gesellschaft, die sich immer mehr auf das persönliche Fortkommen reduziert. Da bleibt kein Platz mehr für die Alten und Siechen. Der jährliche Besuch eher Pflicht als liebevoller Respekt. Schade drum.
Tausend Dank, Kornbume!!!
lg... harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Eine Geschichte, die tief berührt und unter die Hait geht. Sicher gibt es viele solcher Menschen, die unter diesem Lockdown leiden. Die Geschichte sollten auch mal unsere Regierenden lesen, weil Angst und Hoffnungslosigkeit sich ebenfalls wie eine Pandemie ausbreiten.

Nachdenkliche Grüße
von Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Regierende lesen nix, außer Umfrageergebnisse. Vielleicht liegt da das Problem.
Tausend Dank, Bärbel!!!
lg... harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Das ist leider das Ergebnis des Schubladendenkens.
Vor langer Zeit - Antworten
Gast 
"DER MANN IM ROTEN MANTEL..."
Was ich schon immer wusste, Jörg. Du bist in der Tat der Meister
der traurigsten und melanchonischsten Geschichten, der sie zudem gekonnt und in absolut würdiger Form seinen Lesern nahebringen kann.
Und so fühle ich mit deinem Protagonisten im roten Mantel mit...
ein virtuelles ♥ von mir für diese Story...
LG zu Dir an den platten Nordsee-Strand,
aus dem coronaverseuchten Berlin ...
Louis :-)
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Tausend Dank, Louis!!!
Rest per pn.
lg... harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
Enya2853 Lieber Harry,
eine Geschichte, die einen trifft, die mehr als berührt, gerade weil sie fast sachlich erzählt wird. Ohne Pathos und dennoch spürt man das Empfinden des alten Mannes sehr deutlich. Wie schlimm muss es sein, wenn man ein derart zurückgezogenes, fast ärmliches Dasein fristet und dann jetzt auch noch der letzte Lichtblick wegbricht.

Ich möchte nicht wissen, wie vielen Menschen es gerade ähnlich geht.
Sehr eindringlich, sehr gut.

Lieben Gruß
Enya
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Was soll ich da noch sagen? Außer Tausend Dank, Enya!!!
lg... harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
KaraList Von der Gesellschaft ausgeschlossen, allein gelassen, einsam ... ein Schicksal, das viele alte Menschen trifft. Ohne in Rührseligkeit zu verfallen, fast nüchtern beschreibst Du deren Situation. Gerade deshalb geht Deine Geschichte unter die Haut, lässt Bilder entstehen.
Beeindruckend, Harry!
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
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